Helden der Wende

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Voland

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Nicht für alle Menschen in Deutschland war die Einheit eine Fahrt ins Glück. Viele konnten den harten und steinigen Weg in die Oase der Marktwirtschaft nicht bis zu Ende gehen. Viele blieben auf der Strecke. Ich will zwei dieser Unglücklichen, die ich persönlich gekannt habe, stellvertretend für die vielen gescheiterten Existenzen jener Zeit der Vergessenheit entreissen.

Hier sind die Aufzeichnungen meines Vetters Olaf von Wrangel, der zusammen mit seinem unerschütterlichen Freund Walter Weissblick in den ersten Jahren der Wende auf dem Reinigungssektor im Osten aufopferungsvolle Pionierarbeit geleistet hat.

Beide „Helden der Wende“ sind seit längerem verschollen.


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Die Aufzeichnungen Olaf von Wrangels beginnen mit dem 6. Oktober 1995.

„Ich will hier die Geschichte meines Geschäftspartners Walter Weissblick niederschreiben, der beim Aufbau im Osten Grossartiges geleistet hat. Vor zwei Jahren haben wir uns aus den Augen verloren. Er war damals bereits sehr krank. Seither habe ich nichts mehr von ihm gehört.

Walter, wo immer du jetzt auch sein magst, ich hoffe von ganzem Herzen, dass diese Zeilen dich erreichen und dass die Welt erkennt, wen sie an Dir hat ... oder hatte.


Um meinen Freund Walter Weissblick zu verstehen, muss man wissen, dass wir in den Anfängen unserer gemeinsamen Selbständigkeit im Westen der Republik eine harte Zeit durchzustehen hatten. Unsere Firma hiess Wrangel & Weissblick Unlimited, unser Motto: „Der Blick geht weit - nur Sauberkeit“.

Wir hatten uns mit dem Gardinen-Kleinschäumer „Anti-Gilb“ im Ruhrgebiet einen Namen gemacht und waren zu bescheidenem Wohlstand gekommen.

Als dann der Kommunismus im Osten zusammenbrach, witterten wir die Chance unseres Lebens. Walter hatte zudem noch eine Rechnung mit den alten SED-Funktionären offen. Sie hatten ihm in den Fünfzigern seine Firma abgeknöpft und ihn für zwei Jahre eingebuchtet. Nach der Haft hatte er „rübergemacht“ in den Westen. Jetzt sah er den Tag der Vergeltung gekommen.

Ich betrachtete die Dinge emotionsloser. Als Unternehmer hatten wir Anfang der Neunziger eine Mission zu erfüllen und die lag darin, den Schwestern und Brüdern im Osten die Zivilisation des Westens - gegen eine gebührende Aufwandsentschädigung versteht sich - nahezubringen.

Das Unglück wollte es, dass wir reingelegt wurden. Von der Firma „Saugblume“ hatten wir uns überreden lassen, circa 7 000 Staubsauger verschiedenster Machart in Kommission zu nehmen. Als Walter den Vertrag beim Ost-Notar (!) unseres Geschäftspartners unterzeichnete, lenkte ihn dessen Tochter Sarah (!!) geschickt mit ein paar Cannabiskeksen vom Kleingedruckten ab.

Als Walter gegen Mitternacht in unser Wohnmobil getorkelt kam und mich lallend mit dem „Peace“zeichen begrüßte, wußte ich, da war etwas schiefgelaufen. Und in der Tat, wir hatten uns vertraglich verpflichtet, 100 Staubsauger pro Woche unter die Leute zu bringen, andernfalls mussten wir die ganze Ladung zum doppelten Preis übernehmen.

Seit dieser Zeit hasste Walter Notare.

Mein Freund war verzweifelt. Er hatte schon immer ein Primadonnengemüt gehabt, aber ich richtete ihn auch diesmal wieder auf. Alles Klagen half nichts – wir mussten ranklotzen.
Ich übernahm die Verscherbelung der 5000 Leichtbaugeräte der Marken „Filou“, „Charmeur“ „Windei“ und „Luftikuss“, während Walter den härteren Brocken wählte, Klopfsauger der Marken „Wotan“, „Donnerkeil“ und „Tabularasa“.

Immer wieder stießen unsere Sauger in Schwerin auf hartnäckigen Widerstand, doch das war nichts im Vergleich zu dem, was Walter in Rostock erwarten sollte.

Alles liess sich zunächst ganz gut an.
Uns Zutritt zu den Wohnungen zu verschaffen, war üblicherweise ein Leichtes. In den Anfangsjahren der Wende vertraute man Verkaufsprofis wie uns noch.

Ich liebte die sanfte einfühlsame Tour.
Der Vormittag galt dem Studium der zerlesensten Frauenzeitschriften in den Friseurläden und Wartezimmern der Ärzte.

Marktgerecht veränderte ich danach mein Outfit.
Ich klebte mir, wann immer nötig, falsche Augenbrauen oder Koteletten an, ging mal als Rex Gildo oder Harald Schmidt, mal als Elvis Presley oder Roy Black auf Tour, gerade wie es in Goldenenen Blättern stand und wen die Hausfrauen der Gegend zu schätzen schienen.
Wenn ich mit einem Riesenposter von Tom Cruise, Prinz Charles, Diana oder Camilla vor der Tür stand, eroberte ich für gewöhnlich die Herzen im Sturm.

Und wenn wirklich alles nichts half, begann ich in die Mikros der Klingelanlage zu singen. Mit „Ganz in Weiss“ erzielte ich meine größten Erfolge. Einmal verkaufte ich auf diese Weise 42 Leichtstaubsauger an einem einzigen Tag.

Das Geschäft flutschte.

Walter hatte es nicht so leicht. Er war schon weit über 50 und singen konnte er auch nicht. Er war aber keiner, der aufgab und wählte die harte Methode. Wie ein Wiesel kletterte er die 10 und mehr Stockwerke in den Plattenbauten hoch, bewaffnet mit dem schweren Tabularasa-Klopfsauger und einem Eimer voll Sand und Teer.

Öffnete eine arme ahnungslose Seele unvorsichtigerweise auf sein Klingeln hin die Tür, kippte er sofort den Eimer auf dem Läufer im Flur aus, der Stecker flog in die Dose und Walter klopfte wie ein Besessener los.

Das geschichtliche Verhängnis wollte es, dass zu eben jener Zeit ein widerliches Auslaufmodell von Korridorläufer an allen Ecken und Enden Rostocks verkauft wurde. Die Farbe erinnerte an eine missglückte Leberoperation: rostrot-rosa, mit einem galligen Grünklecks in der Mitte. Ramschware, dritte Wahl aus alten Sowjetbunkern. Wenn unser Klopfsauger loslegte, blieb von dem roten Filz schon nach kurzer Zeit nur noch das nackte Jutegerippe übrig.

Ein grässlicher Anblick.

Die potentiellen Kunden waren keineswegs erfreut. Mehr als einmal
wurde Walter mit Schimpf und Schande aus dem Haus gejagt, zweimal sogar mit dem Teer aus seinem Eimer übergossen, weil er die Neuerwerbung im Flur ruiniert hatte. Er begann diese rostrosaroten Läufer und den Sozialismus noch mehr zu
hassen als vor dem Fall der Mauer.

Abends im Wohnmobil, wenn Kismet, unsere zypriotische Sekretärin, seine Wunden pflegte, schwor er unter einem Berg von Kissen dem Sozialismus Rache. Wir hatten ernstlich Sorge um seinen Seelenzustand. Und das nicht zu Unrecht.“
 

Leovinus

Mitglied
Hallo - du hast, finde ich, einen schön leichten Stil. Mir fehlt bloß so ein bisschen Pep in der ganzen Geschichte. Vor allem: ist der Text damit zu Ende? Da fehlt doch noch etwas, oder?
beste Grüße!
 



 
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