Henrike erzählt ihrer Freundin Katja über Erfahrungen mit der Buntschli

haljam

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Die Buntschli, dritter Teil

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Na, ich sag dir, Katja, mit der Buntschli, da hast du was mitgemacht!

Es hatte ja manchmal sogar einen gewissen „Unterhaltungswert“, wenn die Buntschli Dinge, die sie irgendwo erlebt hatte, sei es im Straßenverkehr, sei es beim Einkaufen, sei es auf dem Postamt, uns in Form von lauter kleinen Geschichten wiedererzählte.

Und der Buntschli passierten auch unentwegt solche Dinge, fast monatlich wurde sie um ein Haar von irgendwelchen Lastwagen überfahren, die einfach nicht dazu bereit waren, die Vorfahrtsregelungen an bestimmten Kreuzungen, die von der Buntschli oft frequentiert wurden, zu beachten.

Im Postamt geriet sie prompt an die Schlange, wo man am längsten warten musste.

Mit TOLERANZ war da nicht viel bei der Buntschli, sie musste immerzu kämpfen, gegen irgendetwas oder gegen irgendjemanden kämpfen, kämpfen um jeden Preis.

Häuser besetzen – bloß um zu kämpfen.

Über Politiker schimpfen, über ihr Unvermögen und über ihre fetten Diäten – bloß um zu kämpfen.

Auf die Justiz schimpfen, auf die Laschheit bundesdeutscher Rechtsprechung – bloß um zu kämpfen.

Klar, dass sie für die Todesstrafe war!...

Sie artikulierte sich unentwegt in einem Wust von Unterstellungen. Sie rief beispielsweise jemanden an, hörte dann plötzlich im Hintergrund bei dem Angerufenen irgendein Geräusch, das sie nicht klar einordnen konnte, unterstellen aber nichtsdestotrotz, dass der Betreffende unhöflicherweise am Computer säße und da irgendein dämliches Computer-Spiel spielte, in Wirklichkeit war es aber vielleicht ein zweites Telefon, das da gerade klingelte...

Oder jemand erzählte ihr etwas, um irgendetwas zu klären oder richtigzustellen, und sie sagte: „Das glaube ich Ihnen nicht.“ In einem Ton von Unerbittlichkeit: „Das glaube ich Ihnen nicht.“ Knallhart und unversöhnlich: „Das glaube ich Ihnen nicht.“ Sie hätte genausogut auch sagen können: „Sie lügen, Frau Holzapfel!“ Aber das hat sie sich dann wieder nicht getraut. Oder sie war zu schlau dazu, mir das so direkt zu sagen.

Eigentlich ihr Problem. Aber sie hatte ein derart ausgeprägtes Talent, solche Dinge zu vermitteln, dass sie andere auf diese unangenehme und fiese und hinterhältige Art und Weise total einschüchtern konnte!...

Einfach lächerlich: Ein Popanz, aber alle – ja, alle! – hatten Angst davor, hatten Angst vor ihr!

Ich verstand mich manchmal selber nicht in all meiner Angst...

Zugegeben, sie konnte manchmal auch sehr nett sein, aber im Allgemeinen, wenn sie sich unbeobachtet wähnte, dann hatte sie so einen Gesichtsausdruck wie... wie... – ja, wie ein Piranha, ja wirklich!

Sie legte sich mit allen und jeder und jedem an, vom Briefträger über den Mann aus der Nachbarschaft, der sein Auto nicht sofort richtig einparkte („Der wär‘ doch besser Kameltreiber geblieben...“ – wegen des dunklen Teints dieses Mannes), bis hin zu den Pubertierenden aus dem Viertel, die sie gerne und erfolgreich provozierten, weil sie schnell wussten, dass sie leicht zu provozieren war.

Es war oft schauerlich!

So viele Menschen litten unter dieser Frau, die andere unentwegt tyrannisierte und terrorisierte.

Und wenn man sie auf diese Dinge ansprach, höflich ansprach, dann wies sie derartige Anschuldigungen, derartige „Unterstellungen“ sofort zurück, sie, die doch selber nur zu oft und zu gerne anderen etwas unterstellte. Sie fand das unverschämt, wenn andere es nur vorsichtig wagten, sie wegen ihrer Fehler und Schwächen zu kritisieren; und diese Kritik war fast immer berechtigt, ja, nur zu berechtigt.

Sie hatte eine große Begabung darin, sich künstlich aufzuregen. Fast konnte man sagen: Sie schlug schon zurück, bevor sie überhaupt angegriffen wurde.

Kampf war ihr persönlichkeitsspezifisches Merkmal, diese ständige unsinnige und belastende Kampfbereitschaft.

Sie hatte große Probleme damit, die Dinge differenziert wahrzunehmen. Das muss für sie alles eine große graue Masse gewesen sein.

Sie bildete sich unheimlich etwas ein auf ihr Gedächtnis, doch das hielt selten das, was sie einem versprach.

Sie hielt sich manchmal, nein, genauer: viel zu oft für unfehlbar. Wie eine Päpstin.

Sie nötigte andere Menschen oft, ihr dies oder jenes zu glauben, versuchte sie mit Vehemenz zu den abwegigsten Ansichten und Meinungen zu manipulieren.

Sie litt an wahnhafter Selbstüberschätzung!

Diese Frau war wirklich krank! Die Buntschli war krank im Kopf, aber sie war auch raffiniert.

Doch auch für die Buntschli kam der Tag, an dem sie an ihre Grenzen stieß. Heftig an ihre Grenzen stieß.

Viele empfanden sie als unfreundlich, als frech, als arrogant, als zickig, als unhöflich. Recht hatten sie. Die Wahrnehmung der vielen anderen war durchaus gesund, aber die Wahrnehmung der Buntschli war restlos gestört.

Sie versuchte unentwegt, sich aus allem herauszureden.

Sie war ein ungeduldiger Mensch, und das ist per se schon mal schlecht.

Die Buntschli hielt offenbar die Welt für eine Bühne und spielte unentwegt und unaufhörlich Theater – Affentheater!
 



 
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