Herbst

Episkopi

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Der Herzblattbaum

Ein Märchen ohne Zeit für junge Leute und alle, die es werden wollen:
derHerzblattbaum, derHerzblattbaum,
er ist ein Wunder anzuschauen.
Oft färbt der Herbst die Blätterherzen,
tiefrot,
und aus ist es mit Sommerscherzen.
Sie und er lebten in einem kleinen Tal am Rande der Welt.Oder in der Mitte der Welt.Die Sonne schien, und es schien, als ob der Sommer nicht enden wollte.Das kleine dunkle Holzhäuschen war umgeben von einem Garten. Die Äpfel leuchteten rot und gelb in der Sonne, die Pflaumen färbten sich blau. Winden wiegten sich im Winde und öffneten noch jeden Tag aufs Neue eine neue Blüte. Brombeeren und Himbeeren taumelten überreif zwischen Spinnenweben, die in der Morgenkühle mit funkelnden Tautropfen verziert waren. Sie schienen Diamanten zu sein, und wären sie es gewesen, so wären sie reich gewesen, aber sie waren es nicht.
Das kleine Tal war von Hügeln umgeben, an denen zogen sich ein paar Felder hinauf, und wollte man die Felderchen bestellen, musste man den Pflug die Hügel hinauf ziehen, und weil das so schwer ist, reichten ein paar Felderchen. Reich wurden sie davon nicht, aber für sie reichte es.
Hinten durchschnitt ein Flüsschen das Tal, ein wildes Wasser in einem felsigen Bett. Im Sommer konnte man in den Fluss klettern, sich auf den Rücken legen und sich meilenweit treiben lassen, sogar bis hin zum Schlosse des Königs, und da der Sommer nicht enden zu wollen schien, und immer noch jeden Tag die Sonne schien, ließen sie und er sich noch jeden Tag in der Mittagshitze vom wilden Wasser davon tragen.
Das Tal am Rande der Welt, oder in der Mitte der Welt war schön, aber nicht ungewöhnlich, es gibt viele solche Täler auf der Welt, am Rand und in der Mitte. Ungewöhnlich war nur der:
Baum
am Waldesssaum,
mit seinen herzförmigen Blättern.Sie nannten ihn Herzblattbaum.
Hinter dem Herzblattbaum schien der Weg in die Dunkelheit zu führen, denn dort begann ein dichter Tannenwald, aber sie wussten es nicht so genau, weil sie niemals den Waldessaum überschrittenhatten , denn sie fürchteten sich davor.
Der Herzblattbaum ließ sich vom Sonnenschein nicht täuschen:
er wusste,
dass der Herbst kommen musste,
und nahm die Sache in die Hand. Die ersten Blattherzen begannen sich ganz leicht rötlich zu färben. Seit ein paar Tagen.Seit ein paar Tagen erschallten von jenseits der Hügel des Königs Fanfaren. Er saß nun oft unter dem Herzblattbaum und lauschte dem Klang der Fanfaren.
Sie indessen :
hatte sich auf die Dichtkunst besonnen
und zu dichten begonnen,
ein kleines Liedlein, dass sie sang, während sie die Äpfel pflückte und die Pflaumen schüttelte, und dem sie nun jeden Tag aufs Neue neue Worte hinzu fügte, bis sie einen Schluss hätte finden müssen, der ihr gefiel:
Der Herzblattbaum, der Herzblattbaum,
ist wie ein Wunder anzuschaun.
Oft färbt der Herbst die Blätterherzen,
tiefrot,und macht aus Sommerscherzen
Schmerzen.
Der Schluss, den sie gefunden hatte, gefiel ihr noch nicht, sie fand ihn zu gewöhnlich, aber ungewöhnlich war, dass der Schluss des Liedleins, den sie gefunden hatte, sie tief beunruhigte.
Dabei schien die Sonne noch immer, der Sommer schien noch immer nicht enden zu wollen, aber das konnte sie nicht täuschen:
sie wusste,
dass der Herbst kommen musste,
wären die Tautropfen an den Spinnenweben Diamanten, so wären sie reich gewesen, aber sie waren es nicht, so nahm sie die Sache in die Hand. Sie nahm sein Beil in die Hand und schnitt Holz für den Winter,singen kann man dabei nicht, es ist zu schwer,und wenn sie mit dem Beil innehielt, schaute sie:
an den Waldessaum,
zum Herzblattbaum,
wo er saß und den Fanfaren lauschte, und sie war tief beunruhigt.
Sie las die Äpfel in seinen Korb, um sie auf dem Markt feil zu bieten, singen kann man dabei nicht, der Korb ist zu schwer, vielleicht singen Männer nicht bei der Arbeit, und so bekam das Liedlein nun keine neuen Wo
Und immer die Fanfaren,
und als sieben Tage eine Woche waren:
stellte sie den letzten Apfelkorb ab und lief in seinen Schuhen zum Herzblattbaum, und er kam ihr eudestrahlend entgegen und sprach:
Nur einmal mit dem Königsheer marschieren!
Nur einmal in die Schlacht und nicht verlieren!
Sie standen am Waldessaum und blickten in die Tannen, wie dunkel war es dort eigentlich wirklich,fragte sie sich und er murmelte:
Was ist das bloß,
ich komm nicht los,
und als er es zum zweiten Mal gemurmelt hatte, zog sie seine Schuhe aus und reichte sie ihm, aber er:
riss ein Blatt vom Herzblattbaum
und überschritt den Waldessaum,
die Schuhe ließ er stehen.Sie blieb nicht lange dort stehen, der Herzblattbaum rauschte, der Wind schien stärker geworden zu sein, die Blattherzen raschelten, denn sie schienen härter geworden. Die Sonne schien noch immer, der Sommer schien noch immer nicht enden zu wollen, selbst die Winde hatte sich zu einer weiteren Blüte überwunden:
obwohl sie wusste,
dass der Herbst kommen musste,
und so überwand sie sich, stand auf, ging zurück zu dem dunklen Holzhäuschen und nahm sein Beil in die Hand.
Als sie die Gartenbank, die er gebaut hatte zu Winterholz geschnitten hatte, schlüpfte sie in seine Schuhe, wanderte zum Herzblattbaum, fasste sich ein Herz und überschritt den Waldessaum.
Der Wald dahinter war nicht so dunkel, wie sie immer befürchtet hatten, sie wanderte, fand ihn nicht, fand einiges an Pilzen, kehrte zurück und bereitete die Pilze zum Trocknen vor. Nachts fand sie in seinem Bett keine Ruhe, aber Worte für ihr Liedlein, die dem Schluss, den sie vorerst gefunden hatte, neue Worte anschließen ließen, so war doch noch nicht Schluss:
Das Holz schnitt ich mit deinem Beil.
In deinem Korb bot ich die Gartenfrüchte feil.
Pilze suchte ich in deinen Schuhen.
In deinem Bette konnte ich nicht ruhen.
Er war zügig durch den Wald gegangen, der weniger dunkel war, als sie immer befürchtet hatten.
Auf dem Hügel schaute er sich nach dem Königsschloss um, und wanderte dann darauf zu immer den Bergkamm lang. Der Wind war stärker hier oben auf dem Kamm, vielleicht auch weil der Herbst nahte, und er sorgte sich, weil er in der Eile keinen Kamm mitgenommen hatte, und nun mit wirrem Haar vor dem König erscheinen würde. Von oben sah er auch das kleine Tal, und es lag nicht mehr in der Mitte der Welt, soviel war sicher.So von oben sah er mehr von der Welt, bis ans Meer konnte er sehen, und mehr kleine Täler, aber auch das Königsschloss mit der Stadt ringsum. Und wenn in dem kleinen Tal zu hause nichts ohne ihn zu gehen schien, denn wer hätte den Pflug die Hügel hochziehen sollen, um die Felderchen zu bestellen, wer hätte die Bäume fällen sollen für das Häuschen mit der Gartenbank, so schien diese Welt, die er nun von oben sah, die ganze Zeit ohne ihn ganz gut zurecht gekommen zu sein, und nicht nach ihm zu rufen. Da, im rechten Moment, erklangen des Königs Fanfaren, und ihm fiel ein, dass er sehr wohl gerufen wurde. Der Gedanke gefiel ihm, und er flog mit dem Wind und wehendem Haar den Berg hinab bis zum Königsschloss. Dort hieß man ihn freundlich willkommen, stattete ihn mit Schild und Schwert aus und wies ihm ein Nachtquartier zu.
Am ersten Tag war der Herbst da. Es war merklich kälter und sehr wolkig. Der Wind pfiff durch den Herzblattbaum und riss an den Blätterherzen.Tagsüber zog sie seine Schuhe nicht mehr aus. Sie sortierte die Äpfel in den Keller, sie stapelte das Winterholz und kochte Mus aus den Pflaumen. Die Winde hatte noch eine Knospe getrieben, doch sie hielt sie bei diesem Wind geschlossen.
Am zweiten Tag belud sie einen Wagen mit Pilzen, Äpfeln und Mus, und zog damit zu Markte. Ihn fand sie dort nicht. Für das Geld kaufte sie sich Tinte, Federn und Papier. Der kalte Wind blieb.
Er war zwei Tage mit Männern des Königs durch den Wald und über die Hügel marschiert. Sie sollten, so lautete die Order des Königs, den Feind erspähen. Die Wegbeschreibung war verwirrend, doch dann fanden sie den feindlichen Ort. Sie fanden ein Dorf, vielleicht zehn Holzhäuschen mit Gärten und Felderchen. Die Frauen holten die Äpfel von den Bäumen, die Männer schnitten Winterholz.Die Männer des Königs schlugen ihre Zelte im nahen Wald auf, um den Feind zu beobachten. Er war verwirrt.
Am dritten Tag regnete es in Strömen, hinaus konnte sie nicht einmal in seinen Schuhen.
Sie putzte das Häuschen, besserte Kleidung aus und kochte weiter Mus von Pflaumen.
Dann hielt sie inne.Vom Fenster schaute sie in den strömenden Regen und dann zum Herzblattbaum. Die leicht rötlichen Blattherzen hielten sich noch ganz wacker an den Zweigen fest, der Baum schüttelte sich im Wind, ja wundersamerweise sah es nicht so aus, als ob der Wind den Herzblattbaum schütteln würde. Es sah aus, als wäre er es,der sich gegen den Wind schüttelte. Als wäre er es, der den Herbst vertreiben wolle, damit der Sommer wiederkommt, der nun doch geendet war.Sie sah dem sich schüttelnden Herzblattbaum zu, und dann fertigte sie sich von den Pflaumensteinen einen Gürtel, der bei jeder Bewegung klapperte, und tanzte,so wild. als sei sie selbst der sich schüttelnde Herzblattbaum.Plötzlich klappte die Tür.Sie erschrak, flüchtete in den dunkelsten Zimmerwinkel und bebte, wie all die Blattherzen am Herzblattbaum selbst.
Aber es geschah nichts, außer dass sie sich fragte, ob so ein Baum Angst fühlen könnte.Das wäre ungewöhnlich.Aber der Herzblattbaum war ungewöhnlich.Oder nicht?Sie hatte das kleine Tal schon lange nicht mehr verlassen.Sie legte den Gürtel aus Pflaumensteinen auf die Türklinke.Er würde klappernd zu Boden fallen und sie warnen.
Dann besann sie sich auf ihre Einkäufe, auf Tinte, Federn und Papier, besann sich auf die Dichtkunst,und sammelte all die Worte und Verse, die sie in den letzten Tagen gesammelt hatte.
Darüber schlief sie ein, am Tisch, nicht in seinem Bett.
Der strömende Regen zwang die Männer den ganzen Tag in ihren Zelten zu verharren:
sie spielten Karten,
aßen, übten warten.
Er sagte: wir könnten einen Unterstand bauen, ein Feuer machen, und das Dorf beobachten.Ob er das erste Mal mit dem König sei, fragten sie ihn, aber das Feuer könne, man doch bei dem Regen nicht sehen.Worum geht es dann, fragte er sie, wenn es darum nicht geht.
Dann setzte er sich unter das Vorzelt und beobachtete das Dorf.Nach einer Weile sah er eine wunderschöne Frau. Mitten im Regen lief sie durch ihren Garten und schnitt Blumen. Die Blumen leuchteten selbst im Regen so orange, er kannte solche Blumen nicht.
Am vierten Tag hatte sich der Regen verzogen, und nicht nur das.Der Himmel war strahlend blau, die Sonne schien mittags so warm, dass die Winde sich überwand und noch einmal eine Blüte öffnete.War der Sommer wundersamerweise doch zurück?
Der Herzblattbaum,
war wie ein Wunder anzuschaun:
die Blattherzen schimmerten nass und fast rosa in der Sonne. Hin und wieder schien der Baum sich zu schütteln, dann funkelten die Regentropfen in der Sonne, die schien, sie schienen Diamanten zu sein, und wären sie es gewesen, so wären sie reich gewesen. Aber sie waren es nicht.
Es fiel ihr schwer, sich vom Herzblattbaum loszureißen. Aber sie war so früh aufgewacht, und als sie die Klinke berührt hatte, um vor die Tür zu treten, war ihr der Gürtel von Pflaumensteinen auf die nackten Füßegefallen, und das tat weh. Sie war in seine Schuhe, geschlüpft, in den Garten gegangen, und hatte dort gefunden, was sie suchte: einige schmale, abgeschälte Stämme. Da hatte er noch mehr Felderchen abstecken wollen, weil sie nicht reich waren.So hatte sie den ganzen Vormittag die Stämme zum Fluss gezogen, und ruhte sich nun unter dem Herzblattbaum aus, doch sie fand keine Ruhe:
sie riss ein Blatt vom Herzblattbaum,
und ging, ohne sich umzuschaun
zum Flussufer, wo das Floß schon gebunden und beladen war mit Brot, Pflaumenmus, Kleidung, Tinte, Federn und Papier.
Sie stieg aufs Floß,
sie band es los:
das Wasser des Flusses war durch den starken Regen gestiegen, der Fluss war reißender als sonst,es drang in seinem Drang die Uferbiegung rasch zu nehmen das Floß ans Ufer.
Was ist das bloß,
ich komm nicht los:
sie ruderte gegen den drängenden Fluss, bis sie nass war, bis das Brot und das Mus ins Wasser und die Sonne in die Baumkronen gefallen war,
zu spät.
Er verkleidete sich als Bettler und ging hinunter in das Dorf, das der König ausgespäht zu haben wünschte. Dort klopfte er an jede Tür, murmelte sein Sprüchlein und erhielt dies und das.Er fand auch das Haus der Frau, die er bereits gesehen hatte. Er murmelte sein Sprüchlein, als sie ihm öffnete, und musste plötzlich so sehr niesen, dass er am ganzen Körper bebte.Ob er krank sei, fragte sie, doch er schüttelte sein wirres Haar, doch sei er, sprach sie, und so blieb er eine Nacht. Es sind die Ringelblumen so leuchtend orange,erfuhr er dort, und wenn man bei solchem Regen in den Garten geht, um sie zu schneiden, dann braucht man keinen Strauß davon, sondern muss Salbe und Tee davon zubereiten, weil einer krank wird.. Am nächsten Tag gab ihm die Frau dies und das an Salben und Tee ,er murmelte sein Sprüchlein.und ging zurück in den Wald.Da ist nichts, sagte er den Männern des Königs.Er selbst sollte kein Mann des Königs mehr sein, denn sie fesselten ihn:
da muss ein Feind sein,
davon leben wir fein.
Am fünften Tag kamen morgens die Nebel. Den Herzblattbaum sah sie erst am späten Vormittag.
Vorher sah sie nicht aus dem Fenster, obwohl der Tisch mit Tinte, Feder und Papier davor stand:
Mein Herz ist von Nebel verhangen,
mein Fenster blind, das lässt mich bangen.
Durch engsten Raum irrt mein Verlangen,
ohne Rast, ruhelos, denn ich bin gefangen.
Plötzlich fiel der Gürtel aus Pflaumensteinen von der Türklinke, sie flüchtete in die dunkelste Zimmerecke und bebte. Jemand trat ein und rief, es war ein Mann. Langsam ganz langsam trat sie hervor. Der Mann trug eine Laute bei sich und bat um eine kurze Rast und Ruheplatz. Sie kochte ihm Tee und gab ihm Brot und Pflaumenmus. Während er aß und trank fiel sein Blick auf den Tisch, denn da lagen Tinte, Feder und beschriebenes Papier.Später bat er sie, ihm das wundersame Liedlein zu verkaufen. Sie widerstrebte etwas. In Ihrem Garten, sprach er, hängen die Nebeltropfen an den Blättern und Blüten, jetzt scheint die Sonne gerade nicht, aber würde sie scheinen, dann schiene es sicher, als seien die Tropfen Diamanten, viele Diamanten, und dann wären Sie reich, aber Sie sind es nicht. Oder?Was kostet das Liedlein? Es kostete sie nicht viel Überwindung, die kleine Truhe mit dem Doppelten des Preises von ihm anzunehmen.Es widerstrebte sie, ihm das Bett als Ruheplatz anzubieten, aber sie hatten nichts anders. Nach zwei Stunden ging er fort.
Er ging in Fesseln und umringt von den Männern des Königs durch die Straßen der Stadt.Am Markt hörte er eine Laute und die Stimme eines Mannes, der sang:
der Herzblattbaum, der Herzblattbaum
ist wie ein Wunder anzuschaun.
Oft färbt der Herbst die Blätterherzen,
tiefrot,
und aus ist es mit Sommerscherzen.
Er zerrte an seinen Fesseln, doch er konnte sie nicht sprengen, da besann er sich auf seine Stimme und auf Worte und er schrie:
was ist das bloß,
ich komm nicht los!
und er schrie, weil sie das Lied verkauft hatte , und schrie und schrie, weil sie das Lied verkauft hatte, er schüttelte sich, bebte am ganzen Körper:
so dass sein Haar sich ganz verwirrte,
was den Sänger nicht beirrte,
der sang und sang,das Publikum war begeistert und Münze um Münze sprang in den Hut des Sängers.Die Männer des Königs wollten den Sänger wohl hören, obwohl es hauptsächlich Frauen waren, die ihn umstanden und Tränen der Rührung über das wundersame Liedlein weinten, Tränen, sie schienen Diamanten zu sein, und wären sie es gewesen, so wären sie reich gewesen, und das waren sie , die Männer des Königs lebten fein.
Mein Herz ist von Nebel verhangen,
ohne Rast, ruhelos, denn ich bin gefangen:
er hörte die Worte, denn er hatte sich wund geschrieen und war verstummt, als die Männer ihn an einen Laternenpfahl banden und sich unter die weinenden Frauen mischten. Der Sänger ließ sein Publikum, dass sich ihm mit viel barer Münze deutlich wohlgesonnen gezeigt hatte, nicht länger in der Melancholie gefangen, sondern änderte die Stimmung und spielte zum Tanz auf. Die Menschen rührten sich wie Soldaten aus ihrer Rührung, die Männer des Königs ergriffen die Hände der Frauen, um sie zum Tanz aufzufordern und die Frauen, noch ganz ergriffen, von dem wundersamen Liedlein, widerstrebten nicht sehr, zumal sie alle die Lieder nun kannten und selbst laut singen konnten. Etwas berührte ihn und plötzlich hatte er die Hände los.Die Fessel war lautlos vor seine Füße gefallen.Jemand verschwand, noch ehe er gesehen war.Der Sänger war verschwunden, die Leute tanzten.Er riss sich los und verschwand.
Am Abend noch erreichte er das kleine Tal, öffnete die Tür, der Gürtel aus Pflaumensteinen sprang klappernd von der Klinke, er erbebte vor Schreck und weil er sie bebend vor Fieber in seinem Bett liegend fand. In seiner Hosentasche fand er Tee und Salbe und pflegte sie damit:
ob sie wusste,
dass er kommen musste?
Am sechsten Tag hatte sie sich erholt. Die Sonne schien, aber es war kalt dabei. Sie zeigte ihm die Truhe mit dem doppelten Preis, wir könnten nun Kinder haben. Er schwieg.
Sie schlüpfte in seine Schuhe
und ging mit ihrer Truhe
zum Herzblattbaum. Er folgte ihr mit einem Spaten und als sie die Truhe vergraben wollten, stießen sie auf zwei kindliche Gebeine.Sie erstarrten so sehr, dass sie die Grube offenließen. Die Nacht war sternenklar . Der Frost biss die Blattherzen am Herzblattbaum blutrot. Sie begannen sich loszureißen und fielen. Die Sorge trieb sie und ihn zum Herzblattbaum, sie füllten die Grube wieder mit Erde und bedeckten die Wurzeln des Baumes mit seinem roten Laub, um ihn vor dem Frost zu schützen.
Obwohl nun sieben Tage eine Woche waren,
ertönten nicht mehr die Fanfaren:
früh krümmte sich das Gras unter Rauhreifen und der Frost kam schon am Tage.Im Winter gilt alles der Wärme,das Feuer muss gehütet und geschürt werden, die Tür darf nicht zu lang aufstehen, die Decken müssen gewärmt werden und auch die Füße und Hände, bevor man etwas tut oder gar hinausgeht, und dann wieder gewärmt werden, dabei muss das Essen bereitet und warm gehalten werden und ebenso der Tee und der Kaffee, nur nicht nass werden , nur nicht kalt werden, nur nicht krank werden. Die Späne, die von der Frau fielen, die er aus einem Holzkloben schnitzte, sammelte sie zum Feuern. Das Papier, das noch übrig war, nahm sie zum Anfachen. Eines Tages war das leere Papier zuende, da lernte sie Tag für Tag ihre Verslein auswendig, und wenn sie eins auswendig konnte, fachte sie mit dem beschriebenen Papier das Feuer wieder an. So verging der Winter nicht ganz, als auch das Holz auszugehen drohte. An der Tür stand noch die hölzerne Frau, die er geschnitzt hatte.Er antwortete nicht, als sie sagte, sprich mit mir. Dann geh ich:
du kommst nicht weit,
wir sind eingeschneit.
Sie sah aus dem Fenster, doch das war vereist und aussichtslos, eher finde ich einen Weg in die Stadt, obwohl es nicht gut aussieht, aber dein Schweigen ist auswegslos. Dann ging sie. Sie hatte das kleine Tal schon lange nicht verlassen. Der Herzblattbaum war kahl. Sie hörte, wie der Gürtel aus Pflaumensteinen von der Türklinke fiel:
nicht die Zeit sich umzuschaun,
ich seh auch nicht den Waldessaum,
und sie kehrte langsam zum Holzhäuschen zurück, indem ein helles, kräftiges Feuerchen prasselte, die hölzerne Frau war verschwunden.
Der Winter war noch nicht ganz vergangen, doch es schien, als ob sie auftauten, sie besannen sich auf Worte und nur sie wissen, woher sie noch das Holz für ihr Feuer nahmen, aber es prasselte hell und fröhlich, das Häuschen, von dem sie dies und das an Holz abschnitten ,würden sie im Frühling ausbessern können, im Frühling:
der wusste,
dass er kommen musste,
auch in das kleine Tal , das am Rande der Welt liegt, oder in der Mitte, das ist nicht sicher, der Sänger und die Blumenfrau mussten nicht kommen, aber vielleicht kamen sie, das ist nicht sicher, und was aus den beiden geworden ist oder auch nicht, ist auch nicht sicher,und ob sie das Tal jemals verlassen hat, ist nicht sicher:
diesen Winter damals vergesse ich sicher nicht , und immer die Fanfaren....
Sicher ist, dass sie noch heute leben, wenn sie nicht gestorben sind, wie gewöhnlich am Schluss eines Märchens:
er Herzblattbaum, der Herzblattbaum,
der ist ein Wunder und kein Traum,
so wie der Bauer sät im Märzen
das Brot,
treibt er noch grüne Blätterherzen.
 

flammarion

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hallo Episkopi, herzlich Willkommen in der Leselupe!

Schön, dass Du den Weg zu uns gefunden hast. Wir sind gespannt auf Deine weiteren Werke und freuen uns auf einen konstruktiven Austausch mit Dir.

Um Dir den Einstieg zu erleichtern, haben wir im 'Forum Lupanum' (unsere Plauderecke) einen Beitrag eingestellt, der sich in besonderem Maße an neue Mitglieder richtet. http://www.leselupe.de/lw/titel-Leitfaden-fuer-neue-Mitglieder-119339.htm

Ganz besonders wollen wir Dir auch die Seite mit den häufig gestellten Fragen ans Herz legen. http://www.leselupe.de/lw/service.php?action=faq


Viele Grüße von flammarion

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