Herr Watsch

PaAs

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Alles war voller Leute. Warum musste es nur immer so voll sein und immer nur alte Menschen, dachte sich der junge Mann, der sich gekonnt den Weg durch die Menge bahnte.
Frische Äpfel hier und rote Tomaten dort, an jeder Ecke standen Menschen, die mit Akzenten um Kunden warben. Der junge Mann setzte sich seine Kapuze auf und ging weiter, er wollte nicht schon wieder angesprochen werden.Zu spät.
\"Wohin so früh Timur?\", rief ihm ein Mann entgegen. Ist doch egal Pa\', bis später, sagte der Junge, nahm sich ein paar Sonnenblumenkerne aus der Tasche und lief weiter die belebte Straße entlang. Ein Blick auf die Uhr sagte ihm, dass er sich beeilen musste, er durfte nicht zu spät kommen. Schon wieder. Mit zügigem Gang erreichte er die 15. Straße und war erleichtert, es rechtzeitig geschafft zu haben. Da öffnete sich die Tür und ein kleiner, alter Mann kam in gebeugter Haltung heraus. Mit viel Mühe trug er den Koffer über die Türschwelle, als er endlich aufschaute. \"Timmi, schön, dass du schon da bist, hilfst du mir?\", er zeigte dem Jungen ein beinahe zahnloses Lächeln, er war froh wenn er Gesellschaft hatte. Ich heiße Timur.
Der Junge nahm den Koffer und drehte sich zur Straße. Wohin gehen wir heute, fragte er den Mann. \"Ich möchte dir einfach was zeigen.\" Gleichgültig schaute Timur auf die Straße,er schaute die Leute an, wie sie in ihren schicken Anzügen liefen und mit ihrem Kaffee To-Go was ganz besonderes waren. Von mir aus.
\"Warum musstest du gleich deine Zeit mit mir verbringen? Ich weiß, ihr jungen Leute habt sicher besseres zu tun, aber es freut mich, ja wirklich.\" Timur musste sich anstrengen, um den Mann zu verstehen, seine Stimme war so leise, so leer. Sie fragen mich nun schon zum dritten Mal.
\"Tut mir Leid mein Junge, ich bin schon alt und erinnere mich nicht mehr an alles, was man mir sagt.\" Solange du noch weißt wer du bist und wo du wohnst, dachte sich Timur.
Ich muss meine Sozialstunden abarbeiten.
\"Ach ja.\"
Eine Weile gingen sie still die Straße entlang als der Mann stehen blieb. Was ist?
\"Wisst ihr, ihr jungen Leute seid immer so verhetzt. Siehst du die Bank dort?\"
Wo das Mädchen sitzt? \"Ja.\" Die sehe ich ja. Er stellte den Koffer ab. Was soll damit sein?
\"Dort hab ich meine Frau gefragt, ob sie mich heiraten will.\"
Was, auf der Bank? Ich habe mir das immer anders vorgestellt, mit Blumen oder so.
\"Oh ich hatte Blumen, es war der teuerste Strauß, den ich je gekauft habe.\" Der Mann lachte leise und seufzte. Sie sind also verheiratet? \"Ich war es ja, über 60 Jahre lang.\" Hat sie Sie verlassen? \"Sie ist gestorben.\" Tut mir Leid. \"Sie war mein Ein und Alles.\"
Eine Weile standen sie da und schauten nur auf die Bank, bis ein Bus kam und das Mädchen einstieg. Als er weg fuhr schien es , als wären die Erinnerungen mit ihm gefahren.
Gehen wir weiter Herr Watsch, wir haben nicht mehr viel Zeit.
\"Ich habe nicht mehr viel Zeit, du hast recht mein Junge.\" Inzwischen waren die Straßen ein wenig leerer, die Leute arbeiteten in ihren Büros oder saßen in ihren Geschäften und hofften auf Kundschaft.
Ich hoffe es regnet nicht. Herr Watsch schaute in den Himmel.
Das Blau des Himmels war mit grauen Wolkenfetzen bedeckt, als würde er den Himmel vom Dreck der Erde schützen wollen, wie eine Decke.
\"Und, hast du eine Freundin?\" Timur steckte seine Hand erneut in die Tasche, nahm ein paar Sonnenblumenkerne heraus und steckte sie sich in den Mund.
Ich? Nein, ich will auch keine. \"Das sagst du jetzt, ich wünsche jedem und besonders dir, dass du einmal eine Familie haben wirst, du bist kein Krimineller.\" Was wissen Sie schon über mich.
\"Ich weiß eine Menge, vielleicht nicht über dich, aber über das Leben.\"
Soll ich Sie zurück bringen? Wozu überhaupt der Koffer?
Die ganze Zeit trug er den Koffer mit sich herum, der sich für ihn wie leer anfühlte.
\"Warte noch, ich möchte dir noch was zeigen. Siehst du die Wohnung dort an der Ecke? Die im zweiten Stock, wo das Fenster offen ist.\" Ja. \"Es ist schön zu sehen, dass noch Leben in der Wohnung ist. Das war unsere Wohnung, unsere erste. Weißt du wie sich so was anfühlt?\"
Nein.
\"Es ist das beste Gefühl, was du dir vorstellen kannst. Immer wenn du nach Hause kommst, ist jemand für dich da, es ist was warmes zu essen auf dem Tisch und du fühlst dich sicher. Sicherer als sonst wo auf diese Welt.\"
Sie scheinen glücklich gewesen zu sein. Es tut mir Leid für Sie, dass gerade so einer wie ich jetzt bei Ihnen sein muss.
Er sah aus dem Augenwinkel, wie dem Mann eine Träne über die faltige Haut lief. Er tat ihm Leid. \"Ich wünsche jedem eine Familie, besonders dir.\"
Ich weiß.
Als das Fenster der Wohnung von einem kleinen Kind geschlossen wurde ging der Mann ohne weitere Worte. Wohin gehen wir? Er antwortete nicht, aber Timur folgte ihm still.
Er war von sich selbst erstaunt, dass er erschrocken war, als er sah, wohin der Mann ihn geführt hatte. Was machen wir hier?
\"Wir besuchen meine Frau. Du gehst jetzt am besten nach Hause. Ich wünsche dir alles gute.\"
Sie können nicht einfach gehen, ich bin verantwortlich für Sie.
\"Jeder ist verantwortlich für sich selber.\" , sagte der Mann ohne sich um zudrehen.
Als er den Friedhof betrat, spürte Timur, wie eine Erleichterung die Umgebung erfüllte.
Und der Koffer? \"Behalte ihn.\"
Timur hockte sich hin und öffnete den Koffer, darin ein Bild. Er nahm es in die Hand und begutachtete es. Eine schwarz – weiß Aufnahme. Ihm strahlten zwei Gesichter entgegen. Herr und Frau Watsch. Auf der Rückseite war ein Schriftzug
\"Ich wünsche dir alles gute, Timmi.\"
 



 
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