Heute morgen
Heute morgen gegen halb neun: Wache auf, der halbe Corpus delicti mit Schweißperlen bedeckt, steifer Nacken, nicht direkt Kopfschmerzen, aber deutliche Tendenz in diese Richtung, soweit man bei Kopfschmerzen überhaupt von Richtung sprechen kann. Die Nacht war schlimmer als mittelprächtig, kaum Schlaf, immer dieses sorgenvolle Grundgefühl, wie Hintergrundrauschen, und das zur Gewohnheit gewordene Gefühl, jede Sackgasse zu betreten und bis zum Ende zu laufen, statt, wenn ich merke, dass ich auf einer bin, umzukehren.
Caro kommt und sagt: „Willst du keine Brötchen kaufen?“ Etwas gequält stimme ich dem Antrag zu, wälze mich zur Seite und bleib noch eine Weile liegen, da ja ohnehin Schwiegermutter im Bad zugange ist...Außergewöhnliche Frau. Im Norden Argentiniens ticken die Uhren offenbar anders, vor allem die Herzen. Ein Arbeitstier ist sie, ständig beschäftigt, schmeißt im Grunde unseren Haushalt, mischt sich in keine Eheangelegenheiten ein und bekommt eigentlich nichts dafür als Ausgleich. Spricht kein Deutsch, ist also hundertprozentig von uns abhängig. Aber umgekehrt gilt dasselbe. Wenn sie mal nicht mehr ist, werden wir uns nicht nur umgucken, wir werden uns gewaltig am Riemen reißen müssen. Manch einer, der das liest, wird jetzt vor Neid erblassen. Ihre Bewegungen sind langsam, zeitlupenmäßig, erinnern an stoische Ruhe, doch der hohe Blutdruck stört die Idylle.
Ich stehe schließlich etwas verknittert auf. Caro fragt, ob ich mich nicht rasieren wolle, ich sähe aus wie ein Delinquent.
„Vorher?“ frage ich verdutzt zurück.
„Nein, nein, das ist nicht nötig, nachher geht’s auch“, frei übersetzt.
Ich streiche mir also über diesen Zwei- bis Dreitagebart und komme mir minderwertig vor. Dennoch habe ich noch keine Lust, Hand bzw. Klinge an mich zu legen, öffne die Wohnungstür, biege nach links, nehme drei oder vier Stufen abwärts, und greife anderthalb Schritt weiter, die Haustürklinke, öffne die dazugehörige und trete auf den Hauszugang, um nach weiteren drei Schritten den öffentlichen Raum (sprich: Fußweg) zu betreten. Die Passanten sind gut rasiert und parfümiert und scheinen mich irgendwie leicht abschätzig zu mustern. Vielleicht verabscheuen sie mich sogar, weil sie mich auch für einen Delinquenten halten. Welche Delinquenzabteilung käme überhaupt für mich in Frage? Spanner oder sonstiger Sittenstrolch? Bankräuber auf keinen Fall, ich würde versehentlich mein eigenes Konto leerräumen, und für ’nen Rentenvesicherungsnachhaltigkeitsgesetzesbrecher habe ich noch nicht genug geklebt.
Leicht gesenkten Blickes nähere ich mich der Bäckerei, deren Inhaber vor drei Tagen aus Scharm el Scheich zurückgekehrt ist, will heißen, er hatte das sichere Hotel gebucht. Wurde nach der Schreckensmeldung im Radio um sieben Uhr morgens von besorgten Mitarbeitern aus dem Urlaubsbett geklingelt, per Telefon, versteht sich, und meinte knurrend-lakonisch, er hätte nichts mitgekriegt. Wenn jetzt der Terrorismus auch noch in Rüngsdorf seine Spuren hinterlassen hätte, wo hätte ich dann zukünftig meine Brötchen kaufen sollen? Schrecklicher Gedanke.
Ich trete also in die Bäckerei ein und stehe in der Schlange. Um mich herum nur Zivilisiert- und Gesittetheit. Alles Männer mit sorgsam vollendeter Morgentoilette, die offensichtlich aus dem Gröbsten raus sind.
Ich bin dran. Ich bringe mein Ansinnen (vier Tiroler Brötchen, vier Mohnbrötchen, einen Mandelstollen und ein Mehrkornbrot) so vor, als wollte ich nicht bemerkt werden. Denn wir sind hier im ehemaligen Diplomatenviertel. So als ob ich den äußerlichen Misfit-Aspekt durch gekonnte Stimmgebung kompensieren könnte. Nach erfolgreicher Geschäftsabwicklung trete ich wieder ins Freie hinaus, der Himmel noch blau. Später am Tag soll es wieder mächtig feucht werden.
Der Nachhauseweg gestaltet sich weniger peinlich, kaum bekannte Gesichter, die mein Anblick erschüttern könnte, kein Tuscheln, nichts. Nur als ich mich anschicke, das Haus zu betreten, begehe ich den fatalen Fehler, mich noch einmal umzudrehen. Der Dottore von schräg über mir kommt von seiner Arbeit zurück, die er, weil ihn seine Frau wieder einmal gedrängt hat, nur zu 80% erledigen konnte. Sie will weg in den Urlaub. Ich schulde ihm noch 70 €. Zwar sagt er, wenn ich es jetzt nicht klein hätte, könnten wir das auch nach dem Urlaub erledigen, aber wie mies würde ich mich dann fühlen, wenn ich dieses Angebot annehmen würde. Ich erleichtere meine Schuldenlast um besagte Summe. Fühle mich allerdings gar nicht erleichtert bei dem Gedanken: „Müssen wir halt unseren Gürtel etwas enger schnallen.“
Dann trete ich in meine Wohnung ein, wo der Frühstückstisch schon gedeckt ist, während Andy noch schläft. Sara hingegen sitzt schon vor ihrem Gedeck. Nur Caro lässt wegen zur Unzeit vorgenommenen Haarewaschens und Fönens auf sich warten. Wenn ich jetzt einfach anfinge, was ich gerne tun würde, müsste ich mir wieder anhören, dass so etwas in Argentinien als ausgesprochen unhöflich eingestuft und übel genommen würde. Ich entscheide mich dafür, den Stress des Wartens dem der Maßregelung vorzuziehen...
Heute morgen gegen halb neun: Wache auf, der halbe Corpus delicti mit Schweißperlen bedeckt, steifer Nacken, nicht direkt Kopfschmerzen, aber deutliche Tendenz in diese Richtung, soweit man bei Kopfschmerzen überhaupt von Richtung sprechen kann. Die Nacht war schlimmer als mittelprächtig, kaum Schlaf, immer dieses sorgenvolle Grundgefühl, wie Hintergrundrauschen, und das zur Gewohnheit gewordene Gefühl, jede Sackgasse zu betreten und bis zum Ende zu laufen, statt, wenn ich merke, dass ich auf einer bin, umzukehren.
Caro kommt und sagt: „Willst du keine Brötchen kaufen?“ Etwas gequält stimme ich dem Antrag zu, wälze mich zur Seite und bleib noch eine Weile liegen, da ja ohnehin Schwiegermutter im Bad zugange ist...Außergewöhnliche Frau. Im Norden Argentiniens ticken die Uhren offenbar anders, vor allem die Herzen. Ein Arbeitstier ist sie, ständig beschäftigt, schmeißt im Grunde unseren Haushalt, mischt sich in keine Eheangelegenheiten ein und bekommt eigentlich nichts dafür als Ausgleich. Spricht kein Deutsch, ist also hundertprozentig von uns abhängig. Aber umgekehrt gilt dasselbe. Wenn sie mal nicht mehr ist, werden wir uns nicht nur umgucken, wir werden uns gewaltig am Riemen reißen müssen. Manch einer, der das liest, wird jetzt vor Neid erblassen. Ihre Bewegungen sind langsam, zeitlupenmäßig, erinnern an stoische Ruhe, doch der hohe Blutdruck stört die Idylle.
Ich stehe schließlich etwas verknittert auf. Caro fragt, ob ich mich nicht rasieren wolle, ich sähe aus wie ein Delinquent.
„Vorher?“ frage ich verdutzt zurück.
„Nein, nein, das ist nicht nötig, nachher geht’s auch“, frei übersetzt.
Ich streiche mir also über diesen Zwei- bis Dreitagebart und komme mir minderwertig vor. Dennoch habe ich noch keine Lust, Hand bzw. Klinge an mich zu legen, öffne die Wohnungstür, biege nach links, nehme drei oder vier Stufen abwärts, und greife anderthalb Schritt weiter, die Haustürklinke, öffne die dazugehörige und trete auf den Hauszugang, um nach weiteren drei Schritten den öffentlichen Raum (sprich: Fußweg) zu betreten. Die Passanten sind gut rasiert und parfümiert und scheinen mich irgendwie leicht abschätzig zu mustern. Vielleicht verabscheuen sie mich sogar, weil sie mich auch für einen Delinquenten halten. Welche Delinquenzabteilung käme überhaupt für mich in Frage? Spanner oder sonstiger Sittenstrolch? Bankräuber auf keinen Fall, ich würde versehentlich mein eigenes Konto leerräumen, und für ’nen Rentenvesicherungsnachhaltigkeitsgesetzesbrecher habe ich noch nicht genug geklebt.
Leicht gesenkten Blickes nähere ich mich der Bäckerei, deren Inhaber vor drei Tagen aus Scharm el Scheich zurückgekehrt ist, will heißen, er hatte das sichere Hotel gebucht. Wurde nach der Schreckensmeldung im Radio um sieben Uhr morgens von besorgten Mitarbeitern aus dem Urlaubsbett geklingelt, per Telefon, versteht sich, und meinte knurrend-lakonisch, er hätte nichts mitgekriegt. Wenn jetzt der Terrorismus auch noch in Rüngsdorf seine Spuren hinterlassen hätte, wo hätte ich dann zukünftig meine Brötchen kaufen sollen? Schrecklicher Gedanke.
Ich trete also in die Bäckerei ein und stehe in der Schlange. Um mich herum nur Zivilisiert- und Gesittetheit. Alles Männer mit sorgsam vollendeter Morgentoilette, die offensichtlich aus dem Gröbsten raus sind.
Ich bin dran. Ich bringe mein Ansinnen (vier Tiroler Brötchen, vier Mohnbrötchen, einen Mandelstollen und ein Mehrkornbrot) so vor, als wollte ich nicht bemerkt werden. Denn wir sind hier im ehemaligen Diplomatenviertel. So als ob ich den äußerlichen Misfit-Aspekt durch gekonnte Stimmgebung kompensieren könnte. Nach erfolgreicher Geschäftsabwicklung trete ich wieder ins Freie hinaus, der Himmel noch blau. Später am Tag soll es wieder mächtig feucht werden.
Der Nachhauseweg gestaltet sich weniger peinlich, kaum bekannte Gesichter, die mein Anblick erschüttern könnte, kein Tuscheln, nichts. Nur als ich mich anschicke, das Haus zu betreten, begehe ich den fatalen Fehler, mich noch einmal umzudrehen. Der Dottore von schräg über mir kommt von seiner Arbeit zurück, die er, weil ihn seine Frau wieder einmal gedrängt hat, nur zu 80% erledigen konnte. Sie will weg in den Urlaub. Ich schulde ihm noch 70 €. Zwar sagt er, wenn ich es jetzt nicht klein hätte, könnten wir das auch nach dem Urlaub erledigen, aber wie mies würde ich mich dann fühlen, wenn ich dieses Angebot annehmen würde. Ich erleichtere meine Schuldenlast um besagte Summe. Fühle mich allerdings gar nicht erleichtert bei dem Gedanken: „Müssen wir halt unseren Gürtel etwas enger schnallen.“
Dann trete ich in meine Wohnung ein, wo der Frühstückstisch schon gedeckt ist, während Andy noch schläft. Sara hingegen sitzt schon vor ihrem Gedeck. Nur Caro lässt wegen zur Unzeit vorgenommenen Haarewaschens und Fönens auf sich warten. Wenn ich jetzt einfach anfinge, was ich gerne tun würde, müsste ich mir wieder anhören, dass so etwas in Argentinien als ausgesprochen unhöflich eingestuft und übel genommen würde. Ich entscheide mich dafür, den Stress des Wartens dem der Maßregelung vorzuziehen...