Hilflos

Fredy Daxboeck

Mitglied
Melanie Fox, die junge Polizistin, stand verlegen und beschämt im schmalen Flur des Hauses in der Traveller Street. Sie liebte ihren Job über alles. Nein, hatte ihn bis vor kurzem über alles geliebt. Seit einigen Tagen, und besonders seit heute morgen, hasste sie ihn. Hasste ihn, wie sie es nie für möglich gehalten hätte, etwas; nein, nicht etwas, sondern ihren Job, ihren heiß geliebten Job, berichtigte sie sich zum zweiten Mal in diesen Minuten; zu hassen. An so einem Tag wie diesen, wollte sie am liebsten davonlaufen. Einen Job als Verkäuferin annehmen. Oder Friseurin, oder irgend etwas. Nur nicht die Überbringerin solcher Botschaften. Unbehaglich drehte sie ihre große blaue Kappe mit dem schwarz glänzenden Schirm, auf die sie bis vor kurzem genauso stolz gewesen war, zwischen den Fingern. Ließ sie im Kreis herumwandern. Fühlte das Lederband innen und den groben Stoff außen, und dachte an die vielen Träume die sich erfüllt hatten, als sie diese Kappe das erste Mal in ihren Händen gehalten hatte, als sie die Kappe das erste mal tragen durfte.
Irgendwo kläfft ein Hund. Ein heiseres Bellen, das sie wieder in die Wirklichkeit zurückholte.
Am liebsten hätte sie die verdammte Kappe sofort in die Ecke geworfen. Sie wollte weg hier. Egal wohin, egal wie weit, nur weg von ihrer Verpflichtung, die man ihr aufgetragen hatte, zu erledigen. Weg von diesem Schmerz der ihre Kehle zudrückte, und weg von dieser Angst, die in ihrer Brust wühlte. Sie fühlte sich so hilflos wie als kleines Schulmädchen, als sie sich einmal verirrt hatte und von einem Polizisten aufgegriffen wurde. Statt dessen straffte sie ihre Schultern und heftete den Blick ihrer rauchblauen Augen fest auf das Namensschild an der Wohnungstür, vor der sie stand. Wie oft hatte sie schon vor dieser Tür gestanden und geklopft.
Berenson stand da in verschnörkelten schwarzen Lettern auf weißem Grund. Berenson.
Melanie spürte ein schreckliches, zerrendes Gefühl in der Bauchgegend. Als ob sich ihre Eingeweide verflüssigt hätten und sich nun anschickten, den Weg nach oben anzutreten. Sie würgte. Ihr Hals fühlte sich staubtrocken und heiß an. Ich werde kein Wort herausbringen, ich ... ich kann das einfach nicht, dachte sie. Verdammt, ich kann das nicht. Nicht hier. Nicht bei dieser Frau. Nicht heute.
"Wieso ausgerechnet ich? Hämmerten immer wieder die selben Gedanken in ihrem Kopf.
Sie wollte sich umdrehen, davonlaufen; vielleicht machte das alles ungeschehen. Sie wollte getröstet werden, und nicht trösten.
In diesem Moment hasste Melanie Fox es, erwachsen zu sein; ein großes Mädchen zu sein. Sie kam sich vor wie ein geprügelter Hund, den man nachts in einem grausamen Wintersturm ausgesetzt hatte. Einsam. Eine gottverlassene, einsame Kreatur ohne Hoffnung.
Ich werde ihn finden, kleine Claire, schwor die junge Polizistin und hob den Arm um an die Tür zu klopfen. Ich werde ihn finden, verdammt noch Mal, und wenn es das Letzte ist, was ich in meinem Leben mache. Und dann Gnade ihm Gott ... denn ich werde es bestimmt nicht tun, verdammt, ich weiß nicht was passieren wird, aber es wird schrecklich sein!
Poch. Poch. Poch. Der knöcherne Ton hallte grausig hohl durch den stillen Flur.
"Ja, was kann ich für sie ... oh hallo Melanie, ich hätte dich fast nicht erkannt in deiner Uniform. Suchst Du etwa Claire. Sie ist gestern nicht nach Hause gekommen. Ist wahrscheinlich bei Jimmy, weißt Du. Soll ich ihr etwas ... stimmt etwas nicht, Melanie?"
Die Mutter von Melanies Freundin trat einen Schritt zurück. Sie sah in die Augen der jungen Polizistin und sah den Tod und das Grauen, das diese vor Stunden gesehen hatte.
"Claire ist gestern nicht nach Hause gekommen", flüsterte sie, während alle Farbe aus ihrem Gesicht wich. "Sie ... sie hat sicherlich bei Jimmy übernachtet." Mrs. Berenson stolperte einen Schritt zurück. Ein zitterndes Beben lief durch ihren Körper und ließ sie erschauern. Ihre letzten Worte waren nur mehr ein Hauch, ein verzweifeltes Ausatmen. In diesem Moment sah sie nicht die Freundin von Claire vor ihrer Tür, sie sah nur die Polizistin, die am frühen Morgen klopfte . . . und den Tod in ihren Augen mitbrachte.
"Mrs. Berenson", stotterte Melanie Fox. "Sie müssen ... Mrs. Berenson es ... es tut mir so leid. Sie müssen ... ich muss ... stark ... so leid ... traurige Mitteilung" Tränen, heiße salzige Tränen liefen der jungen Polizistin über die Wangen und sie streckte hilflos die Arme aus. Die Kappe fiel zu Boden und rollte einen kleinen Kreis beschreibend zu Füßen der älteren Frau, die weiter zurückwich, ungläubig den Kopf schüttelnd und leicht ins taumeln geriet.
"Nein", die Frau lächelte sardonisch. "Nein, Du erlaubst dir einen bösen Scherz mit mir, nicht wahr?." Sie trat noch einen Schritt zurück; weg von dem Mädchen in ihrer schmucken Uniform. Ihr Gesicht wurde weiß, wie bitteres Kalkpulver, die Augen weiteten sich in hilflosem Entsetzen. "Sag dass das nicht wahr ist. Sag´ es. Jetzt. Nein, Du wagst es nicht." Ihr Rücken stieß an die Wand hinter ihr und sie streckte die Hände nach der Polizistin aus. "Warum soll ich dir glauben, hm?"
"Sie haben mich geschickt, weil ich ... weil Claire meine Freundin war." Ein trockenes Schluchzen schüttelte das Mädchen, das mit einem Male so jung, viel zu jung für diesen Job wirkte.
"Warum ... warum tust Du mir das an? Warum tust Du mir das verdammt noch einmal an?" schrie Martha Berenson mit greller Stimme und in ihren Augen brach ein Licht, das nie wieder zurückkehren sollte. Sie stieß sich von der Wand ab und ging mit beiden Fäusten auf die Polizistin los, das Gesicht zu einer Grimasse aus Schmerz und Abscheu verzerrt.
"Warum tust Du mir das an!" Sie schlug auf die Uniform, die ihr die böse Nachricht gebracht hatte, ein. "Ich hasse dich! Ich hasse dich!"
"Mrs. Berenson, bitte!" flehte das Mädchen in der Uniform, und weinte, weinte um die Freundin, um ihre verlorenen Träume, und um den Trost der ihr versagt blieb . . . vor allem aber um ihre Freundin.
 

La Luna

Mitglied
Hi Fredy,

eine gute Story über ein schwieriges Thema.
Möchte jedenfalls nicht in Melanies Haut stecken - in der von Mrs.Berenson schon gar nicht, das ist ja klar.
Eine Stelle fiel mir unangenehm auf.
Du schriebst:

Ihr Gesicht nahm eine teigige Farbe an, wurde grau-weiß, wie bitteres Kalkpulver...

Wenn ich diesen Satz lese, sehe ich drei verschiedene Farben vor mir - nur so zur Info.

Ansonsten aber gut geschrieben. :eek:)


Liebe Grüße
Julia
 
L

leonie

Gast
hallo fredy

sehr intensiv geschrieben, ich kann mich gut in die junge frau hineinversetzen . deine geschichte hat mir sehr gut gefallen. Nur die stelle, wo sie ihre kappe zwischen den fingern kreisen läßt, wiederholt sich, auch wenn es etwas andere worte sind, es zeigt doch nur ihre angst diese botschaft zu überbringen, da ist die Farbe ihrer Fingernägel doch eigentlich egal denke ich.
liebe grüße leonie
 

Fredy Daxboeck

Mitglied
*atmet auf - weil ihr mir nicht den kopf abgerissen habt, sondern nur tipps gebt*

denn sie sind der halt meiner kreativität - ohne sie würde ich ins bodenlose fallen

hallo ihr beiden

danke an la_luna - du hattest recht, beim geschichten schreiben bin ich manchmal blind - schon verbessert

danke an leonie - mit den unbemalten nägeln wollte ich ganz subtil ausdrücken, dass sie ihren job ernst nimmt - ich habe noch nie eine polizistin mit bemalten nägeln gesehen, und ich wollte ein bild von ihr zeichnen
aber wenn ich´s trotzdem rausnehmen soll, bitte ich um eine kleine nachricht - auch per mail - wird dann sofort erledigt

liebe grüße

fredy
_____________
ein notorischer strafzettelsammler - hört aber auf konstruktive kritik . . . was heißt? :eek:
bin verloren ohne sie . . . :p
 
L

leonie

Gast
hey fredy

hier wird einem nicht der kopf abgerissen, denn wir alle kochen nur mit wasser, mal gut, mal nicht so gut. Du kannst ja auch den ersten satz mit den fingern streichen, so das der andere stehen bleibt, das ist dir überlassen aber so wiederholt sich der satz nicht, und der leser gerät nicht ins stocken.
ganz liebe grüße leonie
 

Fredy Daxboeck

Mitglied
*liebt es gegen den strom zu schwimmen*

denn dort findest du die grössten goldnuggets

hi leonie

passt ja wirklich besser - wenn ich euch nicht hätte?

liebe grüße

fredy
____________
im team erreichst du einfach mehr . . .
solange der kopf draufbleibt :D
 

Eberhard

Mitglied
...

Hallo du gemütlicher alter Braunbär,
gerade aus der Wildnis Kanadas entschlüpft, komm lass dich drücken....

ich wünsche uns allen nie so eine Nachricht zu erfahren, noch für die die unter uns leben und diesen Job tun jemals so ein Nachricht überbringen zu müssen....
Ich habe das Scheiß gefühl beim lesen deiner Zeilen gepsürt Fredy...wirklich, als hättest du es live geschrieben....;)

to be continued...
 

Fredy Daxboeck

Mitglied
*grinst - ein gemütliches braunbärlächeln – die tatze erhoben*

hi eb

den göttern und vor allem wankantanka sei dank, dass wir dieser situation noch nie gegenüberstehen mussten. so schlimm es auch klingt, aber für manche ist es doch bitterer ernst. ich war die letzten beiden monate ziemlich down – und so ist diese geschichte entstanden. falls ich irgendwelche wunden damit aufgerissen habe, so möchte man mir das nachsehen. falls es mir gelungen ist, realistische bilder in euren köpfen zu malen, so bedanke ich mich mit einer kleinen verneigung für euer interesse.

i always will be . . . somehow . . . somewhere

fredy
_________________
du kannst mich wieder loslassen, eb :D
 

Fredy Daxboeck

Mitglied
hi sanne

sorry, ich schreibe an geschichten immer endlos lange – und dann sind sie derart in meinem kopf verankert, dass ich viele dinge übersehe.
schick mir bitte deine korrekturliste :D . . . ich ändere es dann – oder so . . . :rolleyes:

viele liebe grüße

fredy
__________________
wozu lese ich meine geschichte überhaupt noch . . .
ich kenne sie ja schon auswendig – freue mich aber auf die neue version
 

Fredy Daxboeck

Mitglied
*lacht sich krumm*

hey sanne

gib ihm eine chance, rupf ihn nicht zu sehr,ja?
stell ihm einen papierkorb vor die tür. ich bin sicher er findet eins deiner goldnuggets darin.

liebe grüße

fredy
______________
du könntest ihm auch ein paar peanuts reinlegen :D
 

Der Denker

Mitglied
Hallöchen fredy,

wirklich sehr guter Einfall und gut geschrieben.

Ich denke auch oft, dass es in Serien oft so gefühllos wirkt. Klar, die Leute machen nur ihren Job, und haben oft schon ne Menge Erfahrung, aber trotzdem...
Zumindest diese junge Polizistin, die wohl noch nicht all zu viel Erfahrung sammeln konnte, und dann ist es auch noch ihre Freundin, kann natürlich nicht so 'professionell' damit umgehen.
Ähnliche Gefühllosigkeit sieht man auch oft bei Ärzten, bzw. Krankenschwestern.
Ich glaube allerdings nicht, dass das unrealistisch ist, da es wohl notwendig ist, Abstand zu halten, sonst würden sie das ja niemals durchhalten

Ganz großes Lob!
Auch für deine Aufgeschlossenheit gegenüber Kritik. ;)


Liebe Grüße
dede
 
Hallo Fredy,

viel gibt es nicht mehr zu sagen, das haben unsere Freundinnen/Freunde ja schon getan.
Zwei Sätze sind mir aber wichtig. Der von dede über die Aufgeschlossenheit gegenüber Kritik, und deine eigene Aussage weiter oben: „Im Team erreichst du einfach mehr, solange der Kopf draufbleibt.“
So macht es Freude, so kann man miteinander arbeiten
findet
Willi
 

Fredy Daxboeck

Mitglied
*freut sich in einem großartigen team zu arbeiten und dabei zu lernen*

danke liebe freunde

ich hab´s wieder einmal ein wenig geändert und verbessert - dank eurer hilfe.
nicht allzu sehr. denn viele dinge möchte ich genauso ausdrücken, wie sie hier stehen.

liebe grüße

fredy
______________
wenn ich aufhöre zu lernen . . .
höre ich auf zu sein
 

Renee Hawk

Mitglied
Hi Kyle,

wie ich schon erwähnte, es ist eine mitreißende Geschichte (ich sag mal noch schnell das ich die anderen Kommentare nicht gelesen habe) und es riss mich so mit, dass ich es beim nach Hause gehen einfach weiterlesen mußte. Ich konnte es nicht in die Tasche stecken, als die U-Bahn mein Ziel erreichte. Nein, ich mußte weiter lesen.
Wie ich auch erwähnte sind etwas mehr Metaphern drin als notwenig. Staubtrocken kann sich jeder vorstellen, da müßen keine Bettfedern erklärt werden *grins*.

liebe Grüße
Reneè
 

Fredy Daxboeck

Mitglied
*freut sich mit reneé in der u-bahn zu sitzen - wenn auch als blatt papier*

hallo reneé

du weißt, ich liebe metapher. sie helfen mir weiter wenn ich vor lauter bilder im kopf den bildschirm nicht finde.
. . . und ich liebe bettfedern ;)

ich hab´s aber trotzdem geändert

ganz liebe grüße

fredy
____________
ich höre auf meine bewunderer :D
 

Ole

Mitglied
einfach Klasse

Hey Fredy,

da Reneè es nun in der U-Bahn schon ausgelesen hatte, gab sie mir dieses Blatt gestern Abend mit....und es war gut so! Ich schaue (leider) seltener in dieses Forum, und muß feststellen, daß ich wohl doch so einiges verpasse....
Danke, Reneè (für das Blatt) und Dir Fredy, daß Du diese Story schriebst. Die Gedankengänge beider Personen sind sehr gut nachvollziehbar niedergeschrieben worden...einfach Klasse geschrieben.

Lieben Gruß
Ole.
 



 
Oben Unten