Himmelblau im Streik

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wondering

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Himmelblau im Streik

An einem Sommermorgen, mitten in den Ferien, wachte Bille auf. Sie merkte sofort, dass etwas anders war als sonst. Sie rieb sich kräftig die Augen und blinzelte in ihrem Zimmer umher. Was war denn das? Alles um sie herum sah grau aus. Alle Farben waren verschwunden. Ihre Bettwäsche mit den vielen, bunten Farbklecksen war nur noch grau. Der rote Ball, oder ist er orange gewesen? Jetzt war er auch grau! Egal wo Bille hinsah, es gab nur noch eine Farbe. Grau. Mal ein bißchen heller oder auch dunkler, aber eben grau. Bille sprang erschrocken aus ihrem Bett und lief zum Fenster. Sie rieb sich noch einmal die Augen, vielleicht hatte sie noch Schlaf darin von letzter Nacht. Aber als sie nach draußen schaute, sah dort auch alles nur grau aus. Die Wiese war nicht mehr grün, der Baum vor ihrem Fenster nicht mehr braun, seine Blüten nicht gelb. Ihr schönes Fahrrad, das am Schuppen lehnte, war doch vorher gelb und blau gewesen, oder nicht? Und da, gerade flatterte ein Schmetterling an ihrem Fenster vorbei, mit grauen Flügeln. Das gibt es doch nicht! Oh je, was ist passiert?
Bille wollte völlig verwirrt zu ihrer Mutter laufen, als plötzlich jemand sagte: „ He, du!“ Das Mädchen erschrak heftig und starrte in die Richtung, aus der die Stimme kam. „Entschuldige, falls ich dich erschreckt habe, aber ich muss dir Wichtiges mitteilen.“ Mitten auf dem Teppich, der vorher so bunt gewesen war, stand ein kleines Männchen in einem grauen Anzug, mit hellem Hemd und dunkler Krawatte. Bille schaute die kleine Gestalt mit großen Augen ängstlich an. Bevor sie etwas sagen konnte, begann das Männlein energisch auf und ab zu gehen, setzte eine wichtige Miene auf und sagte: „Mein Name ist Markus Malkasten und ich bin der Farbensprecher. Mein Auftrag ist es, heute zu verkünden, dass die Farben in einen Streik getreten sind. Ab sofort und auf unbestimmte Zeit sind alle Farben erst einmal weg. Wir haben das Grau als Notfarbe hier gelassen.“. „Was, wie bitte?“, rief Bille und traute ihren Augen und Ohren nicht. „Was soll das heißen, die Farben streiken? Das geht doch gar nicht. Farben können nicht einfach weg sein. Sie sind immer da. Und überhaupt, warum streiken die Farben denn eigentlich?“ Bille wurde auf einmal ziemlich wütend, denn ihr schöner, brauner Teddy war auch grau. Was bildete sich dieses Männlein da ein? So ein Unsinn. Bille stemmte beide Hände in die Seiten und schimpfte: „ Kannst du grauer Zwerg mir bitte mal erklären, wo die Farben hin sind und wann sie wieder kommen?“ „Tja, gnädiges Fräulein,“ sagte der Kleine und setzte ein ernstes Gesicht auf, „ das ist so: Die Farben sind schon lange der Meinung, sie erhielten nicht genug Beachtung. Sie haben es satt, dass man sie „rot“, „blau“, „grün“ oder „gelb“ nennt. Ich habe hier Hunderte von Beschwerdebriefen von zum Beispiel „zitronengelb“, von „kirschrot“ oder „eierschalenweiss“. Sieh‘ nur!“ Der kleine Mann klappte seine Aktentasche auf und es purzelten lauter kleine Farbschnipsel wie Konfetti heraus. Bille staunte. So viele verschiedene Farben, bunter als jeder Regenbogen. Das Männlein erklärte wichtig weiter: „ Die Bedingung, dass alle Farben wiederkommen, ist folgende: Die Farben wollen gesehen werden. Sie wollen, dass man sie erkennt und unterscheidet. Weißt du, sie geben sich ständig solche Mühe, alle da zu sein. Aber die Menschen nennen das Himmelblau einfach blau, das Wasserblau auch nur blau, und das Nachtblau ist zur Zeit völlig beleidigt!“
Bille ließ die Arme aus den Seiten fallen und dachte darüber nach, welche Farbe ihr Ball tatsächlich gehabt hatte: rot oder orange. Sie schaute den kleinen Mann nachdenklich an und fragte: „ Warum kommst du zu mir? Was kann ich tun?“ Das Männchen sah Bille fest in die Augen und sagte fast beschwörend: „ Du bist ein Kind. Du hast deine Augen noch völlig offen. Sieh‘ genau hin. WIE blau ist der Himmel, WIE gelb sind Sonnenblumen und WIE rot ist dein Ball? Und dann erzähle es deinen Freunden und allen anderen so, wie du es siehst. Die Farben sind bereit zurückzukehren, wenn,“ und der kleine Mann im Anzug nahm seine Sache gerade enorm ernst, „ wenn ihr Menschen versichert, keine Farbe mehr zu übersehen. Schließlich sind sie, jede einzelne Farbe, dazu da, eure Welt so herrlich bunt zu machen.“ „Na gut,“ gestand Bille ein, „du hast Recht. Aber kannst du mir auch versprechen, dass dieselbe Farbe zu meinem geliebten Teddy zurückkommt, wie vorher?“ Das Männchen schaute fast verächtlich und sagte: „Das wirst du ja wohl selbst sofort erkennen können. Du kannst dich sonst gerne bei mir beschweren. Das ist mein Job.“
Bille war nun fest entschlossen, alle Farben zurückzuholen und wollte ganz schnell nach draußen zu ihren Freunden, um damit zu beginnen. Ihr Blick fiel beim Anziehen auf ihr so graues Lieblingsbilderbuch. Sie hatte es jetzt sehr eilig.
„Eins noch,“ rief das Männlein und wandte sich zur Türe, „ die Töne und Geräusche denken gerade über ihren Streik nach.“
 

JojoBrown

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Lieber unbekannte Schreiberling
Ich habe diese Zeilen mit sehr viel Interesse gelesen.
In der Hoffnung, dass so etwas nie passiert, sage ich,
toll, dass es jemanden gibt, der sich über nie dagewesenes
Gedanken macht. Aber mal im Ernst, wir achten doch noch kaum darauf wie Farben wirklich beschaffen sind.
Von daher, ist das Thema nicht so doll an den Haaren herbei gezogen, wie es auf den ersten Blick scheint.
Ich ziehe meinen Hut, und sage: Weiter so, es macht Lust auf mehr.

Jojo030156@lycos.de
 

wondering

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eben drum

Lieber Jojo,
was du herausgelesen hast,ist genau das, was die Geschichte den Kindern, und durch das Vorlesen auch den Erwachsenen zeigen soll. Interessant, wie unterschiedlich beim Probevorlesen, die kleinen bzw. großen Zuhörer reagiert haben. Die Kids haben es gleich verstanden, die Großen waren nicht immer zufrieden mit dem Ende der Geschichte und verlangten nach kompletter Auflösung. Die Kids haben gleich von den unterschiedlichsten Farben erzählt: mein hellrose Kleid, mein Ball ist gelb wie ein Zitrone etc. während die Erwachsenen z.B. meinten : "Meine Libelingsfarbe ist blau...in meiner Küche ist alles blau"...
:)
Liebe Grüße
wondering
 

Criss Jordan

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Hallo Wondering

Deine Geschichten lesen sich wunderbar. Auch diese hier. Traumhaft schön. Und damit die Farben nicht wieder streiken: Meine Lieblingsfarbe ist Grün: Sturmgrün, so wie der himmel aussieht, kurz bevor ein Herbststurm übers Land fegt.


Criss :D
 

wondering

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sturmgrün

Hallo Criss,
vielen Dank! STURMGRÜN! Klasse; findet sich in keinem Malkasten! Genau das meine ich :)
Liebe Grüße
wondering
 



 
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