Hinrichtungen und andere Fernsehereignisse

Vorhang auf und Zapping
Die vier Typen tragen Baseballcaps, aufgeblähte Bermudas und ausgewaschene Nike-Shirts. Die Lippen sind gepierct, zwei von ihnen haben sich Phrasen auf den Arm tätowieren lassen. Auf den Tisch, um den sie sich versammelt haben, stehen geöffnete Bierdosen und ein paar Flaschen Coke. Hamburger und ein in einer Plastikdose verpackter Salat. Servietten, beschmutzt. "Worum geht es im dem Video?" fragt jemand. "Weiß nicht, um Geld ausgeben, glaube ich", antwortete ein anderer. "Ja, wir bekommen 100000 Kröten und dürfen damit machen, was wir wollen. Verschenken, den Arsch abwischen, Papierflieger basteln, shoppen. Alles mit Videobegleitung. "Wow! Wir sicherlich n Riesenspaß." "Sicher, wird n Riesenspaß." Dem Mann werden um exakt acht Uhr drei Gifte injiziert. Um acht Uhr XS ein Schlafmittel, um acht Uhr und drei FXD, das seinen Atem aussetzt und um acht Uhr und vier LFG, das seinen Herzschlag zum erliegen bringen wird. Je nach körperlicher Verfassung rechnet man damit, dass McVeigh gegen acht Uhr und acht tot sein wird. Die Prozedur zuvor ist exakt geplant. Um sieben Uhr und fünfzig wird McVeigh von zwei Wärtern aus seiner Zelle geholt werden, dann wird man ihn in Handschellen in den Exekutionsraum führen. Dort wird man seine Handschellen lösen und auf ihn auf seine Pritsche schnallen. Die Pritsche besteht aus gepolstertem Kuhleder und elf Schnallen, die McVeighs Körper fest umschließen werden. Um exakt sieben Uhr und siebenundvierzig wird man die Kanülen in seine Unterarme einführen. Dann werden sich die vier Vorhänge an den Fenstern öffnen, die den Raum umgeben, und den anwesenden Angehörigen und Journalisten freien Blick gewähren. Natürlich wird die Hinrichtung auch livedröhnende Gitarrenriffs, Dampfhammerschlagzeug im Hintergrund. Zwei Typen am Mikrofon, Caps falsch herum aufgesetzt. Sie versuchen zu singen. Dann der Wechsel: Striplokal. Ziemlich heiße Sache. Halbnackte Tänzerinnen. Die vier stecken ihnen Geld zu und schlürfen ihre Cocktails. Wieder Band bei der Arbeit. Dann vor einem Elektronikgeschäft mit einem Fernseher. Der Drummer - wie passend - zerschlägt den Kasten mit einem Baseballschläger. Als der Besitzer wütend hinaus stürzt, drücken sie ihm 1000 Dollar in die Hand. Er verschwindet mit einem Lächeln im Laden. GrinsenDer Mann liegt mit starrem Blick auf der Pritsche. Sein Körper ist ruhig. Der Brustkorb hebt und senkt sich regelmäßig. Bohrende Blicke lassen nicht von ihm ab. Journalisten, Angehörige von Opfern, Politiker. Nicht nur der Funktion wegen anwesend - Der süße Schauer des Todes - ein Mann legt den Telefonhörer auf die Gabel des roten Telefons und verkündet, dass kein Einspruch mehr vorliege. Er ordnet den Vollzug der Exekution an, die Injektion des ersten Giftessie ziehen den Obdachlosen aus einem Haufen alter Zeitungen und fahren ihn hinaus aus seinem Elend. Nächste Szene im Badezimmer. Der Mann sitzt in der Badewanne und reibt mit den Händen über seine dreckigen Haare, Schaum platzt auf, die vier Musiker schauen zu und grinsen. Schnitt: Ein Friseur säbelt ihm die lange Mähne ab. Close up auf das Gesicht des Mannes. Er grinst erwartungsfreudigseine Blicke sind starr, er versucht zu atmen, beginnt zu röcheln, Blitzlichter zucken, Bleistifte schaben auf Notizblöcken, jemand schleckt Eis. Die Kamera nähert sich McVeighs Gesicht. Kein Ausdruck von Emotionen. Entspannte Ruhe. Seines Schicksal gewiss. Das zweite Gift schleicht sich einfür 1000 Dollar tun sie es. Für 1000 Dollar springen die Skateboarder mit ihren Brettern über den Van. Die Vier grinsen schadenfroh bei jedem videowirksamen Sturz und klatschen sich ab. Die Show auf diesem Kanal ist zu Endeein Arzt verkündet dessen Tod, einige klatschen, manchen versuchen den Schock zu verbergen, bemühen sich um ein möglichst erleichtertes Gesicht. Die Reporterin wird eingeblendet und befragt erste Zeugen: "Riesenspaß." "Gute Aufführung." "Das ist Amerika." The Show must go on.
 

ingridmaus

Mitglied
Hi Sebastian,
ich will irgendwas sagen zu Deiner Geschichte, weiss aber nicht so genau was - das nennt man wohl "aufgewuehlt".
Mir gefaellt vor allem die strenge Nuechternheit, mit der Du erzaehlst, sie entspricht genau der faulen Gleichgueltigkeit, mit der man eben durch die Programme zappt auf der Suche nach irgendetwas, das einen festhaelt. Wie Du die Hinrichtung so sachlich darunter gepackt hast, ist sehr elegant. Kompliment!
Ingrid
 

Tagmond

Mitglied
Hinrichtungen...

....habe heute(5.12.2001) Deine Geschichte gelesen. Wie schnell wir vergessen, was uns mal beschäftigte. Ich kann mich noch erinnern, an den Morgen der Hinrichtung. Ich hatte geträumt, er sei unschuldig . Ich war ganz und gar überzeugt. Als ich aufwachte war es zehn Uhr, zu spät, Zeit für einen Kaffee. Die ganze Zeit während des Kaffees(wie lange "dauert " so eine Tasse?) fühlte ich mich schuldig, weil ich nicht eingeschritten bin. Danach fiel mir ein, dass es ein Traum war und ich fühlte einen Hass in mir gegen diesen skrupellosen und kalt lächelnden Mörder. Dann schämte ich mich, weil ich mich so von den amerikanischen Berichterstattungen beeindrucken lassen hatte. Und dann hab ich diesen Morgen vergessen. Bis heute. danke.
 



 
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