Hinter Glas

4,10 Stern(e) 8 Bewertungen

Arezoo

Mitglied
Am Ende werden wir hinter Glas lächeln.
Winken, mit den Lippen unhörbar Worte formen, Grimassen schneiden, wieder winken.
Meine rechte Schulter wird wehtun und etwas nach unten hängen. Das Handgepäck ist zu schwer, wie immer.
Du wirst hinter mir her sehen, wenn ich mich schließlich umdrehe.
Ich werde mir einbilden, dass mir deine Blicke folgen, bis zur Gepäckkontrolle, dabei hast du dich wahrscheinlich schon längst abgewendet.
Schlenderst zum Ausgang des Terminals, atmest Luft, die vielleicht vorhin noch aus meinen Lungen strömte.
Steigst in das Auto und fährst zu dir nach Hause.
Vielleicht hast du Hunger und gehst an den Kühlschrank, isst ein Joghurt oder du bist müde, von all den Tagen mit mir, legst dich auf die Couch und schließt die Augen, während mein Körper durch die Fliehkräfte beim Start in den Sitz zurück gepresst wird.
Ich weiß, du wirst nicht an mich denken. Wirst dich mit Freunden treffen, lernen, Prüfungen schreiben.
Ab und zu wirst du anrufen und fragen, wie es mir geht, was es Neues gibt und fragen, was die Männer in meinem Leben machen und ich werde dir viele bunte Geschichten erzählen. Werde lachen, mich selbst beweisen.
Und wenn du auflegst, werde ich einen schalen Geschmack im Mund behalten, wegen all der Worte, die du nicht sagst.
Und jedes Mal warte ich, dass du mir erzählst, du hast sie gefunden. Die, mit der du alt werden möchtest, weil sie fürsorglich ist, intelligent und witzig und ich werde mich matt fühlen. Bewegungsunfähig, weil ich mich so sehr anstrenge und doch nie in dein Muster passe.
Wie der Apfel mit der braunen Stelle, den du weggelegt hast. Zweite Wahl. Keine Auswahl.
Trotzdem werde ich lächeln. Für dich. Man hat mich so erzogen.
Vielleicht triffst du dich ja gerade in diesem Augenblick mit einer dieser interessanten Frauen mit denen du das Bett teilst, während die Stewardess mir Tomatensaft hinstellt und sich bedankt, dass ich mich für ihre Airline entschieden habe und ich werde sie anlächeln und sie wird denken, dass ihre Füße schmerzen und sich fragen ob sie die Kaffeemaschine ausgestellt hat, bevor sie heute morgen das Haus verlassen hat.
Vielleicht wirst du dich deshalb so beeilen mich am Flughafen abzusetzen, keinen Parkplatz suchen und das Auto im Halteverbot vor das Terminal stellen.
Und wenn das Flugzeug aufsetzt und Regen gegen die kleinen runden Scheiben in völliger Dunkelheit klatscht, wirst du fast schon schlafen.
Auf der dünnen Futonmatratze oder in einem Bett, dass ich nicht kenne?
Ich werde mich zu Hause wälzen, wach in den Kissen. Gedanken auf dem Abstellgleis. Werde mich fragen, wann ich unsere Wege trenne.
Am Ende lächle ich hinter der Scheibe und winke.
Du hast dich schon umgedreht.
 

San Martin

Mitglied
Das ist furchtbar. Nicht der Text, sondern die Situation. Nur zweite Wahl zu sein, zu hoffen, zu wollen, zu begehren, alles dafür zu tun und doch nie zu erreichen, was man sich am meisten wünscht. Und schlimmer noch, dabei Freunde zu bleiben, damit einem ja auch immer dieses Scheitern vorgeführt wird, damit man auch ja nicht vergisst, wie weh es tut, abgewiesen zu werden. Der Text ist voll von Gedanken, ist darin und deswegen sehr dicht; das Vorausschauen und Erwarten der Ereignisse am Flughafen, das bereits verletzend und ungeheuer traurig ist, wird noch durch die Realität verschlimmert in der letzten Zeile.

Und manche werden es kennen, dieses Abschiedsagen am Flughafen...ich zumindest habe es auch schon erlebt. Die Entwicklung hat der Menschheit einen Ort beschert, an dem Abschiednehmen noch weitaus schlimmer, unpersönlicher und trauriger wird als alles bisher, als alle Bahnhöfe und Bushaltestellen zusammen.

Eine sehr berührende Geschichte, Arezoo.
 



 
Oben Unten