Hitze

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Isegrims

Mitglied
Hitze
Der heißeste Tag des Jahres und er ist verabredet. Erstickende Luft und langsames, zaghaftes Denken. Er hat sie nie gesehen und nur kurz mit ihr telefoniert und hat eine hohe weiche Stimme mit Akzent gehört, die Worte unsicher und mit einem slawischen Knarren aussprach und doch mochte er Klang und Farbe sofort.
Was sollte er anziehen ? Er duscht und sofort nach dem Duschen befeuchtet sich sein T-Shirt wieder mit Schweiß. Ein Hemd würde Flecken verursachen und er wollte einen frischen Eindruck machen, also zieht er über das weiße T-Shirt, das die Feuchtigkeit aufsaugen soll, ein Polo-Hemd und Jeans dazu. Er weiß nicht, was ihn erwartet und er fährt so rechtzeitig los, dass er den Treffpunkt pünktlich erreichen kann: ein kleiner Park am Neroberg in Wiesbaden zwischen Villen aus einem vergangenen Jahrhundert, indem die Menschen noch in Parks langsam wandelten. Als er ankommt, sucht er mit seinem klapprigen Auto einen Parkplatz und findet doch keinen, der etwas Schatten spenden würde.
Er wartet und geht auf und ab und bemerkt schnell, dass er sich mehr Zeit hätte lassen können: sie ist nicht da. Er ist allein am Rande des Parks. Das Leben sucht den Schatten und die Dämmerung an diesem Tag. Er denkt sich, dass Frauen das Recht haben zu spät zu kommen und selbst wenn sie nicht käme, wäre es keine Zeitvergeudung, schließlich schafft die Hitze eine brütende Stille, die es an frischeren Tagen nicht gibt. Er beobachtet die Menschen, die sich auf dem Rasen sonnen. Der Rasen ist gepflegt und trägt ein sattes Grün, das nur durch dauerhafte Bewässerung zu erklären ist. Ein junges Paar. Sie liegt auf dem Rücken und hat olivbraune Haut und er bewundert die Makellosigkeit des Körpers. Ein Mann sitzt im Schneidersitz neben ihr, blickt von oben in ihre Augen und redet auf sie ein. Auch er mit der Klarheit der Jugend. Er wartet weiter auf sie und parkt sein Auto um, weil er hofft am Rande des Parks, dort wo der Wald beginnt und die Tennisplätze liegen, einen Platz im Schatten zu finden. Die Schattenplätze aber sind alle belegt und er stellt den Wagen am Rande des Straße neben den Tennisplätzen ab. Durch den Wald, den Hügel hinauf, fährt ein kleines Bähnchen. Er schaut hinauf und erkennt, dass auch beim Bähnchen keine Bewegung erkennbar ist. Ein Blick auf die Uhr und er überlegt, wann er sie anrufen soll, um zu fragen, ob sie auf dem Weg ist. Er hofft schon einige Zeit, dass die Schweißflecken auf seinem Polo-Hemd mit dem Luxusmarkenlabel auf der Brust, das ihr vielleicht imponieren würde, sich verkleinern würden, doch der Schweiß fließt ihm vom Warten in der Hitze weiter sogar über das Gesicht, hinterlässt seine Spuren und lässt sich auch durch seinen Willen nicht aufhalten. Fünf Minuten noch, bis er sie anrufen will und er überlegt sich, auf welcher Seite des Parks sie sich verabredet hatten und was er machen würde, wenn sie nicht käme, ob er in den kühlen Wald gehen solle oder nach Hause in seine leere Wohnung, dann wählt er ihre Nummer und nach zögerndem Klingeln geht sie ans Telefon. „Ich werde gleich da sein,“ klingt es aus ihrer ruhigen Singstimme. „Schön, ich freue mich,“ sagt er „und wo finde ich dich ?“ „Am Eingang zum Park, Richtung Stadt.“ Das war auf der anderen Seite des Parks und er musste ihn einmal komplett durchqueren. „Gut, ich komme dorthin und bin auch gleich da,“ lächelte er ins Telefon. Zwischen den Sonnensuchenden, die im Gras liegen und den wenigen Spaziergängern eilt er durch den Park und achtet nicht mehr auf die Wirkung der Hitze. Seine Erwartungen sinken und sein Denken wird langsamer und er wäre nicht enttäuscht gewesen, wenn sie noch abgesagt hätte. Andererseits bleibt er ganz ruhig, gerade weil die Voraussetzungen so ungewöhnlich und der Tag so heiß ist. Der heißeste Tag des Jahres hatte er im Radio gehört.
Sie steht dann mitten in der Sonne vor einem Café, das in der Hitze flirrt ganz ruhig, während er mit eilendem Schritt herankommt, trägt ein Sommerkleid und blickt ihm entgegen. Anfangs sieht er es nicht, aber je näher er kommt desto klarer wird es und er erkennt ihr Lächeln, das aus dem Inneren kommt, anders als er es jemals gesehen hat, ein losgelöstes Lächeln, das er nicht einordnen kann. Aus ihren dunklen, fast schwarzen Augen schaut sie ihn an und ihre Haare glänzen braun in der Sonne. Sie ist schlank und zartgliedrig gerade im harmonischen Maße, scheint ganz bei sich selbst zu sein und er vermag ihr nur flüchtig die Hand zu geben. Falls sie hinter ihrem Lächeln ebenso nervös ist wie er, so bemerkte er es doch nicht. „Wir können spazieren gehen,“ schlägt sie vor.
Sie gehen dann denselben Weg, den er durch den Park heruntergekommen ist, wieder hinauf. Ihre Stimme und ihr Blick beruhigen ihn und sie beginnen über Literatur und Musik zu sprechen, weil sie bereits am Telefon über Kunst gesprochen hatten und ihr Gespräch gewöhnt sich aneinander. Er zählt die russischen Autoren auf, die er kennt und freut sich an seinen Kenntnissen. Sie hat von allen gehört und alle gelesen und wundert sich nicht als er von der Dunkelheit der Schilderungen erzählt und von dem eigentümlichen Glanz mancher Schilderungen. Sie gehen nebeneinander und manchmal neigen sie ihre Köpfe, um sich anschauen zu können und manchmal berühren sich ihre Körper leicht. Sie tauschen Worte, erzählen sich von ihrem Leben und ihren Lebensumständen. Als sie von Bach erzählt und von der Ruhe, die von der Musik ausgeht, glaubt er die Stille dieser Musik zu hören und sie plaudern über die Brillanz und den Farbenreichtum von Horowitz, wenn er Chopin spielt. Das Lächeln beginnt immer von neuem, wenn sie sich ansehen und doch fragt er sich, ob sie bloß die Augen sieht oder nicht doch auch die Schweißflecken seines Polohemds. Längst hat er Hitze und Schweiß vergessen und sieht nur noch sie. So hatte er sich das nicht gedacht. Erwartet hatte er eine Frau, mit der er einige Stunden verbringen und die er dann wieder vergessen konnte, nicht eine Frau, deren Lächeln und Gespräch ihn gefangen hält. Um den Spaziergang nicht beenden zu müssen, umrunden sie den Park gleich zweimal. Irgendwann holt sie aus ihrer Tasche eine selbstgebrannte CD mit Klaviermusik von Bach und sagt ihm, dass sie ihm die CD von diesem Pianisten, der sich in die Musik versenkt hat, der nur für die Perfektion seines Ausdrucksvermögens gelebt und daran gestorben ist, als Geschenk mitgebracht habe und er denkt sich, dass man so lieben müsste wie Glenn Gould Musik gelebt hat. Er fragt sich, was sie sich dabei gedacht hat und blickt in ihre tiefen Augen. Er betrachtet ihren Körper und stellt sich vor, wie sich ihre Haut anfühlen würde und bemerkt die Eleganz ihres bedruckten Sommerkleids und sieht ihre aufrechte stolze Haltung, die nur ihr unentwegtes Lächeln dämpft. Im selben Moment, als er ihr sagt, dass er die Aufnahme als CD zu Hause habe, bereut er das Geschenk abgelehnt zu haben.
„Gehen wir einen Kaffee trinken ?, fragt er sie und hofft dabei etwas Abkühlung zu finden und sich diese Frau, die bisher neben ihm gegangen ist, näher anschauen zu können. Pia hatte sie sich genannt, aber sie erklärt ihm, dass sie einen anderen Namen habe und nennt ihm ihren wirklichen Namen. Als er sie anschaut während sie den richtigen Namen ausspricht verlässt ihn die Konzentration und, er hört ihre Worte nicht und würde sie erneut nach dem Namen fragen müssen. „Da oben bei den Tennisplätzen ist ein Café“, sagt sie und sie müssen den Park ein weiteres Mal durchqueren. Sie gehen langsam. Er bemerkt, dass er nicht die Fragen zu Liebeserfahrungen und bisherigem Leben wählt, ja dass er überhaupt keine Fragen stellt, die er sich zuvor zurecht gelegt hat, dass sie beide über Leben und Sinneserfahrung sprechen und über das, was sie beschäftigt. Er betrachtet das satte Grün des Grases im Park und sagt sich, dass es begossen werden musste, womöglich am Abend oder in der Nacht, sonst wäre es längst verdorrt und verbrannt. Er will ihre Hand nehmen, wagt es aber nicht und denkt wieder daran, welch warmer Körper sich unter den Kleid verbirgt, was hinter ihrem Lächeln steckt und glaubt Tiefe, Sehnsucht, Trauer und Glück, Melancholie und Lebenslust zu erkennen – das, was er sich als schöne Seele, als russische Seele denkt.
Das Café im Tennisclub ist leer, obwohl draußen Tennisbälle über das Netz geschlagen werden. Sie setzen sich und warten eine Weile bis sie bemerkt werden und Kaffee bestellen können und er versucht auf der Toilette die Spuren der Hitze mit Papier zu beseitigen. Der Kaffee aber regt Kreislauf und Wasserhaushalt wieder an, er spürt keine Erfrischung und er wundert sich, dass sie auch auf diesen Zustand nur mit ihrem Strahlen reagiert. Stattdessen spricht sie von ihren Träumen und der Nähe, die sie sich wünscht. Sein Wunsch sie zu berühren wird größer, für einen Moment wenigsten, jetzt, da sie nicht mehr in Bewegung sind, jetzt, da er sie näher anschauen kann. Die Leichtigkeit ist da und er glaubt, dass sie beide so fühlen. Er weiß nicht, was es ist, dass es so einfach macht mit ihr zusammen zu sein, Worte zu wechseln, die Gegenwart von ihrem Duft und Dasein erfüllen zu lassen, seine Seele mit ihr zu verschlingen und zu wissen, dass keine Mühe nötig ist. Sie schauen den Tennisspielern zu, die ihre Kraft in der Hitze erschöpfen und der Strom an Worten und Gedanken, an die sie sich später gar nicht genau erinnern können, hält an und schnell ist der Kaffee ausgetrunken und sie bewegen sich wieder zögernd in Richtung des Parks, gehen an seinem Auto vorbei, das nun vollständig in der Sonne steht, ohne es zu beachten, vorbei an den Pärchen, die sich in der Sonne ausgebreitet haben und er erkennt noch, dass der junge Mann, den er vor seiner Begegnung mit Pia, die gar nicht Pia heißt, immer noch mit derselben Körperhaltung vor der jungen Frau sitzt, die ihn auf dem Bauch liegend anschaut. Nur andere sind dazu gekommen und sitzen und spielen und reden im satten Grün des Grases.
Er überlegt sich, welchen Verhaltenskodex er einhalten muss, was erlaubt ist bei einem ersten Treffen und schwitzt wieder deutlicher sichtbar und zögernd kommen sie wieder an den Platz, an dem er sie zum ersten Mal gesehen hat und ob er es ist oder sie, einer von beiden, schlägt vor noch irgendwo eine Kleinigkeit zu essen und so entfernen sie sich vom Park, gehen Richtung Stadt, die Straße herab, dorthin, wo es Geschäfte und Restaurants gibt. Schnell finden sie ein italienisches Restaurant, das weder einfache Pizzeria noch gehobene Kochkunst ist. Sie setzen sich an einen der Tische, die auf dem Gehsteig aufgestellt sind und wählen ihren Platz nebeneinander mit dem Rücken zu der Glasfront des Restaurants. Er erinnert sich an Begegnungen mit Menschen, mit Frauen, die ihm gegenüber saßen und allein oder vor allem aus der Platzwahl eine Haltung der Konfrontation und Ausforschung entstanden war: Frage und Antwort und man musste die jeweils richtige Haltung und richtige Antwort bereit halten.
Sie lehnt sich zurück, tief in den Stuhl, ein Bein über das andere, glänzt mit ihrer Haltung, die stolz und ungekünstelt ist und die ihn verwirrt und ihm doch zu zeigen scheint wie sehr sie die Begegnung genießt. Er wundert sich und fragt sich, was ihr an diesem schwitzenden Mann, dessen Bauch sichtbar ist und der die Jugend der Jahre verloren hat, gefällt und schmeichelt sich selbst mit seinem Charme und seiner Bildung und sagt sich, dass sie sich ja längst mit ein paar flüchtigen Worten hätte verabschieden können. Während sie sich Geschichten erzählen und dabei lachen, beginnt er seine Schweißflecken zu vergessen, spricht von italienischem und französischem Wein und lässt sie von den Nudeln probieren, die mit Trüffeln verfeinert sind und erzählt ihr von den Piazzas im Süden, auf denen Menschen flanieren und von den Schweinen, die in den piemontesischen Wäldern nach Trüffeln suchen und vor seinen Augen entsteht die Silhouette Sankt Petersburgs mit den Brücken und den Schlössern und den alten Häusern aus einer vergangenen Zeit und sie lachen über Peter den Großen, der Kultur und überhaupt alles nach Russland gebracht hat, für das es sich zu leben lohnt. Sie tragen ihre Sehnsucht mit sich und zeigen sie einander und schnell bildet sich wieder dieses Vakuum, das sie in einer Hülle festhält und kaum bemerken sie es, wenn sie nach einem weiteren Glas Wein oder Kaffee gefragt werden oder andere Gäste kommen und gehen und selbst die Zeit scheint stillt zu stehen und sich zu fürchten die beiden zu unterbrechen, so viel Beginn ist und so viel Ewigkeit verspricht der Beginn.
Die Nacht wird anbrechen und die Sonne wird untergehen und sie werden ihren letzten Kaffee sowie den Grappa zum Abschluss getrunken haben. Es wird kühler geworden sein und die Schweißflecken werden völlig getrocknet sein und sie werden sich einen Einfall wünschen, um den Abend zu verlängern. Sie werden die Straße, die sie heruntergegangen sind, wieder hochgehen und werden sich fragen, warum sie sich nicht jetzt schon an der Hand nehmen und doch reicht es ihnen an diesem glühenden Tag, dass sie nahe beieinander gehen und sich ihre Körper manchmal wie zufällig berühren.
 

petrasmiles

Mitglied
Hallo Isegrims,

eigentlich eine schöne Geschichte um einen Anfang - wenn da nicht so viel Klischee wäre, das trotz der Selbstzweifel des Protagonisten 'verschwiegen' wird. Vielleicht liegt das an der Feenhaftigkeit der Protagonistin ... sie erscheint nur als Glanz in seinem Auge. Die Frau als 'Objekt der Begierde', die noch nicht einmal schwitzen 'darf', und leider tragen auch die wohl stattfindenden Dialoge nicht dazu bei, dass sie mehr Profil bekommt, weil Du sie nicht schreibst. Für mich fühlt es sich wie eine Sehnsuchtsschablone reifer Männer an und darum sind die beiden nicht auf Augenhöhe, und das ist nicht spannend.
Das Besondere an Deiner Geschichte ist das Einfangen dieses Davongetragenwerdens vom Wohlfühlen miteinander, das nicht aufhören soll, die Scheu, konkret zu werden, weil jedes falsche Wort zerstörerisch sein könnte.

Insgesamt erscheint mir die Geschichte zu lang - zuviel Stimmungsbilder, die nicht weiter tragen wie der Rasen oder das Pärchen, aber sie ist schön geschrieben.

Ich frage mich, ob auch Augen tief sein können, oder doch nur der Blick?

Liebe Grüße
Petra
 
G

Gelöschtes Mitglied 14278

Gast
Hallo Isegrims,

mir gefällt diese Geschichte gut, in der Du das langsame Herantasten an eine neue Bekanntschaft und die damit verbundene Unsicherheit einfühlsam beschreibst. Ich bin nicht der Meinung, dass sie zu lang ist – schließlich ist es eine Erzählung, und ich finde, da kann man schon mal etwas ausschweifender schreiben.

Allerdings erschweren zwei Dinge den Lesefluss und das Lesevergnügen: Der Text enthält sehr viele Kommafehler, so dass man manche Sätze mehrfach lesen muss, um sie zu verstehen. Und er enthält zu wenige Absätze, die dem Leser eine kurze Pause gönnen würden. Vielleicht kannst Du das noch verbessern. Ich glaube, damit würde der Text unbedingt gewinnen. Bei der Gelegenheit solltest Du auch den einen oder anderen Rechtschreibfehler noch ausbessern.

Gruß Ciconia
 
A

aligaga

Gast
Ich lese in der Geschichte das Gleiche wie @petra, @Isegrims: Wir erfahren zwar sehr viel über äußere Umstände (mit der Betonung auf Umstände), aber so gut wie nichts über die beiden Protagonisten. Am Ende des Stückerls sind wir ebenso ermüdet von der Hitze und dem Herumgelaufe wie die beiden und wissen nicht so recht, was der Zweck der Übung war.

Der erste Satz, so heißt's bei Geschichten immer, sei besonders wichtig. Deiner geht so:
Der heißeste Tag des Jahres und er ist verabredet.
Das ist schon mal kein vollständiger Satz - dem ersten Satzgegenstand fehlt die Aussage. Hinzu kommt, dass zwei verschiedene Sachverhalte miteinander verknüpft werden, ohne dass der Leser den Zusammenhang begriffe. Warum heißt es nicht (neutral): "Er hat sich am heißesten Tag des Jahres verabredet." Oder (wertend): "Er hat sich trotz der extremen Hitze für heute verabredet." Oder so ähnlich.

Das hätte den Vorteil, dass der Leser sofort in der richtigen Spur ist und weiß, dass etwas kommen wird, wo Hitze eher stört als nützt.

Weiter heißt es:
Erstickende Luft und langsames, zaghaftes Denken.
Wieder kein Satz, wieder für den Leser direkt nicht nachvollziehbare Verknüpfungen. "Erstickend" und pleonastisches "langsam/zaghaft" schlössen sich eher aus, als dass sie zusammenfänden. Warum nicht: "Stickluft und träges Erinnern" und dann ein Semikolon? Das machte mehr Sinn und führte den Leser weiter, statt ihn darüber sinnen zu lassen, wie Luft wohl aussähe, wenn sie erstickt.

Und weiter:
Er hat sie nie gesehen und nur kurz mit ihr telefoniert
Schon wieder dieses zusammenhanglose "und". Warum nicht "Er hat sie nie gesehen, sondern nur kurz mit ihr telefoniert" und dann ein Doppelpunkt? Dann nicht weiter mit
... und hat eine hohe weiche Stimme mit Akzent gehört, die Worte unsicher und mit einem slawischen Knarren aussprach und doch mochte er Klang und Farbe sofort
sondern vielleicht so: "Eine hohe (weiche) Stimme mit Akzent, die Worte unsicher und mit einem slawischen Knarren aussprechend, und doch mochte er Klang und Farbe sofort." Das "weich" und das "knarrend" schließen sich eher aus.

Und so weiter und so fort. Das von Petra entdeckte "Wohlfühlen miteinander" entdecke ich nicht, sondern sehe und höre einen Protagonisten, der leidet und der es nicht schafft, die Süße dorthin zu verfrachten, wo sie hingehört: In eine schattige Umarmung. Wenn dieses Unvermögen und die damit verbundenen, abgehobenen Gesprächsthemen über Literatur und Barockmusik, die zu der Hitze ebenso schwer passen wollen wie heißer Kaffee, trüffelölige Teigwaren und schwerer Rotwein, das Hauptthema der Geschichte sein sollen, dann müsste über diese Verklemmungen wenigstens ein Wort verloren werden. Leider kommt da aber außer ein paar oberflächlichen Schweißflecken gar nichts.

Petra hat recht - du reihst Klischee an Klischee, bleibst dabei aber fast nur an der Oberfläche. Die beiden Protagonisten schleppen sich einen ganzen Tag lang um den Neroberg herum, aber wir erfahren nicht, was die Süße wirklich von dem schwitzenden Polohemdträger denkt oder möchte, und umgekehrt. Im Grunde genommen hast du uns ein Verzeichnis gepostet, das Inhalte aufzählt. Welcher Art diese wirklich sind oder sein könnten, erfahren wir nicht. Es fehlt jedwede Spannung.

Dafür ist die Geschichte denn doch zu lang(atmig) geraten. Wenn bei einem Blind Date nicht mehr passiert als das, wir hier erfahren, dann müsste es wohl als missglückt angesehen werden.

Tipp: Näher ran an die Protagonisten und nicht bloß über Bach dozieren, sondern ihn zum Klingen bringen!

Gruß

aligaga
 

Isegrims

Mitglied
Hitze
Der heißeste Tag des Jahres und er ist verabredet. Erstickende Luft und langsames, zaghaftes Denken. Er hat sie nie gesehen und nur kurz mit ihr telefoniert und hat eine hohe weiche Stimme mit Akzent gehört, die Worte unsicher und mit einem slawischen Knarren aussprach und doch mochte er Klang und Farbe sofort.
Was sollte er anziehen ? Er duscht und sofort nach dem Duschen befeuchtet sich sein T-Shirt wieder mit Schweiß. Ein Hemd würde Flecken verursachen und er wollte einen frischen Eindruck machen, also zieht er über das weiße T-Shirt, das die Feuchtigkeit aufsaugen soll, ein Polo-Hemd und Jeans dazu. Er weiß nicht, was ihn erwartet und er fährt so rechtzeitig los, dass er den Treffpunkt pünktlich erreichen kann: ein kleiner Park am Neroberg in Wiesbaden zwischen Villen aus einem vergangenen Jahrhundert, in dem die Menschen noch in Parks langsam wandelten. Als er ankommt, sucht er mit seinem klapprigen Auto einen Parkplatz und findet doch keinen, der etwas Schatten spenden würde.
Er wartet, geht auf und ab und bemerkt schnell, dass er sich mehr Zeit hätte lassen können: sie ist nicht da. Er ist allein am Rande des Parks. Das Leben sucht den Schatten und die Dämmerung an diesem Tag. Er denkt sich, dass Frauen das Recht haben, zu spät zu kommen. Selbst wenn sie nicht käme, wäre es keine Zeitvergeudung, schließlich schafft die Hitze eine brütende Stille, die es an frischeren Tagen nicht gibt.
Er beobachtet die Menschen, die sich auf dem Rasen sonnen. Der Rasen ist gepflegt und trägt ein sattes Grün, das nur durch dauerhafte Bewässerung zu erklären ist. Ein junges Paar. Sie liegt auf dem Rücken und hat olivbraune Haut und er bewundert die Makellosigkeit des Körpers. Ein Mann sitzt im Schneidersitz neben ihr, blickt von oben in ihre Augen und redet auf sie ein. Auch er mit der Klarheit der Jugend.
Er wartet weiter auf sie und parkt sein Auto um, weil er hofft am Rande des Parks, dort wo der Wald beginnt und die Tennisplätze liegen, einen Platz im Schatten zu finden. Die Schattenplätze aber sind alle belegt und er stellt den Wagen am Rande des Straße neben den Tennisplätzen ab. Durch den Wald, den Hügel hinauf, fährt ein kleines Bähnchen. Er schaut hinauf und erkennt, dass auch beim Bähnchen keine Bewegung erkennbar ist. Ein Blick auf die Uhr und er überlegt, wann er sie anrufen soll, um zu fragen, ob sie auf dem Weg ist.
Er hofft schon einige Zeit, dass die Schweißflecken auf seinem Polo-Hemd mit dem Luxusmarkenlabel auf der Brust, das ihr vielleicht imponieren würde, sich verkleinern würden, doch der Schweiß fließt ihm vom Warten in der Hitze weiter - sogar über das Gesicht, hinterlässt seine Spuren und lässt sich auch durch seinen Willen nicht aufhalten. Fünf Minuten noch, bis er sie anrufen will und er überlegt sich, auf welcher Seite des Parks sie sich verabredet hatten und was er machen würde, wenn sie nicht käme, ob er in den kühlen Wald gehen solle oder nach Hause in seine leere Wohnung, dann wählt er ihre Nummer und nach zögerndem Klingeln geht sie ans Telefon. „Ich werde gleich da sein“, klingt es aus ihrer ruhigen Singstimme. „Schön, ich freue mich“, sagt er. „Wo finde ich dich ?“ Sie antwortet: „Am Eingang zum Park, Richtung Stadt.“
Das ist auf der anderen Seite des Parks und er muss ihn einmal komplett durchqueren. „Gut, ich komme dorthin und bin auch gleich da“, lächelt er ins Telefon.
Zwischen den Sonnensuchenden, die im Gras liegen und den wenigen Spaziergängern, eilt er durch den Park und achtet nicht mehr auf die Wirkung der Hitze. Seine Erwartungen sinken, sein Denken wird langsamer. Er wäre nicht enttäuscht gewesen, wenn sie noch abgesagt hätte. Andererseits bleibt er ganz ruhig, gerade weil die Voraussetzungen so ungewöhnlich und der Tag so heiß ist. „Der heißeste Tag des Jahres“, hatte er im Radio gehört.
Sie steht dann mitten in der Sonne vor einem Café, das in der Hitze flirrt - ganz ruhig, während er mit eilendem Schritt herankommt, trägt ein Sommerkleid und blickt ihm entgegen. Anfangs sieht er es nicht, aber je näher er kommt, desto klarer wird es und er erkennt ihr Lächeln, das aus dem Inneren kommt, anders als er es jemals gesehen hat, ein losgelöstes Lächeln, das er nicht einordnen kann. Aus ihren dunklen, fast schwarzen Augen schaut sie ihn an und ihre Haare glänzen braun in der Sonne. Sie ist schlank und zartgliedrig gerade im harmonischen Maße, scheint ganz bei sich selbst zu sein und er vermag ihr nur flüchtig die Hand zu geben. Falls sie hinter ihrem Lächeln ebenso nervös ist wie er, so bemerkte er es doch nicht. „Wir können spazieren gehen“, schlägt sie vor.
Sie gehen dann denselben Weg, den er durch den Park heruntergekommen ist, wieder hinauf. Ihre Stimme und ihr Blick beruhigen ihn. Sie beginnen über Literatur und Musik zu sprechen, weil sie bereits am Telefon über Kunst gesprochen hatten und ihr Gespräch gewöhnt sich aneinander. Er zählt die russischen Autoren auf, die er kennt und freut sich an seinen Kenntnissen. Sie hat von allen gehört und alle gelesen und wundert sich nicht als er von der Dunkelheit der Schilderungen erzählt und von dem eigentümlichen Glanz, der von manchen Sätzen und Wendungen ausgeht.
Sie gehen nebeneinander und manchmal neigen sie ihre Köpfe, um sich anschauen zu können, manchmal berühren sich auch ihre Körper leicht. Sie tauschen Worte, erzählen sich von ihrem Leben und ihren Lebensumständen. Als sie von Bach erzählt und von der Ruhe, die von der Musik ausgeht, glaubt er die Stille dieser Musik zu hören und sie plaudern über die Brillanz und den Farbenreichtum von Horowitz, wenn er Chopin spielt. Das Lächeln beginnt immer von neuem, wenn sie sich ansehen und doch fragt er sich, ob sie bloß die Augen sieht oder nicht doch auch die Schweißflecken seines Polohemds. Längst hat er Hitze und Schweiß vergessen und sieht nur noch sie. So hatte er sich das nicht gedacht. Erwartet hatte er eine Frau, mit der er einige Stunden verbringen und die er dann wieder vergessen konnte, nicht eine Frau, deren Lächeln und Gespräch ihn gefangen hält. Um den Spaziergang nicht beenden zu müssen, umrunden sie den Park gleich zweimal.
Irgendwann holt sie aus ihrer Tasche eine selbstgebrannte CD mit Klaviermusik von Bach und sagt ihm, dass sie ihm die CD von diesem Pianisten, der sich in die Musik versenkt hat, der nur für die Perfektion seines Ausdrucksvermögens gelebt und daran gestorben ist, als Geschenk mitgebracht habe. Er denkt sich, dass man so lieben müsste wie Glenn Gould Musik gelebt hat.
Er fragt sich, was sie sich dabei gedacht hat und blickt in ihre tiefen Augen. Er betrachtet ihren Körper und stellt sich vor, wie sich ihre Haut anfühlen würde und bemerkt die Eleganz ihres bedruckten Sommerkleids und sieht ihre aufrechte stolze Haltung, die nur ihr unentwegtes Lächeln dämpft. Im selben Moment, als er ihr sagt, dass er die Aufnahme als CD zu Hause habe, bereut er das Geschenk abgelehnt zu haben.
„Gehen wir einen Kaffee trinken ?“, fragt er sie und hofft dabei etwas Abkühlung zu finden und sich diese Frau, die bisher neben ihm gegangen ist, näher anschauen zu können. Pia hatte sie sich genannt, aber sie erklärt ihm, dass sie einen anderen Namen habe und nennt ihm diesen wirklicheren Namen. Als er sie anschaut während sie den richtigen Namen ausspricht, verlässt ihn die Konzentration. Er hört ihre Worte nicht und würde sie erneut nach dem Namen fragen müssen.
„Da oben bei den Tennisplätzen ist ein Café“, sagt sie und sie müssen den Park ein weiteres Mal durchqueren. Sie gehen langsam. Er bemerkt, dass er nicht die Fragen zu Liebeserfahrungen und bisherigem Leben wählt, ja dass er überhaupt keine Fragen stellt, die er sich zuvor zurecht gelegt hat, dass sie beide über Sinneserfahrung sprechen und über das, was sie im Innern beschäftigt. Er betrachtet das satte Grün des Grases im Park und sagt sich, dass es begossen werden musste, womöglich am Abend oder in der Nacht, sonst wäre es längst verdorrt und verbrannt. Er will ihre Hand nehmen, wagt es aber nicht und denkt wieder daran, welch warmer Körper sich unter den Kleid verbirgt, was hinter ihrem Lächeln steckt und glaubt Tiefe, Sehnsucht, Trauer und Glück, Melancholie und Lebenslust zu erkennen – das, was er sich als schöne Seele, als russische Seele denkt.
Das Café im Tennisclub ist leer, obwohl draußen Tennisbälle über das Netz geschlagen werden. Sie setzen sich und warten eine Weile, bis sie bemerkt werden und Kaffee bestellen können, deshalb versucht er auf der Toilette die Spuren der Hitze mit Papier zu beseitigen. Der Kaffee aber regt Kreislauf den Wasserhaushalt wieder an, er spürt keine Erfrischung und er wundert sich, dass sie auch auf diesen Zustand nur mit ihrem Strahlen reagiert. „Es ist natürlich, dass Männer schwitzen“, sagt sie ihm und scheint seine Gedanken erkennen zu können. „Ich selbst schwitze nur wenig.“
Ihre Worte erleichtern ihn. Sie spricht jetzt von ihren Träumen und der Nähe, die sie sich wünscht. „Ich bin ein Kind der Welt und mein Kissen ist die Welt.“ Sie kann die Worte in der Sprache, die ihr fremd ist, nicht so formen, wie sie es möchte. Dennoch wundert er sich, wie sie es schafft Worte zu Sätzen zu formen, die in ihn eindringen. Sein Wunsch sie zu berühren wird größer, für einen Moment wenigstens, jetzt, da sie nicht mehr in Bewegung sind, jetzt, da er sie näher anschauen kann. Die Leichtigkeit ist da und er glaubt, dass sie beide so fühlen. Er weiß nicht, was es ist, dass es so einfach macht, mit ihr zusammen zu sein, Worte zu wechseln, die Gegenwart von ihrem Duft und Dasein erfüllen zu lassen, seine Seele mit ihr zu verschlingen und zu wissen, dass keine Mühe nötig ist.
Sie schauen den Tennisspielern zu, die ihre Kraft in der Hitze erschöpfen und der Strom an Worten und Gedanken, an die sie sich später gar nicht genau erinnern können, hält an. Schnell ist der Kaffee ausgetrunken und sie bewegen sich wieder zögernd in Richtung des Parks, gehen an seinem Auto vorbei, das nun vollständig in der Sonne steht, ohne es zu beachten, vorbei an den Pärchen, die sich in der Sonne ausgebreitet haben. Er erkennt noch, dass der junge Mann, den er vor seiner Begegnung mit Pia, die gar nicht Pia heißt, immer noch mit derselben Körperhaltung vor der jungen Frau sitzt, die ihn auf dem Bauch liegend anschaut. Nur andere sind dazu gekommen und sitzen und spielen und reden im satten Grün des Grases.
Er überlegt sich, welchen Verhaltenskodex er einhalten muss, was erlaubt ist bei einem ersten Treffen und schwitzt wieder deutlicher sichtbar. Zögernd kommen sie wieder an den Platz, an dem er sie zum ersten Mal gesehen hat und ob er es ist oder sie, einer von beiden, schlägt vor, noch irgendwo eine Kleinigkeit zu essen und so entfernen sie sich vom Park, gehen Richtung Stadt, die Straße herab, dorthin, wo es Geschäfte und Restaurants gibt.
Schnell finden sie ein italienisches Restaurant, das weder einfache Pizzeria noch gehobene Kochkunst ist. Sie setzen sich an einen der Tische, die auf dem Gehsteig aufgestellt sind und wählen ihren Platz nebeneinander mit dem Rücken zu der Glasfront des Restaurants. Er erinnert sich an Begegnungen mit Menschen, mit Frauen, die ihm gegenüber saßen und allein oder vor allem aus der Platzwahl eine Haltung der Konfrontation und Ausforschung entstanden war: Frage und Antwort und man musste die jeweils richtige Haltung und richtige Antwort bereit halten.
Sie lehnt sich zurück, tief in den Stuhl, ein Bein über das andere, glänzt mit ihrer Haltung, die stolz und ungekünstelt ist und die ihn verwirrt und ihm doch zu zeigen scheint wie sehr sie die Begegnung genießt. Er wundert sich und fragt sich, was ihr an diesem schwitzenden Mann, dessen Bauch sichtbar ist und der die Jugend der Jahre verloren hat, gefällt, schmeichelt sich selbst mit seinem Charme und seiner Bildung und sagt sich, dass sie sich ja längst mit ein paar flüchtigen Worten hätte verabschieden können. Auch sie ist nicht mehr jung, aber das sieht er nicht - er sieht die Schönheit ihres Blicks, ihrer Worte und das Versprechen ihres Körpers.
Während sie sich Geschichten erzählen und dabei lachen, beginnt er seine Schweißflecken zu vergessen, spricht von italienischem und französischem Wein und lässt sie von den Nudeln probieren, die mit Trüffeln verfeinert sind und erzählt ihr von den Piazzas im Süden, auf denen Menschen flanieren und von den Schweinen, die in den piemontesischen Wäldern nach Trüffeln suchen. Vor seinen Augen entsteht mit ihren Worten die Silhouette Sankt Petersburgs mit den Brücken und den Schlössern und den alten Häusern aus einer vergangenen Zeit und sie lachen über Peter den Großen, der Kultur und überhaupt alles nach Russland gebracht hat, für das es sich zu leben lohnt.
Sie tragen ihre Sehnsucht mit sich und zeigen sie einander und schnell bildet sich wieder dieses Vakuum, das sie in einer Hülle festhält und kaum bemerken sie es, wenn sie nach einem weiteren Glas Wein oder Kaffee gefragt werden oder andere Gäste kommen und gehen. Selbst die Zeit scheint stillt zu stehen und sich zu fürchten, die beiden zu unterbrechen, so viel Beginn ist und so viel Ewigkeit verspricht der Beginn.
Die Nacht wird anbrechen und die Sonne wird untergehen und sie werden ihren letzten Kaffee sowie den Grappa zum Abschluss getrunken haben. Es wird kühler geworden sein und die Schweißflecken werden völlig getrocknet sein und sie werden sich einen Einfall wünschen, um den Abend zu verlängern. Sie werden die Straße, die sie heruntergegangen sind, wieder hochgehen und werden sich fragen, warum sie sich nicht jetzt schon an der Hand nehmen, umarmen und verschlingen und doch reicht es ihnen an diesem glühenden Tag, dass sie nahe beieinander gehen und sich ihre Körper manchmal wie zufällig berühren.
 



 
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