Hitze in der Stadt

2,00 Stern(e) 5 Bewertungen

Isegrims

Mitglied
Der Sommertag brennt. Hitze hat sich dunstig über die Stadt gelegt. Ein Strom aus Menschen fließt durch die die Einkaufsstraße wie eine gierige, bunte Herde. Am Rande der Straße, unter einem müden Baum mit verblichenen Blättern sitze ich auf einer Bank und beobachte die Menschen.

Ich sehe die tiefe Leere in den gierigen Augen. Frauen, die ihre Haut zur Schau stellen. Männer, die ihre Frauen präsentieren. Ungeschützte Schönheit. Dazwischen meine Brüder, als Bettler verkleidet, gebückt im Dreck. Jeder geht an dem anderen vorbei und reiht sich ein in die große Schlange, in das Wogen der Masse.
Meine Augen sind klar und mein Herz fülle ich mit Liebe. Ich bin berufen, das Licht in die Welt zu bringen und werde Blut zwingen, die Augen zu öffnen. Das Blut wird leuchten und die Jagenden, die Suchenden, werden die Plastiktüten mit ihren Einkäufen vergessen. Ich helfe ihren Seelen und sie werden schmerzhaft ihre Augen öffnen.
Kichernd gehen junge Frauen an mir vorbei, kaum jünger als ich. Sie erkennen und beachten mich nicht, obwohl ich auf den Ansatz ihrer Brüste schaue und ihre schwellenden Hintern in den engen Hosen oder Röcken entdecke. Sie sind fröhlich, leicht wie Vögel und ich wünsche mir, ihre Haut zu berühren. Haut wie Milch, die schmeckt wie Honig. Hinter ihnen junge Männer, Knaben eher, sechzehn oder siebzehn Jahre alt. Sie lachen, zeigen ihre Muskeln, recken ihre Brustkörbe und klopfen sich gegenseitig auf die Schultern. Mit Stolz tragen sie dieselben Turnschuhe, nach denen ich mich sehnte. Markenschuhe, auf die ich sparte, für die ich meine Eltern anbettelte, bis ich die 200€ in den Händen hielt, die ich brauchte. Ich erinnere mich wie neu und makellos sie rochen, wie unbefleckt sie waren. Ich dachte, dass jeder sehen müsste, welche Schuhe ich trage, dass alle, an denen ich vorbeigehe, mich und meine Schuhe bewunderten. Ich täuschte mich. Gestern habe ich meine überzähligen Kleider und Schuhe den Bedürftigen der Gemeinde gespendet. Ich brauche sie nicht mehr. Ich habe mich entschieden.

Während ich hier sitze, gehen Hunderte an mir vorbei und sehen mich nicht. Die Sonne brennt auf den Asphalt. Die Erde darunter wünscht sich, befreit zu werden. Im Brennglas meiner Gedanken schwitze ich nicht. Ich bete für die Menschen, die an mir vorbei wandern. Ich bin vorbereitet und mache die Sonne heller, weil ich wie ein Blitz bin, der aufzuckt und den Tag erhellt. Eins muss mir noch gelingen: das Mitleid besiegen, hart sein, den Schmerz und das Blut ertragen, mich im Licht zeigen. Heute will ich meinen Mut testen und mich vorbereiten auf das Größere, das kommen wird. Nur ein Versuch. In meiner Tasche habe ich eine Wollmütze mit ausgeschnittenen Löchern für die Augen. Und den Brandsatz nach einer Anleitung aus den Flüssigkeiten gemixt, die ich mir besorgt habe.

Ich lasse mich in die Menge gleiten, gehe über die Zeil, biege ab, in Richtung Paulskirche und Römer. Als ich in der Schule war, besuchten wir die Paulskirche. Lehrergerede über die deutschen Bürger, die hier zusammenkamen, um die Freiheit zu erkämpfen, vertrieben wurden, unterjocht von Adel und später von der Gewalt des Geldes. Woher soll die Freiheit kommen, solange es erlaubt ist, andere mit den Mitteln des Rechts zu betrügen und sich dabei wohl zu fühlen?

An eine Wand gelehnt, sehe ich eine junge Frau. Sie trägt Jeans und einen zerschlissenen Pullover und um den Hals ein Pappschild. Darauf steht: „Ich bin alleinerziehend und arm, Bitte helfen sie mir.“ Vor sich hat sie eine Plastikschale auf den Asphalt gestellt. Münzen darin, Centbeträge, mehr nicht. Schnell und ohne sie zu beachten, gehen Leute mit gefüllten Beuteln an ihr vorbei. Die Frau gefällt mir mit ihrer weißen Haut. Wenn sie nur aufstünde und ihren Körper aufrichtete, um ihn den Menschen entgegen zu strecken, die sie übersehen, die Augen vor ihr verschließen, sich wegdrehen. Früher hätte ich das genauso gemacht, weggeschaut. Meine Schritte werden langsamer, ich beuge mich zu ihr herab, hole mein Portemonnaie aus der Hosentasche. Ich schütte alle Münzen, die sich darin befinden, in das Tellerchen und den 50€-Schein lege ich obendrauf. Sie schaut hoch zu mir, zu dem Mann mit dem schwarzen Bart und den dunklen Augen und ich erkenne wie hell und durchscheinend ihre Augen sind. Ein vorsichtiges, verkniffenes Lächeln. Für einige Augenblicke halten sich unsere Blicke.

„Danke.“
„Ich freue mich, dir zu helfen, Schwester.“

Ein stiller Blick von ihr, verwundert, ängstlich. Hastig richte ich mich auf und gehe weiter. Kein Blick zurück. Ich fühle mich leicht. Für einen Moment überlege ich, ob die Frau eine Ganovin war, die sich verkleidet und abends in ihrer komfortablen Wohnung ihre Tageseinnahmen zählt. Ich unterdrücke den Gedanken, besser ist es, zu glauben und zu hoffen.

Mein Schädel brennt. Ich bin wenige Schritte vom Römerplatz entfernt. Ich mag diese Häuser, die aussehen, als stünden sie jahrhundertelang hier und kämen aus einer alten Welt, die ehrlicher war. Vor der Fassade des Rathauses bleibe ich stehen. Mitten unter Touristen aus Asien, von überall her. Mein Blick wandert hin und her, um die Menschen zu spüren, die sich gegenseitig fotografieren und anlachen. Eine ganze Gruppe in der ländlichen Kleidung ihrer Heimat geht an mir vorbei. Sie sehen nach Indern aus. Die Frauen tragen lange, bunte Kleider, in Farben, die wir hier nicht sehen, warme Farben, orange, ein helles Blau. Farben, die aus der Natur stammen.

Der Anblick der Farben erinnert mich an einen Sommertag auf dem Land, an eine Sommerwiese mit vielfarbigen Blumen, an die Frau, die ich dort geküsst und begehrt habe, an ihre Haut, ihre Lippen, die sich geöffnet haben, an sie, die sich geöffnet hat. Unsere Küsse füllten unsere Münder aus und wir vergaßen, was um uns war. Erst als wir die Augen wieder aufmachten, bemerkten wir, wie schön das Meer der Blumen war. Vollendeter war kein Sommertag.

Heute ist ein heißer Sommertag wie damals, wenngleich es kein stiller Tag ist. Die indische Reisegruppe geht weiter, angeführt von einem Mann, der streng wirkt, auf sie einredet und sie antreibt, als wären sie Gefangene. Ich gehe zurück zur Einkaufsstraße, weg von den idyllischen Häusern des historischen Zentrums. Als ich an die Stelle komme, wo die Bettlerin sitzt, wende ich meinen Blick ab, gehe an ihr vorbei, um sie nicht anschauen zu müssen.

Ich will mich auf meine Aufgabe konzentrieren und denke an diejenigen, die mir die Augen geöffnet haben, höre die wohlklingende Stimme von A. in mir, der mir erklärte, dass Satan die Welt beherrsche und wie schön diese Welt wäre, wenn sie gereinigt sei. Wir Kinder des Lichtes atmeten anschließend freier und die Angst verschwände, das Gift für die Seelen. Nachdem er von Satan gesprochen hatte, begann ich, die Gesichter des Teufels auf den Straßen zu suchen und fand sie in den Blicken meiner Eltern, die aufblitzenden Augen, wenn sie davon sprachen, was sie sich unbedingt haben wollten, sei es ein Auto oder Schmuck. Der Satan war im Blick meines Vaters, der eines Abends sagte, er gehe mit Freunden etwas trinken, obwohl er mit einer anderen Frau ins Restaurant ging. Er saß da und lächelte die Fremde an, während meine Mutter ihm zu Hause die Unterhosen bügelte. Ich lief schnell an ihm vorbei. Für alle sichtbar hatte er einen Platz am Fenster gewählt. Die Frau mit ihren dunklen Haaren und dem harten Gesicht war nicht besonders hübsch. Mein Vater lachte und gestikulierte dennoch mit ihr. Am nächsten Tag war ich bei Anton und habe ihm von meinem Vater erzählt. Er hat mich an das Lachen Satans erinnert. Wir müssen die Welt reinigen, dem Satan entgegen treten. Ich hab verstanden, was Anton meint und werde handeln. Heute ist der richtige Tag.

Langsam nähere ich mich meinem Ziel, der geschäftigen Kleinmarkthalle. Wo man Gemüse, Obst, Fleisch und Fisch kaufen kann, die angefüllt ist mit Gerüchen. Ein französisches Maishühnchen, Fisch, der Tage zuvor glücklich im Ozean schwamm, habe ich mir dort erst vor ein paar Tagen geholt. An diesem frühen Nachmittag wird es nicht voll sein in der Halle. Mein Plan sieht vor, mir eine unbelebte Stelle auf der Empore zu suchen. In der Nähe der Fischstände. Ich suche mir eine geeignete Stelle, platziere meine Tasche und entsichere den Zünder. Wenn das erledigt ist, bleiben mir zehn Minuten, um die Halle zu verlassen.

Als ich reingehe, genieße ich den kühlen Luftzug der Klimaanlage nach der Hitze draußen. Ich rieche ein Gemisch aus Kräutern und süßem Obst, während ich an den ersten Ständen vorbei gehe und das aufgetürmte Obst betrachte. Die Erdbeeren sind ebenso rot und glänzend wie die Brombeeren und Himbeeren, als wären sie poliert. Ich stelle mir vor, Erdbeeren mit Sahne zu vermischen und mir in den Mund zu stopfen. Oder sie gleich ungewaschen zu vertilgen, wie ich es als Kind auf dem Feld gemacht habe. Von allem Obst kommen mir Erdbeeren am Eigentümlichsten vor. Jede Beere schmeckt anders. Am Aussehen lässt sich nicht beurteilen wie süß oder aromatisch eine Beere schmeckt. Die Überraschung beginnt im Mund. Manch unscheinbare Erdbeere schmeckt aromatisch und zuckersüß. Andere leuchten in tiefem Rot und schmecken nach Wasser.

Frauen und Männer in grünen Schürzen stehen hinter den Ständen. Ich beobachte eine kleine, alte Frau mit weißen Haaren und unsicherem, hinkendem Gang. Für einen Moment schaut sie mir direkt in die Augen und lächelt, häuft Äpfel auf und stapelt die Früchte. Wenige Leute kommen mir entgegen. Wie ich es erwartet habe. Pärchen sind dabei, die sich an den Händen halten. Ich stelle mir vor, wie sie zusammen Gemüse schneiden, kochen, mit Weingläsern anstoßen, sich anlächeln und glücklich sind. Romantische Gedanken im Halbdunkel.

Ich bleibe entschlossen und konzentriert. Ich muss nicht überlegen, jede Einzelheit ist durchdacht. Eine Treppe führt mitten in der Halle zur Empore. Dorthin führt mein Weg. Hochgehen, die Tasche ohne Zögern abstellen und die Halle verlassen. Ich gehe los und bin vorbereitet. Oben auf der Empore angelangt, schaue ich mir die Stände mit Fisch und Kaviar an. Kaum was los, die Verkäufer schauen gelangweilt ins Leere. Die Köstlichkeiten sind teuer, der Lohn eines ganzen Tages für das Prekariat. An einer Stelle finde ich eine Lücke zwischen aufgestapelten Kisten und Eimern. Die anderen Plätze sind unbrauchbar, weil dort überhaupt nichts steht und ein herumstehender Gegenstand auffiele. Ich beschließe die Tasche in die oberste der gestapelten Kisten zu legen. Die ausgewählte Lücke zwischen den Ständen befindet sich vor einem der letzten Fischbuden. Langsam nähere ich mich, vorsichtig schaue ich mich um, ob jemand sich hinter mir befindet. Eine Frau und ein Mann überholen mich. Ein junges Pärchen, das sich an den Händen hält, in beständigem Austausch von Worten, Gesten und Berührungen. Sie sind vor mir und stehen an einem Fischstand. Vielleicht feiern sie das Jubiläum ihres Kennenlernens. Sie sollten sich mit ihrem Einkauf beeilen.
Es riecht nach Fisch und Meer. Feuer wird den Geruch vertreiben. Hinter mir befindet sich eine ältere Frau, die sich ziellos umschaut. Ich bemerke sie, als ich nur noch wenige Meter von der Lücke mit den Kisten entfernt bin und mich an die Balustrade lehne, um auf den Moment zu warten, die Tasche abzustellen. Ich fühle mich unbeobachtet. Wenn ich fliehen muss, werde ich die Mütze überziehen, die ich mir zurechtgeschnitten habe. Meine Kleidung ist unauffällig. Jeans, schwarzes T-Shirt ohne Aufdruck. Mein Blick wandert von der Balustrade über die Stände im Erdgeschoss. Menschen. Manche mit gefüllten Tüten voller Obst und Gemüse. Andere schlendern ziellos und genießen die Kühle der Halle.

Ich bin entspannt, hellwach und absolut konzentriert. Was werden die Leute machen, wie werden sie sich bewegen, sobald sie den Brandsatz bemerken? Panik? Das Paket sieht wie ein sehr großer Kaugummi aus und wird ein Loch in den Boden reißen, wahrscheinlich die Balustrade beschädigen. Die Fische werden in der Luft tanzen und das Gemüse wird fliegen.

An die Menschen darf ich nicht denken, das Ziel zählt. Der Moment ist gekommen. Mit festen Schritten, ohne mich zu beeilen, gehe ich zu der Lücke zwischen den Ständen, wo die Kisten stehen und lege die Tasche in die oberste Kiste, als wäre sie mir zu schwer, als wollte ich sie nach meinen Einkäufen wieder abholen. Ich wende mich ab und gehe langsam und mit aller Gelassenheit, die ich aufbringen kann, zur Treppe. Auf der Treppe bleibe ich stehen und hole das Handy mit dem installierten Zeitzünder aus der Tasche. Ich brauche nur ein Signal senden und die Bombe ist aktiviert, programmiert von Brüdern. Das Handy habe ich von Anton. Ich drücke hastig auf den Knopf und sende das Signal.

Mir bleiben zehn Minuten. Bis dahin will ich auf der Zeil sein und mich in der Menge auflösen. Aus der Ferne werde ich Sirenen hören, Blaulicht sehen, den Knall der Bombe hören, Unruhe wird sich in der Stadt ausbreiten und ich werde weitergehen, einfach weitergehen. Ich bin kein Märtyrer und will nicht sterben, obwohl ich keine Angst vor dem Tod habe. Solange ich lebe, kann ich größere Aufgaben übernehmen, die Welt verändern. Es geht ohnehin nicht um mich, es geht um Würde und ein Leben im Einklang mit Gott. Es geht um Wahrheit in einer Welt, die von Geld und falscher Propaganda beherrscht wird. Sie lügen, wenn sie sagen, wir seien dumm, fanatisch und verblendet. Wir sind das Licht. Die Propheten, unter ihnen Jeus, sprachen vom Licht Gottes. Die Wahrheit muss durch die Dunkelheit hindurch sichtbar werden.

Schnell die Treppe hinab, ohne dass es nach einer Flucht aussieht. Einer, der es eilig hat. Dann passiert etwas, womit ich nicht gerechnet habe. An einem der Stände mit Blumen, nicht weit vom Ausgang, stehen Muriel und Hicham, meine Tante und mein Onkel. Sie riechen an Blumen und kichern wie Kinder. Ich muss eine Entscheidung treffen. Entweder gehe ich an ihnen vorbei, als hätte ich sie nicht gesehen und sie bleiben hier, wenn das Feuer und das Chaos ausbricht, oder ich versuche sie so schnell es geht, nach draußen zu locken. Meine Tante backt die besten Kuchen der Welt. Sie lieben Kinder, obwohl sie keine eigenen haben. Sie streiten nie, lächeln immer und sind wunderbar. Als Kind habe ich sie oft gesehen, in den vergangenen Jahren selten. Ich bin erwachsen und halte mich von der Familie fern. Ausgerechnet jetzt sehe ich sie hier, heute, in dieser Stunde. Die Zeit verrinnt. Ich muss sie ansprechen und wegbringen. Als ich bei ihnen ankomme, bemerken sie mich anfangs nicht. Dann wendet meine Tante ihren Kopf und sieht mich. Ihr Lachen zieht sich über das ganze Gesicht.

„Asik, Junge, bist du das wirklich? Wir haben dich lange nicht gesehen,“ sagt sie. Schulterklopfen und eine stumme Umarmung meines Onkels folgen. Ich versuche ruhig zu bleiben. Minuten verrinnen.
„Kommt ihr mit mir nach draußen ? Ich habe es eilig, draußen könnte ich noch eine Zigarette mit euch rauchen.“
„Du musst wirklich gleich los?“
„Lasst uns raus gehen, da können wir besser reden.“
„Ja, gleich. Du siehst gut aus“, sagt mein Onkel.

Er ist ein stämmiger, kleiner Mann. Wir gehen zusammen los. Es sind nur wenige Schritte bis zum Ausgang. Die beiden sind langsam und betrachten mich immer wieder. Wir kommen an dem Stand mit den Rindswürsten vorbei, vor dem eine lange Schlange Menschen ein heißes Stück Wurst ergattern will. Die Tür öffnet sich automatisch und die gleißende Helligkeit blendet uns, Hitze schlägt uns entgegen, stärker und spürbarer als vor dem Betreten der Halle. Ein paar Schritte vom Eingang entfernt, bleiben wir an einer Stelle stehen, die Schatten bietet. Meine Tante hat sich bei mir eingehakt und sich auf dem Weg an mich gedrückt.

Gleich wird es losgehen. Ich habe nicht auf die Uhr geschaut. Ich zünde mir die Zigarette an, meine Tante fragt mich, wie es mit dem Studium läuft. Da hören wir den Knall- Eine Scheibe zerbricht über der Stelle, an der wir stehen. Rauch spuckt heraus, grauer, dunkler Rauch. Meine Ohren dröhnen. Schrecken bricht aus. Tante Muriel zittert, klammert sich an mich und den Onkel. Menschen rennen schreiend aus der Halle. Onkel Hicham schaut mich an, fragend, mit starren Augen. Er nimmt seine Frau an der Hand und drängt von der Halle weg. Dicht hinter ihn folge ich. Meine Kehle schnürt sich zu. Angst. Beschleunigung. Alles wird schneller. Die Ruhe des Sommertags ist vorbei, wie ich es wollte, genau wie ich es wollte.

Immer mehr Menschen drängen aus der Halle. Wie ein Sturm. Sie treiben in alle Richtungen, weg von der Halle, weg von der Angst. Meine Zigarette ist längst auf den Boden gefallen. Wir gehen weiter, schneller. Ich weiß, dass ich mich verabschieden muss, obwohl ich Tante und Onkel nicht allein lassen will, auf deren Gesichtern die Furcht das Lächeln gelöscht hat.

Eine zweite Explosion folgt. Schreie. Leute, die an uns an uns vorbei rennen. In der Nähe höre ich Martinshörner. Ich drehe mich um und blicke zum Eingang der Halle zurück. Rauch. Verletzte. Einige wanken, werden gestützt. Genau kann ich es nicht sehen. Ich muss weg. Aus dem Fenster im Obergeschoss wurden Gegenstände herausgeschleudert. Fische darunter. Sie liegen neben Bruchstücken von Plastik und Holz. Die Bombe muss eine viel stärkere Wirkung entfaltet haben, als ich es vermutet habe. Ich bereue nichts, überhaupt nichts bereue ich. Die Fische flogen in den Himmel empor und liegen jetzt auf dem Asphalt, mit glänzendgrauen Schuppen, glitschigem Leib. Mein Werk gefällt mir, die Schreie gefallen mir.
Ich höre die leise Stimme Onkel Hichams: „Wir gehen weg von hier, mein Junge.“ Er sagt es ins Nichts. Ohne noch auf mich zu warten, nimmt er die Hand meiner Tante und geht los. Langsam und energisch. Er achtet nicht darauf, ob ich mitkomme. Mag sein, dass er mich vergessen hat. Ich folge ich ihnen. Wir begegnen. Menschen, die vom Geschehen weg eilen, anderen, die sich hin drängen. Mein Onkel wird schneller. Wie von alleine gehen meine Beine, wie in einem Traum. Der Römerplatz ist leergefegt.

„Wer mag das angerichtet haben? In der Halle war es so friedlich“, sagte Tante Muriel.
„Die Welt ist grausam. Hauptsache euch ist nichts passiert.“
Es klingt wie eine Lüge. Ich muss gehen, weg von ihnen, weg von dem Rauch, der hinter mir aufsteigt. Ich suche nach der Stelle, wo die junge Bettlerin war. Sie ist verschwunden.
Ich umarme Tante und Onkel und verabschiede mich. Auf meiner Wange bleibt eine Träne von Tante Muriel zurück.
„Ich muss gehen.“
Mein Blick geht nicht zurück.
 
A

aligaga

Gast
Sorry,

aber bei Geschwurbel wie diesem kommt nicht die Betroffenheit auf, die sich der Autor wohl gewünscht hat, als er sich an sein Schreibpult kauerte, sondern man fragt, sich, was ihn wohl dazu gebracht hat, uns mit einem narzisstischen Monolog wie diesem zu "beglücken".

Es wird uns - mit diversen, platten Versatzstückerln aus "arabischer Lührik" und Gottesgeschwafel verziert - ein feiger Attentäter vorgestellt, der einen auf "seht her, nur ich verstehe die Welt" macht und der doch glatt seine Verwandten und irgendein Frauenzimmer, das ihn an das eine erinnert, das sich je mit ihm eingelassen hat, vor seiner Tat gerettet sehen möchte.

Was für ein Schmarren!

Wer es fertigbringt, einen Markt voller Menschen in die Luft zu sprengen, denkt gar nichts, sondern ist ein Irrer, in dessen Hirn etwas herumschwappt, für das "Scheiße" ein noch viel zu freundliches Wort ist. Ihm den Quark anzudichten, in dem der Autor hier herumrührt, hat nichts mit Literatur zu tun, sondern ist allerunterste Stufe gedankenlosen, dümmlichen Betroffenheitskitsches.

Gewaltverherrlichender und Gewalt rechtfertigender Dreck wie dieser hat in einem Literaturforum nichts verloren. Weg mit ihm, bevor er uns insgesamt die Luft hier verpestet!

@Ali gibt normalerweise keine "Noten". Aber hier sieht er die Pflicht, auf die "grauenvoll"-Taste zu drücken.

aligaga
 

Isegrims

Mitglied
oha: was für eine Reaktion @aligaga

sie zeigt mir, dass der Text gerade das ist, was du so vehement verneinst, nämlich Literatur.
Dümmlich wäre es - um in deinen Worten zu bleiben - glaubte man all diese Attentäter, Hitler, Stalins, Kim-Yongs seien Monster. So zu denken, bleibt an der Oberfläche.

beste Grüße
Isegrims
 
A

aligaga

Gast
Spar dir dein Geschwurbel.

Kümmere dich lieber um die Tausende, die vor den von dir verherrlichten Monstern verzweifelt zu uns fliehen und die versuchen, am Leben zu bleiben. Das machte mehr Sinn als dein Gebrabbel.

Was alles du Großartig an Stalin, Hitler und Kim Jong Bumm findest, darfst du getrost für dich behalten. Da ist niemand scharf drauf, der selbständig denken kann.

Kopfschüttelnd

aligaga
 

Isegrims

Mitglied
nichts finde ich an denen, die ich gennannt habe, großartig, überhaupt nichts, auch meinen Protagonisten stelle ich nur dar, mehr nicht.

du vermengst zu sehr

Schwurbelmeisterlein
 
A

aligaga

Gast
Du schriebst:
Dümmlich wäre es - um in deinen Worten zu bleiben - glaubte man all diese Attentäter, Hitler, Stalins, Kim-Yongs seien Monster. So zu denken, bleibt an der Oberfläche.
Ali glaubt nicht, dass man in selbstgerechten Idioten wie dem von dir "dargestellten" oder in den Herren Stalin, Hitler oder Kim-Jong-Bumm etwas anderes entdecken könnte als kranke Monster.

Wenn du diesen Herrschaften etwas Gutes abgewinnen möchtest und ihnen gar öffentlich lobsingen willst, bist du hier fehl am Platz. Sowas gehört auf die Latrine.

Und bitte sorgfältig nachspülen!
 

DocSchneider

Foren-Redakteur
Teammitglied
Es ist die literarische Freiheit, sich in einen Attentäter hineinversetzen zu dürfen und darüber zu schreiben. Das Einzige, was mir missfällt, ist die Tatsache, dass sich der Täter nicht selbst in die Luft sprengt. Nach seinen inneren Gesprächen wäre das für mich logischer gewesen.

LG
DS
 
A

aligaga

Gast
Hier versucht jemand, einen feigen Mörder als sympathischen, empathischen, von "vernünftigen" Gründen geleiteten Menschen zu zeichnen, der voller Mitgefühl auf's Knöpfchen drückt, und bemüht dazu den Begriff "Literatur".

Dümmer geht's nümmer. Als nächstes wird wohl gedichtet, wie "anständig" jene dachten, die in Kaunas die jüdische Bevölkerung viehisch mit Knüppeln totgeschlagen haben?

Du hättest gern, @doc, dass sich der feine Herr auch selbst noch in die Luft gesprengt hätte? Würde das diese Hymne auf den "gerechtfertigten" Mord bessern? Ali findet nicht. An der Perversion der Darstellung änderte das nichts.

Geistige Tollwut zu beschönigen hält @ali nicht für "Literatur", sondern für Beihilfe zum Völkermord. Sowas gehört hier nicht hierher; das verletzt jeden zutiefst, der entweder selbst oder dessen Angehörige durch solche Wahnsinnigen zu Schaden gekommen sind.

Fröstelnd

aligaga
 

Isegrims

Mitglied
@aligaga

tut mir leid, ich habe mit dem Text nichts verherrlicht, sondern das gemacht, was Literatur kann: sich in Menschen hineinversetzen...
du findest das politisch nicht korrekt, mag sein, dass es das nicht ist, aber stell dir die seichte Welt vor, die sich alles einfach macht... wozu führt das? zum Straftatbestand : Literaturbeleidigung?
Verwechsel bitte nicht die Meinung des Autors mit der des Protagonisten, die Geschichte zeigt auf, entlarvt und versucht nicht nur die Oberfläche zu berühren.
Mag sein, dass das verstörend wirkt, zeigt mir eher, dass es eine gute und eben keine unterdurchschnittliche Geschichte ist, egal wie sie ein Bewerter aus einer Emotion heraus bewertet, auf die sprachliche Qualität bist du ja nicht eingegangen...

Was ist mit der Flut an grausligen, dümmlichen Krimis? Die werden gelesen, weil die Mörder Irre sind, aber können wir jeden als Irren abstempeln, der eine schreckliche Tat begeht?

Und noch was: denk mal an die RAF-Terroristen, die heute in Talk-Shows rumhängen und von den 68ern und ihren Jüngern angehimmelt werden, an Che Guevara und all die? Darf man über die und ihre Beweggründe etwa nicht schreiben?

So long
Isegrims
 
A

aligaga

Gast
Ein Terrorist, der auf einem Markt einer Mutti, die ihren Kindern gerade ein Würstchen kaufen möchte, den Kopf absprengt und deren Kindern die kleinen Bäuche zerfetzt, hat keine "Beweggründe", sondern ein krankes Hirn. Er ist nichts als ein tollwütiger Hund, der mit jedem, aber auch wirklich jedem Mittel unschädlich zu machen ist, so schnell und so endgültig es nur irgend geht.

@Ali hält Geschreibsel wie das deine für unerträglich. "Literatur" soll das sein? Es ist eine Schande für dieses Forum.
 

Isegrims

Mitglied
Hallo DocSchneider

mag sein, dass es irgendwie folgerichtiger gewesen wäre, hätte sich der Attentäter in die Luft gesprengt, wäre aber die einfache Lösung, das, was der Leser erwartet und ich hätte etwas mehr Textvolumen gebraucht, um die Jenseitserwartungen zu beschreiben... f+r den Text fand ich ein offenes Ende passender...

viele Grüße
Isegrims

@aligaga

ich hab's kapiert, der Attentäter muss wie ein Hund erschossen werden (seit wann werden Hunde erschossen?) und noch viel wichtiger: der Autor gleich mit, saubere Lösung, gell?
Argumente werden einfach beiseite gewischt... schade, dass kein Diskurs stattfindet, ist jetzt aber das letzte, was ich zu deinen Tiraden sage.

bye
 

Wipfel

Mitglied
Ganz ohne Polemik: man wird mir allzu große Nähe zu aligaga nicht nachsagen können, doch was an seinem letzten Kommentar ist Genörgel? Doc, da verstehe ich dich nicht.

Der Autor trägt Verantwortung für sein Werk. Nicht neu. Und damit muss er mit Kritik rechnen. Erst recht bei solch einem Text.

Wir haben es hier mit einem Protagonisten zu tun, der zum Massenmörder wird. Die Erzählperspektive ist die eines Ich-Erzählers. Dadurch rückt der Autor noch näher an den Prot. Ist das legitim? Ist es legitim aus der Ich-Perspektive eines Breivik zu schreiben? Eines Rudolf Höß (Lagerkommandant von Auschwitz), eines Adolf Hitler? Niemals käme ich nur auf den Gedanken. Nein, nein und nochmals ein klares nein von mir. Selbst wenn es eine fiktive Geschichte ist, geht mir das entschieden zu weit. Geschmacklos.

Zur sprachlichen Qualität brauch ich nicht viel zu sagen. Sätze wie
Der Sommertag brennt. Hitze hat sich dunstig über die Stadt gelegt. Ein Strom aus Menschen fließt durch die die Einkaufsstraße wie eine gierige, bunte Herde.
sprechen für sich selbst. Ich finde es durchaus nicht gelungen schon im zweiten Satz die Information des ersten wiederzukäuen. Denn wenn ein Sommertag brennt, was sonst soll sich über die Stadt legen? Und natürlich auch noch dunstig. Dann kommt der abgelutschte Vergleich des Menschenstromes. Und vergleichende Bilder sollten stimmen: Eine Herde ist bunt? Und gierig? Eher kommt eine Herde einfarbig daher. Gierig? Du wolltest schon hier eine Wertung haben. Die anderen sind alle blöd, und deshalb habe ich das Recht die wegzubomben.

Nicht gut. Grüße von wipfel

Und wenn das auch Nörgelei ist, dann sei es drum.
 

FrankK

Mitglied
Ich finde den Text - erstmal - interessant.
Ein Versuch, in die abstrakten denkweisen Anderer einzutauchen. Es ist für uns viel zu Unvorstellbar, ob da überhaupt eine konkrete, reale Überzeugung und nicht nur Wahnsinn dahinterstehen.

Den Glauben mit Feuer und Schwert verbreiten - Ungläubige missionieren - Dekadenz ausmerzen.
Das hatten auch unsere "zivilisierten" christlichen Völker schon einmal auf ihren Fahnen. Klar, durch die Technisierung ist heute alles viel fortschrittlicher und effektiver.
Hätten die Kreuzritter (wieso werden die eigentlich Ritter und nicht Terroristen genannt?) der damaligen Zeit MGs und Sprengsätze mit Zeitzünder zur Verfügung gehabt - sie hätten es eingesetzt.


Als nächstes finde ich den Text - mutig.
Er setzt sich mit einem geächteten Thema auseinander. Dem Glauben und der Überzeugung Andersgläubiger.
Der Mann, von dem uns hier berichtet wird, fühlt sich im Recht. Aus seiner Perspektive. Hier wird uns mal die andere Perspektive gezeigt. Nicht immer diese Pauschalnummer "Diese Terroristen / Selbstmordattentäter sind doch alle krank im Hirn."
Das ist immer so einfach beurteilt - zu einfach beurteilt.
Darüber hinaus: Der Verfasser setzt sich hier der Gefahr aus, als "Sympatisant" abgestempelt zu werden. Dessen ist er sich sicherlich bewusst - auch in der hinsicht ist es mutig.


Handwerklich finde ich den Text - gut gemacht.
Ein paar Erbsen, die mir aufgefallen sind, aber ansonsten ein stringenter Erzählfluss, eine überzeugende Charakterdarstellung und ein glaubhaftes Szenarium.


Soweit erst einmal meine Meinung.


Aufmunternde Grüße aus Westfalen
Frank
 

Isegrims

Mitglied
Hallo Wipfel

vielen Dank für die Zeit und die Kritik.
Geschmacklos, mm, ich respektiere deine Haltung, teile sie aber naturgemäß nicht...
und zu deinen Einlassungen bezüglich der sprachlichen Qualität... bedenk dabei bitte, um welche Erzählperspektive es sich handelt, hier spricht ein äußerst unzuverlässiger Erzähler, narzistisch und aus seiner eigenen Welt ... da brennt die Sonne nicht nur, er muss sich das Szenario regelrecht einbläuen... Wiederholungen und Klischees sind insofern (für ihn) notwendig...

viele Grüße
Isegrims
 

Wipfel

Mitglied
Handwerklich gut gemacht?

Ich sehe die tiefe Leere in den gierigen Augen.
Jeder Lektor würde diesen Satz streichen. Gierig hatten wir schon. Und wie sieht eine tiefe Leere aus? Leere kann man nicht vertiefen. Aber weiter will ich mich gar nicht damit beschäftigen - wegen Nörgeleigefahr.

Und zuletzt: der Autor schiebt die sprachlichen Mängel dem Prot. in die Schuhe?
 

Isegrims

Mitglied
@Wipfel

von Puschkin gibt es ein berühmtes Gedicht, da schreibt er aus einer Gefängniszelle blickend: ich schaue in den leeren Himmel.
was sagt der "Lektor" wohl dazu?

viele Grüße
Isegrims
 

Wipfel

Mitglied
...der würde sagen: Puschkin macht den Unterschied. Merkst du das nicht? Ein Himmel ist zu beschreiben, da er sich ständig austauscht. Leere tut das nicht.
 

FrankK

Mitglied
Ja Wipfel, für meinen Geschmack handwerklich gut gemacht - ich sagte aber auch - abgesehen von ein paar Erbsen.
Zum "sehr gut" gemacht fehlt halt ein wenig - unter anderem die von Dir bemängelten Stellen. Aber Du musst doch zugeben - das sind nur ein paar Erbsen ...


Abendliche Grüße
Frank
 

Isegrims

Mitglied
gibt einen Unterscheid wipfel, ich will das nicht allzu sehr verteidigen, die Stelle lässt sich problemlos ändern ... ich danke dir für den Hinweis... ich wollte den Unterschied zwischen Leere und Tiefe als Gegensatz aufbauen, ist wohl nicht gelungen...
 



 
Oben Unten