Das Spiel der Zeit
Salute, Agiulf
Schön, im Modus Antiquitätenliebhaber, Schlaubischlumpf und Erklärbär ein wenig zu disputieren.
(1) Der antikisierende, barocke Sprachmodus: Parodie, Vanitas Mundi, „Einfalt“
Mir scheint, dass es durchaus durch Tradition geheiligte Mittel gibt, im Gryphius-Modus zu texten. Da ist einmal die postmoderne, oft augenzwinkernde, aber immer noch recht verehrungsvolle Arbeit mit der Sprache der Altvorderen, das hat DoSchneider mit seinem Verweis auf Rühmkorf avisiert. Oder eben auch – ohne parodistisch, veralbernde Stilzüge – der ehrende Parodos, hier in der Form der Hommage.
Die Gryphiusnichtigkeit verweist auf den Begriff „Vanitas mundi“. Der Begriff hat zwar auch philosophische Konnotationen, in erster Linie ist er jedoch einer christlichen Theologie bzw. Spiritualität zuzuordnen, die die Welt im Vergleich zu Gott als nichtig betrachtet. Schriftgrundlage ist vor allem Koh. 1, 2. Entfaltet wird der Begriff bei den Kirchenvätern, zu Übertreibungen kommt es im Zusammenhang mit dem vor allem mönchisch-mittelalterlichen Thema der Weltverachtung, zu eigenen Akzenten findet das spanische 16. Jh. und das französische 17. Jh.
Nun ist dies durchaus zu bedenken, wenn man im Textspiel den Begriff der „Einfalt“ verwendet und dabei das Lexem des Prätextes im Subtext mitnimmt. Da ist zunächst allerdings ein wenig zu deuteln, wie das Lexem „Einfalt“ verstanden werden kann:
leichte Beschränktheit des Geistes (vgl: DWDS):
BEISPIELE:
in ihrer Einfalt konnte sie dem Gespräch nicht ganz folgen
seine Einfalt wurde belächelt
2.
gehoben einfache, reine Beschaffenheit des Gemütes, Schlichtheit
BEISPIELE:
die Einfalt eines Kindes, des Herzens
kindliche, reine, fromme, begnadete Einfalt
Und was kein Verstand der Verständigen sieht, / Das übet in Einfalt ein kindlich Gemüt [SCHILLERWorte des Glaubens]
So viel Einfalt bei so viel Verstand [GOETHEWerther6,147]
Das ... Kennzeichen der griechischen Meisterstücke ist endlich eine edle Einfalt und eine stille Größe [WINCKELM.1,31]
Die Lesart „Naivität“ liegt in einem antikisierenden Text durchaus nahe. Natürlich wird sie in Deinem Text schnell abgedrängt.
Allerdings bleibt doch sehr zu fragen, ob es nun wirklich dumm ist, die wechselnden Spielformen soziokulturellen Gepräges zu verachten. Was soll es, einen Dauer- und Ewigkeitsmaßstab anzulegen und dann eventuell auf das zu verzichten, was im irdischen Leben durchaus Genuss verspricht. Und selbst im religiösen Horizont durchaus als göttliche Einrichtung und damit keineswegs als verdammenswertes Ablenkungs- und Teufelswerk verstanden werden muss:
Die Kirchenväter entfalten die biblische „Vanitas Mundi“ . in zwei Richtungen; sie relativieren sie gegenüber der Gnosis und dem Manichäismus und betonen den Sinn und die gute Ordnung der Schöpfung. Andererseits - das ist die geläufige Strömung - radikalisieren sie die „Vanitas Mudi“ , indem sie die Sünde als ihre eigentliche Ursache benennen (Augustinus).
Dem ersten Anliegen entspricht die Vermeidung einer kosmologisch-universalen Auslegung der einschlägigen Bibelstellen. So nennt HIERONYMUS zwar als Ziel des Kohelet den «contemptus mundi», schwächt diese Aussage aber sofort durch die Erklärung ab, die Welt sei nicht an und für sich nichtig, sondern nur im Vergleich mit Gott [Comm. in Eccl., praef. 2. CCSL 72, 252f.]. PROKOP VON GAZA hält es sogar für «blasphemisch», unter dem ‘alles? von Koh. 1, 2 «den Himmel, die Erde, das Meer und diesen Kosmos» zu verstehen; denn «die Werke Gottes können nicht nichtig, sondern nur zuverlässig sein» [Cat. in Eccl. I, 2. CCSG 4, 70, 58.].
(2) Eine Textstelle im Detail: Syntax und Metaphorik in "Soll denn das Spiel der Zeit/ der leichte Mensch bestehn?"
Betrachten wir das Gedicht, analysieren wir dann die zehnte Zeile.
Du sihst/ wohin du sihst nur Eitelkeit auff Erden.
Was dieser heute baut/ reist jener morgen ein:
Wo itzund Städte stehn/ wird eine Wiesen seyn/
Auff der ein Schäfers-Kind wird spielen mit den Herden.
Was itzund prächtig blüht/ sol bald zutretten werden.
Was itzt so pocht vnd trotzt ist morgen Asch vnd Bein/
Nichts ist/ das ewig sey/ kein Ertz/ kein Marmorstein.
Itzt lacht das Glück vns an/ bald donnern die Beschwerden.
Der hohen Thaten Ruhm muß wie ein Traum vergehn.
[blue]Soll denn das Spiel der Zeit/ der leichte Mensch bestehn?[/blue]
Ach! was ist alles diß/ was wir vor köstlich achten/
Als schlechte Nichtigkeit/ als Schatten/ Staub vnd Wind;
Als eine Wiesen-Blum/ die man nicht wider find’t.
Noch wil was ewig ist/ kein einig Mensch betrachten!
In der zehnten Zeile fällt die Erststellung des finiten Verbs "Soll" und eine bildliche Wendung/Metapher auf: „Soll denn das Spiel der Zeit/ der leichte Mensch bestehn?"
Hier finden wir grammatisch gesehen einen Fragesatz, der mit "ja" oder "nein" beantwortet werden kann. Doch wird - der Kontext legt es nahe - in unserm Fall keine Antwort erwartet. Der Partikel "denn" setzt nämlich eine negative Antwort voraus (man vergleiche solche Formulierungen wie „Soll ich denn x tun?") Nein, der Mensch - so die latente Ausssage der rhetorischen Frage - kann nicht „bestehn".
Die Begründung für diese Negation steckt wohl in dem metaphernhaltigen Teil, also dort, wo kontextfremde, ungewöhnlich gebrauchte Ausdrücke - wie „Spiel" und „leicht" - die „Zeit" und den „Menschen" charakterisieren. Löst man die rhetorische Frage zu einer Aussage auf, so ergeben sich für unseren Satz zwei Lesarten:
a) Das Spiel der Zeit kann der leichte Mensch nicht bestehn.
b) Das Spiel der Zeit, der leichte Mensch, kann nicht bestehn.
Die Variante (a) hat - leicht ungebräuchlich - das Akkusativobjekt in Spitzenstellung, so dass eine mechanische, schnelle Wahrnehmung erschwert wird, ein minimaler Verrätselungseffekt entsteht. Dann „dechiffriert" man den Satz: er bedeutet, der Mensch kann die Zeit nicht „bestehen", so wie man eine Prüfung nicht „besteht". Gut möglich, dass hier die ungewöhnliche Spitzenstellung des Akkusativobjektes eine Vorrangstellung der Zeit vor dem Menschen konnotiert/assoziieren lässt.
In Variante (b) ist der „leichte Mensch" ein „Spiel der Zeit", es liegt also grammatisch gesehen eine Art Apposition vor. Das Verbum „bestehen" ist dann im Sinn von „weiter existieren", „überstehen" gebraucht. Und der Mensch ist dann ein „Spiel", - wohl soviel wie ein „Spielobjekt" der Zeit.
Diese Variante (b) wird von modernen Herausgebern des Gedichtes recht oft bevorzugt, sie setzen mittels Kommata die Phrase „der leichte Mensch“ in eine lose Stellung und nehmen sie aus der Valenz des Verbs „etwas bestehen“, so dass das Verb selber die Bedeutung von „auf lange Zeit bestehen“ signalisiert.
Für diese Lesart spricht einiges:
Zunächst einmal die Zäsur nach der dritten Hebung: Sie kann natürlich einen Satz ohne weiteres auch unter erschwerten Umständen zerschneiden. Immerhin bleibt doch ungewöhnlich, dass ein Akkusativobjekt von einem Subjekt gefolgt wird und vor dem Subjekt die Sinnpause eingebaut wird. Dann: In früheren Ausgaben des Gedichtes findet sich eine andere Wendung im Fokus der Spielmetapher.
Vanitas; Vanitatum; et Omnia Vanitas
Es ist alles gãtz eytel. Eccl. 1. V. 2. (Prediger 1,2)
Ich seh' wohin ich seh/ nur Eitelkeit auff Erden/
Was dieser heute bawt/ reist jener morgen ein/
Wo jtzt die Städte stehn so herrlich/ hoch vnd fein/
Da wird in kurtzem gehn ein Hirt mit seinen Herden:
Was jtzt so prächtig blüht/ wird bald zutretten werden:
Der jtzt so pocht vnd trotzt/ läst vbrig Asch vnd Bein/
Nichts ist/ daß auff der Welt könt vnvergänglich seyn/
Jtzt scheint des Glückes Sonn/ bald donnerts mit beschwerden.
Der Thaten Herrligkeit muß wie ein Traum vergehn:
[blue]Solt denn die Wasserblaß/ der leichte Mensch bestehn [/blue]
Ach! was ist alles diß/ was wir vor köstlich achten!
Alß schlechte Nichtigkeit? als hew/ staub/ asch vnnd wind?
Als eine Wiesenblum/ die man nicht widerfind.
Noch wil/ was ewig ist/ kein einig Mensch betrachten!
Erstdruck 1637, ANDREAE GRYPHII, Sonnete Auf der letzten Seite: Gedruckt zur Polnischen Lissa durch Wigandum Funck
In dem Frame „Wasserblase“ ist es eher schwierig, die leicht platzende Wasserblase und ihre Schwäche als Akkusativobjekt des Verbs bestehen zu interpretieren. Wahrscheinlicher ist es, die Metapher als Modell des ohnmächtigen Menschen zu verstehen. Das dürfte dann auch dafür sprechen, die spätere Fassung, die auf die „Wasserblase“ verzichtet, an dieser Stelle appositiv zu lesen.
Schließlich sei noch zweierlei zu der Lesart (b) angemerkt: Gryphius selbst hat in einem „Schachspielsonett“ recht eindeutig die Metapher „Der Mensch ist ein Spiel der Zeit“ konstruiert und so dem Menschen die Rolle einer ohnmächtigen Spielfigur und der Zeit die Rolle des mächtigen Spielers zugeordnet.
Ebenbild unseres Lebens
Auff das gewöhnliche Königs-Spiel
[blue]DEr Mensch das Spil der Zei[/blue]t / spilt weil er allhie lebt.
Im Schau-Platz diser Welt; er sitzt / und doch nicht feste.
Der steigt und jener fällt / der suchte der Paläste /
Vnd der ein schlechtes Dach / der herrscht und jener webt.
Was gestern war ist hin / was itzt das Glück erhebt;
Wird morgen untergehn / die vorhin grüne Aeste
Sind numehr dürr und todt / wir Armen sind nur Gäste
Ob den ein scharffes Schwerdt an zarter Seide schwebt.
Wir sind zwar gleich am Fleisch / doch nicht von gleichem Stande
Der trägt ein Purpur-Kleid / und jener grabt im Sande /
Biß nach entraubtem Schmuck / der Tod uns gleiche macht.
Spilt denn diß ernste Spil: weil es die Zeit noch leidet /
Vnd lernt: daß wenn man von Pancket des Lebens scheidet:
Kron / Weißheit / Stärck und Gut / bleib ein geborgter Pracht.
Außerdem, und damit komme ich zum Schluss, scheint die „Wendung“ zum barocken Phrasenschatz zu gehören. Lohenstein verwendet sie in seinem Vorwort zum Drama „Sophonisbe“:
Kein Zevxes kan nicht nach der Raupe Rücken mahlen.
Beschämt ein Kefer doch der Edelsteine Licht;
Wiewol auch diese spieln mit Blitz und Sonnen-Strahlen.
Kurtz: die Natur hat nie nichts an das Licht gebracht /
Sie hat mit selbigem ihr auch ein Spiel gemacht.
Der wilden Thiere Thun ist nichts nicht als ein Spiel;
Der Wallfisch lässet sich das Meerschwein nicht beschämen /
Er spielt / wie dieses stets mit Menschen spielen wil.
Was pflegt für Spiel nicht Aff und Eichhorn fürzunehmen?
Der Elefant hats Spiel so wol als Gemsen lieb;
Der Bien und Ameis Müh ist nur ihr Zeit-Vertrieb.
[blue]Für allen aber ist der Mensch ein Spiel der Zeit.[/blue]
Das Glücke spielt mit ihm / und er mit allen Sachen.
So bald der Himmel uns das Tagelicht verleiht /
Pflegt Amm und Mutter ihr aus ihm ein Spiel zu machen.
Genug des Exkurses und der Abschweifung in Gelehrsamkeit:
Das Lexem „Spiel" im aktuellen Gryphiustext ist in beiden Varianten oder Lesarten nicht an die Aktivität eines menschlichen Spielers gebunden. Die Zeit spielt vielmehr mit dem Menschen, indem sie ihn und seine Werke dem Wandel und der Auflösung unterwirft. Der „leichte" Mensch ist also - auch wenn er sich situationsmächtig vorkommt - kein "Spieler", sondern eher ein „Spielball".
Das Attribut „leicht" erinnert an Wendungen der Art "leicht wie eine Feder im Wind". Somit ist in unserer aktuellen Passage der „leichte Mensch" - nicht ernst zu nehmen oder „gewichtig", kein „Schwergewicht“ - fast ohnmächtig „den Naturgewalten ausgeliefert". Die Gewalt der Zeit - so die latente Aussage unseres Textes - dominiert über den Menschen und seine Kräfte.
Wohl nicht in der Ewigkeit, in der ja die Zeit „aufgehoben" ist.
Und so fragt sich durchaus, ob man bei einer Gryphius-Hommage nicht trotzdem die wohl naheliegende Appositionsform bei Gryphius beachten könnte/sollte. Das ist eine besondere Art philologischer Liebe und Verehrung für den barocken Poeten, scheint mir. Und vielleicht auf die syntaktische Kompliziertheit mit Subjekt und Objekt mit Behutsamkeit reagiert:
Des hohen Ehrgeiz´ Ziel muss luftschlossgleich zerwehn.
Soll denn das game of life der Unedling bestehn?
Herrgott! Was ist bloß dies, was wir als Höchstes achten,
(3) Bonustrack: Der alte Goethe jung
Altmeister Goethe hat in jungen Jahren die hedonistische Komponente des „Vanitas-Feldes“ und des Vanitas-Skriptes in einer vielleicht durchaus erfrischenden Art behandelt. Sicher auch in der Tradition der barocken hedonistischen Liedkultur. Hier sei Goethe in voller Hedonismus-Montur zitiert, die Zulage „Verzweiflung“ ist nicht zu übersehen und überhören:
Vanitas!
Vanitatum vanitas!
Ich hab' mein Sach' auf Nichts gestellt,
Juchhe!
Drum ist's so wohl mir in der Welt.
Juchhe!
Und wer will mein Kamerade sein,
Der stoße mit an, der stimme mit ein,
Bei dieser Neige Wein!
Ich stellt' mein Sach' auf Geld und Gut.
Juchhe!
Darüber verlor ich Freud' und Mut.
O weh!
Die Münze rollte hier und dort,
Und hascht' ich sie an einem Ort,
Am andern war sie fort.
Auf Weiber stellt' ich nun mein' Sach'.
Juchhe!
Daher mir kam viel Ungemach.
O weh!
Die Falsche sucht' sich ein ander Teil,
Die Treue macht' mir Langeweil;
Die Beste war nicht feil.
Ich stellt' mein Sach' auf Reis' und Fahrt.
Juchhe!
Und ließ meine Vaterlandesart.
O weh!
Und mir behagt' es nirgends recht;
Die Kost war fremd, das Bett war schlecht,
Niemand verstand mich recht.
Ich stellt' mein' Sach' auf Ruhm und Ehr'.
Juchhe!
Und sieh! gleich hatt' ein andrer mehr.
O weh!
Wie ich mich hatt' hervorgetan,
Da sahen die Leute scheel mich an,
Hatte keinem recht getan.
Ich setzt' mein Sach' auf Kampf und Krieg.
Juchhe!
Und uns gelang so mancher Sieg.
Juchhe!
Wir zogen in Feindes Land hinein,
Dem Freunde sollt's nicht viel besser sein,
Und ich verlor ein Bein.
Nun hab' ich mein Sach' auf Nichts gestellt.
Juchhe!
Und mein gehört die ganze Welt.
Juchhe!
Zu Ende geht nun Sang und Schmaus.
Nur trinkt mir alle Neigen aus;
Die letzte muß heraus!
greetse
willi wamser