Hora

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Isa

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Ein weiterer Tag voller Lieblosigkeit. Schon der Blick in den Spiegel am Morgen hatte sie davon überzeugt, dass dieser Tag genauso trostlos werden würde, wie die unzähligen zuvor.
Auf dem Weg zur Arbeit hatte es die ganze Zeit geregnet und der Himmel war von grauen Wolken übervölkert gewesen, dass sie kein baldiges Ende für das unaufhörliche Niederprasseln des Regens erwarten konnte. Der Arbeitstag war eintönig verlaufen. Erst einige Telefonate, dann die übliche Schreibtischarbeit. Es war nichts Aufregendes mehr und ihre anfängliche Begeisterung für ihre Arbeit hatte sich bereits in schlichte monotone Abläufe umgewandelt. Nach der Mittagspause, welche sie in der düsteren Kantine mit einigen Kollegen verbracht hatte, war sie wieder an ihren Schreibtisch zurückgekehrt. Nach Feierabend hatte sie die Firma fluchtartig verlassen und nun saß sie gelangweilt in einem Sessel in ihrer Wohnung und starrte zum Fenster hinaus.
Der Regen war wegen der aufziehenden Dunkelheit kaum noch zu erkennen, doch das kräftige Trommeln gegen die Fensterscheibe ließ sie ihn nicht vergessen. Sie stand auf und schaltete das Licht an, setzte sich wieder hin und lauschte wieder dem prasselnden Regen. Die Gedanken schweifen lassen und möglichst nicht an den nächsten Tag denken. Sie hatte genug von der Eintönigkeit und hoffte verzweifelt auf eine Veränderung, brachte jedoch nicht die Kraft dazu auf, diese selbst zu bewirken.
Mit einem Mal zuckte ein greller Blitz am Himmel und die ganze Stadt war mit einem Schlag in Dunkelheit versunken. Ebenso ihre Wohnung. Sie seufzte, ein Stromausfall hatte gerade noch zu ihrem Glück gefehlt. Als sie sich aufrichtete, stieß sie mit ihrem Knie gegen die Kante des Sofatisches. Ein stechender Schmerz jagte von ihrem Knie hinauf in ihren gesamten Oberschenkel und ihr entschlüpfte ein leiser Fluch entschlüpfte. Sie rieb sich das Knie, testete, ob sie den Schmerz soweit ignorieren konnte und stand dann vorsichtig auf, um sich dann einen Weg in die Küche zu tasten.
Dort suchte sie nach Kerzen, durchwühlte ihre Schubladen und tastete jeden Gegenstand ab. Sie mühte sich etliche Minuten ab, ging einige Schubladen sogar mehrmals durch. Eine Kerze war jedoch nicht zu finden, auch kein Feuerzeug oder Streichholz und sie wusste, sie würde sich einen Weg in den Keller suchen müssen. Der Gedanke in der Dunkelheit warten zu müssen, machte ihr Angst. Eine alte Angst, die sich schnell in Panik verwandelte, wenn sie nur eine Sekunde die Kontrolle über sich verlor. Sie seufzte und erschrak selbst ein bisschen vor diesem Geräusch. Dann tastete sie sich langsam vorwärts, und hoffte im Keller den ersehnten, lichtbringenden Gegenstand zu finden.

Irgendwie erreichte sie den Keller. Im ganzen Haus herrschte Totenstille und machte die Finsternis noch schwerer zu ertragen. Von den anderen Bewohnern des Hauses hatte sie nichts gehört, selbst als sie bei ihrer Nachbarin mit der Faust gegen die Tür gehämmert hatte. Aber wahrscheinlich war diese gar nicht daheim, denn ihre Nachbarin arbeitete, soweit ihr bekannt war, in einem Restaurant. Bei den anderen hatte sie es gar nicht erst versucht, denn sie hatte kein gutes Verhältnis zu ihnen. Sie liebte die Ruhe über alles und war froh, wenn sie nach ihrer Arbeit einfach ihre Seele baumeln lassen konnte, ihre Nachbarn jedoch waren, trotz der höflichen Bitten ihrerseits ruhiger zu sein, immer sehr laut, was schon zu etlichen Streitereien geführt hatte und man sich mittlerweile nicht einmal mehr grüßte, wenn man sich im Treppenhaus begegnete.
Sie fand die Kellertür und öffnete sie. Sie schloss die Tür nie ab, da sie nichts Wertvolles in ihrem Kellerraum lagerte und wenn sich dennoch jemand an ihrem Schrott vergriff, war ihr das nur recht. Ihre Hand tastete nach dem Lichtschalter, vielleicht war der Strom mittlerweile verfügbar und ihre Suche im Finstern völlig umsonst. Doch das Klicken des Lichtschalters brachte nicht die ersehnte Helligkeit und sie machte sich daran Kerzen zu suchen.
Sie wusste genau in welcher Kiste sie danach kramen musste und diese stand zu ihrem Glück an erster Stelle. Das Rascheln der Strohengel und das Klimpern der Christbaumkugeln beruhigte sie ein Stückchen und sie war ihren Eltern für einen Augenblick dankbar, denn auf Grund der langen Tradition in ihrer Familie hielt sie echte Kerzen am Christbaum immer noch für ein wichtiges Stück der weihnachtlichen Tradition. Und da war sie auch schon, die schmale Packung der Christbaumkerzen. Erleichtert drückte sie sie sich an die Brust und sog den süßlichen Duft der Kerzen ein. Dann stand sie auf, schloss die Kellertür hinter sich und begann mit dem Aufstieg in ihre Wohnung. Sie hatte weder Streichhölzer noch ein Feuerzeug gefunden, doch sobald sie in ihrer Wohnung war, konnte sie die Kerzen an ihrem Gasherd anzünden und ihre angespannten Nerven durch das Kerzenlicht beruhigen.
Als sie den ersten Stock überwunden hatte, hörte sie Schritte hinter sich. Sie deckten sich fast mit den ihren, aber sie war sich sicher, dass jemand hinter ihr herging. Sie blieb stehen und auch die Schritte verstummten. Vielleicht hatte sie sich geirrt, doch begann Panik in ihr hochzusteigen, welche sie sogleich zu unterdrücken versuchte. Es waren nur noch zwei Stockwerke bis zu ihrer Wohnung, dann wäre sie in Sicherheit. Nun hatte sie es schon so weit geschafft, da durfte sie jetzt nicht nachlassen. Sie atmete kräftig ein und aus und setzte ihren Weg fort, darauf bedacht, so leise wie möglich zu gehen, um zu hören, ob sie sich ihren Verfolger nur eingebildet hatte.
Sie hatte den zweiten Stock beinahe erreicht, als sie wieder Schritte vernahm. Diesmal waren sie deutlicher zu hören und ihr lief es kalt den Rücken hinunter, denn sie spürte jemanden hinter sich, selbst wenn sie in der Dunkelheit nichts sehen konnte. Der Drang sich umzudrehen wurde immer stärker, doch die Vernunft in ihr schrie auf. Sie durfte sich jetzt nicht umdrehen, denn sonst hatte sie den Kampf gegen die Panik verloren. Kurz nahm sie ihre Hand vom Treppengeländer und wischte sich den Schweiß an ihrer Hose ab. Dann setzte sie die zitternde Hand wieder auf das Geländer und machte einen erneuten Versucht, ihre Wohnung zu erreichen.
Endlich der zweite Stock. Nur noch ein Stockwerk und sie wäre in ihrer Wohnung. Die Schritte waren nun ihre ständigen Begleiter, doch sie versuchte sie zu ignorieren und hoffte, dass sie dadurch so plötzlich verschwinden würden, wie sie aufgetaucht waren. Mit einem Mal spürte sie eine Bewegung hinter sich und wusste, das etwas nach ihr griff. Ihre Nackenhaare richteten sich auf und sie drehte sich um. Sie sah nichts, außer der erschreckend dichten Dunkelheit. Wie konnte etwas Finsteres noch dunkler erscheinen, als es ohnehin schon war?
Und nun hatte die Panik gesiegt. Sie drehte sich um, und war sich sicher, dass sie nun von vielen düsteren Gestalten umgeben war, die nur darauf warteten, sie mit sich zu reißen. Ihre rechte Hand umklammerte die Packung der Christbaumkerzen und sie stürzte die Treppe hinauf. Sie musste nur die Wohnung erreichen, dort war sie sicher. Die Wohnung war ein geschützter Ort, ebenso geschützt, wie ihr Bett, wenn sie sich voller Angst vor der Dunkelheit unter die Bettdecke flüchtete.
Sie hörte ein Keuchen hinter sich und ihr Körper vollbrachte Hochleistungen, indem sie mehrere Stufen auf einmal nahm und trotz der Dunkelheit nicht stolperte. Dann hatte sie endlich die Wohnung erreicht. Die Tür war offen, so wie sie sie zurückgelassen hatte. Im Dunkeln konnte sie sich unmöglich mit dem Schlüssel abmühen. Der rettende Sprung über die Schwelle und sie warf die Tür hinter sich zu und schwor, dass sie etwas gegen ihre Türe prallen hörte. Dann machte sie sich auf den Weg in ihre Küche. Ihr Herz raste und ihre Kleidung war durchgeschwitzt. Die Panik jedoch ließ nach und die Vernunft gewann wieder die Oberhand. Es gab nichts, wovor sie sich fürchten musste. Die Dunkelheit war gleich vorbei und sie konnte im schummrigen Licht der Kerzen entspannen.
Der Gasherd war ein zuverlässiger Zeitgenosse und schon einige Minuten später saß sie in ihrem Sessel, vor sich neun brennende Kerzen, welche sie mit Wachs auf der gläsernen Platte des Sofatisches. Sobald es wieder Strom gab, würde sie sich um die Wachsflecken kümmern, doch nun musste sie sich erst einmal entspannen.
Sie schloss die Augen, jedoch nicht ganz, um den goldenen Schimmer der Kerzen nicht aus den Augen zu verlieren. Das Licht brachte Sicherheit und Ruhe, wie schon das letzte Mal, als es schon beinahe zu spät für sie gewesen wäre und die Dunkelheit sie verschlungen hätte. Sie war damals sieben Jahre alt gewesen und hatte mit ihrem Bruder auf dem Dachboden ihres Elternhauses gespielt. Damals hatte sie vor nichts Angst gehabt, nicht einmal vor der Dunkelheit. Aber an diesem Nachmittag hatte ihr Bruder sie in dem großen Wandschrank auf dem Speicher eingesperrt. Es war nur ein Spiel gewesen, doch dort hatte sie die Angst kennen gelernt. Etwas hatte in der Dunkelheit gewartet und sie beinahe in den Wahnsinn getrieben, sie mit bösen Zungen gelockt und mit den klebrigen Händen der Finsternis zu sich ziehen wollen. Damals hatte sie geschrieen wie am Spieß, so dass ihr Bruder den Schrank voller Panik geöffnet und sie wimmernd in das helle Erdgeschoss des Hauses getragen hatte. Seitdem konnte sie die Dunkelheit nicht mehr ertragen und je älter sie wurde, desto schlimmer wurden die Erinnerungen an jenen Nachmittag. Und ihr Körper schien sich zu erinnern, denn oft bekam sie Anfälle, bei welchen sie sich unkontrolliert schüttelte und aus Leibeskräften schrie. Diese kamen immer dann, wenn sie sich in einer unsicheren Situation befand oder auch in der Dunkelheit, selbst wenn diese nur wenige Minuten dauerte.
Die Flammen der Kerzen flackerten und schlagartig erloschen alle. Noch ehe sie die Möglichkeit hatte zu reagieren, durchflutete sie Panik und sie wusste, dass es die Finsternis in ihre Wohnung geschafft hatte. Sie sprang auf und stieß erneut mit ihrem Knie gegen die Kante des Tisches, diesmal schmerzte es so heftig, dass es ihr die Tränen in die Augen trieb und sie schluchzend zusammenbrach. Zitternd schaffte sie es sich aufzurichten und sie tastete nach einer Kerze. Nur eine einzige genügte, um der Dunkelheit und ihren Bewohnern zu entkommen. So schnell sie konnte, humpelte sie in die Küche, doch blieb sie in der Tür wie erstarrt stehen. Vor ihr verdichtete sich die Dunkelheit und sie stürzte schluchzend auf die Knie.
„Warum lässt du mich nicht in Ruhe?“, wimmerte sie und krümmte sich zusammen, als die ersten Schlingen sie berührten. Sie waren kalt und wo wie sie berührten, verlor sie jedes Gefühl. Immer dichter wurde die Dunkelheit um sie herum und die Luft zum Atmen wurde immer knapper. Diesmal würde kein Bruder die Tür öffnen und sie ins Licht tragen. Die Dunkelheit drang in jede ihrer Poren ein, verschloss sie und bald war sie ein Teil der Schwärze. Sie kämpfte nicht mehr. Es gab nichts mehr, um was sie kämpfen konnte. Das letzte Licht in ihr erlosch und die Dunkelheit übermannte sie.

Das Licht ging wieder an. Erhellte die Stadt und auch ihre Wohnung. Es klopfte an der Tür. Die Nachbarin war wieder zurückgekommen und wollte sich erkundigen, ob alles in Ordnung war. Als die Tür sich wie von selbst öffnete, trat die Nachbarin herein und sah sich um. Die Nachbarin war nicht oft in ihrer Wohnung gewesen. Diese hatte ihre Zurückgezogenheit nicht verstanden, aber respektiert. Die Nachbarin fand sie gleich und ihr Schrei alarmierte alle anderen Hausbewohner. Sie lag in der Fötushaltung auf dem Boden und hielt die Kerze so fest umklammert, dass sie in zwei Teile zerbrochen war. Der Notarzt stellte Tod durch Ersticken fest.
 

Charlene

Mitglied
Hallo Isa!

Ich fand "Hora" gut. Schön stimmungsvoll geschrieben... Ich kann dir sagen, wenn man deine Geschichte das erste Mal nachts liest, wenn's draußen zappenduster ist und im ganzen Haus seeeehr ruhig, hat sie eine nicht gerade beruhigende Wirkung (jedenfalls war's bei mir so *g*). Allerdings gab's ein paar Dinge, die mich beim Lesen ein bisschen gestört habe - größtenteils einfach nur Wiederholungen.
Da ist wohl ein Wort zu viel:
...und ihr entschlüpfte ein leiser Fluch [red]entschlüpfte[/red].
Ein wieder würde ich streichen:
Sie stand auf und schaltete das Licht an, setzte sich [red]wieder[/red] hin und lauschte [red]wieder[/red] dem prasselnden Regen.
Den Satz finde ich etwas zu lang.
Sie liebte die Ruhe über alles und war froh, wenn sie nach ihrer Arbeit einfach ihre Seele baumeln lassen konnte, ihre Nachbarn jedoch waren, trotz der höflichen Bitten ihrerseits ruhiger zu sein, immer sehr laut, was schon zu etlichen Streitereien geführt hatte und man sich mittlerweile nicht einmal mehr grüßte, wenn man sich im Treppenhaus begegnete.
Wie wäre es z.B. so:
[blue]Sie liebte die Ruhe über alles und war froh, wenn sie nach der Arbeit einfach ihre Seele baumeln lassen konnte. Allerdings waren ihre Nachbarn - trotz der höflichen Bitten ihrerseits - immmer sehr laut, was schon zu etlichen Streitereien geführt hatte. Mitterlweile war es schon so weit, dass man sich nicht einmal mehr grüßte, wenn man sich im Treppenhaus begegnete.[/blue] Natürlich nur ein Vorschlag...

Warum hat sie eigentlich keine Taschenlampe in der Wohnung? Also wenn ich in der Situation wäre, ich glaube ich würde ja eher in meiner Wohnung bleiben, als ganz alleine in den dunklen Keller zu gehen...

Tschüs,
~Charlene~
 



 
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