Horrortrip

flammarion

Foren-Redakteur
Teammitglied
Höllentrip

Zuerst befand ich mich anscheinend in einem sehr großen Restaurant. Es war durch Pflanzenspaliere abgeteilt. Die Pflanzen gefielen mir, obwohl ich viele davon nicht kannte. Sie waren alle von saftigem Grün und hatten wohlgeformte Blätter, aber keine Blüten.
Enge Spalten gewährten Einlass zu den Tischen. Über allem schwang sich eine Kuppel aus Glas. Es war Nacht, denn am Himmel funkelten Sterne. Ich wollte nach dem Großen Wagen suchen, gab aber bald auf. Durch den Raum trieben zarte, glockenähnliche Klänge.
An den Tischen saßen Leute, unterhielten sich, aßen und tranken. Das ist nichts Ungewöhnliches, nicht wahr, aber die meisten dieser Leute waren monströse Außerirdische. So glaubte ich zumindest.
Besonders oft vertreten war eine Rasse mit silbrig schimmerndem Haar, welches ihre ganzen Körper bedeckte. Sie hatten lange Krallen an den Fingern, kaum zu glauben, dass sie mit diesen Händen irgendeine Arbeit verrichten konnten! Sie hatten lange, spitze, lippenlose Schnauzen, möchte ich mal sagen, denn Münder konnte man das beim besten Willen nicht nennen. Und sie saßen in Rollstühlen. Später wurde mir bewusst, dass es sich bei dieser Spezies um mutierte Ratten handelte. Ihr Skelett ließ den aufrechten Gang nicht zu.
Dann waren da noch die Spinnenähnlichen. Sie hantierten munter mit ihren vier vorderen Extremitäten und waren stets zu Scherzen aufgelegt. Ihre kugelrunden Köpfe trugen freundlich lächelnde Gesichter, und sie nickten sehr oft zustimmend. Ich sah sie auch oft herzhaft lachen, allerdings gaben sie keinerlei Töne dabei von sich.
Sehr zurückhaltend und unauffällig waren die Ameisenähnlichen. Aber vielleicht nur, weil sie durch Gebärdensprache kommunizierten. Zwischen ihnen saßen – allerdings auf dem Fußboden – alle möglichen anderen Insekten, die sie augenscheinlich domestiziert hatten. Naheliegend, denn in meiner Schulzeit hatte ich erfahren, dass Ameisen Blattläuse melken.
Die bestellten Speisen und Getränke erschienen auf den Tischen, sobald der Wunsch klar und deutlich formuliert war. Ich war überzeugt, in der Zukunft zu sein, aber wie, bitte schön, war ich hier hergekommen? Und wer, um alles in der Welt, flüsterte mir hin und wieder ungebeten Informationen und Anweisungen zu? Allerdings waren die Informationen sehr hilfreich, ich hätte sonst nicht gewusst, dass hier kein Fleisch serviert wird und kein Alkohol ausgeschenkt wird, es sich bei den Gästen aber durchaus um ganz normale Erwachsene handelte.
Ich war nicht neugierig genug, um wissen zu wollen, ob sich auch die Affen in irgendeiner Form weiter entwickelt hatten. Denn wenn ihre Entwicklung proportional zu den anderen ehemaligen Tieren hier im Raum stattfand, dann dürfte ein Gorilla über zwanzig Meter hoch sein. Er würde nicht in dieses Restaurant hineinpassen, er käme nicht einmal durch die Tür.
Doch was sah ich denn da über der Tür? Eine Windrose, ganz genau so eine, wie sie auf den mittelalterlichen Seekarten abgebildet waren! Ich trat ein paar Schritte näher und schon stand ich in einem grünen Park. Es musste ein Park sein, denn im Wald stehen keine Obstbäume. Statt des Blätterrauschens aber vernahm ich weiterhin das feine Glöckchengeklingel aus der Gaststätte.
Alle möglichen Bäume standen hier in einigem Abstand nebeneinander. Nie standen zwei gleichartige zusammen. Ich erblickte alle mir bekannten Baumarten und alle trugen gerade Früchte. Äpfel, Eicheln, Birnen, Kastanien, Kirschen, Ahornnasen, Pflaumen, Walnüsse, Pfirsiche und Quitten. Hin und wieder sah ich eine Tanne oder eine Kiefer dazwischen, auch ein paar Birken ließen ihre weißen Stämme von fern her schimmern.
Rechts neben mir stand eine riesige Platane, die ihre Rinde in großen Fetzen abgeworfen hatte. Zu meiner Linken aber stand eine prächtige Palme. Da waren noch andere Bäume, aber außer Weide und Pappel kam mir keiner bekannt vor.
Der Boden war von Pilzen reich bestanden. Ich entdeckte Maronen, Reizker, Birkenpilze, Boviste, Steinpilze, Morcheln, Suppenpilze, Fliegenpilze, Grünlinge, Hallimasch, Lorcheln, Champignons, Röhrlinge und Butterpilze. Als ich mich gerade nach einem besonders schönen Pfifferling bücken wollte, erschien daneben auf dem Boden das Zeichen der Windrose und flutsch! befand ich mich . . . ja, wo eigentlich? Offensichtlich auf einer Wiese.
Sie war mit Blumen übersät. Aber genau wie im Park standen auch hier Arten in voller Blüte nebeneinander, mit denen man sonst den Kalender bestückte, also Frühblüher neben Herbstastern. Wie in einem Kitschgedicht sah ich Rosen, Tulpen, Nelken, Narzissen, Edelweiß, Orchideen, Clivien, Enzian, Lilien, Tränendes Herz, Geranien, Löwenzahn, Stiefmütterchen, Phlox, Gladiolen, Pelargonien, Männertreu, Glockenblumen, Freesien, Alpenveilchen, Schneeball, Maiglöckchen, Malven, Veilchen, Calla, Zinnien, Chrysanthemen, Hyazinthen, Fuchsien, Dahlien, Goldlack, Krokusse, Usambaraveilchen und noch viele andere Blümlein prangen, woran ich sehr viel Freude hatte. Hier passte das feine Klingeln der Glöckchen sehr gut hin. Ich wollte den Duft einer Pfingstrose einsaugen, da sah ich dicht neben ihr das Zeichen der Windrose und ahnte schon, was geschehen wird: ich werde gleich wieder in eine andere Welt eintauchen.
Diesmal aber nicht. Ich befand mich nur ein kleines Stück weiter auf einer Weide. Es war, als hätte man auf einem Bauernhof alle Wände weg gerissen, denn hier standen Kühe und Pferde neben Schweinen. Das ist völlig unüblich. Und das Glöckchenklingeln war direkt störend.
Dazwischen scharrten Hühner, watschelten Enten und stolzierten Gänse und Puten. Hund und Katze durften auch nicht fehlen.
Der Anblick der letztgenannten animierte mich dazu, mich an die unterschiedlichen Hunde- und Katzenrassen zu erinnern. Da kam die Katze sehr schlecht weg, denn es fielen mir nur fünf Rassen ein. Beim Hund aber war die Aufzählung ebenso reichhaltig wie bei den Blumen. Erstaunt hielt ich inne und vor meinen Augen formierte sich die Windrose.
Als sie wieder verschwunden war, stand ich auf einem Sandweg. Es war aber kein Weg, sondern ein Gleitband. Es bewegte sich und führte mich durch einen Zoo oder so. Jedenfalls sah ich allerlei Tiere, Löwen, Elefanten, Giraffen, Affen, Flusspferde, Nashörner, Rehe und so weiter und so weiter. Als eifriger Tierparkbesucher hatte ich eine ganze Menge Tiere kennen gelernt.
Auch im Bereich der Kriechtiere war ich recht bewandert, ebenso gut kannte ich Reptilien. Und bei den Vögeln brachte ich es ebenfalls auf eine stattliche Anzahl von Arten. Ich verfolgte den Flug eines Aasgeiers und plötzlich verwandelte er sich in das Zeichen der Windrose.
Jetzt fand ich mich in einem völlig unerwarteten Raum wieder. Ich war bei Tiffany. Weit riss ich die Augen auf ob der unglaublichen Pracht. All diese Ketten, Ringe und Armreifen aus Gold und Silber! Gewiss war einiges auch aus Platin oder ganz versnobt aus Silber oder Gold mit Platin veredelt.
Aus der Höhe fragte eine unangenehme Stimme: „Na, sehnst du dich nach Reichtum und Macht? Das gibt es nicht in dieser Welt, wo nur das Wissen zählt!“ Ich beeilte mich, zu versichern, dass ich nur alles anschauen möchte. Daraufhin wurde mir gestattet, mit dem Schmuck zu spielen. Sogleich griff ich nach einem großen Rubin. Er zersprang in eine Kaskade von Rubinen, die einen meterhohen, sehr schlanken Turm bildeten. Das selbe geschah mit einem Diamanten, einer Perle und allen weiteren Edel- und Halbedelsteinen, nach denen ich griff. Jedes Mal tönte das Glöckchengeklingel dabei etwas lauter und angenehmer.
So hatte ich keine Scheu, jetzt nach den Ketten zu greifen. Ich hing sie in feinen Schwüngen in die Luft. Es sah toll aus! Ich fügte noch ein paar Armreifen hinzu und verteilte malerisch ein paar Diademe. Aber als ich zuletzt dem Ganzen noch eine kleine Krone aufsetzen wollte, wurde ich von dem Zeichen der Windrose geblendet.
Ehe ich es mich versah, stand ich auf der brodelnden Lava eines Vulkans. Es war unerträglich heiß, meine Füße brannten. Ich schrie und brüllte: „Oh Gott, warum habe ich keine Flügel?“
Wie durch ein Wunder spannten sich an meinen Seiten überdimensionale Fledermausflügel, mit deren Hilfe ich mich in die Luft erheben konnte. Dankbar bewunderte ich meine schönen weißen Flügel, da erschien auf ihnen das Zeichen der Windrose.
Hui, fuhr ich hinab in die Tiefe des Meeres. Ich hatte mich in einen prächtigen Engelsrochen verwandelt. Vom Boden stiegen Luftbläschen auf, die angenehm meinen Leib kitzelten. Ich fühlte mich sehr wohl in dem angenehm warmen Wasser.
Vielerlei Getier schwamm an mir vorüber, das ich wie gute alte Bekannte begrüßte. Seepferdchen, Aale, Barsche, Brassen, Flundern und so weiter und so weiter. Auch die Gewächse der Tiefsee waren mir wohlbekannt.
Hinter einem bizarren Korallenriff sah ich ein gesunkenes mittelalterliches Handelsschiff. Am Fockmast hing noch seine Fahne. Ein Seehecht schwamm vorüber und entfaltete sie mit einem Schlag seiner Schwanzflosse. Noch bevor ich staunen konnte, versetzte mich die auf der Fahne abgebildete Windrose in das nächste Level.
Dort befand ich mich in tiefster Finsternis. Ich hockte mich hin und wartete ab, was weiter geschehen wird. Nichts, gar nichts geschah. Eine ganze Weile nicht. Auch das sanfte Klingeln war verstummt. Mir wurde ganz beklommen zumute.
Endlich schob sich eine weiße Tafel aus dem Boden. Zu oberst war das Zeichen der Windrose abgebildet, dann kam Schrift: „Sie verfügen über eine lebhafte Fantasie, so konnten Ihnen die märchenhaften Flügel der Fantasie verliehen werden. Leider haben Sie diese sofort zum Eigenbedarf genutzt.
Ihre Kenntnisse in Chemie, Physik und angewandter Mathematik sind so mangelhaft, dass Ihnen das scharfe Schwert des Wissens nicht verliehen werden konnte. Fast ebenso mangelhaft sind Ihre Kenntnisse in Biologie und Erdkunde. So konnte Ihnen die Tarnkappe der Menschlichkeit nicht verliehen werden.
Ohne diese Hilfsmittel können Sie nicht zum Kampf gegen die Monster der Unwissenheit, der Gier und der Gleichgültigkeit antreten und steigen nicht in ein weiteres Level auf. Game over.“
Ich machte „Phhhh!“ und schob eine andere Spiele CD in mein Computerlaufwerk, die weniger Bildung erforderte, dafür aber viel teuerer war als die erste. Hier konnte ich alles abknallen, was sich bewegt. Wie wunderbar entspannend!
 

lapismont

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hallo Flamme,

falsches Forum würde ich sagen, denn es ist ein wunderbarer, surrealistischer Trip, nicht humoristisch, denk ich.

Sehr gut geschrieben.

Absätze könnte man noch vermehren,

sagt Familienplaner
lap
 

flammarion

Foren-Redakteur
Teammitglied
oh,

falsches forum? hältst du es eher für fantasy?
jedenfalls vielen dank fürs lesen und kommentieren.
ganz lieb grüßt
 



 
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