How to become lonely - Bin ich stark ?

Tino

Mitglied
Wenn der Regen an mein Fenster klopft -
Soll ich ihn hereinlassen ?
Wenn die tosenden Stürme wüten durch Wald und Feld -
Soll ich die Fenster öffnen ?
Wenn der Feind kommt -
Soll ich ihm den roten Teppich ausbreiten ?
Soll ich ?
Soll er doch kommen !
Was kann mir schon passieren ?
Er kann mich nicht zerstören.
Ich bin stark !

Es war nicht dunkel an jenem Tag. Die Sonne mit einem verwehten Teelicht zu vergleichen, wäre so, als wolle man den Tag durch die Nacht beschreiben. Dementsprechend sah man niemanden auf den Straßen der Stadt, der aufgrund trüben Wetters mit deprimiert dreinblickender Miene über den Marktplatz schlurfte. Dies war alles andere als ein trister wolkenverhangener Tag. Auch ich machte meine tägliche Runde durch die Innenstadt.
Die Leute sagen, ich sei voller negativer Gedanken. Wie kommen sie nur darauf ?
Ich bin der Erste, dem es auffällt, wenn das Kantinenessen mal nicht schmeckt, als sei es schon zweimal verdaut worden.
Ich bin der Erste, der die wohltuende Abwesenheit des übelriechenden und schlecht gekleideten Obdachlosen am Bahnhof bemerkt.
Ich bin der Letzte, der das neue Theaterstück mit den naiven und hohlen Dialogen in der Luft zerreisst. Wenigstens einer der Letzten.
Sagen sie selbst: Benimmt sich so ein Mensch, der angeblich immer nur das Schlechte in seiner Umgebung sieht ?
Ich bin nur froh, dass ich nicht auf diese Leute angewiesen bin. Der einzige Mann, der nicht schon von vorneherein alles verurteilt, was ich sagee und mache, bin ich selbst. Seit ich das erkannt habe, bin ich die einzige Person, der ich vertraue. Ich kann mir also der Loyalität meiner Freunde hundertprozentig sicher sein. Wer kann das schon von sich behaupten ?
Sie fragen sich, ob ich schon immer so war ? Da muß ich sie enttäuschen.
Damals ! Damals war ich naiv. Ich war wie eines dieser nervigen kleinen Kinder, die allen anderen mit ihrem Grinsen und ihrer überdimensionierten – ja, ich kann es nur Naivität nennen – auf die Nerven gehen. Ich lebte nur so in den Tag hinein und verplemperte all meine wertvolle Zeit mit sinnlosen Spielen. Vielleicht fühlte ich mich damals zufrieden, ich weiß es nicht mehr. Und selbst wenn – dann war es eine trügerische unmündige Zufriedenheit. Abscheulich, dieser Gedanke !
Nun ja, auf jeden Fall ging es nicht ewig so erbärmlich weiter. Mein Leben kam an einen Wendepunkt, als ich zum ersten Mal das Wesen der anderen Menschen erkannte.
Ich bezeichnete ihn damals als meinen besten Freund, Gerd von nebenan. Wir machten gemeinsam all dieses dumme Zeug, was man auch heute noch bei diesen verzogenen Gören sehen kann – Fußball spielen, durch die Gegend laufen und aus irgendwelchen mir heute schleierhaften Gründen einfach auf der Wiese faul herumliegen. Er hatte einen wahrhaft dämonischen Einfluß auf mich, dieser Herumtreiber. Ist übrigens heute Bauarbeiter geworden. Pft, Bauarbeiter ! Muß man dazu noch mehr sagen ?
Doch bei einer Begebenheit muß ich doch zugestehen, dass er hilfreich für meine Entwicklung war. Das war damals, als ich ihm, naiv wie ich war, vollends vertraute. Ich bekomme das kaum über die Lippen. Die Vorstellung ist einfach zu unlogisch – einem von diesen ganzen Leuten da so zu vertrauen. Ich hatte wirklich ein paar ziemlich verblödete Jahre gelebt damals.
Jedenfalls – auf der höchsten Stufe dieses blinden Vertrauens zeigte Gerd sein wahres Gesicht. So verlogen, so niederträchtig. Er hatte an einem Tag versprochen, er würde mich anrufen, wenn er mit den Hausaufgaben fertig wäre, damit wir spielen könnten. Und was geschah ? Ich wartete vergeblich auf einen Anruf. Gerd hatte sein Versprechen nicht gehalten. Das war das erste Mal, dass ich dieses Erlebnis machte. Ich merkte, dass zu großes Vertrauen in andere Menschen nicht immer gut war.
Okay, Gerd kam etwa eine halbe Stunde nach der ungefähr erwarteten Zeit persönlich bei mir vorbei, um mich zum Fußballspielen abzuholen. Aber er hatte sein Versprechen geborchen.
Okay, für sie mag das vielleicht wie eine Bagatelle aussehen, ein paar winzigkleine Regentropfen, um es metaphorisch auszudrücken. Aber für mich war es der Anfang allen Erkennens.

Wenn der Regen an mein Fenster klopft –
Soll ich ihn hereinlassen ?

Nach dieser Begebenheit, die mir ein Stück weit die Augen geöffnet hatte, folgten noch weitere ähnlich gestrickte Bosheiten, die gegen mich gerichtet waren. Ich bemerkte Dinge, Versäumnisse der anderen Menschen, die mir in meiner früheren Naivität niemals aufgefallen waren. Der versprochene Comic für das Stillhalten beim Friseur zum Beispiel. Vorher waren meine Gedanken nach dem Besuch des Friseurladens schon immer ganz schnell von woanders, doch nach meiner Erkenntnis hielt ich alle Versprechen im Gedächtnis und merkte mir jeden Betrug, jedes nicht eingehaltene Wort. Ich kam mir vor, als würde ein ganzer Sturm von leeren Versprechungen um mich herum toben. Daraus zog ich meine Konsequenzen und lernte Stück für Stück, skeptisch gegenüber anderen zu sein und mich nicht auf ihre Worte zu verlassen.

Wenn die tosenden Stürme wehen durch Wald und Feld –
Soll ich die Fenster öffnen ?

Nachdem später das vollständige Vertrauen in jede andere Person aufgegeben war, war ich endlich bereit, mich der Suche nach irgendwem oder irgendwas zu widmen, das sich meines Vertrauens würdig erweisen könnte. All die anderen Menschen um mich herum waren schon ausgeschieden, sie hatten sich in meinen Augen allesamt selbst disqualifiziert. So blieb denn also nur noch eine einzige Vertrauensperson übrig: Ich selbst.
Und seit ich mich alleine auf meinen eigenen Kopf verlasse, geht mein Leben nicht mehr so wie früher den Bach runter. Ich entwickle mich ständig weiter, meine sozialen Kontakte beschränken sich, wie schon gesagt, auf alle Personen, denen ich vertraue.
Also auf mich.
Ich denke nicht negativ, ich bin keine labile Person, ich bin nicht mehr naiv.
Ich bin stark !

Wenn der Feind kommt -
Soll ich ihm den roten Teppich ausbreiten ?
Soll ich ?
Soll er doch kommen !
Was kann mir schon passieren ?
Er kann mich nicht zerstören.
Ich bin stark !

© 2001 Tino Lingenberg
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Mich würde interessieren, was euch diese Geschichte sagt,
wie ihr den Erzähler seht.

Danke im Voraus für alle Beiträge,

Tino
 
Y

Yamiko

Gast
Wo soll ich anfangen... das thema begeistert mich am meissten. Sprache auch sehr gut. Ich denke, so eine art geschichte braucht noch ein stück mehr struktur. Vor allem gegen ende ist es eine spur zu hastig. finde ich. Ansonsten gut gefallen, war interessant zu lesen.
 



 
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