Sir Charles Blackwood
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Über der Sahara glüht die Mittagssonne. Jeder Mensch, jedes Tier, quasi jedes Lebewesen, das um diese Zeit nicht unterwegs sein muß, sucht den Schatten auf, oder gräbt sich in den Sand ein, um der mörderischen Hitze zu entfliehen.
Ich bin Mohamed, Sohn des Mohamed und mein Leben umfaßt 17 Lenze. Ich bin nicht nur der Sohn unseres Stammesführers, sondern war auch als einziger unseres Stammes schon einmal in Kairo gewesen. Mit einem dieser stählernen Vögel: gefangen in seinem Leib, ängstlich und doch neugierig, geflogen mit den Leuten vom Fernsehen.
Sie hat mir Angst gemacht, die große Stadt. Eine Stadt mit neuen und fremden Dingen, die meinen Kopf verwirrten, Dinge, die ich nicht verstehen konnte. Und so war ich dankbar, als daß Team der BBC, das eine Reportage über die Tuareg machte, mich nach drei Tagen wieder zurück zu meinen Stamm brachte. Sie sahen, wie unglücklich ich war, obwohl sie mir nur die Welt des 20. Jahrhunderts, einige Jahre nach dem zweiten großen Krieg in Europa und im Norden der Sahara, zeigen wollten. Fortan war ich ein anderer. Zwar ein Tuareg, doch einer, der auch hinter den Horizont geblickt hat. Ein Sehender, ein Fremder, in einer alten Welt.
Ich habe meinen Tagelmust, meinen Gesichtsschleier, etwas geöffnet, um besser atmen zu können. Er schützt mich vor den Geiern der Wüste und dem „Bösen Blick“. Ich muß meine Gedanken sortieren, dazu brauche ich die Einsamkeit des Alleinseins. Auch wenn ich hier die Schutzlosigkeit vor der Sonnenglut in Kauf nehmen muß.
Seit drei Tagen ist der weiße Doktor aus Europa bei uns. Er ist nicht nur ein weißer, sondern auch ein weiser Doktor. Er bestand die Tee-Zeremonie sofort. Sie ist ein wichtiger Bestandteil unserer Kultur. Ein Gast, der neu bei uns ist, bekommt drei Gläser Tee gereicht. Das erste schmeckt bitter wie das Leben, das zweite süß wie die Liebe und das dritte sanft wie der Tod. Hat der Gast alle drei Gläser getrunken, so steht er unter dem Schutz der Tuareg. Jeder aus unserem Stamm würde, ohne auch nur eine Sekunde zu zögern, sein Leben für den Schutz des Doktors opfern.
Obwohl die Sahara nahezu neun Millionen Quadratkilometer groß ist, fand er unser Lager ohne Führer. Er ist nicht nur weise, sondern entweder sehr erfahren oder lebensmüde, der Doktor.
Er hat mich verwirrt. Hat erzählt von dem fernen Land, aus dem er kommt: diesem Germany. Da gibt es Wasser in Hülle und Fülle. Und dann gibt es dort auch Winter. Wasser, was dann weiß und kalt ist. Hätte er nicht diese fremdartigen, aber auch faszinierenden, Bilder gehabt, ich hätte es nicht glauben wollen. Welch ein Gegensatz!
Wie kann es sein, daß wir hier für Wasser Kriege führen und Blut vergießen und dort Menschen in den Fluten des lebenspendenden Elixiers ertrinken.
Wäre es nicht möglich, daß wir hier auch Wasser haben können?
Doch dazu ist der Doktor ja da, wie er sagt. Ihm folgen noch viele Doktores und Ingenieure, die bei uns tiefe Löcher in die Sahara bohren wollen, um Brunnen zu schaffen. Er ist nur vorgefahren: ist für das Labor, wie er es nennt, zuständig. Und er hat auch etwas mit Bakterien und Seuchen zu tun. Uns allen wirrte es im Kopf herum, verstanden die fremden Ausdrücke nicht.
Werden wir, ja werde ich es noch erleben, daß Wasser aus dem trockenen Wüstenboden kommt?
Wir Tuareg sind Nomaden und morgen oder in einer Woche schon weit weg von hier. Seit Jahrhunderten zieht es uns unstetig, zwischen Algerien und Marokko, durch die Wüste der Sahara hin und her. Unmöglich, längere Zeit an einer Stelle zu leben. Zu sehr hat sich unsere Kultur darauf abgestimmt. Unfähig, seßhaft zu werden.
Ich habe einen Traum. Ich möchte einmal den Schnee anfassen. Möchte einmal in meinem Leben den Schnee in Händen halten können, mich in ihm wälzen. Die Kälte spüren, die er ausstrahlt. Ich ziehe mich aus und springe hinein in das kalte, erfrischende Wasser, in den grellen, weichen Schnee.
Ich schließe die Augen, sehe in Gedanken die Oase in weißen Schneeflocken versinken, sehe den kleinen, fast vertrockneten See, sich wie durch ein Wunder mit Wasser füllen, sehe den Brunnen auf dem Markt gefrieren. Ich sehe die Eiskristalle, die sich wie eine Haut auf dem Wasser bilden. Immer heller wird es um mich - immer friedlicher und stiller.
Als man Mohamed am Abend auf der Düne fand, war er tot. Weshalb er sich ausgezogen hatte, um den dadurch drohenden Hitzetod wissend, konnte keiner sagen. Er muß, den wohl Verstand verloren habend, nackend im heißen Sand herumgetollt sein. Weshalb sein Gesicht allerdings so friedlich, ja richtig glücklich aussah, war allen noch unverständlicher…
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„I have a Dream“… möge der Traum von Mohammed, dem stolzen Tuareg, eines Tages Wirklichkeit werden. Möge jeder Mensch auf dieser Erde immer Wasser in ausreichender Qualität und Menge haben.
(Sir Charles Blackwood)
Ich bin Mohamed, Sohn des Mohamed und mein Leben umfaßt 17 Lenze. Ich bin nicht nur der Sohn unseres Stammesführers, sondern war auch als einziger unseres Stammes schon einmal in Kairo gewesen. Mit einem dieser stählernen Vögel: gefangen in seinem Leib, ängstlich und doch neugierig, geflogen mit den Leuten vom Fernsehen.
Sie hat mir Angst gemacht, die große Stadt. Eine Stadt mit neuen und fremden Dingen, die meinen Kopf verwirrten, Dinge, die ich nicht verstehen konnte. Und so war ich dankbar, als daß Team der BBC, das eine Reportage über die Tuareg machte, mich nach drei Tagen wieder zurück zu meinen Stamm brachte. Sie sahen, wie unglücklich ich war, obwohl sie mir nur die Welt des 20. Jahrhunderts, einige Jahre nach dem zweiten großen Krieg in Europa und im Norden der Sahara, zeigen wollten. Fortan war ich ein anderer. Zwar ein Tuareg, doch einer, der auch hinter den Horizont geblickt hat. Ein Sehender, ein Fremder, in einer alten Welt.
Ich habe meinen Tagelmust, meinen Gesichtsschleier, etwas geöffnet, um besser atmen zu können. Er schützt mich vor den Geiern der Wüste und dem „Bösen Blick“. Ich muß meine Gedanken sortieren, dazu brauche ich die Einsamkeit des Alleinseins. Auch wenn ich hier die Schutzlosigkeit vor der Sonnenglut in Kauf nehmen muß.
Seit drei Tagen ist der weiße Doktor aus Europa bei uns. Er ist nicht nur ein weißer, sondern auch ein weiser Doktor. Er bestand die Tee-Zeremonie sofort. Sie ist ein wichtiger Bestandteil unserer Kultur. Ein Gast, der neu bei uns ist, bekommt drei Gläser Tee gereicht. Das erste schmeckt bitter wie das Leben, das zweite süß wie die Liebe und das dritte sanft wie der Tod. Hat der Gast alle drei Gläser getrunken, so steht er unter dem Schutz der Tuareg. Jeder aus unserem Stamm würde, ohne auch nur eine Sekunde zu zögern, sein Leben für den Schutz des Doktors opfern.
Obwohl die Sahara nahezu neun Millionen Quadratkilometer groß ist, fand er unser Lager ohne Führer. Er ist nicht nur weise, sondern entweder sehr erfahren oder lebensmüde, der Doktor.
Er hat mich verwirrt. Hat erzählt von dem fernen Land, aus dem er kommt: diesem Germany. Da gibt es Wasser in Hülle und Fülle. Und dann gibt es dort auch Winter. Wasser, was dann weiß und kalt ist. Hätte er nicht diese fremdartigen, aber auch faszinierenden, Bilder gehabt, ich hätte es nicht glauben wollen. Welch ein Gegensatz!
Wie kann es sein, daß wir hier für Wasser Kriege führen und Blut vergießen und dort Menschen in den Fluten des lebenspendenden Elixiers ertrinken.
Wäre es nicht möglich, daß wir hier auch Wasser haben können?
Doch dazu ist der Doktor ja da, wie er sagt. Ihm folgen noch viele Doktores und Ingenieure, die bei uns tiefe Löcher in die Sahara bohren wollen, um Brunnen zu schaffen. Er ist nur vorgefahren: ist für das Labor, wie er es nennt, zuständig. Und er hat auch etwas mit Bakterien und Seuchen zu tun. Uns allen wirrte es im Kopf herum, verstanden die fremden Ausdrücke nicht.
Werden wir, ja werde ich es noch erleben, daß Wasser aus dem trockenen Wüstenboden kommt?
Wir Tuareg sind Nomaden und morgen oder in einer Woche schon weit weg von hier. Seit Jahrhunderten zieht es uns unstetig, zwischen Algerien und Marokko, durch die Wüste der Sahara hin und her. Unmöglich, längere Zeit an einer Stelle zu leben. Zu sehr hat sich unsere Kultur darauf abgestimmt. Unfähig, seßhaft zu werden.
Ich habe einen Traum. Ich möchte einmal den Schnee anfassen. Möchte einmal in meinem Leben den Schnee in Händen halten können, mich in ihm wälzen. Die Kälte spüren, die er ausstrahlt. Ich ziehe mich aus und springe hinein in das kalte, erfrischende Wasser, in den grellen, weichen Schnee.
Ich schließe die Augen, sehe in Gedanken die Oase in weißen Schneeflocken versinken, sehe den kleinen, fast vertrockneten See, sich wie durch ein Wunder mit Wasser füllen, sehe den Brunnen auf dem Markt gefrieren. Ich sehe die Eiskristalle, die sich wie eine Haut auf dem Wasser bilden. Immer heller wird es um mich - immer friedlicher und stiller.
Als man Mohamed am Abend auf der Düne fand, war er tot. Weshalb er sich ausgezogen hatte, um den dadurch drohenden Hitzetod wissend, konnte keiner sagen. Er muß, den wohl Verstand verloren habend, nackend im heißen Sand herumgetollt sein. Weshalb sein Gesicht allerdings so friedlich, ja richtig glücklich aussah, war allen noch unverständlicher…
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„I have a Dream“… möge der Traum von Mohammed, dem stolzen Tuareg, eines Tages Wirklichkeit werden. Möge jeder Mensch auf dieser Erde immer Wasser in ausreichender Qualität und Menge haben.
(Sir Charles Blackwood)