IRONSIDE I Teil 3

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Rei

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3, Der Grund eurer Existenz!

Der Typ schleifte sie in einen Fahrstuhl, dessen Türen wie die Zimmertür zischend zur Seite glitten, und sie traten ein. Der Mann blökte einen Befehl, und der Fahrstuhl glitt leise surrend... ja, hinauf oder hinab? Lucy konnte es nicht sagen. Sie kannte solche Fahrstühle, die gab es auf der Erde massenweise und waren so neu nun auch nicht mehr.
Mann, dachte sie, ich BIN auf der Erde, ich träume eben nur!
Und da glitten die Türen des Fahrstuhls auch schon auf die Seite und Lucy blieb der Atem stehen: Vor ihr breitete sich eine schwarze Mondlandschaft aus, mit Kratern, dicken Gesteinsbrocken, die nutzlos in der Gegend herumlagen. Der Himmel war schwarz bis auf ein paar funkelnde Punkte, die alle ziemlich gleichmäßig verteilt waren und unablässig in verschiedenen Geschwindigkeiten blinkten. Aber da war noch etwas anderes: Lucy trat aus dem Fahrstuhl und befand sich unter einer Glaskuppel! Vor sich sah sie einen ganzen Gang aus Glas, der sie zu einer Art Kreuzung aus Glasgängen führte. Und auf dieser Kreuzung war die Hölle los: weiß Gott wie viele hundert Menschen tummelten sich dort, riefen sich Grüße zu, winkten oder liefen einfach nur stur durch die Masse und verschwanden in einem anderen Gang, der zu einer weiteren Kreuzung oder zu einem Gebäude führte. Lucy drehte sich um und sah sich das Gebäude an, aus dem sie gerade getreten war. Es war riesig, sie konnte kaum schätzen, wie hoch es war, aber sicherlich fünfzig Meter, wenn nicht mehr. Es war hell und trug die Bezeichnung „2A“ über dem Fahrstuhl, dessen Türen man kaum vom Rest des Gebäudes unterscheiden konnte.
„TRÖDEL NICHT!!“ brüllte ihr der Mann direkt ins Ohr und Lucy lief ihm schleunigst hinterher. Auf der Kreuzung hatte sie alle Schwierigkeit, ihn nicht zu verlieren, aber nachdem er einen lauten Befehl geschrieen hatte, stand die gesamte Kreuzung still. Lucy rannte weiter hinter ihm her und wunderte sich in diesem Moment nicht einmal, dass alle anderen auf dieser Kreuzung auch diese Uniform trugen. Lucy schaute kurz zurück: auf der Kreuzung war wieder die Hölle los. Sie rannten die Glasröhre noch eine ganze Weile entlang, und Lucy kam langsam außer Atem, als über sie ein Flieger donnerte. Lucy zog verschreckt den Kopf ein und sah den leuchtenden Triebwerken hinterher. Das war einer der Flieger gewesen, die sie hierher gebrachte hatte. Da war sie sich sicher. Das Donnern des Fliegers brachte das Glas zum Schwingen und verursachte ein komisches Kribbeln in ihrem Magen, fast so, als ob sie sich danach sehnte, auch so eine Maschine zu fliegen.

Er hatte von ihrer Mutter gesprochen, dachte sie unwillkürlich, und sie fragte sich, was ihre Mutter wohl hier getan hatte.

Plötzlich wurde sie unsanft am Arm gepackt und weitergezerrt. Sie bogen an einer weiteren Kreuzung rechts ab und kamen an ein anderes Gebäude, das die Bezeichnung „5B“ trug und rund war. Die Fahrstuhltüren glitten gleich zur Seite, als sie sich näherten. Der Typ schubste Lucy unsanft hinein und bellte wieder einen Befehl. Wieder surrte der Fahrstuhl leise und schon glitten die Türen zur Seite. Sie traten auf eine breite Brücke, und über die gelangten sie auf einen Rundgang, der in einem beruhigenden, aber langweiligen grau gehalten war. Auf dem Boden lag kein Teppich, aber ihre Schritt hallten nicht durch das Gebäude, als sie eilig weiterliefen. Sie kamen zu einer Tür, die surrend zur Seite glitt. Sie betraten einen Raum, wo vielleicht zwanzig junge Menschen wie Lucy an Pulten saßen: in Uniform und mit einem Gesichtsausdruck, der nichts Gutes verhieß. Sie schienen Angst zu haben und verwirrt zu sein. Und Lucy war sich sicher, in diesem Moment nicht anders auszusehen.
„SETZEN!“ brüllte der Mann und schubste Lucy zu einem freien Tisch und Stuhl und verschwand dann, nachdem er noch einen bösen Blick in die Runde geworfen hatte.

Lucy umfasste das Pult mit den Händen und atmete tief aus. Sie schloß kurz die Augen und als sie sie wieder öffnete, war sie daheim. Sie konnte es kaum fassen. Es war wirklich nur ein Traum gewe...

Nein, das Pult gehörte nicht zu ihr nach Hause, ebenso wenig wie die grummelnden und murmelnden Stimmen um sie herum. Sie wollte das alles ignorieren und kniff die Augen zusammen, hielt sich kräftig am Pult fest, aber sie wachte nicht auf. Sie WAR verdammt noch mal wach! Lucy ließ das Pult los und sackte in ihrem Stuhl zusammen, als sie von der Seite angesprochen wurde.
„Hey.“
Lucy sah das Mädchen neben sich an. Es war eine Japanerin. Sie hatte ein hübsches Gesicht mit mandelförmigen Augen und wirkte zerbrechlich, fast wie Porzellan. Sie war viel zu klein für die Uniform die sie trug und machte auch sonst ein unglückliches Gesicht und einen unglücklichen Eindruck. Sie hatte sehr viel Angst und war den Tränen nahe. „Wo sind wir hier? Weißt du das? Und was sollen wir hier?“
Lucy beugte sich ein wenig zu ihr hinüber. „Ich weiß es nicht. Ich habe genauso wenig Ahnung wie du, was ich hier mache.“ Sie lehnte sich wieder zurück, aber das Mädchen schien keine Ruhe geben zu wollen.
„Ich bin Reika. Hi. Der Typ vorhin, der hat mich auch hergebracht. Der ist so gemein! Hier, sieh mal, das gibt sicherlich ein blauer Fleck!“ Sie krempelte das Tarnhemd am rechten Arm ein bisschen hoch und zeigte Lucy drei rote Abdrücke, wo der Kerl sie angepackt hatte, damit er sie herumschubsen konnte. „Mann, dabei krieg ich doch immer gleich blaue Flecken!“
Lucy sah kurz zu ihr herüber. Was auch immer hier mit uns gemacht wird, sie wird es nicht überleben, dachte sie und war im gleichen Moment über ihren Gedanken entsetzt. Woher kam er? Sie hatte doch sonst auch nie so herzlos anderen gegenüber gedacht. Jeder hatte bei ihr eine Chance gehabt, wieso nicht auch Reika? Sie hatte Angst, und Lucy wollte sie deswegen nicht verurteilen. Trotzdem hatte sie ein ungutes Gefühl im Bauch, wenn sie die zierliche Japanerin ansah.

Die Tür glitt auf und augenblicklich verstummte jegliches Gespräch. Jeder starrte auf die offene Tür, aber niemand trat ein. Es dauerte noch mindestens zehn Sekunden, bis endlich jemand durch die Tür trat. Es war der grobe Kerl, der sie scheinbar alle hierher gebracht hatte, und ein jüngerer Mann, der ein kleines Gerät mit Tasten in der Hand trug. Mit der anderen Hand fummelte er an dem Mikrofon herum, das Lucy schon bei diesem komischen Piloten gesehen hatte. Bei der Erinnerung an seine Augen, wurde ihr wieder ganz flau im Magen. Wo war sie hier nur hingeraten? Die Tür glitt hinter ihnen zu. Sie traten vor die zwanzig Leute und sahen sich jeden einzelnen an, als ob sie alle Zeit der Welt hatten. Und jedes Mal las der Jüngere etwas von dem Gerät ab. Die beiden Männer besprachen sich von Zeit zu Zeit kurz und nahmen dann einen anderen Schüler ins Visier. Dann hatten sie alle durchgesehen und der jüngere Mann nickte. Der grobe Kerl zeigte auf sechs der Leute, die ihm folgen sollten. Sie taten es ohne Widerworte und als die Tür schloß, hatte Lucy ein ungutes Gefühl. Wie bei der kleinen Japanerin neben ihr, die mit vor Angst geweiteten Augen Schutz in den Weiten ihrer Uniform suchte.
„Ich bin Kanthal Anwah.“ Sagte der junge Mann mit fester Stimme. Er sah jeden einzelnen der vierzehn Leute an. Lucy schätzte ihn auf Anfang dreißig. Er hatte dunkle, kurze Haare und seine Augen blitzten beim Sprechen fast spitzbübisch auf. Lucy fand ihn auf Anhieb sympathisch. „Und ich bin euer Ausbilder hier auf STAR1.“ Wieder warf er einen Blick in die Runde. „Ihr werdet euch sicherlich fragen, was ihr hier sollt.“ Zustimmendes Grummeln ging durch die Reihen. „Gut.“ Kanthal lehnte sich an die Wand und sagte: „Ihr habt alle etwas gemeinsam. Und zwar wuchs jeder von euch nur mit einem Elternteil auf, sei es nun Vater oder Mutter. Der andere Teil, der euch gefehlt hat, war hier. Eure vermissten Mütter und Väter, von denen sie euch erzählt haben, sie wären tot oder abgehauen. Sie waren oder sind alle hier.“
Ein erstauntes Raunen ging durch die Gruppe, als Kanthal sich von der Wand löste und vor der Klasse auf und ab ging. „Sie wurden hier ausgebildet und übernahmen wichtige oder weniger wichtige Posten. Aber sie waren dazu auserwählt, auf der Erde Nachkommen zu schaffen: Euch!“ Er machte eine kurze Pause. „Und nun seid ihr hier, damit ihr die Ausbildung bekommt, die euch schon bei eurer Geburt zugedacht war. Ihr existiert nur aus dem Grund, weil das Zuchtprogramm es so vorgesehen hat!“
Lucy traute ihren Ohren nicht. Zuchtprogramm? Sie wollte aufspringen und diesem unverschämten Kerl eine reinhauen. Ihre Eltern waren verheiratet gewesen, sie hatten sich geliebt! Aber ein Instinkt sagte ihr, das lieber doch nicht zu tun. Und so saß sie da und ließ das Unglaubliche auf sich wirken. Zuchtprogramm!

C Rei 07072001
 



 
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