Ich - Odysseus oder der Gesang der Sirenen

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düsterbunt

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Die Männer ruderten aus Leibeskräften. Das Wachs in ihren Ohren verstopfte ihre Gehörgänge und hielt so jeden Laut von ihrem Geist und ihren Seelen fern. Das Schiff kam so in leicht erhöhter Geschwindigkeit vorwärts. Ich nahm ihre besorgten und von Anstrengung verzerrten Gesichter wahr, doch kümmerte mich nur eins: Den Gesang der Sirenen zu hören, die doch schon unzählige Seefahrer ins Verderben gestürzt hatten.
So stand ich alleine am Mast, festgebunden, wie ich es befohlen hatte. Außer dem Rauschen des Meeres, dem gleichmäßigen Ruderschlag der Männer und dem Kreischen der Möwen war erst nichts zu hören.
In der Ferne entdeckte ich endlich die schwarzen Felsen, auf denen die Sirenen immer sitzen sollten, wenn ein Schiff vorüberfuhr um ihren tödlichen Gesang um einzustimmen um der Mannschaft den Tod zu bringen.
Ich lauschte eine Ewigkeit in angespannter Erwartung geradezu in nervöse Erregung verfallen, was mich nun als einzig Hörender erwarten würde.
Es war mir als rauschten die Wogen des Meeres nur für mich. Jedes Geräusch, das Wogen des Meeres, die Ruderschläge. Alles hörte ich so deutlich und doch so anders als sonst. Ich fühlte mich so einsam, wie noch nie zuvor in meinem Leben und mir wurde ganz seltsam ums Herz. Das Blau des Meeres in endlosen Spiegelflächen gebrochen bis zum Horizont und ich hier gefesselt am Mast einer im Vergleich zu dazu winzigen Nussschale.
Mich überkam eine tiefe Traurigkeit, so fern der Heimat den Mächten der Natur und den Göttern ausgeliefert zu sein. Ich fühlte mich so verlassen hier an dem Mast meines Schiffes festgebunden. In dieser düsteren Stimmung gefangen verharrte ich in meiner selbstgewählten Position.
Ich wollte gerade die Sagen und Legenden Lügen strafen, da zog unser Schiff von den Rudern der Männer vorwärtsgetrieben an den Felsen der Sirenen vorbei, als plötzlich ohne, dass ich eine Gestalt zu sehen eine Stimme direkt in meinem Kopf hörte, die meinen Namen nannte. Ich hörte es ganz deutlich. „Odysseus.“ Ich schrak auf und sah mich um. Woher kam die Stimme? Doch nichts.
Ich war so berauscht von dem Erlebnis, den Namen von dieser süßen Stimme zu hören, die mich irgendwie an meine holde Gattin, Penelope erinnerte, dass ich angespannt auf eine weiteres Zeichen dieser Stimme zu wartete.
Doch die Stimme schwieg. Die Zeit dehnte sich und mir kamen Sekunden wie Jahre und Minuten wie Jahrzehnte vor. Da stand ich nun wohl wie der größte Narr der Welt, festgebunden am Mast des Schiffes, mit dem ich heimreisen wollte und ich lauschte, meinen Blick wie magisch gebannt auf die Felsen gehaftet, die an mir vorbeizogen .
Da erklang die Stimme abermals, so verlockend und süß, dass es mir beinah das Herz zerriss. Die Stimme klang wie die von Penelope so vollkommen vertraut und wie sie abermals meinen Namen aussprach rührte sie eine Seite meiner Seele an und sagte sie so viel mehr, als nur das Wort. Sie sprach von Heimweh und Sehnsucht, von der Angst verlassen und verloren zu sein. Von so viel mehr, von alledem, was ich sonst immer unterdrückte um meinen Männern ein guter Anführer zu sein und um einen klaren Kopf zu bewahren.
Darauf hatte mich keine Beschreibung der Sirenen vorbereitet. Mit allem hätte ich gerechnet, doch nicht mit der überwältigenden Macht des Gefühls, dass mich beim Hören des Klangs ihrer Stimme überkam. War es erst doch nur eine einzige, die mich so sehr an Penelope erinnerte. Was sollte mich noch erwarten?
Ich verfiel in eine tiefe Melancholie und die Stimme der Sirene, die exakt wie Penelopes klang, begann herzhaft aufzulachen. Mein geschundener Geist verfiel dem Wahnsinn. Düstere Visionen quälten mich. Vor meinem geistigen Auge sah ich meine geliebte Frau an der Seite eines neuen Mannes, der von nun an mein Reich regierte. Ich sah, nein ich erlebte, wie sie gemeinsam speisten und Zärtlichkeiten austauschten. Ich war vergessen und Vergangenheit. Ich konnte sogar den Geruch gebrannter Mandeln riechen, die die beiden auf dem Tisch stehen hatten, so deutlich war dieses Bild von Verlust und Hoffnungslosigkeit. Mein ganzes Tun und Streben erschien mir so vergeblich.
Mir schwand mehr und mehr die Kraft und die Stimmen wurden nun zu Gesang. „Es ist zu spät Odysseus!“ sang der Chor immerzu und ich war bereit und gewillt dies zu glauben. In einem letzten Aufbegehren riss ich meine Augen auf und da sah ich sie. Hässlich verzerrte Wesen, auf den Felsen sitzend, drei ganz nah neben mir , kalt wie das Meer spürte ich ihren Hauch an meinem Ohr. Fünf von Ihnen sangen unter Wasser, schwimmend, ihre Fratzen zu mir gereckt. Ich hörte sie genau, obwohl es doch nicht möglich war. Sie wiederholten immer wieder ihren Gesang: „Gib auf, Odysseus. Dein Reich, deine Frau, du bist verloren.“ Ich schrie, ich brüllte und weinte. Hätte um mich geschlagen, wäre ich nicht gefesselt gewesen, wie ein kleiner Junge, der aus einem bösen Traum aufwachen will. Das Grauen würde unerträglich. Mein größter Wunsch war es mich loszureißen und den Männern zu befehlen auf die Felsen zuzuhalten, auf das unser Schiff an ihnen zerschellen möge. So groß war meine Verzweiflung.
Wie lange mein Martyrium dauerte, wer kann es sagen. Die Männer ruderten an den Felsen vorbei, bis wir diese hinter uns ließen. Mit ihnen, die Sirenen, die an diesen Platz gebunden waren.
Langsam wurde es ruhig, äußerlich, wie in mir, in meiner Seele. Die Männer waren kraftlos und erschöpft, ebenso ging es mir, doch durch andere Kraftanstrengungen geschunden. Endlich hatte ich wieder ein Auge für meine Männer. Die düsteren Gedanken verschwanden und ich gewann die Kontrolle über meinen Geist zurück. Ich atmete tief durch und wurde wieder klar. Nicht hoffnungslos, wie mir die Stimmen weismachen wollten, war meine Reise. Nichts war verloren.
Mein Reich, meine Frau und mein Sohn warteten auf mich. Es hatte einen Sinn was ich tat. Die Männer, die mich besorgt beobachtet hatten erkannten meine Beruhigung und Erleichterung machte sich auf ihren Gesichtern breit. Ich nickte einem der mir in die Augen schaute zu und er verstand ohne Worte. Er befahl den Männern das Rudern einzustellen. Wir waren in Sicherheit. Sie banden mich los und entfernten das Wachs aus ihren Ohren. Erschöpft und glücklich erzählte ich ihnen von den Stimmen der Sirenen, von ihrem Gesang der erst so schön war und dann so schrecklich wurde. Von meiner Hoffnungslosigkeit und der Verzweiflung die ich erlebt hatte. Welche Todessehnsucht die Stimmen der Sirenen ihn mir geweckt hatten. Wie erleichtert ich war von ihrem trügerischen Zauber ihrer bösen Eingebungen durch die Distanz zu ihren Felsen erleichtert zu werden. Ich sprach meinen Stolz und meinen Dank für die Treue und Tatkraft meiner Männer aus. So segelten wir voller Tatendrang und neuem Mut dem Sonnenuntergang entgegen.
 



 
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