Ich bin 12 Jahre alt
Ich bin 12 Jahre alt.
Von meinem Fenster aus kann ich dir verdorrten Bäume sehen. Ihre Äste recken sich in den Wind empor, wie die Arme von Schulkindern, die eine Antwort geben wollen.
Mein Zimmer hat vier Wände. In den Regalen stehen meine Spielsachen. Wir sind nicht arm, ich habe eine Menge. Die Barby-Puppen sind meine liebsten. Sie sitzen in einer Glasvitrine neben meiner Tür und sehen mir immer zu, wenn ich in meinem Bett gegenüber schlafe.
Ich bin 12 Jahre alt.
Der Keller ist kalt, doch ich liege auf einer Decke und umarme meine Lieblingsbarbypuppe und erzähle ihr kleine Geschichten. Wenn sie einschläft, bin auch ich bald eingeschlafen.
Ich bin 12 Jahre alt.
In der Schule sitze ich ganz vorne und die Lehrerin redet mit mir, wenn die anderen Aufgaben machen und sie keine Lust hat, Arbeiten zu korrigieren. Sie ist jung und hat Sommersprossen und ich finde sie sehr schön. Sie sagt immer, die Brille “deformiere” ihr Gesicht. Ich lache dann immer leise und sage, dass ich das nicht finde. Ich höre an ihrem Tonfall, dass es etwas Schlechtes sein muss, aber ich frage sie nie, was “deformiert” ist.
Unser Schulhof ist sehr klein und von einer hohen Mauer umgeben. Wir sollen nicht an der Mauer spielen, meistens sind wir in der Mitte des Hofes und spielen Murmeln. Nach der Hofpause gehen wir in den Keller und dort ist die nächste Stunde. Als wir wieder nach oben kommen, fällt der Nachmittagsunterricht aus.
Ich bin 12 Jahre alt
Es ist Sonntag. Meine Mutter trägt das Sonntagsessen auf. Dabei lächelt sie, aber ich sehe, dass ihre Augen nicht so leuchten, wie sie immer leuchten, wenn sie lächelt. Sie lächelt weiter und stellt das Sonntagsessen auf den Tisch. Sie lächelt immer noch, als mein Vater sagt, das sei doch nicht nötig gewesen. Das “nicht nötig” sagt er mit einer Stimme, die erhoben ist und irgendwie ein bisschen böse klingt. Nein, nicht böse, sie klingt... sie klingt einfach nur so, und meine Mutter lächelt immer noch.
Ich bin 12 Jahre alt.
Ich gehe Milch kaufen. Der Laden liegt auf dem gleichen Weg, den ich zur Schule gehe. Die Straße sieht anders aus und ich überlege auf dem Weg, wieso. Auf dem Rückweg klettere ich über die großen Steine, ohne dass es mir eingefallen ist. Der Staub kitzelt mich in der Nase und ich setze meine kleine weiße Maske aus Papier auf. Als ich zu Hause bin, nimmt meine Mutter mir die Milch weg und umarmt mich. Sie hat Tränen in den Augen.
Ich bin 12 Jahre alt.
Als ich erwache, höre ich den Ton viel deutlicher. Das kommt wohl, weil ich ihn jetzt lauter höre, weil ich nicht mehr schlafe. Draußen ist es nacht und die verdorrten Bäume schlafen. Früher waren es mehr Bäume, jetzt sind ein paar nicht mehr da. Aber die anderen schlafen trotzdem weiter, so wie sie immer geschlafen haben. Den Ton höre ich jetzt nicht mehr. Ich stehe aber auf, nehme meine Decke und möchte mir meine Barbypuppe aussuchen. Aber vom Flur ruft meine Mutter, dass ich mich beeilen soll, weil die Sirenen schon aufgehört habe zu heulen. Ich lächele meine Lieblingspuppe an und hebe die Schultern, um mich bei ihr zu entschuldigen. Den anderen Puppen winke ich im Vorübergehen zu und lasse hinter mir die Tür offen.
Der Flur ist dunkel, genauso wie das Treppenhaus, die Vorhänge sind alle schwarz und lassen niemals Licht durch. Ich finde den Weg, indem ich an einem Eisengeländer entlanglaufe.
Im Keller ist es heute dunkel und ich finde den Platz für meine Decke nicht. Oben höre ich das Pfeifen und die Einchläge. Mal sind sie in der Nähe, mal sind sie weit weg. Manchmal dringt ein helles, gelbes oder weißes Licht durch die schwarzen Vorhänge, wie bei einem Gewitter. Aber das Donnern klingt anders.
Ein Streichholz wird angezündet. Die Leute bei uns im Keller sitzen stumm auf ihren Bänken an den Wänden oder hocken auf dem Boden und sehen jeder auf einen Fleck vor seinen Füßen. Mit den Geräuschen heben sich auch ihre Augen. Sie sehen die Decke an, als würden die Geräusche da oben, neben der nackten Glühbirne kleben, die aber heut nicht angeschaltet ist.
Mein Vater sagt mir, ich solle mich schlafen legen, und ich nehme mir einfach eine andere Stelle, um meine Decke auszubreiten. Mit geschlossenen Augen klingen die Geräusche und das Knallen anders. Das laute Pfeifen ist manchmal ganz leise und wird manchmal auch ganz laut. Aber ich kenne die Geräusche schon und schlafe langsam wieder ein.
Ich bin 12 Jahre alt.
Als ich erwache, sind wir immer noch im Keller, und die Sonne scheint ganz leise durch die schwarzen Vorhänge und beleuchtet den Staub, der in der Luft über mir schwebt. Ich stehe auf und gehe zu dem Platz, wo immer das Wasser ist, um mich zu waschen. Aber mein Vater ist da und sagt mir, ich darf das Wasser nur zum Trinken nehmen, und dass wir den ganzen Tag im Keller bleiben. Ich nehme mir eine Tasser Wasser und gehe zurück zu meiner Decke. Mein Vater bleibt bei der Wasserstelle und gibt den anderen das Wasser - immer nur ein bisschen, nie soviel wie alle wollen. Später sagt er mir, dass meine Tasse Wasser für den ganzen Tag sein soll. Ich hebe mir die Hälfte auf und warte bis zum Schluss, um sie zu trinken.
Irgendwann am Tag werde ich wieder müde. Ich schlafe sehr oft, meine Mutter sagt immer, dass ich viel zu viel schlafe in meinem Alter. Bevor die Nacht hereinbricht, bin ich wieder eingeschlafen.
Ich bin 12 Jahre alt.
Mein Zimmer hat drei Wände. Das Regal mit meinen Kuscheltieren ist jetzt weg und ich kann über die ganze Straße sehen. Die Bäume sind auch alle weg, und einige von den Häusern, die ich sehe, wenn ich aus der Haustür gehe, sind jetzt nur noch Steine auf der Straße. Die Laternen brennen, aber es ist trotzdem dunkel und die Luft scheint zu leben, sie bewegt sich ständig und in verschiedenen Schattenfarben.
Ich liege in meinem Bett. In meinem Zimmer ist es jetzt viel kälter, aber ich habe noch eine Decke. Meine Mutter hat sie mir gebracht, mir meinen Gutenachtkuss gegeben und ist rausgegangen. Sie hat nichts gesagt, mich nur geküsst und ist gegangen. Die Tür war offen, deshalb kann meine Mutter sie jetzt zumachen.
Mein Zimmer hat drei Wände, und ich bin 12 Jahre alt.
Ich gehe einen anderen Weg zur Schule. Mein gewohnter Schulweg ist gesperrt. Mein Vater hat gesagt, ich solle nicht zur Schule gehen, ich solle zu Hause bleiben. Aber meine Mutter hat mit ihm gesprochen und gesagt, ich müsse in die Schule gehen, sonst wäre es doch das alles nicht wert. Ich habe den Satz nicht verstanden, aber ich gehe zur Schule .
Ich bin 12 Jahre alt.
Der Unterricht des Vormittags fällt heute aus. Ich gehe mit zwei Freunden durch die Stadt und schaue mir die Straßen an. Sie sehen jede Woche anders aus, aber wir haben sie uns lange nicht mehr angesehen, weil wir nicht nach draußen zum Spielen gehen sollten. Ich habe in meinem Zimmer mit meinen Barbys gesessen und sie Autos fahren lassen durch die Landschaft, voller Kuschelt...- nein, nicht voller Kuscheltiere! Welche Kuscheltiere? Ich habe doch keine Kuscheltiere!
Wir schauen uns das Loch in der Mauer unseres Schulhofs an. Der Unterricht fällt aus, weil unsere Lehrerin nicht kommen konnte und Ersatz am Nachmittag erst aus der nächsten Stadt kommt. Das Loch ist gar nicht so groß, wie ich es mir vorgestellt habe. Es ist sogar ziemlich klein für so einen großen Einschlag. Aber der Einschlag war ja auch nicht in der Mauer, das Geschoss hat ja das Haus nebenan getroffen! Eine Freundin hat in diesem Haus gewohnt, sie war nicht in der Schule. Wir überlegen, ob wir sie besuchen gehen, aber das Krankenhaus ist am Ende der Stadt und dann verpassen wir den nächsten Unterricht. Außerdem wissen wir ja gar nicht, ob wir sie dort finden werden.
Wir sind wieder in der Schule. Ich sitze ganz hinten und der neue Lehrer sieht mich überhaupt nicht an. Mein Bein tut weh, wo ich vorhin an einem Eisenträger eines Hauses angestoßen bin. Ich glaube, dass es blutet, aber das ist nur ein Kratzer und wird irgendwann auch wieder aufhören damit. Von der Bank hinten kann ich aus einem der Fenster sehen. Das Loch in der Mauer macht den Blick frei auf das Haus von meiner Freundin - nein, den Rest davon. Es ist überhaupt kein Haus zu sehen. Und doch konnte ich mich an einem der Träger verletzen, die die Wände zusammenhielten. Neben dem Loch hängt ein Bild von meiner Lehrerin, darunter Blumen. Meine Lehrerin hatte Sommersprossen und trug eine Brille, die sie deformierte. Ich weiß nicht mal, was das ist.
Ich bin 12 Jahre alt.
Der Heimweg ist verstaubt und meine weiße kleine Maske aus Papier ist schon ganz schmutzig. Ich habe zu meiner Mutter gesagt, dass ich sie waschen muss, aber mein Vater hat gesagt, das Papier würde sich auflösen, dann hätte ich keine mehr. Außerdem gibt er fürs Waschen kein Wasser mehr aus.
Ich bin 12 Jahre alt.
Vor einem Haus bleibe ich stehen, das noch da ist, als ich die Sirene höre. Ich überlege, wie ich hineinkomme und wo der Keller ist, und halte meine kleine Tasche mit den Heften fest umklammert. Als der Einschlag ist, bin ich noch immer vor dem Haus. Ich sehe die Steine auseinanderspritzen und überall auf dem Boden landen. Manche fliegen weiter durch die Luft und nehmen ein paar Eisenträger und mindestens eine Wolke Staub mit sich.
An einem Träger habe ich mir meine Wade aufgeritzt. Mein Zimmer hat drei Wände. Meine Lehrerin hängt an der Mauer. Sie ist deformiert. Das Haus ist nicht mehr da.
Ich war 12 Jahre alt.
Ich bin 12 Jahre alt.
Von meinem Fenster aus kann ich dir verdorrten Bäume sehen. Ihre Äste recken sich in den Wind empor, wie die Arme von Schulkindern, die eine Antwort geben wollen.
Mein Zimmer hat vier Wände. In den Regalen stehen meine Spielsachen. Wir sind nicht arm, ich habe eine Menge. Die Barby-Puppen sind meine liebsten. Sie sitzen in einer Glasvitrine neben meiner Tür und sehen mir immer zu, wenn ich in meinem Bett gegenüber schlafe.
Ich bin 12 Jahre alt.
Der Keller ist kalt, doch ich liege auf einer Decke und umarme meine Lieblingsbarbypuppe und erzähle ihr kleine Geschichten. Wenn sie einschläft, bin auch ich bald eingeschlafen.
Ich bin 12 Jahre alt.
In der Schule sitze ich ganz vorne und die Lehrerin redet mit mir, wenn die anderen Aufgaben machen und sie keine Lust hat, Arbeiten zu korrigieren. Sie ist jung und hat Sommersprossen und ich finde sie sehr schön. Sie sagt immer, die Brille “deformiere” ihr Gesicht. Ich lache dann immer leise und sage, dass ich das nicht finde. Ich höre an ihrem Tonfall, dass es etwas Schlechtes sein muss, aber ich frage sie nie, was “deformiert” ist.
Unser Schulhof ist sehr klein und von einer hohen Mauer umgeben. Wir sollen nicht an der Mauer spielen, meistens sind wir in der Mitte des Hofes und spielen Murmeln. Nach der Hofpause gehen wir in den Keller und dort ist die nächste Stunde. Als wir wieder nach oben kommen, fällt der Nachmittagsunterricht aus.
Ich bin 12 Jahre alt
Es ist Sonntag. Meine Mutter trägt das Sonntagsessen auf. Dabei lächelt sie, aber ich sehe, dass ihre Augen nicht so leuchten, wie sie immer leuchten, wenn sie lächelt. Sie lächelt weiter und stellt das Sonntagsessen auf den Tisch. Sie lächelt immer noch, als mein Vater sagt, das sei doch nicht nötig gewesen. Das “nicht nötig” sagt er mit einer Stimme, die erhoben ist und irgendwie ein bisschen böse klingt. Nein, nicht böse, sie klingt... sie klingt einfach nur so, und meine Mutter lächelt immer noch.
Ich bin 12 Jahre alt.
Ich gehe Milch kaufen. Der Laden liegt auf dem gleichen Weg, den ich zur Schule gehe. Die Straße sieht anders aus und ich überlege auf dem Weg, wieso. Auf dem Rückweg klettere ich über die großen Steine, ohne dass es mir eingefallen ist. Der Staub kitzelt mich in der Nase und ich setze meine kleine weiße Maske aus Papier auf. Als ich zu Hause bin, nimmt meine Mutter mir die Milch weg und umarmt mich. Sie hat Tränen in den Augen.
Ich bin 12 Jahre alt.
Als ich erwache, höre ich den Ton viel deutlicher. Das kommt wohl, weil ich ihn jetzt lauter höre, weil ich nicht mehr schlafe. Draußen ist es nacht und die verdorrten Bäume schlafen. Früher waren es mehr Bäume, jetzt sind ein paar nicht mehr da. Aber die anderen schlafen trotzdem weiter, so wie sie immer geschlafen haben. Den Ton höre ich jetzt nicht mehr. Ich stehe aber auf, nehme meine Decke und möchte mir meine Barbypuppe aussuchen. Aber vom Flur ruft meine Mutter, dass ich mich beeilen soll, weil die Sirenen schon aufgehört habe zu heulen. Ich lächele meine Lieblingspuppe an und hebe die Schultern, um mich bei ihr zu entschuldigen. Den anderen Puppen winke ich im Vorübergehen zu und lasse hinter mir die Tür offen.
Der Flur ist dunkel, genauso wie das Treppenhaus, die Vorhänge sind alle schwarz und lassen niemals Licht durch. Ich finde den Weg, indem ich an einem Eisengeländer entlanglaufe.
Im Keller ist es heute dunkel und ich finde den Platz für meine Decke nicht. Oben höre ich das Pfeifen und die Einchläge. Mal sind sie in der Nähe, mal sind sie weit weg. Manchmal dringt ein helles, gelbes oder weißes Licht durch die schwarzen Vorhänge, wie bei einem Gewitter. Aber das Donnern klingt anders.
Ein Streichholz wird angezündet. Die Leute bei uns im Keller sitzen stumm auf ihren Bänken an den Wänden oder hocken auf dem Boden und sehen jeder auf einen Fleck vor seinen Füßen. Mit den Geräuschen heben sich auch ihre Augen. Sie sehen die Decke an, als würden die Geräusche da oben, neben der nackten Glühbirne kleben, die aber heut nicht angeschaltet ist.
Mein Vater sagt mir, ich solle mich schlafen legen, und ich nehme mir einfach eine andere Stelle, um meine Decke auszubreiten. Mit geschlossenen Augen klingen die Geräusche und das Knallen anders. Das laute Pfeifen ist manchmal ganz leise und wird manchmal auch ganz laut. Aber ich kenne die Geräusche schon und schlafe langsam wieder ein.
Ich bin 12 Jahre alt.
Als ich erwache, sind wir immer noch im Keller, und die Sonne scheint ganz leise durch die schwarzen Vorhänge und beleuchtet den Staub, der in der Luft über mir schwebt. Ich stehe auf und gehe zu dem Platz, wo immer das Wasser ist, um mich zu waschen. Aber mein Vater ist da und sagt mir, ich darf das Wasser nur zum Trinken nehmen, und dass wir den ganzen Tag im Keller bleiben. Ich nehme mir eine Tasser Wasser und gehe zurück zu meiner Decke. Mein Vater bleibt bei der Wasserstelle und gibt den anderen das Wasser - immer nur ein bisschen, nie soviel wie alle wollen. Später sagt er mir, dass meine Tasse Wasser für den ganzen Tag sein soll. Ich hebe mir die Hälfte auf und warte bis zum Schluss, um sie zu trinken.
Irgendwann am Tag werde ich wieder müde. Ich schlafe sehr oft, meine Mutter sagt immer, dass ich viel zu viel schlafe in meinem Alter. Bevor die Nacht hereinbricht, bin ich wieder eingeschlafen.
Ich bin 12 Jahre alt.
Mein Zimmer hat drei Wände. Das Regal mit meinen Kuscheltieren ist jetzt weg und ich kann über die ganze Straße sehen. Die Bäume sind auch alle weg, und einige von den Häusern, die ich sehe, wenn ich aus der Haustür gehe, sind jetzt nur noch Steine auf der Straße. Die Laternen brennen, aber es ist trotzdem dunkel und die Luft scheint zu leben, sie bewegt sich ständig und in verschiedenen Schattenfarben.
Ich liege in meinem Bett. In meinem Zimmer ist es jetzt viel kälter, aber ich habe noch eine Decke. Meine Mutter hat sie mir gebracht, mir meinen Gutenachtkuss gegeben und ist rausgegangen. Sie hat nichts gesagt, mich nur geküsst und ist gegangen. Die Tür war offen, deshalb kann meine Mutter sie jetzt zumachen.
Mein Zimmer hat drei Wände, und ich bin 12 Jahre alt.
Ich gehe einen anderen Weg zur Schule. Mein gewohnter Schulweg ist gesperrt. Mein Vater hat gesagt, ich solle nicht zur Schule gehen, ich solle zu Hause bleiben. Aber meine Mutter hat mit ihm gesprochen und gesagt, ich müsse in die Schule gehen, sonst wäre es doch das alles nicht wert. Ich habe den Satz nicht verstanden, aber ich gehe zur Schule .
Ich bin 12 Jahre alt.
Der Unterricht des Vormittags fällt heute aus. Ich gehe mit zwei Freunden durch die Stadt und schaue mir die Straßen an. Sie sehen jede Woche anders aus, aber wir haben sie uns lange nicht mehr angesehen, weil wir nicht nach draußen zum Spielen gehen sollten. Ich habe in meinem Zimmer mit meinen Barbys gesessen und sie Autos fahren lassen durch die Landschaft, voller Kuschelt...- nein, nicht voller Kuscheltiere! Welche Kuscheltiere? Ich habe doch keine Kuscheltiere!
Wir schauen uns das Loch in der Mauer unseres Schulhofs an. Der Unterricht fällt aus, weil unsere Lehrerin nicht kommen konnte und Ersatz am Nachmittag erst aus der nächsten Stadt kommt. Das Loch ist gar nicht so groß, wie ich es mir vorgestellt habe. Es ist sogar ziemlich klein für so einen großen Einschlag. Aber der Einschlag war ja auch nicht in der Mauer, das Geschoss hat ja das Haus nebenan getroffen! Eine Freundin hat in diesem Haus gewohnt, sie war nicht in der Schule. Wir überlegen, ob wir sie besuchen gehen, aber das Krankenhaus ist am Ende der Stadt und dann verpassen wir den nächsten Unterricht. Außerdem wissen wir ja gar nicht, ob wir sie dort finden werden.
Wir sind wieder in der Schule. Ich sitze ganz hinten und der neue Lehrer sieht mich überhaupt nicht an. Mein Bein tut weh, wo ich vorhin an einem Eisenträger eines Hauses angestoßen bin. Ich glaube, dass es blutet, aber das ist nur ein Kratzer und wird irgendwann auch wieder aufhören damit. Von der Bank hinten kann ich aus einem der Fenster sehen. Das Loch in der Mauer macht den Blick frei auf das Haus von meiner Freundin - nein, den Rest davon. Es ist überhaupt kein Haus zu sehen. Und doch konnte ich mich an einem der Träger verletzen, die die Wände zusammenhielten. Neben dem Loch hängt ein Bild von meiner Lehrerin, darunter Blumen. Meine Lehrerin hatte Sommersprossen und trug eine Brille, die sie deformierte. Ich weiß nicht mal, was das ist.
Ich bin 12 Jahre alt.
Der Heimweg ist verstaubt und meine weiße kleine Maske aus Papier ist schon ganz schmutzig. Ich habe zu meiner Mutter gesagt, dass ich sie waschen muss, aber mein Vater hat gesagt, das Papier würde sich auflösen, dann hätte ich keine mehr. Außerdem gibt er fürs Waschen kein Wasser mehr aus.
Ich bin 12 Jahre alt.
Vor einem Haus bleibe ich stehen, das noch da ist, als ich die Sirene höre. Ich überlege, wie ich hineinkomme und wo der Keller ist, und halte meine kleine Tasche mit den Heften fest umklammert. Als der Einschlag ist, bin ich noch immer vor dem Haus. Ich sehe die Steine auseinanderspritzen und überall auf dem Boden landen. Manche fliegen weiter durch die Luft und nehmen ein paar Eisenträger und mindestens eine Wolke Staub mit sich.
An einem Träger habe ich mir meine Wade aufgeritzt. Mein Zimmer hat drei Wände. Meine Lehrerin hängt an der Mauer. Sie ist deformiert. Das Haus ist nicht mehr da.
Ich war 12 Jahre alt.