Ich bin Dichter, Baby!

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klaatu

Mitglied
Ich bin Dichter, Baby!

Ich kann ihre gierigen Augen
überall auf meinem Körper spüren:

Auf meinen dürren Ärmchen & Beinchen
und meinem speckigen Knabenbusen.

Das ist ein Körper,
der keine Zeit hat,
ins Fitnessstudio zu gehen,
weil er zu beschäftigt damit ist
den Verstand zu tragen

- intellektuelles Fleisch!

Sie stöckelt zu mir rüber
und ich lege schon mal
mein Notizbuch zur Seite.

"Sind Sie Schriftsteller?", fragt eine Stimme,
höchstens halb so alt wie meine.

"Nein", brumme ich
und versuche so zu klingen,
wie Hemingway aussah.
"Ich bin Dichter, Baby!"

Sie keucht erregt,
ihr Dekolleté fängt Feuer.

"Veröffentlichen Sie auch?", haucht sie lüstern.

Ich nicke bedächtig
und eine verirrte Dichterlocke
fällt mir in die Stirn.

"Im Eigenverlag?", harkt das Mädchen nach.

Ihre Beine zittern.

Ich schaue ihr tief in die Augen
und sehe, wie sie alle ihre Waffen streckt.

"Nein", flüstere ich. "Online."

Bei diesem Wort
geben ihre Knie endgültig nach.

Sie gleitet stöhnend zu Boden,
wo sie beginnt, sich unter den staunenden Augen
der anderen Cafébesucher selbst zu befingern.

Nicht schon wieder, denke ich.
 
T

Trainee

Gast
Gaaanz herrlich, Klaatu! :D

Hoffentlich ergeht es dir nicht täglich so, und du kommst auch mal zu einem ordentlichen Frühstück!

Selbst als Frau (Local Heroine) kann ich deine Pein gut nachfühlen.
Beispielsweise, wenn mein Gang zu Aldi-Süd an jubelnden Menschenmassen vorbeiführt ("Da ist sie, da ist sie, die größte lebende Lyrikerin!"), weiß ich zuweilen kaum, in welcher umweltverschmutzenden Plastiktüte ich mich zuerst verstecken soll.
Aber: So ist halt das Leben der Ausnahmepoeten ...

Lachende Grüße
Trainee
 

klaatu

Mitglied
Hi Trainee!

Wieso Frühstück? Ich setze mich immer nur schreibend in Cafés, weil ich gehört habe, dass Schreiberlinge das so machen... Woher sollen die Leute denn auch sonst wissen, dass man Autor ist?

Aber ich muss mich in mehrfacher Hinsicht von meinem LI distanzieren, denn:
1.) Würde ich mich niemals als Dichter bezeichnen
2.) Habe ich weder dünne Ärmchen noch einen Knabenbusen
und
3.) Kann ich unter Beobachtung nicht schreiben

Danke für deine Anteilnahme!

@ Tula
@ revilo

Auch euch beiden vielen Dank!

LG
k
 

anbas

Mitglied
Ich schreibe sehr oft in Cafés, vor allem in meinem Stammbistro. - Aber ob ich das nach diesem Text in Zukunft noch kann ... :D

Wirklich gerne gelesen!

Liebe Grüße

Andreas
 

revilo

Mitglied
ich schreibe auch häufig in meinem Stammbistro.....nämlich in unserer Küche......da gibt es famoses Essen, leckeren Kaffee und einen guten Roten.....nur sieht das leider keine Sau....und befingern tut sich da auch niemand ....deswegen bin ich erst recht kein Schriftsteller,nicht einmal ein Möchtegernpoet.......
lustvoll nach dem Strick schielend von revilo....
 
P

paulus

Gast
Kann ich sehr gut nachvollziehen!
Ich muss mir auch ständig die Frauen vom Hals halten:)
Ich möchte mich auch zu denen reihen, die sich Nichtmalmöchtegern nennen.
Ich sehe mich schon in einem Menschenkreis sitzen. Als Neuankömmling stelle ich mich vor: „Ich heiße Paul. Ich bin ein Möchtegern.“ Dann schauen mich alle an. Und die Entzugsgruppe begrüßt mich wie aus einem Mund: „Hallo Paul!“

Ich erwähne es ganz beiläufig, dass ich manchmal etwas anderes schreibe, als eine Steuererklärung, oder das nächste Kreuzchen bei einem Rätsel.
Ich erwähne es so, als ob ich gerade vom letzten Wetterbericht spreche...

Sehr aufmerksame Zuhörer beginnen dann unangenehm nachzuhaken.....


LG
 
G

Gelöschtes Mitglied 15780

Gast
Der Clou ist natürlich die Antiklimax "veröffentlichen" - "Eigenverlag" - "online".

Das schlägt dem Faß den Boden aus.

Und das Groupie schaut durch die Rundung in den Keller hinab, und siehe, da sitzen sie, die lupae lupique, und schauen mit großen Augen (wie mein Stoffhasi) nach oben.
 

Plejadus

Mitglied
Ich bin Dichter, Baby! Ich habe auf LeLu einen Two-week-wonder-Hit gelandet, der sich shampooniert hat, Baby! Ich bin das nächste Ding! Babe! Unter dem Tisch ist noch ein Platz frei, .... gleich, jedenfalls - und ey: Das ist nur meine Vorhaut, Baby!

Respekt, vorhanden, wiewohl dünn: Deine Luft nach oben !!!1!!
Plej.
 
Rasant und explosiv

Ein Text, der das Schicksal von so vielen Lesern hier trifft, dass meiner Meinung nach jedem mehr oder minder erfolgreichen Dichter hier ein Lächeln und anerkennendes Grinsen entweichen muss.
Viele Grüße
Weltenwandler
 
Hey,

also ich finde das Gedicht ehrlich grandios! Schmunzeln musste ich aber auch. :D

Mir gefällt es jedenfalls und das scheint ja auf die Damenwelt auch zu zutreffen. ;)
 
R

Ray Catcher

Gast
Den Text finde ich klasse. Originell und witzig.
Nur was hat dieser bei Lyrik zu suchen? Ob Ungereimtheiten oder nicht. Nur weil jeder Halbsatz eine Zeile bekommt?
 



 
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