Ich bin alt

Elfi

Mitglied
Dunkel ist es im Zimmer und mühsam drehe ich mich im Bett zur Seite. Der Lichtschalter ist neben dem Bett, oberhalb der Nachtkonsole, und ich taste danach. Meine Knochen schmerzen, und ehe das Licht den Raum erhellt, schließe ich meine Augen, um dem grellen Lichtschein zu entgehen. Noch habe ich meinen Arm ausgestreckt und ich greife nach meinem Wecker. Die Zeiger mahnen zum Aufstehen, doch ich fühle mich nicht gut. Ich bin bestimmt krank! Ich ziehe meinen Arm ins Bett zurück und drehe mich auf den Rücken. Das Zimmer kenne ich; der wuchtige Schrank zu meiner Rechten, dahinter ist die Tür zum Bad. Links steht die Liege, an deren Fußende sich die kleine Kommode anschließt, ehe eine Tür ins Wohnzimmer führt. Am Fußende des Bettes steht ein Stuhl, über dem meine Bekleidung liegt. Am Zimmerende ist das große Fenster. Wäre das Rollo nicht davor heruntergelassen, würde ich auf die Scheune und die alten Eichenbäume davor blicken. Die Augen fallen von allein zu, als mein Kopf in die Federkissen versinkt, und ich döse vor mich hin. Ist es Frühling, und die Saat muss aufs Feld? Ist es Sommer, dass ich die Beeren pflücken kann, um daraus Marmelade zu kochen? Oder ist es Herbst, und die Ernte ruft? Ist es vielleicht schon Winter? Muss ich noch Socken fürs Weihnachtsfest stricken? Ich weiß es nicht; ich habe es vergessen.
Ein Klopfen an der Tür zur Wohnstube dringt an meinen Ohren.
"Herein!" Meine Stimme klingt brüchig, und die Tür wird geöffnet. Eine Frau mit kinnlangem, brünetten Haar steht dort.
"Guten Morgen, Frau Mengelkamp!", sagt sie und kommt auf mein Bett zu. Ich mustere ihr Gesicht. Ich habe sie schon einmal gesehen! Es ist nicht meine Schwiegertochter! Was will die Frau in der weißen Kleidung von mir?
Sie fasst mich am Oberarm an, und ich schüttle sie ab.
"Sie müssen doch aufstehen, Frau Mengelkamp! Ich bin die Schwester! Ich komme doch jeden Morgen, um sie zu waschen und anzuziehen!"
"Ich will aber nicht aufstehen! Ich bin krank!"
Sie redet abermals auf mich ein: "Sie können sich nach dem Frühstück doch wieder ausruhen!"
"Ich will aber nicht frühstücken!" sage ich, und klammere mich an meinem Deckbett, bis die Schwester mein Schlafzimmer verlässt. Es dauert nicht lang, und die Schwester ist abermals im Zimmer. Mit ihr eine andere Frau mit kurzen Haaren, die ich irgendwie kenne.
"Frau Mengelkamp! Sie müssen aufstehen! Die Schwester hat doch noch andere Patienten!"
"Ich stehe nicht auf!", sage ich kategorisch, doch die Frau, die eine dunkle Hose trägt, scheint es zu überhören.
"Wenn Sie nicht aufstehen, muss ich Bernhard anrufen!"
Bernhard. Das ist mein Enkel. Die Schwester steht wieder neben dem Bett und fasst meinen Arm. Widerwillig gebe ich nach und die Frau in weiß schlägt mein Deckbett zurück, während die andere Frau das Zimmer verlässt.
Meine Beine fühlen sich steif an, und die Schwester hilft mir, die Beine auf den Fußboden zu setzen, ehe sie mir unter die Arme greift. Schlurfend setze einen Fuß vor den anderen, ehe sie mich ins Bad führt.
"Sie haben es ja gleich geschafft!", sagt die Schwester und begleitet mich zur Toilette. Endlich sitze ich dort. Helle Fliesen sehen mich an; ich bin alt.
 
P

paintless

Gast
Erschreckend nachvollziehbar dank deiner Schreibe. Ich werd mich in mehr Toleranz dem Alter gegenüber üben.
paintless
 



 
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