Ich bin prominent...!

Ach, warum hört man immer nur von diesen Prominenten? Und keiner spricht von mir. Wenn einmal über mich geredet wird, dann höchstens in meinem Treppenhaus, weil ich gestern wieder einmal etwas geräuschvoller von meinem Kegelabend heim gekommen bin. Natürlich ist auch die letzte Party, die in meiner Wohnung stattfand, noch in aller Munde. Ebenso wird gelegentlich noch über den Tieflader gesprochen, der mein im Halteverbot stehenden Auto abgeschleppt hat.

Aber eigentlich meine ich nicht dieses. Ich wäre so gerne – nur einmal – prominent.

Wenn ich ein gut besuchtes Restaurant betrete, dass im Augenblick in der örtlichen Presse als „in“ hochgelobt wird, kommt mir ein weißbeschürzter Kellner mit ausgebreiteten Armen entgegen. In seinen finster dreinblickenden Augen erkenne ich schon von weitem, was er mir gleich darauf mit harschem Ton verkündet: Für mich ist hier kein Tisch frei. Also versuche ich es im gutbürgerlichen Lokal um die Ecke. Dort residiert heute eine geschlossene Gesellschaft, in der ich auch nicht willkommen bin. Nicht einmal in diesen bodenständigen Kreisen kennt man mich.

Mit unsicheren Schritten steuere ich eine Eckkneipe an, in der auch durchreisende Gäste willkommen sind. Immer wieder hört man davon, dass diese Einrichtungen der sozialen Kommunikation auf lokaler Ebene dienlich sind.

Aber auch dort stelle ich fest, dass der Tresen bis auf den letzten Hocker umlagert ist. Niemand nimmt Notiz von mir. An den freien Tisch mit dem schmiedeeisernen Ständer „Stammtisch“ wage ich mich gar nicht erst zu setzen.

Was bleibt mir übrig, als den Abend in einem Fast-Food-Restaurant zu beschließen. Hier ist letztendlich jemand bereit, zumindest mit mir zu kommunizieren. Zugegeben, es war nur ein recht kurzer Dialog. Wenn ich ganz ehrlich bin, war es nur ein einziges Wort: „Dreifünfundsiebzig!“ Mehr hat das Wesen mit dem blau-weiß gestreiften Käppi nicht für mich übrig gehabt.

Zumindest der Hund, der mir auf der Bank vor dem Schnellrestaurant Gesellschaft leistete, ist anständigerweise so lange geblieben, bis mein Hamburger aufgegessen war und ich nichts mehr zum Füttern hatte.

Beim schon mit leichtem seelischen Kummer begleiteten Wandern durch die Nebenstrassen heben die Leute, die mir begegnen, nicht einmal den Kopf, wenn sie vorbeihasten. Ich glaube manchmal, einige wechseln sogar die Straßenseite.

Niemand spricht von mir. Wobei das auch nur bedingt richtig ist. Als es mir vor kurzem gelungen ist, mittags in der Betriebskantine einen vollen Teller heißer Suppe quer durch den Raum segeln zu lassen und nach einer gut angelegten ballistischen Kurve den stellvertretenden Geschäftsführer zu treffen, war ich vorübergehend richtig bekannt. Aber, wenn ich ehrlich bin, hatte ich mir Prominenz eigentlich ein wenig anders vorgestellt.

Mir würde ein wenig Publicity ja schon genügen. In einer bescheidenen zweiten Hauptrolle in einem kleinen Theater am Ende der Vorstellung den Applaus des dankbaren Publikums entgegennehmen – das wäre schön. Stattdessen hat keiner geklatscht, schon gar nicht „Zugabe“ gerufen, als ich das letzte Mal vor einer größeren Menschenmenge brillierte. Es war eher ein Drama, zumindest für mich, obwohl die Grenzen zur Komödie ja durchaus fließend sein können. Es war es fast ausverkauftes Haus, wenn ich unsere öffentlichen Strassen einmal symbolhaft so bezeichnen darf. Dabei habe ich nur – ein ganz klein wenig – Bremse und Gaspedal verwechselt und bei dieser Gelegenheit den vor mir haltenden Streifenwagen auf die drei vor ihm stehende Fahrzeuge aufgeschoben. Zugegeben, es war das bisher zahlenmäßig größte Publikum, das ich mit einer einzelnen Soloaktion erreicht habe.

Vor kurzem aber war das anders. Nach dem Verlassen meiner Wohnung begegnete ich auf der Treppe einem Mitbewohner, der mich groß anstarrte und mit offenem Mund sogar das sonst von ihm gewohnte „Guten Morgen“ missen ließ.

Als mich auf der Strasse zahlreiche Leute ansahen, ja sogar, was mir ein verstohlener Blick über die Schulter bestätigte, hinter mit her blickten, wurde ich etwas unsicher. Was stellte ich an diesem Morgen etwas Besonderes da? Es konnte unmöglich an dem neuen Rasierwasser liegen, das ich probeweise seit wenigen Tagen nutzte. Gestern waren mir zwar alle Katzen auf meinem morgendlichen Weg zum Arbeitsplatz ausgewichen, aber die haben ja schließlich auch eine besonders feine Nase.

Ich hatte weder eine neue schreiendbunte Krawatte um noch trug ich einen farbigen Lidschatten. Meine Haare waren wie immer frisiert – Deinem Mund entspringt jetzt ein Erkennendes: ach, wieder einmal ungekämmt - . Ich trug keinen Hut mit Gamsbart und war auch sonst normal gekleidet.

Nichts, aber wirklich nichts unterschied mich an diesem ganz normalen Morgen von anderen Tagen, an denen meine Mitmenschen, ohne Notiz von mir zu nehmen, vorbeihasteten.

Jetzt begegneten mir die Leute mit großen Augen, sahen mich an. Manche lächelten mir freundlich zu, vor allem aber Frauen widmeten mir überraschenderweise ihre visuelle Zuwendung.

Du kannst es mir glauben. Irgendwie irritierte mich es schon, dass ich plötzlich im Mittelpunkt des Interesses stand. Ich führte es darauf zurück, dass ich noch ungeübt im Repräsentieren war. So gab ich mir alle Mühe, meine Körperhaltung zu straffen und mit erhobenen Haupt und etwas verzögertem Schritt gemessen meines Weges zu schreiten. Es sah sicher etwas staksig aus, aber jeder beginnt im kleinen. In den nächsten Tagen würde ich bestimmt mehr Selbstsicherheit an den Tag legen und meine neugewonnene Popularität mehr genießen können.

Als ich an einem Kiosk vorbeikam, sprangen mit die Abbildungen der anderen Pseudoprominenten ins Auge. Ha! Was bedeutete schon das Erscheinen auf einem Titelblatt. Mich umschmeichelte das wahre Leben. Die liebenswerten Menschen aus Fleisch und Blut, denen ich begegnete, stärkten durch ihre urplötzliche Aufmerksamkeit, die sie mir entgegenbrachten, meine Würde.

Ich hatte die Nacht über fest und traumlos geschlafen und offensichtlich wohl nichts von der wunderbaren Zauberfee mitbekommen, die an meinem Bett erschienen war und mit ihren wundersamen Kräften meinen Herzenswunsch nach Prominenz erfüllt hatte. Eine andere Erklärung kann ich Dir nicht geben für die fast liebevolle Zuwendung, die ich nun in der Öffentlichkeit erfuhr.

Die Aura, die mich umgab, wirkte unmittelbar auf die Umstehenden, die mir Entgegenkommenden, auf alle freundlichen Zeitgenossen, die mich an diesem Morgen sahen.

Das setzte sich in der U-Bahn, die mich zu meinem Arbeitsplatz transportieren sollte, fort. Ich hatte den Eindruck, die Leute drängelten gar ein wenig, um meiner Ansicht habhaft zu werden.

Ich hatte mich schon ein wenig an diese Aufmerksamkeit gewöhnt und genoss es mittlerweile. Aus den Augenwinkeln nahm ich wahr, dass die beiden mir gegenüber sitzenden weiblichen Wesen sich nur wenig auf ihre Morgenlektüre konzentrieren konnten, sondern mich immer wieder verstohlen ansahen.

Heimlich warf ich einen Blick in das Fenster, um ein Spiegelbild von mir zu erhaschen. Du magst mir glauben, eigentlich geht man immer viel zu selbstkritisch mit sich selbst um. Das war gar nicht übel, was ich dort sah. Ich muss eingestehen, dass die beiden freundlichen Frauen vis-a-vis einen guten Geschmack hatten.

War das angenehm, sich in einer solchen Wonne badend, dem Arbeitsplatz zu nähern. Leider gab es an diesem Morgen keine Verspätung. Erstmals hatte ich auch den Eindruck, die Bahn wäre viel zu schnell und würde lange vor der bestimmungsmäßigen Zeit ihr Ziel erreichen. Du kannst es mir glauben, ich wäre noch stundenlang weitergefahren.

Endlich saß ich an meinem Schreibtisch. Vorsichtig schloss ich die Augen und ließ noch einmal die wundersame Fügung des Schicksals Revue passieren.

Meine Ausstrahlung, mein Charisma und mein Erscheinungsbild wirkte nachhaltig auf meine Umgebung.

Endlich! Ich war wer!

Ich stand auf und öffnete die Tür des Garderobenteils der Schrankwand, um mich im großen Innenspiegel einmal ganz bewundern zu können.

.....und dann hatte ich beschlossen, nie wieder prominent zu sein, wieder anonym in der großen Menge mitzuschwimmen, ich wollte einfach nicht mehr im Mittelpunkt stehen und die Blicke auf mich ziehen, besonders nicht die der leicht lächelnden d weiblichen Welt.

Und ganz bestimmt würde ich ab morgen früh ganz besonders darauf achten, dass mein Hosenschlitz auch fest verschlossen ist, wenn ich das Haus verlasse.
 
S

Sansibar

Gast
Peinlich,peinlich

Hallo Hannes,
ja,so kann es gehen im Leben. Dabei ist diese "Peinlichkeit" ja leicht zu verkraften, denke nur an die Peinlichkeiten eines gewissen Bohlen.Ich selbst stell es mir sehr unangenehm vor, berühmt, promminent oder sonstwas zu sein -( ich genüge mir und meinen Ansprüchen), nein, diese ständige Opfer von Presse und Neugierigen zu sein, ich glaube das es sehr unangenehm sein kann. Sicher, es gibt Menschen die stellen wer weiß was an um "bekannt" zu werden, die vor rein nichts zurückschrecken.Aber so einer bist du bestimmt nicht!!
Gruß Sansibar
 
Hallo Margot,

dieser unsägliche Wunsch nach Aufmerksamkeit und Prominenz hat vielfältige Ausrucksformen; nehmen wir als Beispiel die Gesichtsmaskierungen vieler Mitbürger, die bunten Farbtupfer der in der Natur nicht auftretenden Haarschattierungen...
Da erschien es mir reizvoll, der Phantasie einmal freien Lauf zu lassen, obwohl mir persönlich ein solches Mißgeschick(bisher) noch nicht widerfahren ist. Aber, was nicht ist, kann ja noch werden, obwohl ich nach meinen eigenen Zeilen jetzt eine besondere Qualitätskontrolle vor dem Verlassen des Hauses durchzuführen pflege.
Interessant wäre es natürlich, wenn wirklich jeman(n)d auf die Idee käme, dieses Möglichkeit als Mittel zur Erzielung von Aufmerksamkeit einzusetzen. Diese Welt ist eben spannend.

Gruß
Hannes
 
Peinlich Peinlich...

Hallo Sansibar,

schön, wieder einmal von Dir zu hören.

Ich stimme Dir zu, dass ein ruhiges Auftreten ohne gesteigerte Popularität für viele Menschen sicher attraktiver ist als die überzogene Sucht nach Aufmerksamkeit. Du hast es schön formuliert, dass Wohlbefinden auch dadurch erzielt werden kann, wenn man seinen eigenen Ansprüchen gerecht wird und diesen auch genügt.

Trotzdem sei mit meinem Text der kleine Seitenhieb erlaubt, allein wenn wir an jene (vielleicht bedauernswerte) Mitmenschen denken, die ihr Innenleben in den sog.Talkshows vor aller Öffentlichkeit entblößen. Da erscheint mir die symbolische kleine "Entblößung" meines imaginären Protagonisten doch noch zivilisierter.

Mit einem fröhlichen Gruß aus Münster
Hannes
 
S

Sansibar

Gast
Aufmerksamkeit

Tag Hannes,
weil du es eben ansprichst: vor einiger Zeit schrieb ich ein Gedicht das ; Ab 11 Uhr Wahnsinn! heißt. Ich werde es flugs, jedenfalls noch diese Woche einstellen, den es beinhaltet den Schwachsinn einiger Sender und seiner sehr schlechten Darsteller wie ich finde. Trotzdem könnte ich manchmal brüllen , vor so viel Dämlichkeit.
Fröhölichen Gruß SaS
 
K

Klopfstock

Gast
Hallo, Hannes,

Deine Erzählung gefällt mir.
Obwohl ich persönlich die absolute Anonymität
bevorzuge, kann ich mir schon sehr gut vorstellen,
daß es manchen Menschen danach gelüstet - zumindestens
zuweilen- ein wenig aus dem grauen "Unbekanntsein" heraus-
zukommen, ein wenig beachtet zu werden. Mehr ist es, glaube
ich, auch nicht, als ein Wunsch nach Wahrnehmung der eigenen
Person. Was ich allerdings sehr merkwürdig finde, ist die
Tatsache, daß wenn man bei Männern auch nur "Etwas " ahnen
kann (hier der offene Hosenstall) die Sache als peinlich
bezeichnet wird, bei Frauen hingegen kann so vieles heraus-
hängen und fast keiner empfindet eine Peinlichkeit. Das wäre
doch gesellschaftlich zu überdenken.... *zwinker*.
Worüber ich jetzt noch schmunzeln muß, ist die Stelle mit
dem Hund *lach*- so sind sie nun mal die Tiere, entweder sie
bleiben, weil sie dich lieben oder sie bleiben weil du
gerade was zu futtern hast *grins* - gnadenlos ehrlich
sind sie und deswegen für mich so liebenswert.
Es hat mir Spaß gemacht, Deine Geschichte zu lesen!!!

Sende Dir liebe Grüße
 
Hallo Klopfstock,

ich finde es immer wieder interessant - und vor allem überraschend - auf welche Feinheiten Frauen achten! Kompliment ! Nun kann man(n) ja verschiedene Überlegungen anstellen, warum es bei "ihm" peinlich wirkt, wenn "etwas" heraushängt, bei "ihr" hingegen nicht. Vielleicht einigen wir uns darauf, dass es im Laufe der Entwicklung stets SO war, dass die Evas dieser Welt mit Charme, Anmut und Eleganz sich selbst (oder Teile davon) zur Freude der zweiten Hälfte der Menschheit darzustellen vermögen, während es uns umgekehrt immer noch nicht gelungen ist, (auch) diese Vorzüge der Damen einzuholen.
Und noch etwas bleibt anzumerken: Du hast völlig Recht! Bei "ihm" ist es peinlich, bei "ihr" hingegen womöglich attraktiv. Niemand wird bei "ihr" versonnen lächeln, und wenn ja... dann dringt mit diesem Lächeln nur ein wenig von den Sonnenstrahlen wieder nach außen, die "er" zuvor mit seinem Blick aufgenommen hat.
Richtig, da war doch noch etwas! Manche Menschen träumen vielleicht wirklich davon, einmal prominent zu sein. Einige unterziehen sich gar aller erdenklicher Anstrengungen (die ganzen Starletts z.B., die am Rande des Jet-Sets mitzuschwimmen versuchen).
Ich persönlich stimme allerdings dir zur, dass weniger Öffentlichkeit sicher der eigenen Seele besser bekommt. Wie schön, dass wir Hobbyschreiber dieses Forum haben, um zumindest über Feder und Tinte der Phantasie freien Lauf zu lassen.
Mit einem herzlichen Dankeschön für deine sympathischen Anmerkungen.
Liebe Grüße aus dem schönen Münster
Hannes
 



 
Oben Unten