Ich seh dich kochen...

4,00 Stern(e) 1 Stimme

Pola Lilith

Mitglied
Ich sehe dich kochen
aber vielleicht machst du auch etwas ganz anderes



Möchte ich mich vergessen , wenn ich frage, ob du an mich denkst? Bin ich bei mir, wenn ich fern von uns deine Bewegungen begleite? Möchte ich Antworten, die nicht greifbar sind und möchte ich diese aus Furcht vor den direkten Fragen, die ich an das Leben stelle? Wann möchte ich deine Nähe? Und wann möchte ich dich fortschicken? Was ist mit der Kälte, darin wir uns wohlfühlen und was ist mit der Hitze, die uns alles vergessen läßt? Was sind überhaupt Entfernungen, wenn jeder Gedanke uns der nächste ist? Welches Fallen enthauptet mich? Und welches Aufrichten richtet mich auf wohin? Küss mich jetzt, mein männlicher Mann, später ist alles zu spät.

Ich sehe dich kochen, aber vielleicht machst du auch etwas ganz anderes. Das Spezifische jedes Menschen sind dessen Mundwinkel in unbeobachteten Momenten. Wir lieben die Liebe und verdrängen den Abschied. Deine Winkel zucken und deine Geraden wirken wie gelähmt, wenn die Blitze meiner Gedanken dich treffen. Es ist nicht die Fläche, die uns anzieht im Menschen, es sind die Rundungen, die Ecken und Kanten. Die Gesichter verschwimmen zu gerne. Denn was sind schon Augen und eine Nase, wenn die Zeit darüberstreicht und Licht und Schatten unserer Vorstellungen miteinander kollidieren.

Ich sehe dich kochen und rieche gar nichts, wenn ich es will. Nur an den Geschmack des Kusses erinnere ich mich - Saft der Erinnerung und des Verderbnisses. Überhaupt. Einmal werde ich dich sicher anrufen. Oder auch nicht. Wirst du dann an mich denken? Wirst du mein sein in diesem Augenblick? Würde ich das überhaupt wollen? Oder wirst du dich entrüsten, deine Koffer packen und mir die Tür vor der Nase zuschlagen? Nein, ich rufe dich nicht an. Lieber flüchte ich in deine Achselhöhen, in die Schaukelbewegungen der Lust. Dein Kuß schmeckt, wie er schmecken soll. Und ich wünsche mir...


Was kochst du eigentlich?
Aber vielleicht machst du auch etwas ganz anderes.
 

Wipfel

Mitglied
Wieder so ein Kleinod. Deine lyrische Sprache im Text gefällt mir, gefällt mir sehr. Das Zauberhafte deiner Werke ist möglicherweise die Art, mit der du die Protagonisten erzählen lässt. Hier: fragendende Bekenntnisse.

Mir gefällt es, wenn ich nicht Topfdeckelantworten serviert bekomme, sondern wenn die Frage zu meiner wird. Das gelingt Dir.

Anmerkung zum Text:
Dein Kuß schmeckt, wie er schmecken soll. Und ich wünsche mir...

Was kochst du eigentlich?
Aber vielleicht machst du auch etwas ganz anderes.
Mein Vorschlag: kürzen. Wie wäre es mit:

Dein Kuß schmeckt, wie er schmecken soll.

Was kochst du eigentlich?
 

Pola Lilith

Mitglied
Hallo Wipfel,

freut mich, daß es dir gefallen hat.

Leider kann ich den letzten Satz nicht weglassen, denn der besagte Herr ist ja gar nicht da, sondern nur in meinen Gedanken, kocht vielleicht gerade zu dieser Zeit, weil er sonst um diese Zeit kocht (und Wein trinkt!); also macht er vielleicht und ganz außergewöhnlich gerade jetzt etwas ganz anderes - was dann wieder einen Anlaß zu neuen Spekulationen geben könnte.

Gruß, Pola
 
G

Gelöschtes Mitglied 4259

Gast
Sehr angenehme, zurückhaltende, erfahrene Sprache! Frühherbstliche Stimmungen?

LG

P.
 
G

Gelöschtes Mitglied 7520

Gast
hi pola,

wahnwitzig sprunghaft, leichtfüßig, charmant.

respekt.

grüße
nofrank
 
G

Gelöschtes Mitglied 7520

Gast
einiges im leben kann man sich nicht verdienen, das kommt einfach angeflogen...

nofrank
 

Pola Lilith

Mitglied
Hast recht, das Glück fällt uns meistens von irgendeiner unvermuteten Ecke her an; erzwingen läßt es sich auf keinen Fall.

So heißt "loslassen" die Devise, auch beim Schreiben. Aber wie es im Leben so ist, geht es meist nach dem "loslassen" an's eingemachte Zügeln - so bleibt nichts von Bestand, ein ständiges auf und ab, und manchmal ist es schade drum.

Gruß an den Flieger, Pola
 



 
Oben Unten