Ich träumte von einer sterbenden Welt

Botschafter

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Ich sah den Tag, an dem die Hoffnung die Menschen verliess, spürte die Verzweiflung des letzten Augenblicks. Der Himmel brannte. Jahrtausende brachen aus der Erde, das Leid vergangener Zeiten mit sich tragend. Schweigende, harrende Menschheit vor dem Fall des Vorhangs im Theater der Unendlichkeit. Feinde verzweifelten ob der vertanen Zeit. Freunde nahmen Abschied. Einige weinten, andere schrien...alle litten. Kinder umarmten Eltern, wollten des Abends sagten, was im Tage unausgesprochen blieb. Glücklich war, wer Worte fand, die Masse kapitulierte stumm. Gebete, gesprochen zu vergessenen Göttern. Flehen derer, die vieles taten und für alles Vergebung suchten.
Und ich stand mitten unter ihnen und fühlte, wie an jedem einzelnen Tag meines Lebens. „Ich vergebe Dir, Bruder“, „Schwester, Dir sei verziehen“, ich schritt durch die Reihen von Männern und Frauen und sprach sie los von ihren Sünden. In Strömen kamen sie zu mir und ich nahm das Leid von ihnen. Weinend küssten sie mich, priesen sie mich und verloren dabei ihre Angst vor dem, was ihnen bevorstand. Ich, der Schwächste unter ihnen, Zeit Lebens zweifelnd suchend, ich befreite sie von der Todesfurcht. Ich trüge das Leid der Menschen auf meinen Schultern, hörte ich sie sagen. Das Leid der gesamten Menschheit bedrückte mich nicht mehr, als meine Sorgen dies, seit ich denken muss, tun. Ich wandte mich ab und legte mich zum Sterben unter meinen Baum. Seine Blätter waren noch grün, seine Äste noch stark. Bald würde auch er vergehen. In der Ferne schlugen die ersten Brocken wie gewaltige Blitze in den Boden. Blutige Feuer loderten. Die Schreie wurden leiser, verstummten bald. Herzruss und Seelenstaub legten sich auf die Erde. Ich erhob mich und horchte der Stille.
Ich träumte von einer sterbenden Welt und wünschte, ich wäre nie erwacht.
 

Rainer Heiß

Mitglied
Weltuntergang

Hallo Botschafter,

über deinen Austausch mit Hui Buh im Diskussionsforum bin ich auf dich aufmerksam geworden und musste, da ich eine ähnliche Phase hinter mir habe (siehe Kurzgeschichten), mal reinlesen. Freilich ist das nicht jedermanns Geschmack, aber es ist ehrlich und v.a. sprachlich überzeugend umgesetzt.
Und um zu sehen, dass man auch wieder aus diesen Stimmungen rauskommt, kannst du ja mal unter "Sonstiges" nachlesen...
Grüße, Rainer
 



 
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