Igel Schnüffke und der gebrochene Stachel

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Laina

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Schnüffke und der gebrochene Stachel

Einmal im Herbst, es muss ungefähr nachmittags um drei gewesen sein, kroch Igel Schnüffke unter einer Hecke hindurch auf eine große Wiese, um Futter für den Winter zu suchen.
Als er gerade seine lange Nase schnüffelnd in ein Erdloch steckte, in dem ein Wurm verschwunden war, sah er aus den Augenwinkeln einen Schatten näher kommen. Ganz langsam wanderte der Schatten auf dem Boden auf ihn zu.

Schnüffke, der zwar nicht sehr schlau, aber auch nicht sehr dumm war, traute sich kaum zu atmen. Das wird doch nicht... Und schon setzte die flinke Katze Schusch zum Sprung an.
„Hi-hi-hilfe!“ , rief Schnüffke, und rannte los, so schnell ihn seine kurzen Beinchen trugen. Dann erinnerte er sich daran, dass er ein Igel war, und blitzschnell rollte er sich zu einer Kugel zusammen.

Leider, und hätte Schnüffke ein wenig mehr Zeit zum Nachdenken gehabt, wäre es ihm vielleicht aufgefallen, befand sich die Hecke auf einem Hügel. Und wie jeder weiß, haben Hügel die Angewohnheit, auf der einen Seite hinauf, und auf der anderen Seite wieder hinunter zu führen.
Schnüffke, der nun immer schneller den Hügel hinunterrollte, wusste nicht wie ihm geschah. „Hi-hi-hilfe!“, rief er wieder. „Mir wird ganz schwindelig!“ Aber es half nichts. Es kam, wie es kommen musste. Er rollte, hob dabei ein wenig von der Wiese ab, sah den Stein nicht kommen und WOMMS. Stachelbruch. Fünfzehnter Stachel von links.
Verwirrt rappelte sich Schnüffke auf. Von Weitem sah er Schusch den Kopf schütteln. „Nein nein.“, hörte er sie sagen. „Nein sowas.“ Und sie leckte sich dabei die rechte Vorderpfote und schaute ein wenig eingebildet. „So etwas möchte ich nicht verspeisen. So ein dummes, dummes Ding. Bemitleidenswert.“
Schnüffke war zuerst ein wenig wütend und überlegte noch, wie er es der Katze heimzahlen könnte, als er plötzlich ganz blass um die Nase wurde.
„Aua!“, quiekte er. „Mir wird ganz schlecht.“ Denn wenn man sich etwas bricht, dann merkt man es zuerst nicht, und dann wird einem ein wenig schlecht. Und etwas wehleidig war Schnüffke auch.
„Ich glaube, ich habe mir einen Stachel gebrochen. Was mache ich denn nur?“, jammerte er. „Bestimmt muss ich nun für immer hier liegen und mich bemitleiden.“

Ein paar Minuten saß er so da, da hörte er es hinter ihm kichern. Als er sich umdrehte, schaute er in zwei kleine, braune Augen. „Hihihi!“, kicherte Piep, die Maus. „Na du bist ja vielleicht lustig. An einem gebrochenen Stachel muss man doch nicht sterben! Warte, ich helf´dir.“
Und Piep ging um Schnüffke herum und begutachtete den Stachel.
„Hmmmmm“, brummte sie. „Hmmmm. Hängt etwas schlapp herunter. Einmal an der Spitze abgeknickt. Ich würde sagen, wir müssen ihn kleben.“
„Kleben?“, wunderte sich Schnüffke. „Mit was sollen wir ihn denn kleben?“
„Na mit Honig!“, rief Piep. „Dort drüben an der alten Eiche haben die Bienen ihren Bienenstock. Am besten, du gehst dort hinüber und fragst nach ein wenig Honig.“
Und Schnüffke ging zur alten Eiche und klopfte vorsichtig an den Baumstamm.

„Huhu?“, fragte er unsicher, denn es hieß, bei Bienen sei höchste Vorsicht angesagt. „Dabei“, dachte Schnüffke sich, „dabei ist das doch Unsinn. Bienen haben nur einen einzigen, winzigen Stachel. Ich habe hunderte! – Wenn es danach ginge, wäre ich ja das gefährlichste Tier der Welt!“
Und während er einen halben Zentimeter wuchs vor lauter eingebildeter Gefährlichkeit, hörte er es über sich surren. „Wer da? Bin beschäftigt, ganz beschäftigt. Muss Blumen bestäuben und Honig machen, also wer da?“
„Ich bin es, Schnüffke, der Igel. Ich habe mir einen Stachel gebrochen und hätte gerne etwas Honig, damit ich ihn zusammenkleben kann.“
„Papperlapapp! Honig! So ein Unsinn! Er wird dir deine restlichen Stacheln verkleben. Ich habe eine bessere Idee. Mit Stacheln kenne ich mich aus, jawohl. Und wenn man einen Stachel hat, der gebrochen ist, dann muss man ihn mit Spucke voll machen und wieder zusammensetzen.“
Und Buzz, der Bienerich flog um den Stachel herum, bespuckte ihn, und versuchte dann ihn zusammen zu stecken. Doch der Stachel war zu schwer für eine kleine Biene, und so zog er, und zog, und zog, und ... rutschte ab, surrte wie ein Pfeil durch die Luft, sah den Bienenstock immer näher kommen und PLOPP – steckte er mit seinem Stachel darin fest.
Sofort kamen hunderte Bienen, um ihm zu helfen. Und Schnüffke saß betrübt darunter und machte sich auf, jemand Anderen zu suchen, der ihm helfen konnte.

Auf seinem Weg über die Wiese traf er Hops, das Kaninchen.
„Was guckst du so traurig?“, fragte es ihn.
„Ach“, seufzte Schnüffke, „Ich habe mir einen Stachel gebrochen, und die Bienen konnten mir nicht helfen, ihn zu reparieren.“
„Das ist aber wirklich traurig.“, antwortete Hops und sah sich den Stachel genauer an.
„Ich weiß!“, rief er schließlich. „Du legst dich auf den Boden, ziehst deine restlichen Stacheln ein, und ich klopfe den gebrochenen Stachel einfach gerade. Denn wenn Kaninchen eins gut können, ist es mit den Hinterpfoten klopfen!“
Schnüffke zögerte. „Ich weiß nicht, ob ich...“
„Nicht so viel reden, einfach machen!“
Da legte sich Schnüffke auf die Wiese und hielt vor Anstrengung seine Stacheln einzuziehen die Luft an.
Hops holte mit seinem Hinterlauf aus, zielte und ... „Auuuuuuaaaa!“ Hops sprang im Zickzack über die Wiese. „Aua aua aua auaaaaaaaa!“, schrie er immer wieder.
Schnüffke war schon wieder ganz schlecht. Vor lauter Angst vor dem großen Hinterlauf des Kaninchens hatte er sich blitzschnell zusammengerollt, und Hops, der seine Pfote nicht mehr stoppen konnte, trat in hunderte kleiner, spitzer Igelstacheln.
„Ich gehe besser.“, dachte sich Schnüffke, murmelte ein leises „Entschuldigung…“, und ging betrübt weiter.
Als er ein paar Minuten weitergelaufen war, traf ihn etwas am Kopf.
Schnüffke schaute nach oben, konnte aber nichts erkennen, außer den Baum, unter dem er stand. Gerade wollte er weitergehen, da hörte er eine piepsige, hektische Stimme. „Hey! Heeeeey! Hey du! Was soll das denn? Einfach meine Nuss stehlen!“
Als Schnüffke diesmal nach oben schaute, sah er in zwei nussbraune Augen und ein paar Schnurrhaare, die vor Ärger zitterten.
„Wer bist denn du? Und von was für einer Nuss redest du?“
„Ich bin Eik, das Eichhörnchen. Und dir ist da eben meine Nuss auf den Kopf gefallen. Ich habs genau gesehen, du wolltest sie mitnehmen und selbst essen!“
„Nein.“, widersprach Schnüffke. Igel fressen doch gar keine Nüsse. Und überhaupt, ich habe ganz andere Probleme.“
„So? Welche denn?“, fragte Eik. „Aber red´ nicht zu lange! Ich muss Vorräte sammeln! Nüsse und Eicheln und alles vergraben. Eins sag ich dir: Das ist vielleicht ein Stress. Da bekommt man Hunger während man schläft, und muss erst verschlafen vom Baum herunter klettern, sich dann erinnern, wo man die Nüsse vergraben hat, und dann auch noch Nuss für Nuss ausgraben. Jedes Jahr dasselbe Theater. Ich wünschte, ich wüsste eine...“ „Lösung“, wollte Eik sagen, als drei seltsame Dinge hintereinander passierten, die Schnüffke dazu veranlassten, die Flucht zu ergreifen.
1. Eiks Gesicht verzog sich zu einem Grinsen und seine Augen leuchteten.
2. Eik verschwand im Baum und kam innerhalb von ein paar Sekunden mit beiden Pfoten voll Nüssen wieder heruntergerast.
Und 3. Ehe Schnüffke etwas sagen konnte, steckte Eik pfeifend Nuss für Nuss auf einen Igelstachel nach dem Anderen. „Denn wenn du einfach hier bleibst, den Winter über, und dich neben mich setzt während ich schlafe, dann kann ich ohne aufzustehen ganz einfach alle Nüsse nacheinander von dir abpflücken.“
Schnüffke rannte. Er wusste selbst nicht, wohin, er rannte einfach geradeaus. So ein übergeschnapptes Eichhörnchen! Und wieder jemand, der ihm nicht helfen konnte. Nicht einmal zu Wort gekommen war er.
Es gab wohl niemanden auf der ganzen weiten Welt, der seinen Stachel wieder ganz machen konnte.
Todtraurig setzte er sich irgendwann einfach hin und wollte sich seinem Schicksal überlassen, als es auch noch anfing zu regnen.
„Das ist das richtige Wetter für meine ernste Lage.“, jammerte er. „Ich werde einfach hier warten, bis ich ertrinke.“
Da kroch ein Regenwurm an ihm vorbei, der ihn wohl übersehen hatte. Schnüffke dachte sich: “Eine letzte Mahlzeit wird ja wohl nicht schaden.“, und rappelte sich auf, um den Wurm zu verspeisen.
Als er mit seiner Nase ganz dicht über ihm war, bemerkte ihn der Wurm und begann zu zittern.
„Oh neiiin!“, rief er. „Friss mich nicht! Ich schmecke gar nicht! Und überhaupt, ich bin ja viel zu mager!“
„Ach“, seufzte Schnüffke. „Ich würde dich ja vielleicht verschonen, aber ich habe mir eine letzte Mahlzeit versprochen.“
„Eine letzte Mahlzeit? Musst du denn sterben?“, fragte der Regenwurm etwas erstaunt.
„Ganz sicher.“, antwortete Schnüffke. „Ich habe mir einen Stachel gebrochen, und was ist schon ein Igel mit einem gebrochenen Stachel wert? Dazu die Schmerzen, und niemand, der mir helfen kann.“
Da lächelte der Regenwurm. „Ich habe eine Idee.“, sagte er.
„Oh nein, bitte keine Ideen mehr.“, seufzte Schnüffke wehleidig. „Alle hatten sie Ideen: Die Maus wollte meinen Stachel kleben, die Biene steckt nun mit ihrem eigenen Stachel im Bienenstock, das Kaninchen hat Löcher in der Pfote und das Eichhörnchen wollte aus mir einen Nusshalter machen. Also bitte nie wieder eine Idee.“
Doch der Regenwurm lächelte weiter. „Bitte, lass es mich einmal probieren.“, sagte er. „Wenn du mich nicht frisst, dann kann ich deinen Stachel heilen. Ich verspreche es.“
„Was willst du denn schon ausrichten?“, fragte Schnüffke spöttisch. „Du bist mein Mittagessen!“
Doch als der Wurm nicht aufgab, ihm zu versprechen, den Stachel wieder ganz zu machen, dachte Schnüffke nach. Was hatte er noch zu verlieren? „Nagut. Aber nur ein einziger Versuch.“
Und der Regenwurm kroch auf den Rücken des Igels und wickelte sich um den gebrochenen Stachel, so dass er zusammengehalten wurde.
„Siehst du?“, rief er von oben herunter. „So kann dein Stachel in Ruhe heilen, du musst nicht sterben, ich muss nicht sterben, und dazu können wir uns vielleicht sogar befreunden. Ich heiße übrigens Flutsch.“
Schnüffke war nicht nur erstaunt, sondern auch überglücklich. „Ganz sicher!“ rief er fröhlich zurück.
Und es war ihm schnurzegal, dass er sich mit seiner Mahlzeit befreundete. Wichtig war nur: Er hatte Flutsch nicht gefressen, und Flutsch hatte dafür seinen Stachel geheilt! So war ihnen Beiden geholfen.
Und selbst nachdem Schnüffkes Stachel schon lange wieder zusammengewachsen war, blieben Igel und Regenwurm Freunde und ließen sich nicht mehr aus den Augen. Und jedes Tier auf der großen Wiese fragte sich, ob einer der Beiden wohl übergeschnappt wäre, denn schließlich gab es Tiere, die konnten sich einfach nicht befreunden. Aber das störte Schnüffke und Flutsch nicht. Sie waren glücklich und froh, dass sie sich gefunden hatten.
 
G

Gelöschtes Mitglied 14278

Gast
Hallo Laina,

da ist Dir mit Deinem ersten Text in der LL gleich etwas sehr Schönes gelungen. Ich finde die Geschichte spannend, lehrreich und witzig. Sie ist mit klaren, leicht verständlichen Sätzen geschrieben und enthält trotz der Länge keinen Ballast. Eine gute Geschichte zum Vorlesen!

Gruß Ciconia
 

HelenaSofie

Mitglied
Hallo Laina,

viel Fantasie, Ideenreichtum und eine gekonnte Ausdrucksweise stecken in dieser schönen Geschichte. Ich habe mir das Ganze bildlich vorgestellt. Ein schönes Bild! Nur der Regenwurm war etwas zu dick und zu lang. Er passte nicht zwischen die Stacheln.Vielleicht war es ja auch nur ein kleiner dünner Wurm.
Sehr gern gelesen.

Liebe Grüße
HelenaSofie
 
E

eisblume

Gast
Hallo Laina,

das ist wirklich eine sehr hübsche Geschichte. Was mir besonders gefällt, ist dass jedes Tier seine eigene Sprache/Stimme hat. Auch die einzelnen Namen finde ich sehr gut gewählt.
Ein paar kleine Fehlerchen sind drin, aber die haben das Lesevergnügen nicht getrübt.

Das hier ist im Übrigen meine Lieblingsstelle:
WOMMS. Stachelbruch. Fünfzehnter Stachel von links.
Klasse!

sehr gern gelesen
lieben Gruß
eisblume
 



 
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