Ikarus, gebenedeiter

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Walther

Mitglied
Ikarus, gebenedeiter
Sonettreplik auf Günter Grass "Was gesagt werden muss"


Der greise Sänger schaler schlechter Lieder
Kann das Moralaposteln halt nicht lassen.
Er musste wieder einen Text verfassen,
Der nach Vergessen riecht wie alter Flieder.

Er muss sich schrecklich lieben – oder hassen -:
Wer lässt sich schon in diese Tiefen nieder,
Zerbricht kurz der Geschichte Kettenglieder,
Um sie nach eignem Gusto anzupassen,

Damit sie in der rechten Richtung liegen,
Nach Credo des gebenedeiten Dichters?
Als Friedenstauberich kann er nur siegen.

Er fühlte sich im Mantel eines Richters
Seit jeher pudelwohl: Zu Kopf gestiegen
Ist ihm der Preis, er glaubt jetzt, er kann fliegen.
 

Walther

Mitglied
Ikarus, gebenedeiter
Sonettreplik auf Günter Grass "Was gesagt werden muss"


Der greise Sänger schaler schlechter Lieder
Kann das Moralaposteln halt nicht lassen.
Er musste wieder einen Text verfassen,
Der nach Vergessen riecht wie alter Flieder.

Er muss sich schrecklich lieben – oder hassen -:
Wer lässt sich schon in diese Tiefen nieder,
Zerbricht kurz der Geschichte Kettenglieder,
Um sie nach eignem Gusto anzupassen,

Damit sie in der rechten Richtung liegen,
Nach Credo des gebenedeiten Dichters?
Als Friedenstauberich kann er nur siegen.

Er fühlte sich im Mantel eines Richters
Seit jeher pudelwohl: Zu Kopf gestiegen
Ist der Nobelpreis, er glaubt, er kann fliegen.
 
K

koollook

Gast
Dein Gedicht wirft die Frage des subjektiven Urteils auf. Was ist gut? Was ist nicht gut oder gar schlecht?
Ist es nicht allein schon sinnvoll, etwas zu schreiben, wenn es einem richtig vorkommt? Eine andere Frage ist, ob man sein Werk anderen zumuten kann. In Zeiten des www ist es nun mal sehr einfach, seine "Meisterwerke" einem relativ breitem Publikum zu präsentieren. Ob das gut, nicht gut oder schlecht ist, muss jeder für sich entscheiden.
 

Walther

Mitglied
Lb. Koollook,

mein Gedicht ist eine - absichtsvoll - polemische Replik. Wer sich in Gefahr begibt, wie Herr Grass oder auch ich, muß mit dem Risiko leben, dessen er sich aussetzt. Ich habe keinen Beifall erwartet, allenfalls Differenzierung.

LG W.
 

Walther

Mitglied
Lb. Marie-Luise,

Dein Einwand ist korrekt - und auch wieder nicht. Sich niederlassen ist dem sich Setzen sehr nahe. Dann wäre der Vorschlag korrekt.

Hier ist das Niederlassen im Sinne von Herab- oder Herunterlassen gemeint, und dann stimmt meine Formulierung.

Vielen Dank für intensive Hereinlesen. Bisher hat sonst niemand diesen Punkt aufgegriffen.

LG W.
 
Lieber Walther,
ich kann mich deinen Argumenten von „sich niederlassen“ zwar nicht anschließen, doch muss ich sagen, dass mir dein Gedicht – es grass.ieren ja einige in der Lupe – zum Thema am besten gefällt. Nur….

Ist der Nobelpreis, er glaubt, er kann fliegen.
Bei dieser Zeile finde ich den richtigen Rhythmus nicht, obwohl die Silbenzahl stimmt.

„Ist der Nobelpreis, er glaubt er könne fliegen“ wäre für mich rhythmischer.

Ein frohes Osterfest wünscht dir
Marie-Luise
 
Nachtrag.
Ich vergaß noch zu erwähnen, dass mir dein Gedicht gefällt, weil der Ikarus erwähnt wird.
Ich glaube, Grass hat sich auch die Flügel verbrannt.
 
B

Beba

Gast
Lb. Walther,

du hast mich ja hierhin geführt. Dieser Text ist dann doch einer, der lyrisch anspricht. Viele können sich zur Zeit ja nicht bremsen, zum Thema GG Lyrikversuche von sich zu geben. Leider unterbieten sie damit häufig mit die lyrische Qualität des Textes von GG um Längen.
Dein Text hier ist eine rühmliche Ausnahme. Danke dafür! ;)

LG
Beba
 

HerbertH

Mitglied
Ist der Nobelpreis, er glaubt, er kann fliegen.
geht im ersten Moment tatsaechlich gegen den Lesefluss, ABER:

Ist der Nobelpreis, [blue]er[/blue] glaubt, [blue]er[/blue] kann fliegen.

macht besonders gut deutlich, dass jener Laureat es glaubt, und niemand sonst?

Anmerkung: Nicht viel von der inhaltlichen Dimension wuerde

"er hofft, er kann fliegen"

wegnehmen, aber dem Metrum etwas aufhelfen, weil "hofft" nur ein kurzes "o" statt eines langen "au" enthaelt.

Bitterboes, gelungen, lieber Walther!
 

Walther

Mitglied
Lb. Herbert,

danke für Deinen freundlichen Eintrag. Für dieses Gedicht habe ich viel Haue gekriegt. :) Das hat damit zu tun, daß ein Grass typischer Wesenszeug karikiert worden ist. Inzwischen wissen wir, daß der Dichter demnächst einen Gedichtband veröffentlichen wird, was die Sache noch despektierlicher macht.

Zu dieser Haue gehören auch die beiden Schlechtwertungen.

In der Tat "holpert" der letzte Vers, allerdings sind Betonungen korrekt, denn sie sitzen auf den Subjekten:
Ist der Nobelpreis, er glaubt, er kann fliegen.
Hier sieht man wieder einmal, wie wichtig es ist, Gedichte zu deklamieren, nicht einfach zu leise zu lesen. Erst im Vortrag kann man erkennen, ob das Metrum korrekt ist oder nicht. Rhythmusgefühl ist ein Ohr-, ein Hörsinn.

Für Deinen Vorschlag spricht, daß sich
Ist der Nobelpreis, er hofft, er kann fliegen.
sicherlich leichter wie vorne hervorgehoben lesen lassen kann. Der Nachteil ist, daß glauben und hoffen inhaltlich doch unterschiedlich sind, besondern in diesem Fall hier. Das Gedicht bekommt einen anderen Zungenschlag, den ich mir noch durch den Kopf gehen lassen muß.

Danke für Deine freundlichen Eintrag aus der spanischen Fremde, aus der Du hoffentlich bald wieder erholt zurücksein wirst.

LG W.
 

Walther

Mitglied
Lb. Beba,

leider merkt man das den Wertungen nicht an. Aber so ist es, wenn man nicht dem Mainstream folgt. :)

LG W.
 
B

Beba

Gast
Shame on me! ;) Ich vergaß ja selbst die Wertung. Na ja, habe es wieder gut gemacht. ;)

LG
Beba
 



 
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