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Im Keller
"Es war ein Unfall, Herr Oberstaatsanwalt. Ich würde doch niemals mit Absicht … Die Treppe ist schon sehr alt. Ich war gerade dabei, sie zu reparieren. Im Keller. Ich war im Keller, als es passiert ist. Ich suchte nach passenden Schrauben für das Geländer. Es ist so eine alte, ausladende Holztreppe, wissen Sie, sehr steil und mit vielen Stufen, die im rechten Winkel vom ersten Stock in die Eingangshalle hinunterläuft. Wie man das im 19. Jahrhundert in den großen Landhäusern eben so hatte. Seit dem Tod meines Vaters lebten wir beide in dem alten Kasten. Da fiel eine Menge Arbeit an. Hier war das Dach undicht, dort musste ein Fenster erneuert werden, im Esszimmer drang die Feuchtigkeit durch die Wände. Wenn ich von meiner Arbeit zurückkam, hatte ich mit dem Haus immer noch alle Hände voll zu tun. Ihr Job war das Essen, die Wäsche, der Haushalt eben. Sie erledigte immer alles pünktlich und ordentlich, da gab es nichts zu beanstanden.
Wir führten ein ruhiges Leben. Keine großen Streitereien, wie man das in anderen Familien so oft sieht. Keine Extravaganzen. Den Feierabend verbrachten wir meistens gemütlich vorm Fernseher. Sie legte dabei Patiencen, ich löste Kreuzworträtsel. Nur am Wochenende, da luden wir manchmal Freunde ein. Das heißt, sie lud welche ein. Das gesellschaftliche Leben, wie man so sagt, das war ihr Ressort. Ab und zu hatten wir also Gäste zum Abendessen, und nachher spielten wir alle zusammen Karten. Rommée, manchmal sogar Räuberrommée, um die Spannung zu erhöhen.
Einmal im Monat ging ich allein weg. Das war unser Vertrag: Der erste Samstag im Monat gehörte mir, die anderen begleitete ich sie auf ihren Besorgungsgängen. Sie hatte keinen Führerschein, wissen Sie. Ich spiele Golf. Meistens allein, aber manchmal schließe ich mich auch einer Gruppe an, wenn mir die Gesichter zusagen. So lernte ich Laura kennen. Sie war die faszinierendste Frau, die mir je vor die Augen gekommen ist. Wenn sie den Ball mit präzisem Schwung durch die Luft schleuderte, flatterten ihre blonden Haare ungebändigt im Wind und verbreiteten einen Duft nach Heu und Waldboden. Sobald sie auftauchte, konnte ich den Blick von ihr nicht mehr lösen. Selbstverständlich hielt ich meine Gefühle zu Hause geheim, das kann ich sehr gut, denn ich bin ein beherrschter Mann. Auch Laura gegenüber war ich stets zurückhaltend, bin ihr nie zu nahe getreten. Bis zu dem Tag, an dem ich sie gefragt habe, ob sie einmal mit mir essen gehen wollte. Für den Fall, dass sie Ja sagen würde, hatte ich mir schon eine Entschuldigung zurechtgelegt: ein Arbeitsessen mit den Kollegen.
Zuerst schaute Laura mich an, als ob sie mich nicht richtig verstanden hätte. Dann zog ein ungläubiger Ausdruck über ihr Gesicht, und schließlich brach ein schallendes Gelächter aus ihrem Mund, der sich zu einer grotesken Maske verzogen hatte.
"Das kann doch wohl nicht Ihr Ernst sein", kicherte sie nur noch und ließ mich einfach stehen. Ich sah ihr schweigend hinterher, die Arme wie Bleigewichte an meinem Körper hängend, zu jeder Reaktion unfähig. Und dann bäumte sich etwas in mir auf. Wissen Sie eigentlich, wie schmerzhaft Wut sein kann, Herr Oberstaatsanwalt? Mein Atem setzte einen Moment lang aus vor Qual. Die Beine gaben unter mir nach, ich sackte auf dem Rasen zusammen.
Am nächsten Morgen stand ich früh auf. Holte mein Handwerkszeug aus dem Keller und fing an, das Treppengeländer im ersten Stock, gleich vor ihrer Schlafzimmertür, loszuschrauben. Eine alte, gefährliche Treppe war das, ich musste sie sofort reparieren. Nachdem die Schrauben gelockert waren, ging ich noch einmal in den Keller hinunter, um einen Hammer zu holen, den ich vergessen hatte. Ich konnte ihn aber nicht finden, und da wurde ich ungeduldig. Vom Keller bis in den ersten Stock habe ich gerufen, ob sie vielleicht den Hammer gesehen hätte. Als ich die Stufen bis in die Eingangshalle hinaufgestiegen war, erschien sie auch schon oben an der Brüstung. Und wie immer, wenn sie mir von dort oben etwas herunterrief, legte sie ihre Hände auf das Geländer und beugte sich vor. Das Geräusch, mit dem ihr Körper auf dem Marmorboden aufschlug, war dumpf und kurz. Ganz anders, als ich es mir vorgestellt hatte. Ohne Echo in meinem Leben danach.
Es war ein Unfall, Herr Oberstaatsanwalt. Sie müssen das verstehen. Ich könnte doch niemals absichtlich meine Mutter …"
Im Keller
"Es war ein Unfall, Herr Oberstaatsanwalt. Ich würde doch niemals mit Absicht … Die Treppe ist schon sehr alt. Ich war gerade dabei, sie zu reparieren. Im Keller. Ich war im Keller, als es passiert ist. Ich suchte nach passenden Schrauben für das Geländer. Es ist so eine alte, ausladende Holztreppe, wissen Sie, sehr steil und mit vielen Stufen, die im rechten Winkel vom ersten Stock in die Eingangshalle hinunterläuft. Wie man das im 19. Jahrhundert in den großen Landhäusern eben so hatte. Seit dem Tod meines Vaters lebten wir beide in dem alten Kasten. Da fiel eine Menge Arbeit an. Hier war das Dach undicht, dort musste ein Fenster erneuert werden, im Esszimmer drang die Feuchtigkeit durch die Wände. Wenn ich von meiner Arbeit zurückkam, hatte ich mit dem Haus immer noch alle Hände voll zu tun. Ihr Job war das Essen, die Wäsche, der Haushalt eben. Sie erledigte immer alles pünktlich und ordentlich, da gab es nichts zu beanstanden.
Wir führten ein ruhiges Leben. Keine großen Streitereien, wie man das in anderen Familien so oft sieht. Keine Extravaganzen. Den Feierabend verbrachten wir meistens gemütlich vorm Fernseher. Sie legte dabei Patiencen, ich löste Kreuzworträtsel. Nur am Wochenende, da luden wir manchmal Freunde ein. Das heißt, sie lud welche ein. Das gesellschaftliche Leben, wie man so sagt, das war ihr Ressort. Ab und zu hatten wir also Gäste zum Abendessen, und nachher spielten wir alle zusammen Karten. Rommée, manchmal sogar Räuberrommée, um die Spannung zu erhöhen.
Einmal im Monat ging ich allein weg. Das war unser Vertrag: Der erste Samstag im Monat gehörte mir, die anderen begleitete ich sie auf ihren Besorgungsgängen. Sie hatte keinen Führerschein, wissen Sie. Ich spiele Golf. Meistens allein, aber manchmal schließe ich mich auch einer Gruppe an, wenn mir die Gesichter zusagen. So lernte ich Laura kennen. Sie war die faszinierendste Frau, die mir je vor die Augen gekommen ist. Wenn sie den Ball mit präzisem Schwung durch die Luft schleuderte, flatterten ihre blonden Haare ungebändigt im Wind und verbreiteten einen Duft nach Heu und Waldboden. Sobald sie auftauchte, konnte ich den Blick von ihr nicht mehr lösen. Selbstverständlich hielt ich meine Gefühle zu Hause geheim, das kann ich sehr gut, denn ich bin ein beherrschter Mann. Auch Laura gegenüber war ich stets zurückhaltend, bin ihr nie zu nahe getreten. Bis zu dem Tag, an dem ich sie gefragt habe, ob sie einmal mit mir essen gehen wollte. Für den Fall, dass sie Ja sagen würde, hatte ich mir schon eine Entschuldigung zurechtgelegt: ein Arbeitsessen mit den Kollegen.
Zuerst schaute Laura mich an, als ob sie mich nicht richtig verstanden hätte. Dann zog ein ungläubiger Ausdruck über ihr Gesicht, und schließlich brach ein schallendes Gelächter aus ihrem Mund, der sich zu einer grotesken Maske verzogen hatte.
"Das kann doch wohl nicht Ihr Ernst sein", kicherte sie nur noch und ließ mich einfach stehen. Ich sah ihr schweigend hinterher, die Arme wie Bleigewichte an meinem Körper hängend, zu jeder Reaktion unfähig. Und dann bäumte sich etwas in mir auf. Wissen Sie eigentlich, wie schmerzhaft Wut sein kann, Herr Oberstaatsanwalt? Mein Atem setzte einen Moment lang aus vor Qual. Die Beine gaben unter mir nach, ich sackte auf dem Rasen zusammen.
Am nächsten Morgen stand ich früh auf. Holte mein Handwerkszeug aus dem Keller und fing an, das Treppengeländer im ersten Stock, gleich vor ihrer Schlafzimmertür, loszuschrauben. Eine alte, gefährliche Treppe war das, ich musste sie sofort reparieren. Nachdem die Schrauben gelockert waren, ging ich noch einmal in den Keller hinunter, um einen Hammer zu holen, den ich vergessen hatte. Ich konnte ihn aber nicht finden, und da wurde ich ungeduldig. Vom Keller bis in den ersten Stock habe ich gerufen, ob sie vielleicht den Hammer gesehen hätte. Als ich die Stufen bis in die Eingangshalle hinaufgestiegen war, erschien sie auch schon oben an der Brüstung. Und wie immer, wenn sie mir von dort oben etwas herunterrief, legte sie ihre Hände auf das Geländer und beugte sich vor. Das Geräusch, mit dem ihr Körper auf dem Marmorboden aufschlug, war dumpf und kurz. Ganz anders, als ich es mir vorgestellt hatte. Ohne Echo in meinem Leben danach.
Es war ein Unfall, Herr Oberstaatsanwalt. Sie müssen das verstehen. Ich könnte doch niemals absichtlich meine Mutter …"
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