Im Speisesaal
An Wendenbergs Tisch hat es einen Wechsel gegeben. Ein Patient ist abgereist und alle wissen, daß Sitzplatz und Zimmer heute noch neu belegt werden. Es ist spannend, auf den Menschen zu warten, der jetzt irgendwo im Zug sitzt oder bereits auf dem Zimmer die Koffer auspackt.
Der Ablauf im Speisesaal ist immer gleich: im Laufe des Tages wird das Küchenpersonal eine frische Serviette bringen und quer über den Teller legen; daß heißt: ein neuer Patient. Auf dem Serviettenring steht der Name und davor „Hr.“ oder „Fr.“. Wendenberg ist neugierig, schaut nach: Gottseidank, eine Frau. Er haßt es, mit soviel Männern an einem Tisch sitzen zu müssen und sich das Neueste aus Motorsport und Bundesliga anzuhören.
Das Mittagessen wird aufgetragen, die Neue kommt nicht. Gerade heute sind viele Menschen angereist. Überall stehen Koffer und Reisetaschen herum, frische Gesichter, verängstigte, abweisende, selbstbewußte, hilfesuchende. Aber der Platz neben Wendenberg bleibt leer. Die Mahlzeiten sind Fixpunkte, ebenso wie die Therapien und Anwendungen, daran orientiert sich der Tagesablauf. Der Nachmittag vergeht zwischen Entspannungstraining und Gesprächsgruppe. Abendessen gibt es um halb sechs. Wendenberg ist immer unter den ersten, er mag es nicht leiden, am Büfett anzustehen. Jetzt kann er, verborgen hinter seinem vollen Teller, die neu angereisten Frauen beobachten, wie sie sich von den Schüsseln und Platten kleine Häufchen aufpicken. Eine nach der anderen entschwindet in die hinteren Abteilungen des großen Raumes. Er kaut betont langsam, ist aber dennoch fast fertig, als ein verschüchtertes weibliches Wesen an seinen Tisch kommt.
Er ist die Liebenswürdigkeit in Person. Susanne. Aha. Aus Bremerhaven. Jaja, kennt man. Station Sieben. Pech. Wendenberg ist auf der Zwei. Pferdeschwanz, schlanke Hände. Sein Blick wandert über den jungen Körper. Blasse, blaue Augen. Er kann fast hindurchsehen in ihren schmalen Mädchenkopf. Sie hat auf dem Zimmer gegessen. Soso. Glaubt er ihr nicht. Mit Mühe hält er sich zurück, sie bereits am ersten Abend irgendwohin einzuladen.
Am Morgen, es ist warm geworden, die Patienten strömen Schlag acht an das Frühstücksbüffet. Wie immer gibt es einen schweigend, doch verbissen geführten Kampf um den rohen Schinken, mit dem die Küche knausert. Einige Leute kommen aus dem Schwimmbad, ihre Haare sind noch feucht. Ein alter Mann, der hinter Wendenberg steht, zieht geräuschvoll den Rotz hoch. Susanne kommt spät, lächelt tapfer. Sie belegt umständlich ein Brot, ißt aber nichts davon. Sie verströmt eine sanfte Traurigkeit, die ihn mit einhüllt wie eine Aura. Die anderen Patienten lachen und schwatzen. Susanne und Wendenberg schweigen sich an. Seine Hand möchte ihre fassen, aber es bleibt bei dem flüchtigen Wunsch.
Am Mittag sieht er sie zum letzten Mal. Susanne schöpft verlegen zwei halbvolle Löffel Nudeln auf den Teller, lehnt dankend das von Wendenberg eilfertig angebotene Fleisch ab und schaut andächtig in die Sauce. Er merkt schon, daß geht nicht gut. Und er will nicht auf einen neuen Tischnachbarn, nicht auf eine pingelige ältere Dame und schon gar nicht auf einen bärtigen Mann mit Hornbrille warten. Diese Augen sind zu schön. Und wie ihr Haar duftet, wenn er sich zur Seite beugt und dabei wie zufällig ihren Arm berührt. Er holt ihr Salat, nur wenig, aber sie will nicht. Sie geht. Am Abend wartet Wendenberg vergeblich. Die Serviette mit dem Namensring ist nicht benutzt, das Gedeck abgeräumt.
Morgen reisen wieder neue Patienten an, Männer und Frauen. Mal sehen, was dann auf dem Serviettenring steht. Wendenberg nimmt sich noch eine Portion Gulasch. Wie schön, daß abends die Reste vom Mittagessen aufgewärmt werden. Ganz in Gedanken stellt er ein Schüsselchen Pudding an Susannes leeren Platz.
An Wendenbergs Tisch hat es einen Wechsel gegeben. Ein Patient ist abgereist und alle wissen, daß Sitzplatz und Zimmer heute noch neu belegt werden. Es ist spannend, auf den Menschen zu warten, der jetzt irgendwo im Zug sitzt oder bereits auf dem Zimmer die Koffer auspackt.
Der Ablauf im Speisesaal ist immer gleich: im Laufe des Tages wird das Küchenpersonal eine frische Serviette bringen und quer über den Teller legen; daß heißt: ein neuer Patient. Auf dem Serviettenring steht der Name und davor „Hr.“ oder „Fr.“. Wendenberg ist neugierig, schaut nach: Gottseidank, eine Frau. Er haßt es, mit soviel Männern an einem Tisch sitzen zu müssen und sich das Neueste aus Motorsport und Bundesliga anzuhören.
Das Mittagessen wird aufgetragen, die Neue kommt nicht. Gerade heute sind viele Menschen angereist. Überall stehen Koffer und Reisetaschen herum, frische Gesichter, verängstigte, abweisende, selbstbewußte, hilfesuchende. Aber der Platz neben Wendenberg bleibt leer. Die Mahlzeiten sind Fixpunkte, ebenso wie die Therapien und Anwendungen, daran orientiert sich der Tagesablauf. Der Nachmittag vergeht zwischen Entspannungstraining und Gesprächsgruppe. Abendessen gibt es um halb sechs. Wendenberg ist immer unter den ersten, er mag es nicht leiden, am Büfett anzustehen. Jetzt kann er, verborgen hinter seinem vollen Teller, die neu angereisten Frauen beobachten, wie sie sich von den Schüsseln und Platten kleine Häufchen aufpicken. Eine nach der anderen entschwindet in die hinteren Abteilungen des großen Raumes. Er kaut betont langsam, ist aber dennoch fast fertig, als ein verschüchtertes weibliches Wesen an seinen Tisch kommt.
Er ist die Liebenswürdigkeit in Person. Susanne. Aha. Aus Bremerhaven. Jaja, kennt man. Station Sieben. Pech. Wendenberg ist auf der Zwei. Pferdeschwanz, schlanke Hände. Sein Blick wandert über den jungen Körper. Blasse, blaue Augen. Er kann fast hindurchsehen in ihren schmalen Mädchenkopf. Sie hat auf dem Zimmer gegessen. Soso. Glaubt er ihr nicht. Mit Mühe hält er sich zurück, sie bereits am ersten Abend irgendwohin einzuladen.
Am Morgen, es ist warm geworden, die Patienten strömen Schlag acht an das Frühstücksbüffet. Wie immer gibt es einen schweigend, doch verbissen geführten Kampf um den rohen Schinken, mit dem die Küche knausert. Einige Leute kommen aus dem Schwimmbad, ihre Haare sind noch feucht. Ein alter Mann, der hinter Wendenberg steht, zieht geräuschvoll den Rotz hoch. Susanne kommt spät, lächelt tapfer. Sie belegt umständlich ein Brot, ißt aber nichts davon. Sie verströmt eine sanfte Traurigkeit, die ihn mit einhüllt wie eine Aura. Die anderen Patienten lachen und schwatzen. Susanne und Wendenberg schweigen sich an. Seine Hand möchte ihre fassen, aber es bleibt bei dem flüchtigen Wunsch.
Am Mittag sieht er sie zum letzten Mal. Susanne schöpft verlegen zwei halbvolle Löffel Nudeln auf den Teller, lehnt dankend das von Wendenberg eilfertig angebotene Fleisch ab und schaut andächtig in die Sauce. Er merkt schon, daß geht nicht gut. Und er will nicht auf einen neuen Tischnachbarn, nicht auf eine pingelige ältere Dame und schon gar nicht auf einen bärtigen Mann mit Hornbrille warten. Diese Augen sind zu schön. Und wie ihr Haar duftet, wenn er sich zur Seite beugt und dabei wie zufällig ihren Arm berührt. Er holt ihr Salat, nur wenig, aber sie will nicht. Sie geht. Am Abend wartet Wendenberg vergeblich. Die Serviette mit dem Namensring ist nicht benutzt, das Gedeck abgeräumt.
Morgen reisen wieder neue Patienten an, Männer und Frauen. Mal sehen, was dann auf dem Serviettenring steht. Wendenberg nimmt sich noch eine Portion Gulasch. Wie schön, daß abends die Reste vom Mittagessen aufgewärmt werden. Ganz in Gedanken stellt er ein Schüsselchen Pudding an Susannes leeren Platz.