Im Wartezimmer
Das Arztschild verrät mir, dass ich hier richtig bin.
"Bitte eintreten ohne zu läuten!" lese ich unter dem Schild.
Die Tür springt durch leichten Druck auf, schließt sich hinter mir automatisch.
Die Praxisassistentin blickt kurz über ihre Brille auf. Ich reiche ihr den Überweisungsschein meines Hausarztes.
"Haben Sie einen Termin?"
"Ja, ich hatte angerufen...vor 4 Wochen."
Sie sucht mit dem Zeigefinger nach meinem Namen im Aufnahmebuch.
"Ihr Krankenkassenkärtchen, bitte!"
Ich bemerke auf dem Tresen das kleine gläserne Schweinchen mit Münzen. Muss die Kaffeekasse sein. Steht allerdings drauf: SOS-Kinderdörfer. Lässt sich sowieso nicht überprüfen.
"Bitte nehmen Sie noch im Wartezimmer Platz!"
Leicht gesagt, denke ich mir, denn die Stühle sind alle besetzt in dem kleinen Raum. Die Luft stickig und zum Schneiden. Und das beim Lungenfacharzt!
Ob die alle vor mir dran sind? Aber ich hatte ja einen festen Termin vereinbart. Den nächsten Stuhl werde ich mir ergattern.
"Frau Schmidt, bitte!" tönt es aus einem krächzenden Lautsprecher. Frau Schmidt erhebt sich und geht zur Tür, durch die gleichzeitig ein alter Herr den Raum betritt.
Er hinkt, also gehbehindert. Er steuert zielgerichtet auf den freien Sitzplatz zu. Ich sage nichts. Er scheint älter als ich.
Betrachte die Umsitzenden. Die meisten lesen in einer der abgegriffenen Zeitschriften. Eigentlich blättern sie nur.
"Die Bunte" - "Die Motorwelt" - "Frau im Spiegel"......
Zwei jüngere Männer fingern an ihren Handys herum.
"Man sollte mal ein wenig das Fenster öffnen!"... lässt sich eine junge Frau vernehmen. Ein Mann neben ihr erhebt sich. Er betätigt den leicht klemmenden Griff und macht das Fenster einen Spalt weit auf.
"Aber wenn die Tür aufgeht, zieht es"...mischt sich eine Mutter mit Kind ein. "Mein Junge hat Fieber".
Der Mann schließt das Fenster wieder.
Es herrscht einschläfernde Ruhe. Nur zwei Mädchen in zerschlissenen Jeans unterhalten sich kichernd.
Wieder öffnet sich die Tür. Ein Mann kommt herein.Er drückt mit der Hand auf die Ellbeuge. Offenbar wurde ihm Blut entnommen. Er steuert auf eine mit Kopftuch bedeckte Frau zu. Beide wirken fremdländisch. Er nimmt seinen Mantel vom Haken und zieht ihn an. Die Frau erhebt sich und mit ihr zwei weitere Frauen und zwei Kinder. Sie sprechen arabisch. Aha, Großfamilie...denke ich mir. Ein Patient und fünf besetzte Stühle. Sie verlassen laut diskutierend den Raum. Ich kann mich setzen.
Meine Uhr zeigt mir, dass ich eigentlich gleich dran sein müsste. Die Logik sagt mir allerdings etwas anderes:
Wenn die Leute hier alle einen Termin haben, dann müssten sie vor mir aufgerufen werden. Entweder sie sind alle auf den gleichen Termin bestellt - das klingt wenig logisch - oder sämtliche Termine werden nicht eingehalten. Dann heißt es : Warten. Mir gehen assoziative Gedanken an die Deutsche Bundesbahn oder mangelhaftes Management durch den Kopf.
Nehme eine Illustrierte zur Hand. Die Kreuzworträtsel sind alle angefangen - mit Kugelschreiber. Man kann nicht radieren, weder die Fehler noch um das Rätsel neu zu beginnen.
Also vertiefe ich mich in einen Artikel über das spanische Königshaus. Beim Umblättern fehlt die nächste Seite. Rausgerissen. Wieder nichts....
Ich mustere die Bilder an den Wänden. Wenn van Gogh wüsste wo seine "Kunstdrucke" überall hängen! Dazwischen ein Reklameplakat für Bronchialtee. Der Kalender zeigt noch die vergangene Woche. Ob die hier gemäß dem Kalender termingerecht sitzen....schießt mir durch den Kopf? Dann bin ich zu früh.
Der Herr neben mir lehnt sich mehr und mehr gegen mich. Ich weiche ein wenig aus. "Entschuldigung!" Er muss wohl eingedöst sein.
Der Lautsprecher ruft den Nächsten auf. Eine Frau sucht aufgeregt nach ihrer Handtasche, dann rennt sie hastig zur Tür.
Wieder einer weniger. Ich zähle meine Leidensgenossen. Noch sechs vor mir. Sehen alle europäisch aus. Schade!
Die immergrüne Topfpflanze auf einem wackeligen Gestell nahe dem Fenster müsste mal gegossen werden. Die unteren Blätter gelb, kurz vor dem Abfallen. Hier muss man ja krank werden...denke ich bei mir.
Bin mittlerweile etwa 40 Minuten über dem vereinbarten Termin.
Ob ich mich einmal bemerkbar mache an der Rezeption? Die Antwort kann man sich vorstellen. Also weiter warten.
Die Minuten schleichen dahin. Ich zähle die Maschen in den Gardinen. Die Tapeten sind nicht auf Stoß geklebt. Schwarzarbeit? Auf dem Boden noch Teppichauslegware. Vor jedem Stuhl abgewetzt. Also stehen die Stühle seit Jahren an der gleichen Stelle. Vielleicht scharren die Patienten immer ungeduldig mit den Hufen....? Blöder Einfall!
Rufe mir in Erinnerung warum ich eigentlich hier sitze.
Eine Röntgenaufnahme der Lunge wollte mein Hausarzt....vor 4 Wochen. "Gut Ding will Weile haben" sagt das Sprichwort. Hat sich das Gesundheitswesen zueigen gemacht. Schwacher Trost!
Eigentlich.... fühle ich mich schon viel besser. Mir fallen die Selbstheilungskräfte der Natur ein, von denen immer geschwärmt wird.
Rasch gehe ich an der Rezeption vorbei dem Ausgang zu.
"Wollen Sie nochmal wiederkommen?" klingt es vom Tresen.
"Nein, es geht mir bereits viel besser. Allein die gute Luft in Ihrem Wartezimmer...."
Mein Krankenkassenkärtchen wurde bei beiden Ärzten eingescannt.
Irgendetwas werden die schon mit der Kasse abrechnen. Und ich....fühle mich besser.
Klar - nach 4 Wochen....
Das Arztschild verrät mir, dass ich hier richtig bin.
"Bitte eintreten ohne zu läuten!" lese ich unter dem Schild.
Die Tür springt durch leichten Druck auf, schließt sich hinter mir automatisch.
Die Praxisassistentin blickt kurz über ihre Brille auf. Ich reiche ihr den Überweisungsschein meines Hausarztes.
"Haben Sie einen Termin?"
"Ja, ich hatte angerufen...vor 4 Wochen."
Sie sucht mit dem Zeigefinger nach meinem Namen im Aufnahmebuch.
"Ihr Krankenkassenkärtchen, bitte!"
Ich bemerke auf dem Tresen das kleine gläserne Schweinchen mit Münzen. Muss die Kaffeekasse sein. Steht allerdings drauf: SOS-Kinderdörfer. Lässt sich sowieso nicht überprüfen.
"Bitte nehmen Sie noch im Wartezimmer Platz!"
Leicht gesagt, denke ich mir, denn die Stühle sind alle besetzt in dem kleinen Raum. Die Luft stickig und zum Schneiden. Und das beim Lungenfacharzt!
Ob die alle vor mir dran sind? Aber ich hatte ja einen festen Termin vereinbart. Den nächsten Stuhl werde ich mir ergattern.
"Frau Schmidt, bitte!" tönt es aus einem krächzenden Lautsprecher. Frau Schmidt erhebt sich und geht zur Tür, durch die gleichzeitig ein alter Herr den Raum betritt.
Er hinkt, also gehbehindert. Er steuert zielgerichtet auf den freien Sitzplatz zu. Ich sage nichts. Er scheint älter als ich.
Betrachte die Umsitzenden. Die meisten lesen in einer der abgegriffenen Zeitschriften. Eigentlich blättern sie nur.
"Die Bunte" - "Die Motorwelt" - "Frau im Spiegel"......
Zwei jüngere Männer fingern an ihren Handys herum.
"Man sollte mal ein wenig das Fenster öffnen!"... lässt sich eine junge Frau vernehmen. Ein Mann neben ihr erhebt sich. Er betätigt den leicht klemmenden Griff und macht das Fenster einen Spalt weit auf.
"Aber wenn die Tür aufgeht, zieht es"...mischt sich eine Mutter mit Kind ein. "Mein Junge hat Fieber".
Der Mann schließt das Fenster wieder.
Es herrscht einschläfernde Ruhe. Nur zwei Mädchen in zerschlissenen Jeans unterhalten sich kichernd.
Wieder öffnet sich die Tür. Ein Mann kommt herein.Er drückt mit der Hand auf die Ellbeuge. Offenbar wurde ihm Blut entnommen. Er steuert auf eine mit Kopftuch bedeckte Frau zu. Beide wirken fremdländisch. Er nimmt seinen Mantel vom Haken und zieht ihn an. Die Frau erhebt sich und mit ihr zwei weitere Frauen und zwei Kinder. Sie sprechen arabisch. Aha, Großfamilie...denke ich mir. Ein Patient und fünf besetzte Stühle. Sie verlassen laut diskutierend den Raum. Ich kann mich setzen.
Meine Uhr zeigt mir, dass ich eigentlich gleich dran sein müsste. Die Logik sagt mir allerdings etwas anderes:
Wenn die Leute hier alle einen Termin haben, dann müssten sie vor mir aufgerufen werden. Entweder sie sind alle auf den gleichen Termin bestellt - das klingt wenig logisch - oder sämtliche Termine werden nicht eingehalten. Dann heißt es : Warten. Mir gehen assoziative Gedanken an die Deutsche Bundesbahn oder mangelhaftes Management durch den Kopf.
Nehme eine Illustrierte zur Hand. Die Kreuzworträtsel sind alle angefangen - mit Kugelschreiber. Man kann nicht radieren, weder die Fehler noch um das Rätsel neu zu beginnen.
Also vertiefe ich mich in einen Artikel über das spanische Königshaus. Beim Umblättern fehlt die nächste Seite. Rausgerissen. Wieder nichts....
Ich mustere die Bilder an den Wänden. Wenn van Gogh wüsste wo seine "Kunstdrucke" überall hängen! Dazwischen ein Reklameplakat für Bronchialtee. Der Kalender zeigt noch die vergangene Woche. Ob die hier gemäß dem Kalender termingerecht sitzen....schießt mir durch den Kopf? Dann bin ich zu früh.
Der Herr neben mir lehnt sich mehr und mehr gegen mich. Ich weiche ein wenig aus. "Entschuldigung!" Er muss wohl eingedöst sein.
Der Lautsprecher ruft den Nächsten auf. Eine Frau sucht aufgeregt nach ihrer Handtasche, dann rennt sie hastig zur Tür.
Wieder einer weniger. Ich zähle meine Leidensgenossen. Noch sechs vor mir. Sehen alle europäisch aus. Schade!
Die immergrüne Topfpflanze auf einem wackeligen Gestell nahe dem Fenster müsste mal gegossen werden. Die unteren Blätter gelb, kurz vor dem Abfallen. Hier muss man ja krank werden...denke ich bei mir.
Bin mittlerweile etwa 40 Minuten über dem vereinbarten Termin.
Ob ich mich einmal bemerkbar mache an der Rezeption? Die Antwort kann man sich vorstellen. Also weiter warten.
Die Minuten schleichen dahin. Ich zähle die Maschen in den Gardinen. Die Tapeten sind nicht auf Stoß geklebt. Schwarzarbeit? Auf dem Boden noch Teppichauslegware. Vor jedem Stuhl abgewetzt. Also stehen die Stühle seit Jahren an der gleichen Stelle. Vielleicht scharren die Patienten immer ungeduldig mit den Hufen....? Blöder Einfall!
Rufe mir in Erinnerung warum ich eigentlich hier sitze.
Eine Röntgenaufnahme der Lunge wollte mein Hausarzt....vor 4 Wochen. "Gut Ding will Weile haben" sagt das Sprichwort. Hat sich das Gesundheitswesen zueigen gemacht. Schwacher Trost!
Eigentlich.... fühle ich mich schon viel besser. Mir fallen die Selbstheilungskräfte der Natur ein, von denen immer geschwärmt wird.
Rasch gehe ich an der Rezeption vorbei dem Ausgang zu.
"Wollen Sie nochmal wiederkommen?" klingt es vom Tresen.
"Nein, es geht mir bereits viel besser. Allein die gute Luft in Ihrem Wartezimmer...."
Mein Krankenkassenkärtchen wurde bei beiden Ärzten eingescannt.
Irgendetwas werden die schon mit der Kasse abrechnen. Und ich....fühle mich besser.
Klar - nach 4 Wochen....