solowasser
Mitglied
Immer da wo du bist, wächst das G ras langsamer. Die Halme sprießen und sprießen, aber hören auf, sobald du sie mit deinen Turnschuhen berührst. Deine Turnschuhe zerpflügen nicht nur die Wiesen, auch der Teer wird matschig, wenn du ihn mit deinen nassen Schuhen zerstampfst. Du hast immer erzählt, dass du als kleines Mädchen nicht aus dem Haus gehen wolltest, weil du Angst hattest, alles kaputt zu machen. Wenn du einmal rausmusstest, musste dich deine Mutter so fest ziehen, dass du Schwielen an den Handgelenken bekommen hast und Schürfwunden an den Knöcheln. Deine Mutter zog dich zum Doktor, zog dich in die Schule, zog dich in den Supermarkt und ins Schwimmbad. Du bekamst Hornhaut an deinen Händen und deine Mutter auch.
Du hast nichts kaputtgetreten, bis deine Mutter starb. Sie zog dich durch den Bahnhof und vergaß dabei, auf sich selber zu achten. Der Zug machte deine Mutter kaputt. Ich weiß noch, wie du mir erzählt hast, dass du nach dem Tod deiner Mutter zwei Monate nicht geredet hast. Bis du im Supermarkt standest, denn du musstest essen und halblaut vor dich her murmeltest: „Jetzt hab ich die Mama kaputt gemacht.“ Du konntest ab da nicht nur in den Supermarkt gehen, sondern auch zum Doktor, in die Schule und ins Schwimmbad. Du hast angefangen, alles kaputtzutreten, was dir in den Weg kam. Eines Tages bist du in einen Laden gegangen und hast dir deine eigenen Turnschuhe gekauft. Zu der Verkäuferin hast du gesagt: „Jetzt kann ich die ganze Welt kaputttreten.“ Die Verkäuferin sah dich fragend an und erwiderte, ob sie noch etwas für dich tun könne. Du hast dich umgedreht, bist auf die Straße hinausgegangen, hast dir deine Schnürsenkel gebunden und damit angefangen die Straße kaputtzutreten. Jeder Schritt donnerte die Einkaufspassage hinab.
Besonders gerne bist du in den Wald gegangen. „Da kann man so viele verschiedene Sachen kaputttreten“, hast du gesagt und bist auf einen Löwenzahn gestiegen. „Wer nichts hat, der muss treten“, hab ich mir gedacht. Und ich habe mir auch gedacht: Immer da wo du bist, wächst das Gras langsamer. Und immer da wo du bist, wird mir übel im Magen. Du hast mich oft mitgenommen in den Wald und hast mir erzählt, dass es hier so aussieht wie bei Mama. Ich war glücklich, wenn ich mit dir im Wald war. Wir gingen oft zusammen baden in einem kleinen Tümpel. „Ich trete die Frösche kaputt“, hast du immer gesagt, als du ins Wasser gegangen bist. Ich bin hinterher und hatte Angst, vor Waldfeen und Riesenkröten. Du bist untergetaucht und hast dein drahtiges Haar gewaschen. „Bei uns im Heim gibt es nur saubere Duschen“, hast du jedesmal gesagt. Und mit jedem Tag im Wald wurden deine Haare drahtiger.
Du bist oft zu deiner Mama gegangen, aber hast mich nie dahin mitgenommen. Ich bekam einen Knoten im Hals und einen trockenen Mund. Manchmal schlich ich dir hinterher und kletterte über die Mauern und versteckte mich hinter einem Busch. Es war sehr verwildert bei deiner Mama. Stundenlang bist du vor ihrem Stein gesessen und hast mit herumliegenden Ästen gespielt. Nein, du hast sie kaputtgemacht, du hast sie hochgeworfen und als du sie wieder aufgefangen hast, hast du sie entzweigebrochen. Genau wie das der Zug mit deiner Mutter gemacht hat. Ich sah dich niemals eine Träne vergießen, ich stellte mir vor, wie es wäre ohne Mama zu sein und bekam wieder einen Knoten im Hals.
Du hast mich nie mitgenommen ins Heim. Und ich hab dich nie mitgenommen zu mir nach Hause. Ich dachte, dass du traurig wirst, wenn du meine Mama siehst. Meine Mama und meine saubere Dusche. Vielleicht wärst du auch traurig geworden, wenn du mein großes Zimmer gesehen hättest. Unser Garten hätte dir sowieso nicht gefallen, nichts war verwildert und nirgends lagen Äste herum, die man kaputttreten konnte. Eines Tages hast du zu mir gesagt: „Ich glaube, ich hab jetzt alles kaputtgetreten.“ Wir waren schon älter geworden und mussten studieren oder uns Berufe aussuchen. Traurig hast du mich angesehen und bist ins Heim zurückgegangen.
Wir sahen uns nur noch selten. Du hast mir erzählt, dass du umziehen willst, sehr weit weg. Ich habe nur dagesessen und genickt. Ich glaube, das war, als du mich kaputtgetreten hast. Bald darauf warst du weg, aber das Gefühl in meinem Magen blieb, immer wenn ich an dich dachte. Einmal ging ich in den Wald und habe den alten Tümpel gesucht. Ich ging hinein, damit meine Haare genauso drahtig würden wie damals deine. Statt auf Waldfeen und Riesenkröten zu stoßen, habe ich Turnschuhe gefunden. Es waren deine Turnschuhe. Ich nahm sie mit nach Hause, wusch sie und stellte sie in mein großes Zimmer. Jetzt wurde mir immer öfter übel im Magen, weil ich so oft an dich denken musste mit deinen Turnschuhen neben meinem Bett. Ich begann mein Leben auszumisten und irgendwann landeten deine Turnschuhe im Altkleidercontainer.
Einmal ging ich zu deiner Mama. Es war dort inzwischen noch verwilderter als früher und ich konnte kaum ihren Stein finden. Ich irrte im hohen Gras herum und wollte schon kehrtmachen, als ich einen kahlen Fleck am Boden entdeckte. Der Stein, der davor stand, war gut zu erkennen. Es war der deiner Mutter. Mir wurde wieder übel im Magen.
Immer da wo du bist, wächst das Gras langsamer.
Du hast nichts kaputtgetreten, bis deine Mutter starb. Sie zog dich durch den Bahnhof und vergaß dabei, auf sich selber zu achten. Der Zug machte deine Mutter kaputt. Ich weiß noch, wie du mir erzählt hast, dass du nach dem Tod deiner Mutter zwei Monate nicht geredet hast. Bis du im Supermarkt standest, denn du musstest essen und halblaut vor dich her murmeltest: „Jetzt hab ich die Mama kaputt gemacht.“ Du konntest ab da nicht nur in den Supermarkt gehen, sondern auch zum Doktor, in die Schule und ins Schwimmbad. Du hast angefangen, alles kaputtzutreten, was dir in den Weg kam. Eines Tages bist du in einen Laden gegangen und hast dir deine eigenen Turnschuhe gekauft. Zu der Verkäuferin hast du gesagt: „Jetzt kann ich die ganze Welt kaputttreten.“ Die Verkäuferin sah dich fragend an und erwiderte, ob sie noch etwas für dich tun könne. Du hast dich umgedreht, bist auf die Straße hinausgegangen, hast dir deine Schnürsenkel gebunden und damit angefangen die Straße kaputtzutreten. Jeder Schritt donnerte die Einkaufspassage hinab.
Besonders gerne bist du in den Wald gegangen. „Da kann man so viele verschiedene Sachen kaputttreten“, hast du gesagt und bist auf einen Löwenzahn gestiegen. „Wer nichts hat, der muss treten“, hab ich mir gedacht. Und ich habe mir auch gedacht: Immer da wo du bist, wächst das Gras langsamer. Und immer da wo du bist, wird mir übel im Magen. Du hast mich oft mitgenommen in den Wald und hast mir erzählt, dass es hier so aussieht wie bei Mama. Ich war glücklich, wenn ich mit dir im Wald war. Wir gingen oft zusammen baden in einem kleinen Tümpel. „Ich trete die Frösche kaputt“, hast du immer gesagt, als du ins Wasser gegangen bist. Ich bin hinterher und hatte Angst, vor Waldfeen und Riesenkröten. Du bist untergetaucht und hast dein drahtiges Haar gewaschen. „Bei uns im Heim gibt es nur saubere Duschen“, hast du jedesmal gesagt. Und mit jedem Tag im Wald wurden deine Haare drahtiger.
Du bist oft zu deiner Mama gegangen, aber hast mich nie dahin mitgenommen. Ich bekam einen Knoten im Hals und einen trockenen Mund. Manchmal schlich ich dir hinterher und kletterte über die Mauern und versteckte mich hinter einem Busch. Es war sehr verwildert bei deiner Mama. Stundenlang bist du vor ihrem Stein gesessen und hast mit herumliegenden Ästen gespielt. Nein, du hast sie kaputtgemacht, du hast sie hochgeworfen und als du sie wieder aufgefangen hast, hast du sie entzweigebrochen. Genau wie das der Zug mit deiner Mutter gemacht hat. Ich sah dich niemals eine Träne vergießen, ich stellte mir vor, wie es wäre ohne Mama zu sein und bekam wieder einen Knoten im Hals.
Du hast mich nie mitgenommen ins Heim. Und ich hab dich nie mitgenommen zu mir nach Hause. Ich dachte, dass du traurig wirst, wenn du meine Mama siehst. Meine Mama und meine saubere Dusche. Vielleicht wärst du auch traurig geworden, wenn du mein großes Zimmer gesehen hättest. Unser Garten hätte dir sowieso nicht gefallen, nichts war verwildert und nirgends lagen Äste herum, die man kaputttreten konnte. Eines Tages hast du zu mir gesagt: „Ich glaube, ich hab jetzt alles kaputtgetreten.“ Wir waren schon älter geworden und mussten studieren oder uns Berufe aussuchen. Traurig hast du mich angesehen und bist ins Heim zurückgegangen.
Wir sahen uns nur noch selten. Du hast mir erzählt, dass du umziehen willst, sehr weit weg. Ich habe nur dagesessen und genickt. Ich glaube, das war, als du mich kaputtgetreten hast. Bald darauf warst du weg, aber das Gefühl in meinem Magen blieb, immer wenn ich an dich dachte. Einmal ging ich in den Wald und habe den alten Tümpel gesucht. Ich ging hinein, damit meine Haare genauso drahtig würden wie damals deine. Statt auf Waldfeen und Riesenkröten zu stoßen, habe ich Turnschuhe gefunden. Es waren deine Turnschuhe. Ich nahm sie mit nach Hause, wusch sie und stellte sie in mein großes Zimmer. Jetzt wurde mir immer öfter übel im Magen, weil ich so oft an dich denken musste mit deinen Turnschuhen neben meinem Bett. Ich begann mein Leben auszumisten und irgendwann landeten deine Turnschuhe im Altkleidercontainer.
Einmal ging ich zu deiner Mama. Es war dort inzwischen noch verwilderter als früher und ich konnte kaum ihren Stein finden. Ich irrte im hohen Gras herum und wollte schon kehrtmachen, als ich einen kahlen Fleck am Boden entdeckte. Der Stein, der davor stand, war gut zu erkennen. Es war der deiner Mutter. Mir wurde wieder übel im Magen.
Immer da wo du bist, wächst das Gras langsamer.