Immerdar

Elaya

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Immerdar

Samtene Dunkelheit umhüllt Bäume, Felsen, Gräser;
kaum sichtbar bringt ein Windhauch Bewegung in die Blätter der Baumkronen.
Ihr Rascheln bleibt gestaltlos, kein Laut stört die nächtliche Stille.
Auf dem mit Schwärze bedeckten Boden eine Gestalt, verharrend, beobachtend.
Kaum zu erkennen ist sie ein Teil der nächtlichen Kulisse, ergänzt sie, ohne sie zu stören.
Sie – die Dunkelheit, die andere, ungeliebte Seite des Lebens.

Kein Stern am Himmel, kein Mondstrahl erhellt das Dunkel,
wagt es, in das Schauspiel einzudringen.
Vielleicht aus Angst, als störender Eindringling empfunden zu werden,
verharrt die Gestalt noch immer in ihrer Position,
scheint kaum zu atmen.

Ein Rascheln zerreißt die Stille, beendet die Faszination des Augenblicks.
Leben durchfließt nun die reglose Gestalt, die sich plötzlich ihrer selbst bewusst zu werden scheint.
Sie erhebt sich langsam, verharrt kurz in der Bewegung,
wie um sich zu vergewissern, nicht das Falsche zu tun.
Sie richtet sich auf, versucht die Dunkelheit mit ihren Blicken zu durchdringen,
ist auf der Suche nach nur einem Funken Licht,
der die sie fesselnden Ketten der Dunkelheit zerreißen,
ihr die Flucht aus ihrem finsteren Gefängnis ermöglichen kann.

Zögernd macht sie ein paar unsichere Schritte, strauchelt,
als ein auf der schwarzen Erde liegender Ast ihr den Weg versperrt.

Nach einem kurzen Moment der Unsicherheit,
der für sie beinahe ewig anzudauern scheint,
hat sie ihr Gleichgewicht wiedergefunden, tastet sich vorsichtig weiter.
Ihre Schritte werden schneller, mit ausgestreckten Armen irrt sie durch das Labyrinth der Dunkelheit.
Orientierungslosigkeit ergreift mehr und mehr Besitz von ihr,
verwirrt die Sinne, erweckt den Gedanken, für alle Ewigkeit in ihm gefangen zu sein.
Angst keimt in ihr, wächst, breitet sich immer weiter in ihren Gedanken aus,
um schließlich vollends von ihnen Besitz zu ergreifen.

„Weg, nur weg“ schallt es in ihr, treibt sie an,
während die Angst ihre Beine schwer werden lässt.
Sie spürt, wie ihre Kräfte mehr und mehr schwinden,
wie es sie von Schritt zu Schritt mehr Anstrengung kostet,
ihre Füße vom Boden zu lösen,
nur um sie in einer stetig geringer werdenden Entfernung wieder auf ihn zu setzen,
den Boden, der sie beinahe festzuhalten und seien Griff von Mal zu Mal zu verstärken scheint.

Erschöpfung nimmt ihren Körper in Besitz,
erfüllt sie mit dem Wunsch stehen zu bleiben,
endlich das kräfteraubende Herumirren zu beenden,
eröffnet den inneren Kampf mit der sie noch immer vorantreibenden Angst,
bis endlich die Anstrengung ihren Tribut fordert und die inneren Qualen der Gestalt beendet.
Erschöpft sinkt sie in sich zusammen, liegt nun ohnmächtig auf dem Boden.

In dem Moment zwischen Wachen und Ohnmacht glaubt sie noch zu spüren,
wie der Boden seinen Griff verändert,
seine Kräfte nicht mehr nur aus ihre Füße konzentriert, sondern sie auf ihren gesamten Körper ausdehnt,
ihn zu sich herabzieht und beinahe zu verschlingen scheint.


Die ersten Sonnenstrahlen eines neuen Morgens durchbrechen die Dunkelheit,
weisen sie zurück,
um das weite Land von der verzehrenden Dunkelheit zu befreien.
Sonnenstrahlen fließen über den noch dunklen Boden,
erhellen schließlich auch die Stelle, an der die Gestalt des Nachts in sich zusammensank.
Sie ist fort.

Nur eine Erhöhung des Bodens und einige knorrige Wurzeln,
die die Wölbung wie Gliedmaßen umranken,
erinnern noch an die Gestalt,
deren Flucht aus der Dunkelheit wie jede Nacht zuvor gescheitert war
und in jeder kommenden Nacht von ihr fortgesetzt werden wird;
immerdar, in alle Zeit...
 



 
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