Immerwährend

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Subnotio

Mitglied
Ein Mann steht in der Stadt. Dort wo ihn jeder sehen kann, schaut er zum Himmel und weitet die Augen. „ Man sieht viel mehr, als man will“, denkt er.
Ein Pärchen zeigt auf ihn, sie trägt Ringe in der Nase, er im Ohr. Beide haben erblindend bunte Haare.
Aber der Mann schließt seine Augen nicht, er hält durch. Eine Gruppe alter Frauen kommt auf ihn zu, in den Händen gefüllte Einkaufsnetze: Äpfel, Dosenhering, Butter, ein Kreuzworträtselheft.
Sie ereifern sich in abgenutzter Stimmlage über „ de Schmarotzer mit durchjestochenen Jesichtern, da hat wohl eener des Jehirn jetroffn“ kopfschüttelnd, die Ohrhänger klimpern, „det Pack muss ich och noch mit meener kleenen Witwe’rente durchfüttern“.
Sie kommen auf den Mann zu, er bekommt es mit der Angst zu tun, will die Arme ausbreiten und sie abwehren…Er kann sich nicht bewegen.Als die Gruppe genau vor ihm steht, reißt ein Netz.
Die Äpfel kullern über den Boden, rollen meterweit, „wie kleine Fische, die froh sind dem sicheren Tod zu entkommen“, denkt der Mann.
Ein bleich aussehender Junge im Grundschulalter schnappt sich einen von ihnen, lässt ihn unter die Jacke gleiten und rennt davon. Der Mann, die Augen immer noch starr geöffnet, will etwas sagen, doch seinem Mund entweicht nur ein Wimmern. Etwas Nasses läuft sein Kinn herunter, der Wind bläst ihn kalt und gefühllos.
Weiterhin steht er wie bewegungslos da, fragt sich, ob er vielleicht eine Eisfigur ist.
Wenn ja, dann wäre er fest wie Stahl, durchsichtig und kühl, ein Kunstwerk in sich.Jeder würde ihn bewundern.
Er würde niemals Geld ausgeben um alt und allein in einem erinnerungs- und nippesträchtigen Wohnzimmer Kästchen mit nichts sagenden Buchstaben zu befüllen, die zu nichts sagenden Worten werden und ihn davon ablenken würden , dass seine Kinder ihn vergessen hatten. Eine Träne lief seine Wange runter.
„ Das kann keine Träne sein“, dachte der Mann. Die Sonne scheint, ich brilliere. In tausend Farben.“
Ein Mädchen kam vorbei.
Ihr blondes Haar changierte bei jedem ihrer beschwingten Schritte in der Sonne, „ich glänze mehr“, dachte sich der Mann stolz, als er sie beäugte.An einer geblümten Leine führte sie einen Hund, ein ziemlich großes Vieh.
„Gleich sieht sie mich“, dachte der Eisfigurenmann erfreut. Er hätte sich am liebsten die Hände gerieben, aber das ging ja nicht.
Die Blonde erblickt ihn, ihre Augen weiteten sich, „wie ich will sie sein“, erkannte er, und ihre Lippen formten ein kleines, perfektes „o“.
Wunderschön sah das aus. Doch dann drehte sie sich, mir nichts, dir nichts, um und ging in eine Seitenstrasse.
Weit kam sie nicht, genauso genommen nur ein Geschäft weiter, Schusters Schuhladen hatte Aktionswochen.
Den Mann interessierte das nicht, er kannte inzwischen jeden Preis im Schaufenster. Der Hund war bei ihm geblieben und die geblümte Leine zog sich inzwischen quer über die Strasse. „Sonne und Blumen“,
dachte der Mann vergnügt bei sich, „ was für ein herrlicher Frühlingstag“.
Plötzlich spürte er etwas Nasses an seinem Bein.
Es traf ihn wie ein Blitzschlag: „Ich brilliere nur begrenzt“, panisch, die Träne, die keine war, das nasse Gefühl,
„Ich schmelze!“
Bald würde er eine Pfütze auf dem Boden sein.
Dort wo nachts die Jugendlichen hinkotzen, wo sich Junkies sitzend ihre Spritzen verpassten und dort,
wo gerade eine alter Mann in senfgelber Regenjacke seinen Kautabak hinspuckt.
Er musste zurück in den Eisschrank seines Erbauers. Er, der unersetzbare Eismann durfte noch nicht gehen, schmelzen, für immer als ein lächerlicher Schluck Wasser durch Kanäle und Abflussrohre fließen.
Doch was sollte er tun? Bewegen konnte er sich. Also wartete der Eismann. Sah unzählbare Menschen kommen und gehen. Die meisten trugen grau, khaki, schwarz.
„Warum nicht du für mich?“, dachte er oft, wenn seine Augen mal wieder diejenigen eines solcher „Einheitsmenschen“ kreuzten.
Und dann, die Pfütze an seinen Füssen glich dem Empfinden nach schon einem Meer, geschah es.
Ein junger Fahrradfahrer fuhr, offensichtlich angetrunken, durch die Stadt, lachte und lallte etwas von dem Regime der Anarchie. „Was für ein Widerspruch“, dachte die Eisfigur, als der Radfahrer geradewegs auf ihn zufuhr, immer näher kam.
Offensichtlich dachte der junge Mann, er, das Eiskunstwerk, sei ein Mensch und könne ihm ausweichen - wirklich eine bedenkliche Menge an Alkohol.
Der Betrunkene war schon fast da, als er den Lenker schwenkte und anfing wie irre zu klingeln.
Dann- der Aufprall. Das nächste was der Eismann sah, war der Boden. Graue raue Oberfläche, zwischendrin etwas Weißes, hoffentlich keine Vogelscheiße, „ich bin nicht zerbrochen“ freute er sich, „ jetzt werden sie einen Fachmann rufen, der mich wieder einfriert und aufstellt“.
Er würde nicht schmelzen. Heute nicht und nie.
Da er sonst nichts zu tun hatte, machte er sich weiter an die Beobachtung des Trottoirs.
Den jungen Radfahrer konnte er nirgends entdecken, vermutlich war er geflohen, wegen Beschädigung öffentlichen Eigentums. Ein Souvenir hatte er dennoch dagelassen,
seine Klingel lag in einer Art rotem Farbklecks.
Klecks war untertrieben. Je weiter der Eismann schaute, desto mehr Rot konnte er auf dem Boden entdecken. Sollte er ersetzt werden, durch eine Bodenmalerei?
Er hörte ein lautes Dröhnen, wie wenn ein Flugzeug abhebt.
Über ihm waren viele Stimmen, Gesichter konnte er nicht sehen, dafür hätte ihn jemand wenden müssen. Aus der Ferne sah er etwas kommen, das aussah wie ein großer Eisschrank auf Rädern.
„ Meine Rettung“ dachte er und er bemühte sich, besonders laut zu denken, um das Dröhnen zu übertönen.
Zwei starke Männer hievten ihn auf eine Trage, „Sind das Azubis?“, fragte sich der Eismann, „studiert man Kunst nicht etwa?“ Eine Frau mit graugelockten Haaren, die er nun erkennen konnte, wendete sich mit entsetztem Gesichtsausdruck ab.
Er wurde in den Eisschrank geschoben, in dem es seltsam warm war.
Bevor sich die Türen für ihn schlossen, rief ein Mann von der Strasse:
„Befreit ihn doch von seiner Zwangsjacke! Der muss sowieso erst zusammengeflickt werden, bevor ihr ihn in die Klapse zurückbringen könnt.“
 
H

Haki

Gast
Hallo Subnotio,

die Idee, welche deiner Kurzgeschihte(!!!) zugrunde liegt, ist sehr, sehr ansprechend.
Dadurch, dass du den Leser erst nach und nach erkennen lässt, dass es sich um einen Mensche handelt, baust du eine schöne Spannung auf und weckst das Interesse des Lesers, der wissen will, was nun geschieht.
Sprachlich ist über weite Strecken sehr schön gehalten. Ein paar Anmerkungen tätige ich dann aber doch:

"Der Mann, die Augen immer noch starr geöffnet, will etwas sagen, doch seinem Mund entweicht nur ein Wimmern."
Ich finde, diesen Satz solltest du schreibe, hier machst du es schon zu offensichtlich, dass es sich um einen echten Menschen handelt. Ich fädne es schön, wenn du den Leser die ganze Zeit über denken ließest, dass er durch die AUgen eines SChneemanns blickt.

"...der Wind bläst ihn kalt und gefühllos."
Nein, der Wind bläst nie IHN und auch nicht gefühllos. Das passt nicht. Vielleicht so: ...,der Wind bläst ihm kalt ins Gesicht.

"Weiterhin steht er wie bewegungslos da, fragt sich, ob er vielleicht eine Eisfigur ist."
Streiche hier das "wie", füllt unnötig deinen Text.

"Bewegen konnte er sich."
Fehlt hier nicht ein "nicht"?

"als der Radfahrer geradewegs auf ihn zufuhr, immer näher kam."
nach "zufuhr" den Satz beenden, weil es sonst 1. zu abgehackt daherkommt und 2. den Text aufbläht.

"Heute nicht und nie."
Diese Satzkonstruktion funktioniert nicht.
Vielleicht so: Nicht heute, nicht morgen und auch sonst nie.
Da du dann schon "sonst" verwednest, muss es wie folgt weiter gehen: Aus Langeweile machte er sich weiter an die Beobachtung...

"die er nun erkennen konnte, wendete sich mit entsetztem Gesichtsausdruck ab."
es muss heißen "wandte...ab"

Das meine sprachlichen Verbesserungsvorschläge, die gewiss nur aus meiner subjektiven Sichtweise entsatnden sind. Darüberhinaus frage ich mich, weshalb du zu Beginn das Präsens verwendest, später aber in das Präteritum verfällst. Gewollt? Wenn ja, warum? In meinen Augen ist das falsch...


Im großen und ganzen habe ich deine Geschichte aber sehr, sehr gerne gelesen und freue mich auf weitere, kluge Texte von dir.

Achja, bevor ichs vergesse:
Herzlich Willkommen auf der Lelu!! Ich hoffe, du hast hier Spaß, liest und kommentierst viel und vor allem: stellst gute Texte ein;)

Liebe Grüße,
Haki

PS: Deine Signatur ist geklaut!!:)
 

Esta

Mitglied
Klasse :)

Hiya, Subnotio.

Dein Text gefällt mir ausnehmend gut. Nenn mich morbid, aber irgendwie ernninert mich deine Geschichte an die rabenschwarzen Kurzgeschichten von Roald Dahl. In Dahls Fall kam ich um ein halb amüsiertes, halb todtrauriges Grinsen gegen Ende des Textes nie herum. So ging es mir bei dir auch.
Vielen Dank für den kleinen Lichtblick beim Lernen.

Schönen Tag noch
Esta

P.S.: Eine Kleinigkeit in Sachen Ausdruck würde ich noch ändern: Im vierten oder fündetn Satz schreibst du etwas von "erblindend bunte Haare". Darüber bin ich richtig gestolpert, da "erblindend" für mich so viel heißt wie "da word jemand gerade (aktiv) blind". Was du meinst, ist, glaube ich, eher "blendend".
 

Subnotio

Mitglied
Reflektionen

Hallo Haki,
erstmal bedanke ich mich für das Lob.

Konnte mich auch nicht zwischen den beiden Foren entscheiden, allerdings hat mir Franka gesagt, dass sie es in der Kurzprosa sieht.
Rebellion gegen das Minimalwerk sozusagen ;)

Interessanterweise hast du genau an den Stellen Anstoß gefunden, die mich selbst auch beschäftigen.

Mit dem Wimmern wollte ich schon eine kleine Vorausschau darauf geben, dass „es“ ein Mensch ist.
Auch wenn der Spannungsbogen ein wenig gestört wird, habe ich mich schließlich entschlossen, die Stelle beizubehalten.

Zum Einen, weil die Eisfigur/ der Eismann (ohne Mohrrübe und Kohlknöpfe ;) ) nur symbolisch für Tieferliegendes verwendet wird und zum Anderen, da ich einfach dieses starke Bild des Verrückten nicht losgeworden bin.

Wie sich alles um ihn bewegt und er steif mittendrin steht. In seiner Zwangsjacke und seinen Illusionen eingesperrt, die Augen starr auf die Umwelt gerichtet hält.
Einfach nur beobachtet.
Wie ihm ein Rinnsal aus Spucke den Mundwinkel herunterläuft. Und dann wie ihm sich sein Mund öffnet, groß und schwarz. Wie ihm ein fast lautloses, klägliches Wimmern entweicht, dass ungehört vom Wind davon getragen wird.

Sorry, für die lange Ausführung. ;)
Ich hoffe nur, dass du jetzt verstehst, warum ich es beibehalten habe. Der Text will nicht schön sein.

Zum Wind der ihn gefühllos bläst (oder auch nicht): Es geht ja darum, dass seine Gesichtsmuskeln erschlaffen und er , zu gut Deutsch, sabbert.
Vielleicht hast du es ja schon mal erlebt, dass du im Winter etwas Flüssiges im Gesicht hattest, der Wind blies und sich danach dein Gesicht anfühlte wie Eis.
Genau das ist hier der Fall.
Natürlich habe ich die Situation überspitzt dargestellt, aber ich kann schlecht von der Haut sprechen, die kalt wird (das wäre selbst mir zu offensichtlich), und zum Thema „gefühllos“ sind dir eventuell einige mentale Gefühllosigkeiten des Protagonisten eingefallen.
Sprachlich wäre der Satz also im übertragenen Sinne zu sehen, er bildete für mich auch einen stimmigen Übergang zum Rest des Textes.

Nächster Punkt: Das „wie“ kann ich eigentlich streichen, nur ist es für mich eine andere Sache, ob sich jemand nicht bewegen kann (also nicht weggehen etc.) oder ob er bewegungslos ist.
Denn in diesem, letzten Fall dürfte er auch nicht atmen, schließlich hebt und senkt sich ja der Brustkorb dabei. Vielleicht bin ich auch zu penibel.

Bei dem fehlenden "nicht" und dem „immer näher kam“ gebe ich dir vollkommen Recht.

Wieso funktioniert „heute nicht und nie“ in deinen Augen nicht?
Ich wollte seinen inneren Triumph in einem kurzen und knappen Satz darstellen.
Dieser mag grammatisch nicht vollkommen korrekt sein, aber es handelt sich dabei um spontanen Gedanke eines Einzelnen. Zudem schließt er den Gedankenvorgang an jener Stelle prägnant ab; der Protagonist kann sich anderen Dingen zuwenden.

Und ja, die Frau wandte sich ab ;) Sowas übersieht man gerne mal beim Fehlerlesen.

Der Zeitenwechsel ist gewollt.
Wenn du dir mal bewusst die Stelle ansiehst, an der er zuerst verwendet wird und dann weiterliest, wird es dir eventuell klar…? Lass es mich wissen.

Das ist ein furchtbar langer Kommentar geworden!

Ich bitte um Entschuldigung und bedanke mich für die konstruktive Kritik sowie die herzliche Begrüßung.

Mit freundlichen Grüssen,
Subnotio

PS; Kafka ist einer meiner Lieblingsautoren aber dir zuliebe habe ich ein andres Zitat gewählt. :)
 

Subnotio

Mitglied
Ein Mann steht in der Stadt. Dort wo ihn jeder sehen kann, schaut er zum Himmel und weitet die Augen. „ Man sieht viel mehr, als man will“, denkt er.
Ein Pärchen zeigt auf ihn, sie trägt Ringe in der Nase, er im Ohr. Beide haben blendend bunte Haare.
Aber der Mann schließt seine Augen nicht, er hält durch. Eine Gruppe alter Frauen kommt auf ihn zu, in den Händen gefüllte Einkaufsnetze: Äpfel, Dosenhering, Butter, ein Kreuzworträtselheft.
Sie ereifern sich in abgenutzter Stimmlage über „ de Schmarotzer mit durchjestochenen Jesichtern, da hat wohl eener des Jehirn jetroffn“ kopfschüttelnd, die Ohrhänger klimpern, „det Pack muss ich och noch mit meener kleenen Witwe’rente durchfüttern“.
Sie kommen auf den Mann zu, er bekommt es mit der Angst zu tun, will die Arme ausbreiten und sie abwehren…Er kann sich nicht bewegen.Als die Gruppe genau vor ihm steht, reißt ein Netz.
Die Äpfel kullern über den Boden, rollen meterweit, „wie kleine Fische, die froh sind dem sicheren Tod zu entkommen“, denkt der Mann.
Ein bleich aussehender Junge im Grundschulalter schnappt sich einen von ihnen, lässt ihn unter die Jacke gleiten und rennt davon. Der Mann, die Augen immer noch starr geöffnet, will etwas sagen, doch seinem Mund entweicht nur ein Wimmern. Etwas Nasses läuft sein Kinn herunter, der Wind bläst ihn kalt und gefühllos.
Weiterhin steht er wie bewegungslos da, fragt sich, ob er vielleicht eine Eisfigur ist.
Wenn ja, dann wäre er fest wie Stahl, durchsichtig und kühl, ein Kunstwerk in sich.Jeder würde ihn bewundern.
Er würde niemals Geld ausgeben um alt und allein in einem erinnerungs- und nippesträchtigen Wohnzimmer Kästchen mit nichts sagenden Buchstaben zu befüllen, die zu nichts sagenden Worten werden und ihn davon ablenken würden , dass seine Kinder ihn vergessen hatten. Eine Träne lief seine Wange runter.
„ Das kann keine Träne sein“, dachte der Mann. Die Sonne scheint, ich brilliere. In tausend Farben.“
Ein Mädchen kam vorbei.
Ihr blondes Haar changierte bei jedem ihrer beschwingten Schritte in der Sonne, „ich glänze mehr“, dachte sich der Mann stolz, als er sie beäugte.An einer geblümten Leine führte sie einen Hund, ein ziemlich großes Vieh.
„Gleich sieht sie mich“, dachte der Eisfigurenmann erfreut. Er hätte sich am liebsten die Hände gerieben, aber das ging ja nicht.
Die Blonde erblickt ihn, ihre Augen weiteten sich, „wie ich will sie sein“, erkannte er, und ihre Lippen formten ein kleines, perfektes „o“.
Wunderschön sah das aus. Doch dann drehte sie sich, mir nichts, dir nichts, um und ging in eine Seitenstrasse.
Weit kam sie nicht, genauso genommen nur ein Geschäft weiter, Schusters Schuhladen hatte Aktionswochen.
Den Mann interessierte das nicht, er kannte inzwischen jeden Preis im Schaufenster. Der Hund war bei ihm geblieben und die geblümte Leine zog sich inzwischen quer über die Strasse. „Sonne und Blumen“,
dachte der Mann vergnügt bei sich, „ was für ein herrlicher Frühlingstag“.
Plötzlich spürte er etwas Nasses an seinem Bein.
Es traf ihn wie ein Blitzschlag: „Ich brilliere nur begrenzt“, panisch, die Träne, die keine war, das nasse Gefühl,
„Ich schmelze!“
Bald würde er eine Pfütze auf dem Boden sein.
Dort wo nachts die Jugendlichen hinkotzen, wo sich Junkies sitzend ihre Spritzen verpassten und dort,
wo gerade eine alter Mann in senfgelber Regenjacke seinen Kautabak hinspuckt.
Er musste zurück in den Eisschrank seines Erbauers. Er, der unersetzbare Eismann durfte noch nicht gehen, schmelzen, für immer als ein lächerlicher Schluck Wasser durch Kanäle und Abflussrohre fließen.
Doch was sollte er tun? Bewegen konnte er sich nicht. Also wartete der Eismann. Sah unzählbare Menschen kommen und gehen. Die meisten trugen grau, khaki, schwarz.
„Warum nicht du für mich?“, dachte er oft, wenn seine Augen mal wieder diejenigen eines solcher „Einheitsmenschen“ kreuzten.
Und dann, die Pfütze an seinen Füssen glich dem Empfinden nach schon einem Meer, geschah es.
Ein junger Fahrradfahrer fuhr, offensichtlich angetrunken, durch die Stadt, lachte und lallte etwas von dem Regime der Anarchie. „Was für ein Widerspruch“, dachte die Eisfigur, als der Radfahrer geradewegs auf ihn zufuhr.
Offensichtlich dachte der junge Mann, er, das Eiskunstwerk, sei ein Mensch und könne ihm ausweichen - wirklich eine bedenkliche Menge an Alkohol.
Der Betrunkene war schon fast da, als er den Lenker schwenkte und anfing wie irre zu klingeln.
Dann- der Aufprall. Das nächste was der Eismann sah, war der Boden. Graue raue Oberfläche, zwischendrin etwas Weißes, hoffentlich keine Vogelscheiße, „ich bin nicht zerbrochen“ freute er sich, „ jetzt werden sie einen Fachmann rufen, der mich wieder einfriert und aufstellt“.
Er würde nicht schmelzen. Heute nicht und nie.
Da er sonst nichts zu tun hatte, machte er sich weiter an die Beobachtung des Trottoirs.
Den jungen Radfahrer konnte er nirgends entdecken, vermutlich war er geflohen, wegen Beschädigung öffentlichen Eigentums. Ein Souvenir hatte er dennoch dagelassen,
seine Klingel lag in einer Art rotem Farbklecks.
Klecks war untertrieben. Je weiter der Eismann schaute, desto mehr Rot konnte er auf dem Boden entdecken. Sollte er ersetzt werden, durch eine Bodenmalerei?
Er hörte ein lautes Dröhnen, wie wenn ein Flugzeug abhebt.
Über ihm waren viele Stimmen, Gesichter konnte er nicht sehen, dafür hätte ihn jemand wenden müssen. Aus der Ferne sah er etwas kommen, das aussah wie ein großer Eisschrank auf Rädern.
„ Meine Rettung“ dachte er und er bemühte sich, besonders laut zu denken, um das Dröhnen zu übertönen.
Zwei starke Männer hievten ihn auf eine Trage, „Sind das Azubis?“, fragte sich der Eismann, „studiert man Kunst nicht etwa?“ Eine Frau mit graugelockten Haaren, die er nun erkennen konnte, wandt sich mit entsetztem Gesichtsausdruck ab.
Er wurde in den Eisschrank geschoben, in dem es seltsam warm war.
Bevor sich die Türen für ihn schlossen, rief ein Mann von der Strasse:
„Befreit ihn doch von seiner Zwangsjacke! Der muss sowieso erst zusammengeflickt werden, bevor ihr ihn in die Klapse zurückbringen könnt.“
 

Odilo Plank

Mitglied
Hallo Subnotio,
Immerwährend hast Du als Titel der Kurzgeschichte gewählt und Dir dabei was gedacht. Das Präsens ist die geeignete "Zeitform", die Leitidee zu unterstützen, ebenso die Eismetapher. "Einheitsmenschen": Ich las Eiszeitmenschen.
"Eine Träne lief seine Wange hinunter." Der Satz leitet den Wechsel ins Präteritum ein. Ich lese das als Hinwendung zur eigentlichen Geschichte, unterstützt von den folgenden Begebenheiten. Der "Eismann" schmilzt nicht, er blutet - in einer Eiseswelt. Das Mädchen wollte, für einen Augenblick, so sein wie er.
Haki steht mir in seinen Beobachtungen und auch in seinem Lob sehr nahe, sicher auch in der kleinen Kabbelei, ob es sich nicht doch um eine Parabel handelt.
Herzlich willkommen! Odilo
 
H

Haki

Gast
Hallo Subnotio,

auch wenn ich Frankas Meinung sehr schätze, bedient dieser Text m.E.n sehr viele Aspekte eienr Kurzgeschichte und ist dort, wie ich finde, am besten aufgehoben. Naja, sei's drum.
Bitteschön, das Lob sit ernst gemeint;)

Das ist nicht nur interessant, es freut mich, denn wir lernen hier ja alle dazu und das zeigt mir, dass ich die richtigen Stellen, also die Schwachpunkte deines Textes herausfiltern konnte...

Deine Begründung bezüglich des Wimmerns kann ich verstehen, denke aber trotzdem, dass man es streichen sollte. aber es ist deine Entschiedung und du legst die Schwerpunkte...

Deine Erklärung macht mir den Satz verständlich, trotzdem bleibe ich dabei, dass es sprachlich schwach umgesetzt ist. da muss man noch mal dran.

Sicher, da gibt es einen Unterschied, aber da bist du deutlich zu penibel. Schließlich schreibt man oft "regunsglos stand er da" und dabei atmet sicher die Figur weiter... Das meint einfach eine gewisse Starre, die Leben nicht verneint, daher kann und sollte das "wie" gestrichen werden.

Gegen den Satz an sich habe ich nichts gesagt, ich meinte nur, dass man ihn vielleicht besser formulieren sollte. Ich machte einen Vorschlag, in die Richtung sollte es gehen, denke ich.

Warum genau du den Zeitenwechsel vorgenommen hast, will mir immer noch nicht klar werden, mag an der UHrzeit liegen und am Schlafmangel...

Naja, alles nur meien Meinung und du bist der Autor, der alles slebst entscheiden muss.
Es war mir eine Freude, diesen Gedankenaustausch mit dir zu führen...

Liebe Grüße und weiterhin viel Spaß hier,

Haki

PS: Die Signatur musstest du jetzt nicht ändern, das war nur ein Spaß... Auch mein Lieblingsautor ist Kafka. Wir können ja als Paar gehen, mit der sleben Signtur...,welch kitschige und pathetische, aber vor allem kindlich naive Vorstellung..:)
 

Subnotio

Mitglied
Zeitenwechsel und Allgemeines zum Text

Der Zeitenwechsel hat verschiedene Beweggründe.
Er beginnt in der Passage, die die Ängste des Mannes vor dem Alter (weiterleitend: Tod) und die verleugnete Isolation darstellt; dieser flüchtet sich aus ihnen resultierend in eine tröstliche Illusion.
Da ich diese aber nicht aktiv tragen wollte, verfiel ich ins Präteritum, die Figur ist somit für den Leser nicht direkt fassbar, sondern auch im zeitlichen Aspekt „weit weg“.
Einesteils erbringt der Zeitenwechsel einen weiteren Hinweis darauf, dass der Protagonist ein Mensch ist ( beim Lesen, da bedankt sich der Spannungsbogen, eher subluminal), zudem können mit dieser Methode ebenso abstrakte und menschenverachtende Fragen und Gedanken der Eismannes aus der literarischen Entfernung analysiert und diskutiert werden, ohne das ich als Autor oder ihr als Diskussionspartner dafür moralisch „gebrandmarkt“ werdet. ;)
Und ja, der Text nimmt parabolische Züge an. Will damit aber nicht lehren, nur vielleicht einige verschwiegene Themen aus Versenkung holen und ganz sicher zum Reflektieren anregen. Aber wer will das hier nicht.
Verbindlichst,
Subnotio

PS: Würde mich übrigens durchaus interessieren, wie ihr über mein zweites Schriftstück denkt.
 
H

Haki

Gast
hallo Subnotio,

den Zeitwechsel halte ich, trotz der durchaus sehr verstndlichen, und plausbil erklärten Beweggründe, für ungeschickt.
Denn einen Wechsel vom Präsens ins Präteritum ist unglaublich merkwürdig und vor allem störend.
Zeitwechsel sind von Grund auf schwierig und dann auch noch vond er Gegenwart in die Vergangenheit, obschon es sich um einen fließenden(also ohne unterbrechung weiterlaufenden) Text handelt. Ich bleibe dabei. Der Wechsel ist begründet, aber weder schön, noch gut.
Nun ja, aber da werden wir wohl keinen gemeinsamen Nenner mehr finden.

Wenn ich die Zeit und Muße finde, werde ich mal bei deinem anderen Werk vorbeischauen;)

Liebe Grüße,
Haki
 
K

KaGeb

Gast
Hallo Subnotio,

auch im "Brei" rührend :) ist das eine sehr interessante und gut geschriebene "Kurz"-Geschichte, m.M.n. keine Kurzprosa und deshalb genau richtig gepostet.
Allein die Gezeiten stören mich, da gebe ich Haki recht. Da holpert der Lesefluss, auch wenn Du zu erklären versuchst. Halte eine Ebene ein - und es wäre perfekt! Odilos Gedanken interpretieren den Text, mehr vermag auch ich nicht herauszulesen. Die Aussage ist reif und groß! Super Ausdruck! Ich freue mich auf mehr von Dir :)

LG, KaGeb
 

Subnotio

Mitglied
Vielleicht

sollte ich den Text versuchsweise hier in Kommentarform in einer Zeit posten.
Dann aber Präsens. Einverstanden?
Irgendwie schade, mir ist der Text so ans Herz gewachsen ;)
 

noel

Mitglied
sehr hautnah
fiktion des wahnes
& wahnsinnige fiktion

deine vorstellungen
lassen sich mir vorstellen
dass es so sein könnte
beWEGend
 



 
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