Impression einer Nacht

HajoBe

Mitglied
Der Novembertag verabschiedet sich hinter einem Regenvorhang, die Hektik der City fällt in gemächlicheres Tempo. Quietschende Straßenbahnen holpern Nachtbummler durch die Innenstadt und die Lichtreklamen spiegeln sich flirrend in Pfützen rund ums Münster, als ich den Platz kreuze auf dem Weg zum Bahnhof. Ein schneidender Wind wirbelt vor mir Papierfetzen und Blätter in Kreise. Mich fröstelt und ich ziehe mich in den flauschigen Anorak zurück. Hinter mir gähnt ein langweiliger Nachmittag, aber noch bleibt die Nacht.

Sie naht aus einer Seitengasse und stöckelt in roten Hoghheels über das buckelige Pflaster. Im hautengen Minirock, den Kragen der Lederjacke lässig hochgeschlagen, balanciert sie vor mir her. Ich folge ihr. Zigarettenrauch und herber Parfümgeruch schwängern die Luft hinter ihrer grazilen Gestalt und das erotisierende Wiegen der Hüften im Rhythmus ihrer Schritte weckt unweigerlich Fantasien. Jetzt zögert sie, bleibt unschlüssig vor einer Boutique stehen und schnippt die Kippe auf den Asphalt. Sollte ich sie überholen? Ein Schaufenster nimmt mir die Entscheidung ab. Sie wirft einen flüchtigen Blick zurück, übersieht mich wohl, setzt ihren Weg jedoch gemächlicher fort. Ich schlendere wieder hinterher. Weit und breit kein Mensch auf der nächtlichen Gasse. Sie könnte befürchten, ich verfolge sie. Was, wenn sie ihre Schritte beschleunigt, um den Abstand zu vergrößern? Mein Tempo steigern? Sie fühlte sich möglicherweise bedrängt. Nein, ich verwerfe meine absichtslosen Gedanken.

Der Regen hat wieder heftiger eingesetzt. Ich drücke mich schutzsuchend an Hauswänden entlang. Da erregt ein Schlüsselbund in ihrer Hand plötzlich meine Aufmerksamkeit. Sie rasselt spielerisch bei jedem Schritt damit. Ist das unbedacht oder will sie mir etwas zu Verstehen geben? Ein verhohlener Wink vielleicht? Schließlich wird kolportiert, dass "gewisse Damen" in solcher oder ähnlicher Art auf sich aufmerksam zu machen suchen. Ich verdränge den Gedanken. Nein, die ist vermutlich keine "Käufliche"…, oder?

Drüben auf der Bahnhofsuhr rücken die Zeiger auf 23 Uhr. Mein Zug fährt in 10 Minuten. Ein letzter Fußgängerüberweg trennt uns vom Hauptportal. Die Ampel zeigt "Rot". Wir stehen jetzt dicht nebeneinander. Die dunkle Brille hat sie leger ins blonde Haar gesteckt. Ihr Parfümduft weht herüber. Doch das Mädchen nimmt keine Notiz von mir, schlenkert weiter mit den Schlüsseln und kreuzt bei "Grün" eilends die Straße. Ich folge ihr - unbemerkt - wie ich glaube.

In der Bahnhofshalle steuert sie auf das Nachtcafé zu, lässt sich in einen speckigen Ledersessel fallen und schlägt die schlanken Beine übereinander. Verführerisch verrutscht der Rocksaum. Ihr Anblick fesselt mich ungemein.
<Du musst handeln!>, regt es sich in mir. Hinter einem Zeitungsstand verborgen beobachte ich die Sitzgruppe. Alle Tische neben ihr sind frei und ich könnte mich setzen. Oder sollte ich die unsinnige Frage an sie richten, ob an ihrem Tisch…? Nein, das wäre zu direkt und ich riskierte "einen Korb". Doch zögerlich Unentschlossenheit erkennen lassen?
<Aber mal ehrlich, beachtet sie mich überhaupt?> Lässigkeit vortäuschend schlendere ich an ihrem Tisch vorüber.

"Möchten Sie sich zu mir setzen?", klingt es mir mit einem verführerisch einladenden Lächeln entgegen. Mich ärgert, dass ich verlegen erröte.
"Gerne!", presse ich heraus und lasse mich neben sie in einen Sessel gleiten.
"Verreisen Sie heute Nacht?", fährt sie fort.
<Sollte ich ihr gestehen, dass mein Zug in wenigen Minuten abfährt? Ausgerechnet jetzt?>
"Ja", erwidere ich Coolness mimend, "könnte aber auch einen späteren Zug nehmen."
<Was rede ich denn da bereits von "später"?>

Ein lustlos dreinschauender Ober fragt mit gespielter Höflichkeit nach unseren Wünschen.
"Für mich ein Pils, bitte!"
"Und die Dame?", fügt er mürrisch hinzu.
Die blättert unentschlossen in der abgegriffenen Getränkekarte ohne die Bedienung zu beachten.
"Ich komme nochmal wieder…", brummt der Ober sichtlich genervt und schlurft davon.
"Ich nehme auch ein Pils", wendet sie sich an mich. Mein Bier wird serviert.
"Das Gleiche für die Dame, Herr Ober!"
"Bitte sehr!" Es klingt, als wollte er fortfahren: <Das hätten Sie mir auch gleich sagen können.>

Sie kramt in einem Kroko-Täschchen, fördert eine Dose mit Spiegel zutage, pudert ihr Gesicht und schminkt die Lippen.
<Macht man das in Anwesenheit eines fremden Herrn? Ist sie etwa doch eine von "diesen Damen?> Doch ich mag meine voyeuristischen Vorstellungen nicht neuerlich beflügeln. Sie hebt ihr Glas.
"Prost!" - Ich erwidere mit einem Nicken.
"Warten Sie auf die Abfahrt Ihres Zuges?"
"Ich fahre nicht weg", verneint sie mit kurzem Augenaufschlag.
"Dann warten Sie auf jemand?", werfe ich ein.
Ihr kaum merkliches Kopfnicken vermittelt den Anschein, das Gespräch beenden zu wollen.
Doch dann wechselt sie den Beinüberschlag, gibt ihre netzbestrumpften Schenkel großzügig frei, zupft gewollt verlegen am Rock und bemerkt meine Blicke. Will sie mir etwas andeuten? Unsere Fußspitzen berühren sich unter dem Tisch und sie stößt mich leicht an. Ich ziehe nicht zurück, taste nach ihrem Fuß.
"Entschuldigung!", murmelt sie beiläufig. Mein Fantasiegebäude bekommt erste Risse.

Sie verreist nicht, erwartet offenbar niemand, scheint - wie soeben demonstriert - keine "bestimmten Absichten" zu verfolgen… Eigenartig!

"Ich komme jeden Abend hierher", greift sie das Gespräch erneut auf.
<Jede Nacht…, also doch eine von "denen"!> Ich verwerfe den Gedanken.
"Ich erwarte meinen Freund. Nur der ist selten pünktlich", ergänzt sie.
<Aha, eine feste Beziehung!> Die Realität holt mich ein. Vermutungen zerstreuen sich zwar, Chancen bieten sich augenscheinlich ebenso wenig.

>Klar, dass eine junge Frau einen Freund hat. Der hat vermutlich Spätschicht, arbeitet hier bei der Bahn und sie holt ihn ab. Oder..passt da jemand auf sie auf? Kontrolliert sie? Kassiert ab? Und sie ist doch…?>
Als errate sie meine Gedanken, schenkt sie mir ein Unschuldslächeln und ausdrucksvolle, dunkle Augen gesäumt von bläulichen Lidschatten strahlen mich betörend an.
<Wie schön sie ist…und so jung!>

"Wann geht denn nun ihr Zug?", wendet sie sich an mich.
"Der letzte ist weg und der nächste…? Ich schau` mal auf den Fahrplan, bin gleich zurück."
Falls sie jetzt nicht <Gute Nacht!> oder <Tschüss!> sagt, bleibt sie, beruhige ich mich, und wende mich dem Fahrplankasten zu. Sie schweigt!

Jeder kennt dieses erregende Kribbeln! Ihre gewinnende Art, diese angenehm tiefe, rauchige Stimme! Meine Fantasie spiegelt mir Bilder vor, entblößt sie vor meinem inneren, begehrlichen Auge. <Sollte ich mich, falls sie doch…, auf sie einlassen?>

Sie blättert in einer Illustrierten, blickt kurz auf, als ich mich setze.
"Na, haben Sie Ihren Zug gefunden?"
"Ja", lüge ich.
Sie legt unvermittelt die Zeitschrift zur Seite und richtet sich plötzlich ruckartig auf.
"Ich glaube, er kommt!"
Jetzt wird es sich entscheiden. Doch außer dem gelangweilten Kellner ist niemand zu sehen. Ich komme mir plötzlich als Verlierer vor.
<<Gute Fahrt!>, höre ich bereits - und sie wird mit dem Kerl verschwinden.>

"Da bist du ja endlich!", es klingt freudig und erleichtert. In einiger Entfernung wedelt eine struppige Promenadenmischung mit abstehenden Ohren und dem sprichwörtlichen Hundeblick mit dem Stummelschwanz.
"Das ist Ihr Freund?", quetsche ich verdattert heraus und versuche Ordnung in alles bisher Erwogene zu bringen.
"Ja, das ist Nelly. Ich nenne ihn so. Er ist mir mal durch die ganze Stadt nachgelaufen bis zum Bahnhof. Seither wartet er jeden Abend hier auf mich. Ist das nicht rührend?"

Da tut sich ein völlig neuer, unerwarteter Aspekt auf. Fantasien, Trugschlüsse, Verdächtigungen…alle sind wie weggewischt. Ich sehe mich mit "dieser Seele von Mensch" konfrontiert, welcher eines streunenden, halb verhungerten Köters wegen bei Regen und Kälte nachts zum Bahnhof kommt, um ihm ein paar leckere Happen zu reichen.
"Bewundernswert, einfach bewundernswert!" Mehr fällt mir nicht ein. Nelly liegt unter dem Tisch und nagt an seinem Büffelhautknochen.
"Wissen Sie, der Hund tut mir leid. Nachhause kann ich ihn nicht nehmen. Der Vermieter, Sie verstehen?" Ich nicke zustimmend. Der Druck fällt von mir ab. Alles scheint geklärt.
"Ich heiße übrigens Walter."
"Ich Olga."
"Darf ich Du sagen?"
"Gerne!", und krault Nellys zerzaustes Fell unter meinem neidvollen Blick.

Es ist nach Mitternacht und mein letzter Zug längst weg. Ich werde ein Taxi nehmen.
"Darf ich dich ein Stück mitnehmen?"
"Oh ja, schön!", meint sie und ich bezahle den Ober mit reichlich Trinkgeld; verdient hat der Muffel es nicht.
"Sehen wir uns wieder, Olga?"
"Warum nicht. Du weißt ja, wo du mich findest."
"Ich meine, einmal ohne den Hund." Sie blickt spitzbübisch.
"Ja, auch ohne Hund. Hier meine Karte!"

Meine letzten Zweifel habe ich begraben.
<Sie vertraut mir ihre Telefonnummer an. Wir werden uns wieder treffen, Essen gehen, Kino, Theater, Ausflüge und…Kuschelabende!>
Ich winke einem Taxi. Nelly trottet zufrieden davon. An der nächsten Kreuzung steigt Olga aus. Wir küssen uns züchtig, ist ja das erste Mal.
"Tschüss, mach`s gut, Olga!"
"Du auch, Walter! Hast ja meine Visitenkarte", und verschwindet unter dem Schirm in die Nacht.
"Ich rufe dich morgen an, Olga!" - <Ob sie es noch gehört hat?>

Puh…, ich lehne mich entspannt zurück. Regen prasselt gegen die Scheiben, während sich der Wagen durch den nächtlichen Verkehr fädelt. <Ach ja, die Visitenkarte!> Ich ziehe sie erwartungsfroh hervor, sie riecht nach ihrem Parfüm. Meine Hände zittern, ich versuche sie zu entziffern im spärlichen, vorüber huschenden Schein der Laternen und lese…, lese noch mal…, und abermals…

"Wohin wollen Sie eigentlich?", raunzt der Taxifahrer.
"Halten Sie sofort, bitte!"
Ich muss raus, nur raus. Meine Hand krampft sich um das zerknüllte Kärtchen.
 

Daja

Mitglied
Hallo HajoBe,

dein Text beginnt mit einer schönen Stadtabend-Situationsbeschreibung. Die Beschreibungen sind meiner Meinung nach die Stärke des Textes. Erste Person Präsens, nicht ganz einfach. Hat aber den Vorteil, dass man leicht monologisieren kann. Hier überzeugen mich deine inneren Monologe allerdings leider nicht. Neben den guten Beschreibungen wirken sie irgendwie ungeschickt, flach und sie wiederholen sich. Vieles dessen, was in den inneren Dialoge steht, kann der Leser auch aus der Handlung und den Beschreibungen ableiten. Da kann man dem Leser ruhig mehr zutrauen.

Formal gehst du mit Satzzeichen meiner Meinung nach etwas inflationär um. Diese innere Rede mit spitzen Klammern zu markieren finde ich unnötig und macht den Text schlecht lesbar. Die Anführungszeichen bei bestimmten Ausdrücken wie "gewisse Damen", die vielen Ausrufezeichen und die meisten Auslassungspunkte empfinde ich ebenfalls als störend.

Dann frage ich mich, wieso der Ich-Erzähler diesem Mädchen folgt. Hat der es einfach nur nötig? Trotz all der inneren Monologe bekomme ich kein richtiges Bild vom Ich-Erzähler und kann mich nicht recht in ihn hineinversetzen. Und ein Abschiedskuss nach dieser kurzen Begegnung?

Das Rätsel um das Mädchen (professionell vs. unschuldig) ist nett, aber am Schluss hätte ich mir irgendwie eine Auflösung gewünscht. Eskortservice vielleicht? Das Ende ist mir etwas zu abrupt und gewollt rätselhaft. Und was sind Hoghheels?

Viele Grüße
Daja
 

HajoBe

Mitglied
Der Novembertag verabschiedet sich hinter einem Regenvorhang, die Hektik der City fällt in gemächlicheres Tempo. Quietschende Straßenbahnen holpern Nachtbummler durch die Innenstadt und die Lichtreklamen spiegeln sich flirrend in Pfützen rund ums Münster, als ich den Platz kreuze auf dem Weg zum Bahnhof. Ein schneidender Wind wirbelt vor mir Papierfetzen und Blätter in Kreise. Mich fröstelt und ich ziehe mich in den flauschigen Anorak zurück. Hinter mir gähnt ein langweiliger Nachmittag, aber noch bleibt die Nacht.

Sie naht aus einer Seitengasse und stöckelt in roten Highheels über das buckelige Pflaster. Im hautengen Minirock, den Kragen der Lederjacke lässig hochgeschlagen, balanciert sie vor mir her. Ich folge ihr. Zigarettenrauch und herber Parfümgeruch schwängern die Luft hinter ihrer grazilen Gestalt und das erotisierende Wiegen der Hüften im Rhythmus ihrer Schritte weckt unweigerlich Fantasien. Jetzt zögert sie, bleibt unschlüssig vor einer Boutique stehen und schnippt die Kippe auf den Asphalt. Sollte ich sie überholen? Ein Schaufenster nimmt mir die Entscheidung ab. Sie wirft einen flüchtigen Blick zurück, übersieht mich wohl, setzt ihren Weg jedoch gemächlicher fort. Ich schlendere wieder hinterher. Weit und breit kein Mensch auf der nächtlichen Gasse. Sie könnte befürchten, ich verfolge sie. Was, wenn sie ihre Schritte beschleunigt, um den Abstand zu vergrößern? Mein Tempo steigern? Sie fühlte sich möglicherweise bedrängt. Nein, ich verwerfe meine absichtslosen Gedanken.

Der Regen hat wieder heftiger eingesetzt. Ich drücke mich schutzsuchend an Hauswänden entlang. Da erregt ein Schlüsselbund in ihrer Hand plötzlich meine Aufmerksamkeit. Sie rasselt spielerisch bei jedem Schritt damit. Ist das unbedacht oder will sie mir etwas zu Verstehen geben? Ein verhohlener Wink vielleicht? Schließlich wird kolportiert, dass "gewisse Damen" in solcher oder ähnlicher Art auf sich aufmerksam zu machen suchen. Ich verdränge den Gedanken. Nein, die ist vermutlich keine "Käufliche"…, oder?

Drüben auf der Bahnhofsuhr rücken die Zeiger auf 23 Uhr. Mein Zug fährt in 10 Minuten. Ein letzter Fußgängerüberweg trennt uns vom Hauptportal. Die Ampel zeigt "Rot". Wir stehen jetzt dicht nebeneinander. Die dunkle Brille hat sie leger ins blonde Haar gesteckt. Ihr Parfümduft weht herüber. Doch das Mädchen nimmt keine Notiz von mir, schlenkert weiter mit den Schlüsseln und kreuzt bei "Grün" eilends die Straße. Ich folge ihr - unbemerkt - wie ich glaube.

In der Bahnhofshalle steuert sie auf das Nachtcafé zu, lässt sich in einen speckigen Ledersessel fallen und schlägt die schlanken Beine übereinander. Verführerisch verrutscht der Rocksaum. Ihr Anblick fesselt mich ungemein.
<Du musst handeln!>, regt es sich in mir. Hinter einem Zeitungsstand verborgen beobachte ich die Sitzgruppe. Alle Tische neben ihr sind frei und ich könnte mich setzen. Oder sollte ich die unsinnige Frage an sie richten, ob an ihrem Tisch…? Nein, das wäre zu direkt und ich riskierte "einen Korb". Doch zögerlich Unentschlossenheit erkennen lassen?
<Aber mal ehrlich, beachtet sie mich überhaupt?> Lässigkeit vortäuschend schlendere ich an ihrem Tisch vorüber.

"Möchten Sie sich zu mir setzen?", klingt es mir mit einem verführerisch einladenden Lächeln entgegen. Mich ärgert, dass ich verlegen erröte.
"Gerne!", presse ich heraus und lasse mich neben sie in einen Sessel gleiten.
"Verreisen Sie heute Nacht?", fährt sie fort.
<Sollte ich ihr gestehen, dass mein Zug in wenigen Minuten abfährt? Ausgerechnet jetzt?>
"Ja", erwidere ich Coolness mimend, "könnte aber auch einen späteren Zug nehmen."
<Was rede ich denn da bereits von "später"?>

Ein lustlos dreinschauender Ober fragt mit gespielter Höflichkeit nach unseren Wünschen.
"Für mich ein Pils, bitte!"
"Und die Dame?", fügt er mürrisch hinzu.
Die blättert unentschlossen in der abgegriffenen Getränkekarte ohne die Bedienung zu beachten.
"Ich komme nochmal wieder…", brummt der Ober sichtlich genervt und schlurft davon.
"Ich nehme auch ein Pils", wendet sie sich an mich. Mein Bier wird serviert.
"Das Gleiche für die Dame, Herr Ober!"
"Bitte sehr!" Es klingt, als wollte er fortfahren: <Das hätten Sie mir auch gleich sagen können.>

Sie kramt in einem Kroko-Täschchen, fördert eine Dose mit Spiegel zutage, pudert ihr Gesicht und schminkt die Lippen.
<Macht man das in Anwesenheit eines fremden Herrn? Ist sie etwa doch eine von "diesen Damen?> Doch ich mag meine voyeuristischen Vorstellungen nicht neuerlich beflügeln. Sie hebt ihr Glas.
"Prost!" - Ich erwidere mit einem Nicken.
"Warten Sie auf die Abfahrt Ihres Zuges?"
"Ich fahre nicht weg", verneint sie mit kurzem Augenaufschlag.
"Dann warten Sie auf jemand?", werfe ich ein.
Ihr kaum merkliches Kopfnicken vermittelt den Anschein, das Gespräch beenden zu wollen.
Doch dann wechselt sie den Beinüberschlag, gibt ihre netzbestrumpften Schenkel großzügig frei, zupft gewollt verlegen am Rock und bemerkt meine Blicke. Will sie mir etwas andeuten? Unsere Fußspitzen berühren sich unter dem Tisch und sie stößt mich leicht an. Ich ziehe nicht zurück, taste nach ihrem Fuß.
"Entschuldigung!", murmelt sie beiläufig. Mein Fantasiegebäude bekommt erste Risse.

Sie verreist nicht, erwartet offenbar niemand, scheint - wie soeben demonstriert - keine "bestimmten Absichten" zu verfolgen… Eigenartig!

"Ich komme jeden Abend hierher", greift sie das Gespräch erneut auf.
<Jede Nacht…, also doch eine von "denen"!> Ich verwerfe den Gedanken.
"Ich erwarte meinen Freund. Nur der ist selten pünktlich", ergänzt sie.
<Aha, eine feste Beziehung!> Die Realität holt mich ein. Vermutungen zerstreuen sich zwar, Chancen bieten sich augenscheinlich ebenso wenig.

>Klar, dass eine junge Frau einen Freund hat. Der hat vermutlich Spätschicht, arbeitet hier bei der Bahn und sie holt ihn ab. Oder..passt da jemand auf sie auf? Kontrolliert sie? Kassiert ab? Und sie ist doch…?>
Als errate sie meine Gedanken, schenkt sie mir ein Unschuldslächeln und ausdrucksvolle, dunkle Augen gesäumt von bläulichen Lidschatten strahlen mich betörend an.
<Wie schön sie ist…und so jung!>

"Wann geht denn nun ihr Zug?", wendet sie sich an mich.
"Der letzte ist weg und der nächste…? Ich schau` mal auf den Fahrplan, bin gleich zurück."
Falls sie jetzt nicht <Gute Nacht!> oder <Tschüss!> sagt, bleibt sie, beruhige ich mich, und wende mich dem Fahrplankasten zu. Sie schweigt!

Jeder kennt dieses erregende Kribbeln! Ihre gewinnende Art, diese angenehm tiefe, rauchige Stimme! Meine Fantasie spiegelt mir Bilder vor, entblößt sie vor meinem inneren, begehrlichen Auge. <Sollte ich mich, falls sie doch…, auf sie einlassen?>

Sie blättert in einer Illustrierten, blickt kurz auf, als ich mich setze.
"Na, haben Sie Ihren Zug gefunden?"
"Ja", lüge ich.
Sie legt unvermittelt die Zeitschrift zur Seite und richtet sich plötzlich ruckartig auf.
"Ich glaube, er kommt!"
Jetzt wird es sich entscheiden. Doch außer dem gelangweilten Kellner ist niemand zu sehen. Ich komme mir plötzlich als Verlierer vor.
<<Gute Fahrt!>, höre ich bereits - und sie wird mit dem Kerl verschwinden.>

"Da bist du ja endlich!", es klingt freudig und erleichtert. In einiger Entfernung wedelt eine struppige Promenadenmischung mit abstehenden Ohren und dem sprichwörtlichen Hundeblick mit dem Stummelschwanz.
"Das ist Ihr Freund?", quetsche ich verdattert heraus und versuche Ordnung in alles bisher Erwogene zu bringen.
"Ja, das ist Nelly. Ich nenne ihn so. Er ist mir mal durch die ganze Stadt nachgelaufen bis zum Bahnhof. Seither wartet er jeden Abend hier auf mich. Ist das nicht rührend?"

Da tut sich ein völlig neuer, unerwarteter Aspekt auf. Fantasien, Trugschlüsse, Verdächtigungen…alle sind wie weggewischt. Ich sehe mich mit "dieser Seele von Mensch" konfrontiert, welcher eines streunenden, halb verhungerten Köters wegen bei Regen und Kälte nachts zum Bahnhof kommt, um ihm ein paar leckere Happen zu reichen.
"Bewundernswert, einfach bewundernswert!" Mehr fällt mir nicht ein. Nelly liegt unter dem Tisch und nagt an seinem Büffelhautknochen.
"Wissen Sie, der Hund tut mir leid. Nachhause kann ich ihn nicht nehmen. Der Vermieter, Sie verstehen?" Ich nicke zustimmend. Der Druck fällt von mir ab. Alles scheint geklärt.
"Ich heiße übrigens Walter."
"Ich Olga."
"Darf ich Du sagen?"
"Gerne!", und krault Nellys zerzaustes Fell unter meinem neidvollen Blick.

Es ist nach Mitternacht und mein letzter Zug längst weg. Ich werde ein Taxi nehmen.
"Darf ich dich ein Stück mitnehmen?"
"Oh ja, schön!", meint sie und ich bezahle den Ober mit reichlich Trinkgeld; verdient hat der Muffel es nicht.
"Sehen wir uns wieder, Olga?"
"Warum nicht. Du weißt ja, wo du mich findest."
"Ich meine, einmal ohne den Hund." Sie blickt spitzbübisch.
"Ja, auch ohne Hund. Hier meine Karte!"

Meine letzten Zweifel habe ich begraben.
<Sie vertraut mir ihre Telefonnummer an. Wir werden uns wieder treffen, Essen gehen, Kino, Theater, Ausflüge und…Kuschelabende!>
Ich winke einem Taxi. Nelly trottet zufrieden davon. An der nächsten Kreuzung steigt Olga aus. Wir küssen uns züchtig, ist ja das erste Mal.
"Tschüss, mach`s gut, Olga!"
"Du auch, Walter! Hast ja meine Visitenkarte", und verschwindet unter dem Schirm in die Nacht.
"Ich rufe dich morgen an, Olga!" - <Ob sie es noch gehört hat?>

Puh…, ich lehne mich entspannt zurück. Regen prasselt gegen die Scheiben, während sich der Wagen durch den nächtlichen Verkehr fädelt. <Ach ja, die Visitenkarte!> Ich ziehe sie erwartungsfroh hervor, sie riecht nach ihrem Parfüm. Meine Hände zittern, ich versuche sie zu entziffern im spärlichen, vorüber huschenden Schein der Laternen und lese…, lese noch mal…, und abermals…

"Wohin wollen Sie eigentlich?", raunzt der Taxifahrer.
"Halten Sie sofort, bitte!"
Ich muss raus, nur raus. Meine Hand krampft sich um das zerknüllte Kärtchen.
 

HajoBe

Mitglied
Hallo Dada, danke für dein Interesse. Natürlich Highheels!
Ja das mit der Hervorhebung der inneren Monologe ist so eine Sache. Von manchen Lektoren wird es ausdrücklich empfohlen. Man könnte sie auch in Sperrschrift setzen.
"Inflationäre Satzzeichensetzung" finde ich schön gesagt, sicher könnte man damit sparsamer umgehen.
Ich glaube nicht, dass der Ich-Erzähler "es notwendig" hat, er gerät rein zufällig und nicht zielgerichtet in die Situation, die immer wieder erneut Fragen in ihm aufwirft, um welche Art Frau es sich handeln könnte. Natürlich schwankt er in seiner Gefühlshaltung, sonst wäre er nicht Mann.
Ich meine, dass eine irgendwie gestaltete Auflösung des Schlusses die ganze Geschichte zu durchsichtig machen würde. Das Rätsel um die Frau wird an den Leser weitergereicht, auch aus der Reaktion des Protagonisten ist nicht ersichtlich, um wen es sich tatsächlich handelt.
LG HajoBe
 

HajoBe

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Der Novembertag verabschiedet sich hinter einem Regenvorhang, die Hektik der City fällt in gemächlicheres Tempo. Quietschende Straßenbahnen holpern Nachtbummler durch die Innenstadt und die Lichtreklamen spiegeln sich in Pfützen rund ums Münster, als ich den Platz kreuze auf dem Weg zum Bahnhof. Ein schneidender Wind wirbelt vor mir Papierfetzen und Blätter zu Kreiseln. Mich fröstelt und ich ziehe mich in den flauschigen Anorak zurück. Hinter mir gähnt ein langweiliger Nachmittag, aber noch bleibt die Nacht.

Sie naht aus einer Seitengasse und stöckelt in roten Highheels über das buckelige Pflaster. Im hautengen Minirock, den Kragen der Lederjacke lässig hochgeschlagen, balanciert sie vor mir her. Ich folge ihr. Zigarettenrauch und herber Parfümgeruch mischen sich hinter ihrer grazilen Gestalt und das erotisierende Wiegen der Hüften im Rhythmus ihrer Schritte weckt unweigerlich Fantasien. Jetzt zögert sie, bleibt unschlüssig vor einer Boutique stehen und schnippt die Kippe auf den Asphalt. Sollte ich sie überholen? Ein Schaufenster nimmt mir die Entscheidung ab. Sie wirft einen flüchtigen Blick zurück, übersieht mich wohl, setzt ihren Weg jedoch gemächlicher fort. Ich schlendere wieder hinterher. Weit und breit kein Mensch auf der nächtlichen Gasse. Sie könnte befürchten, ich verfolge sie. Was, wenn sie ihre Schritte beschleunigt, um den Abstand zu vergrößern? Mein Tempo steigern? Sie fühlte sich möglicherweise bedrängt. Nein, ich verwerfe meine absichtslosen Gedanken.

Der Regen hat wieder heftiger eingesetzt. Ich drücke mich schutzsuchend an Hauswänden entlang. Da erregt ein Schlüsselbund in ihrer Hand plötzlich meine Aufmerksamkeit. Sie rasselt spielerisch bei jedem Schritt damit. Ist das unbedacht oder will sie mir etwas zu Verstehen geben? Ein verhohlener Wink vielleicht? Schließlich wird kolportiert, dass "gewisse Damen" in solcher oder ähnlicher Art auf sich aufmerksam zu machen suchen. Ich verdränge den Gedanken. Nein, die ist vermutlich keine "Käufliche"…, oder?

Drüben auf der Bahnhofsuhr rücken die Zeiger auf 23 Uhr. Mein Zug fährt in 10 Minuten. Ein letzter Fußgängerüberweg trennt uns vom Hauptportal. Die Ampel zeigt "Rot". Wir stehen jetzt dicht nebeneinander. Die dunkle Brille hat sie leger ins blonde Haar gesteckt. Ihr Parfümduft weht zu mir herüber. Doch die Frau nimmt keine Notiz von mir, schlenkert weiter mit den Schlüsseln und kreuzt bei "Grün" eilends die Straße. Ich folge ihr - unbemerkt - wie ich glaube.

In der Bahnhofshalle steuert sie auf das Nachtcafé zu, lässt sich in einen speckigen Ledersessel fallen und schlägt die schlanken Beine übereinander. Verführerisch verrutscht der Rocksaum. Ihr Anblick fesselt mich ungemein.
<Du musst handeln!>, regt es sich in mir. Hinter einem Zeitungsstand verborgen beobachte ich die Sitzgruppe. Alle Tische neben ihr sind frei und ich könnte mich setzen. Oder sollte ich die unsinnige Frage an sie richten, ob an ihrem Tisch…? Nein, das wäre zu direkt und ich riskierte "einen Korb". Doch zögerlich Unentschlossenheit erkennen lassen?
<Aber mal ehrlich, beachtet sie mich überhaupt?> Lässigkeit vortäuschend schlendere ich an ihrem Tisch vorüber.

"Möchten Sie sich zu mir setzen?", klingt es mir mit einem verführerisch einladenden Lächeln entgegen. Mich ärgert, dass ich verlegen erröte.
"Gerne!", presse ich heraus und lasse mich neben sie in einen Sessel gleiten.
"Verreisen Sie heute Nacht?", fährt sie fort.
<Sollte ich ihr gestehen, dass mein Zug in wenigen Minuten abfährt? Ausgerechnet jetzt?>
"Ja", erwidere ich Coolness mimend, "könnte aber auch einen späteren Zug nehmen."
<Was rede ich denn da bereits von "später"?>

Ein lustlos dreinschauender Ober fragt mit gespielter Höflichkeit nach unseren Wünschen.
"Für mich ein Pils, bitte!"
"Und die Dame?", fügt er mürrisch hinzu.
Die blättert unentschlossen in der abgegriffenen Getränkekarte ohne die Bedienung zu beachten.
"Ich komme nochmal wieder…", brummt der Ober sichtlich genervt und schlurft davon.
"Ich nehme auch ein Pils", wendet sie sich an mich. Mein Bier wird serviert.
"Das Gleiche für die Dame, Herr Ober!"
"Bitte sehr!" Es klingt, als wollte er fortfahren: <Das hätten Sie mir auch gleich sagen können.>

Sie kramt in einem Kroko-Täschchen, fördert eine Dose mit Spiegel zutage, pudert ihr Gesicht und schminkt die Lippen.
<Macht man das in Anwesenheit eines fremden Herrn? Ist sie etwa doch eine von "diesen Damen?> Doch ich mag meine voyeuristischen Vorstellungen nicht neuerlich beflügeln. Sie hebt ihr Glas.
"Prost!" - Ich erwidere mit einem Nicken.
"Warten Sie auf die Abfahrt Ihres Zuges?"
"Ich fahre nicht weg", verneint sie mit kurzem Augenaufschlag.
"Dann warten Sie auf jemand?", werfe ich ein.
Ihr kaum merkliches Kopfnicken vermittelt den Anschein, das Gespräch beenden zu wollen.
Doch dann wechselt sie den Beinüberschlag, gibt ihre netzbestrumpften Schenkel großzügig frei, zupft gewollt verlegen am Rock und bemerkt meine Blicke. Will sie mir etwas andeuten? Unsere Fußspitzen berühren sich unter dem Tisch und sie stößt mich leicht an. Ich ziehe nicht zurück, taste nach ihrem Fuß.
"Entschuldigung!", murmelt sie beiläufig. Mein Fantasiegebäude bekommt Risse.

Sie verreist nicht, erwartet offenbar niemanden, scheint - wie soeben demonstriert - keine "bestimmten Absichten" zu verfolgen… Eigenartig!

"Ich komme jeden Abend hierher", greift sie das Gespräch erneut auf.
<Jede Nacht…, also doch eine von "denen"!> Ich verwerfe den Gedanken.
"Ich erwarte meinen Freund. Nur der ist selten pünktlich", ergänzt sie.
<Aha, eine feste Beziehung!> Die Realität holt mich ein. Vermutungen zerstreuen sich zwar, Chancen bieten sich augenscheinlich ebenso wenig.

>Klar, dass eine junge Frau einen Freund hat. Der hat vermutlich Spätschicht, arbeitet hier bei der Bahn und sie holt ihn ab. Oder..passt da jemand auf sie auf? Kontrolliert sie? Kassiert ab? Und sie ist doch…?>
Als errate sie meine Gedanken, schenkt sie mir ein Unschuldslächeln und ausdrucksvolle, dunkle Augen gesäumt von bläulichen Lidschatten strahlen mich betörend an.
<Wie schön sie ist…und so jung!>

"Wann geht denn nun ihr Zug?", wendet sie sich an mich.
"Der letzte ist weg und der nächste…? Ich schau` mal auf den Fahrplan, bin gleich zurück."
Falls sie jetzt nicht <Gute Nacht!> oder <Tschüss!> sagt, bleibt sie, beruhige ich mich, und wende mich dem Fahrplankasten zu. Sie schweigt!

Jedermann kennt dieses erregende Kribbeln! Ihre gewinnende Art, diese angenehm tiefe, rauchige Stimme! Meine Fantasie spiegelt mir Bilder vor, entblößt sie vor meinem inneren, begehrlichen Auge. <Sollte ich mich, falls sie doch…, auf sie einlassen?>

Sie blättert in einer Illustrierten, blickt kurz auf, als ich mich setze.
"Na, haben Sie Ihren Zug gefunden?"
"Ja", lüge ich.
Sie legt unvermittelt die Zeitschrift zur Seite und richtet sich plötzlich ruckartig auf.
"Ich glaube, er kommt!"
Jetzt wird es sich entscheiden. Doch außer dem gelangweilten Kellner ist niemand zu sehen. Ich komme mir plötzlich als Verlierer vor.
<<Gute Fahrt!>, höre ich bereits - und sie wird mit dem Kerl verschwinden.>

"Da bist du ja endlich!", es klingt freudig und erleichtert. In einiger Entfernung wedelt eine struppige Promenadenmischung mit abstehenden Ohren und dem sprichwörtlichen Hundeblick mit dem Stummelschwanz.
"Das ist Ihr Freund?", quetsche ich verdattert heraus und versuche Ordnung in alles bisher Erwogene zu bringen.
"Ja, das ist Ferdy. Ich nenne ihn so. Er ist mir mal durch die ganze Stadt nachgelaufen bis zum Bahnhof. Seither wartet er jeden Abend hier auf mich. Ist das nicht rührend?"

Da tut sich ein völlig neuer, unerwarteter Aspekt auf. Fantasien, Trugschlüsse, Verdächtigungen…alle sind wie weggewischt. Ich sehe mich mit "dieser Seele von Mensch" konfrontiert, welcher eines streunenden, halb verhungerten Köters wegen bei Regen und Kälte nachts zum Bahnhof kommt, um ihm ein paar leckere Happen zu reichen.
"Bewundernswert, einfach bewundernswert!" Mehr fällt mir nicht ein. Ferdy liegt unter dem Tisch und nagt an seinem Büffelhautknochen.
"Wissen Sie, der Hund tut mir leid. Nachhause kann ich ihn nicht nehmen. Der Vermieter, Sie verstehen?" Ich nicke zustimmend. Der Druck fällt von mir ab. Alles scheint geklärt.
"Ich heiße übrigens Walter."
"Ich Olga."
"Darf ich Du sagen?"
"Gerne!", und krault Ferdys zerzaustes Fell unter meinem neidvollen Blick.

Es ist nach Mitternacht und mein letzter Zug längst weg. Ich werde ein Taxi nehmen.
"Darf ich dich ein Stück mitnehmen?"
"Oh ja, schön!", meint sie und ich bezahle den Ober mit reichlich Trinkgeld; verdient hat der Muffel es nicht.
"Sehen wir uns wieder, Olga?"
"Warum nicht. Du weißt ja, wo du mich findest."
"Ich meine, einmal ohne den Hund." Sie blickt spitzbübisch.
"Ja, auch ohne Hund. Hier meine Karte!"

Meine letzten Zweifel habe ich begraben.
<Sie vertraut mir ihre Telefonnummer an. Wir werden uns wieder treffen, Essen gehen, Kino, Theater, Ausflüge und…Kuschelabende!>
Ich winke einem Taxi. Ferdy trottet zufrieden davon. An der nächsten Kreuzung steigt Olga aus. Wir küssen uns züchtig, ist ja das erste Mal.
"Tschüss, mach`s gut, Olga!"
"Du auch, Walter! Hast ja meine Visitenkarte", und verschwindet unter dem Schirm in die Nacht.
"Ich rufe dich morgen an, Olga!" - <Ob sie es noch gehört hat?>

Puh…, ich lehne mich entspannt zurück. Regen prasselt gegen die Scheiben, während sich der Wagen durch den nächtlichen Verkehr fädelt. <Ach ja, die Visitenkarte!> Ich ziehe sie erwartungsfroh hervor, sie riecht nach ihrem Parfüm. Meine Hände zittern, ich versuche sie zu entziffern im spärlichen, vorüber huschenden Schein der Laternen und lese…, lese noch mal…, und abermals…

"Wohin wollen Sie eigentlich?", raunzt der Taxifahrer.
"Halten Sie sofort, bitte!"
Ich muss raus, nur raus. Meine Hand krampft sich um das zerknüllte Kärtchen.
 



 
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