In Liebe

spicymaus

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In Liebe
Ich saß an ihrem Bett, meine Augen waren rot und geschwollen. Es war so still, nur mein Weinen und das leise Piepen der Maschinen war zu hören. Ich hielt ihre leblose Hand und streichelte ihr blasses Gesicht. Die letzten Stunden kamen mir so unecht vor, es konnte einfach nicht wahr sein. Doch die Wahrheit drängte sich mir auf, ich konnte sie nicht abschütteln. Es gab keine Chance, nichts konnte sie jetzt noch retten. Diese Krankheit nahm keine Rücksicht auf das Leben, verfolgte nur ihr sinnloses Ziel. Sie war immer so glücklich und positiv, ihr Lachen konnte auch den schlimmsten Tag erhellen. Sie hatte nie aufgegeben, doch es war von Anfang an ein aussichtsloser Kampf gewesen. Ich wollte es in die Nacht hinaus schreien, doch ich wusste was sie geantwortet hätte; „Ich habe gewonnen, Zeit, Freude und Dich!“ Ich wusste, diese Nacht gehörte nur uns, niemand konnte sie uns nehmen, niemand würde sie uns nehmen. Wir waren die einzigen Wesen auf Erden, die diese Nacht erlebten, sie in vollem Maße wahrnahmen. Heute Nacht waren wir unsterblich, nichts konnte uns geschehen. Wir konnten auf Häuserdächern balancieren, auf der Autobahn spazieren gehen, und nichts, ja nichts konnte uns aufhalten.
Die letzten Wochen waren wunderbar, und jetzt wurde mir klar, dass sie mich und nicht ich sie getröstet hatte. Sie wusste dass das Ende kommen sollte, und sie hatte mir geholfen, den Weg zu dieser Erkenntnis zu finden. Es war ein schwerer Weg, ein langer Weg, doch am Ende wartete ein unermesslicher Schatz auf uns. Unsere Freundschaft, am Anfang so zerbrechlich und am Ende so unzertrennlich fest, war Tag für Tag gewachsen. Ich wusste dass sie über den Tod hinausgehen würde, dass uns nichts aufhalten konnte.
Wir hielten uns an der Hand und schwebten aus dem Fenster, über die Dächer der Stadt. Wir schwebten bis ans Meer, über das Meer, ins Weltall. Wir sahen die Erde von oben, kreisten wie Satteliten um sie herum und winkten Astronauten zu. Wir liefen über Wiesen, saßen auf dem schneebedeckten Gipfel eines Berges. Wir sind unsterblich, nichts kann uns aufhalten.
Mir wurde klar, dass der Tod nicht das Ende bedeutete, sondern einen Neuanfang. Sie hatte es mir so oft erklärt, und am Anfang hatte ich mich dagegen gewehrt. Doch sie wusste, dass Gott etwas mit ihr vorhatte. Er hatte noch große Pläne für sie, und darum holte er sie zu sich.
Ich blickte aus dem Fenster und sah zu den Sternen. Warum schaut man immer zum Himmel wenn man an Gott denkt? Diese Frage hatte sie mir gestellt und nun wusste ich die Antwort. Gott ist überall, doch oben auf den Wolken, da sitzen jene, die von uns gegangen sind, an seiner Seite. Wir blicken zum Himmel hinauf, um ihnen nah zu sein. Dabei sind sie uns immer nah, sie bleiben für immer in unserem Herzen, wenn wir nur einen Platz für sie frei halten.
Diese Nacht gehört nur uns, ich bin bei dir, du bist bei mir. Nichts kann uns aufhalten. Doch der Anbruch des Tages beendet es. Deine Augen sind für immer geschlossen, und mit dir verlässt eine große Portion Freude und Frohsinn diese Welt.
Eines Tages werden wir uns wieder sehen, und ich weiß, dass ich mich nicht beeilen muss. Du wartest auf mich, und die Zeit wird für mich wie im Fluge vergehen. Ich werde leben und ich weiß, dass du immer über mich wachen wirst, und auf mich acht gibst. Ich weiß, dass du deine Aufgaben im Himmel meistern wirst, denn du bist perfekt so wie du bist. Du bist so wunderbar, so toll. Ich bin so dankbar dass ich dich kenne und werde dich niemals hergeben.
In Liebe.
 



 
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