In The Year 2828...

Marc Olivier

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Ich bin soeben zurückgekommen von meiner ersten Zeitreise. Sicher werden viele wissen wollen, was die Menschen in Zukunft erwartet, weshalb ich mich dazu entschieden habe, meine Erfahrungen in regelmäßigen Abständen zu veröffentlichen.

Es ist faszinierend. Ich bin vor gerade mal fünf Minuten hier abgereist, habe das komplette Jahr 2828 in der Zukunft verbracht und bin wieder da. Natürlich hat sich meine Lebenserwartung hier dadurch um ein Jahr verkürzt, aber die Erfahrungen, die man bei Zeitreisen macht, entschädigen mich für alles.

Die Frage, die wohl die meisten Menschen beschäftigen dürfte, ist die, ob die Gesellschaft alle Zwistigkeiten ablegen kann und ewiger Friede herrschen oder ob es immer wieder Kriege geben und sich die Menschheit dadurch selbst hinrichten wird. In der fernen Zukunft angekommen, nahm ich also die USA genauer unter die Lupe. Besser gesagt das, was aus ihr geworden war.

Die USA hatte sich als einzige Nation der Welt und entgegen all meiner Erwartungen kaum verändert. Territorial hatte es einige Umgestaltungen gegeben, ja sogar geben müssen. So wurde Alaska aus Finanznot heraus 2543 für einen Appel und ein Ei wieder an die Russen verkauft, da General Motors zwanzig Jahre zuvor aus Lohnkostengründen komplett mit Mann und Maus nach Polnisch-China ausgewandert war und nun in Moskau residierte. Das war allerdings schon der einzige Verlust an Landmasse, die die USA zu beklagen hatten. Zugewinne hatte es seit 2170 indes auch nicht mehr gegeben, als man die Schnauze endgültig voll hatte, Panama überfiel und anschließend annektierte. Zuvor hatte man 2099 dasselbe mit Island getan, nachdem man von der vorausgehenden Havarie eines afrikanischen Öltankers keine Notiz genommen und die Ölpest an der Küste des Inselstaates irrtümlich einer geplatzten Ölblase am Meeresgrund zugeschrieben hatte.

Drastische Wandlungen hatten die USA allerdings sowohl innen- als auch außenpolitisch hinzunehmen gehabt. Schleichend, aber immer weiter fortschreitend, hatten Polnisch-China und Indisch-Persien der ehemaligen Supermacht den Rang abgelaufen. Als Fixdatum für den Machtwechsel nennt man den 25. April 2587, als sich die UNO auflöste und somit das einzig verbliebene Feindbild verschwand, da sich die restlichen Staaten der Welt schon lange nicht mehr über die Provokationen aus Washington aufregten.

Polnisch-China umfasst, wie der Name schon sagt, die ehemaligen Gebiete Polens, das sich als absolute Wirtschaftsmacht Europas hatte etablieren können und sich daraufhin noch vor der Vereinigung Gesamteuropas aus der EU wieder verabschiedete und lieber mit dem in Asien auf Nummer Eins hochgeschnellten China gemeinsame Sache zu machen. Die Chinesen überrannten Russland mit 20 Millionen Mann und die Polen machten den Sieg klar, indem sie im Büro des Kreml-Chefs in der Nacht zuvor den roten Knopf ausgebaut und geklaut hatten. Gott sei Dank hatten die Russen 44 Jahre zuvor wie bereits erwähnt Alaska für einen Spottpreis gekauft, sodass sich die Regierung und große Teile des Volkes dorthin flüchten konnten. Natürlich war Alaska viel zu klein für die Masse an Einwanderern, die fortan mit den USA ständig im Clinch um das kaum noch besiedelte Kanadische Königreich lag. Die Kanadier hatten sich nach dem Tod ihres letzten Königs Henry IV. größtenteils nach Frankreich und Europa aufgemacht, da sie sich mit zwei derart verarmten Nachbarn keine allzu rosige Zukunft versprachen.
Als ich Ende 2828 zurückreiste, stand im Übrigen ein russisch-amerikanischer Krieg um Kanada kurz bevor. Noch vor 20 Jahren, liebe Landsleute, hätte eine solche Situation das Ende der Welt bedeutet, wäre es zu militärischen Auseinandersetzungen gekommen. Doch im Jahr 2828 nimmt man es mit einem Schulterzucken zur Kenntnis und die Harpunenindustrie reibt sich die Hände.

In diesem Zusammenhang habe ich aber noch eine interessante Geschichte aus den USA des Jahres 2828. Fast hätte ich den klitzekleinen Artikel dazu auf der vorletzten Seite der „.jpg-Zeitung“ übersehen.
Ein ausländischer Geheimdienst hatte der CIA mitgeteilt, dass der Präsident schon anderthalb Jahre zuvor durch einen Klon ersetzt worden sei (die Gentechnik war erwartungsgemäß weit entwickelt, das Klonen war eine Sache von Minuten). Da man Klone ausschließlich im privaten Bereich nutzte, um einfache, anspruchslose „Drecksarbeit“ zu machen und höhere Aufgaben für Menschen aus der Retorte, die man überdies beim Duplizieren allerlei Dinge einimpfen konnte, streng verboten war, war das Chaos in den Staaten daraufhin natürlich groß. Ich entschloss mich also, die Geschichte genauestens zu verfolgen, was hieß, mir lange Nächte um die Ohren zu schlagen, denn in den Tagesnachrichten hatten die Redakteure nie Platz dafür gehabt. Die Angst, dass der Präsident – oder besser das Wesen, das man bis dahin dafür gehalten hatte – aufgrund genetisch eingepflanzter Befehle den Staat endgültig den Bach runtergehen lassen würde, war schier unendlich.

Das war ein Hick-Hack, kann ich Ihnen sagen! Der Kongress beschloss, eine Kommission ins Leben zu rufen, die zu beschließen hatte, wie weiter verfahren werden sollte. Zunächst wurden sämtliche Amtsangelegenheiten dem Außenminister übertragen, der dafür genügend Zeit hatte, da es lediglich hin und wieder Krach mit den Russen gab – wegen Kanda, siehe oben. Schließlich beschloss man, eine neue Kommission zu bilden, in der Psychologen, Biologen, Anwälte und Politiker beider Parteien (Demokraten und Sozialisten) sitzen sollte. Der „Präsident“ wurde dann zu Anhörungen vor dieses Gremium einbestellt. Man hatte diverse Tests für ihn vorbereitet.
Zunächst wurde er gebeten, den Namen der Frau zu nennen, mit der er während seiner Zeit als isländischer Senator oralen Verkehr hatte und ein außereheliches Kind zeugte. Die Antwort kam wie aus der Pistole geschossen. Sogar den Namen des Kindes – Asgeir – teilte er den staunenden Mitgliedern der Kommission mit, obwohl sie gar nicht danach gefragt hatte.
Im zweiten Teil der Untersuchung wurden ihm die Augen verbunden, um herauszufinden, ob er den Unterschied zwischen Erdöl und Whisky herausschmecken kann. Auch dies bestand er mit Bravur. Das Erdöl übrigens hatte man in einem enormen finanziellen Kraftakt extra aus Riad einfliegen lassen, nachdem man dort endlich mit dem Scheich hatte sprechen können, der zunächst immer nur durch seine Tippse hatte mitteilen lassen, er werde zurückrufen.
Selbst den berüchtigten und gefürchteten „Brezel-Test“ bestand er derart überzeugend, dass die Anhörungen für drei Wochen unterbrochen werden mussten, da er sich zur stationären Behandlung in die Poliklinik Washington zu begeben hatte.
Wieder halbwegs gesundet – lediglich ein blau-grün-gelbes linkes Auge und verschorfte Wunden an der rechten Wange zeugten noch vom letzten Test – wurde der „Präsident“ in ein Verhör genommen, das selten kürzer war als 16 Stunden pro Tag.
Letztendlich gelang dem Gremium doch der Durchbruch. Am siebten Tag nämlich stellte einer der Anwälte die Frage, die sich als die entscheidende herausstellen sollte.
„Wann wurden Sie zum Präsidenten ernannt?“ fragte er ihn.
„Am 26. September 2826!“ antwortete der Angeklagte voller Inbrunst.
BUMS...da hatten sie ihn!
Das war nämlich ein Sonntag. Und an einem Sonntag fällt selbst in 700 Jahren kein Gericht der Welt ein Urteil.
Das war’s dann gewesen. Der Klon wurde zu fünf Milliarden Jahren Gefängnis verurteilt und der Sieg des amerikanischen Systems gegen die fremde Bedrohung mit Konfettiparaden durch New York gefeiert.
Nachdem man den Rausch ausgeschlafen hatte, wurde im Kongress beratschlagt, was zu tun sei. Den echten Präsidenten lebend wiederzufinden schminkte man sich ab.
Doch wer war schuld? Wer hatte ihnen den Klon auf den Hals gehetzt? Die Russen hatten dafür bei weitem nicht die technischen Vorraussetzungen. Letztlich kam man zu der Überzeugung, dass es ein berüchtigter, steinreicher Schurkenstaat gewesen sein musste, den mit Russland vor dessen polnisch-chinesischer Annexion eine enge Freundschaft verbunden hatte und der täglich einen Klon nach dem anderen für das Volk aus dem Ärmel schüttelte.
Das Bajuwarische Königreich!!!
Man entschied sich schnell, Rache zu nehmen, das bajuwarische Volk - auch in den Provinzen Österreich, Tirol und Rhein-Main - von seinem König Edmund XXIX. zu befreien und Demokratie zu bringen. Unter der Hand nahm man sich gerüchteweise ebenfalls vor, den Brauereien nach deren Eroberung besonderen Schutz zukommen zu lassen.
Die USA machten am 4.4.2828 mobil und stachen mit ihren Schiffen in See. Bajuwarenkönig Edmund, der die Kriegserklärung bereits erhalten hatte, schüttelte unbestätigten Berichten zufolge verwundert den Kopf und schickte seine Überschallfighter los, die die Amerikaner circa 12 Meilen vor deren eigenen Küste mit Mann und Maus versenkten.
Das war der wohl kürzeste bis dahin dokumentierte Krieg gewesen. Allerdings besetzte Edmund XXIX. die USA nicht.
„Was will ich da?“ fragte er sein Kabinett.
Die Russen in Alaska indes wetzten die Messer und freuten sich über die Schwächung der amerikanischen Armee, der sie jetzt Paroli bieten konnten. Jetzt galt es, endlich Nägel mit Köpfen zu machen und Kanada stärker als je zuvor für sich zu beanspruchen. Die Amerikaner, die den Russen die Rolle des Auftraggebers für das Dilemma mit ihrem Präsidenten zuschrieben, reagierten auf die Provokationen aus Alaska immer angespannter. Es war nur noch eine Frage der Zeit, bis man sich gegenseitig den Krieg erklärte.

Tja, und dann habe ich mich wieder in die Zeitmaschine gesetzt und bin zurückgereist. Ich hoffe, niemanden zu sehr enttäuscht zu haben. Es wird sich in Bezug auf Krieg und Frieden nichts, aber auch gar nichts ändern. Lediglich die teilnehmenden Parteien und deren militärische Stärke werden anders sein.

Bis zum nächsten Mal, liebe Landsleute. Falls jemand bestimmte Fragen zur Zukunft hat, möge er sie mir zukommen lassen. Ich werde sehen, was ich tun kann.
 



 
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