In Wald und Feld

Roman

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Der Morgen
Die Sterne verblassen nach und nach und der Mond will sich noch lange nicht verabschieden. Weder Tag noch Nacht hat die blaue Stunde. Baumstämme und Büsche sind der Dämmerung zu sehen. Dann, als die Sonne am Horizont ihre ersten warmen Strahlen über die Natur großzügig verteilt, erwachen endlich die Tiere des Waldes. Auch auf Feld und Wiese macht sich Leben bemerkbar. Neugierig strecken die Blumen ihre Köpfe dem Morgenrot entgegen. Der Boden ist noch feucht, denn es hatte in der Nacht etwas geregnet. Nebelschwaden steigen auf, legen sich, Schleierwolken gleich, über Felder und Wiesen, bevor sie sich auflösen. Jetzt zeigen Feld und Wald ihre sommerliche Pracht. Die Blätter in den Bäumen falten sich auf in Erwartung der Sonnenstrahlen.
Zögernd begrüßt die Amsel den Tag mit ihrem Zwitschern und Pfeifen, dann fallen auch andere Vögel in den Gesang mit ein. Einige Zeit später füllt der Geruch der Kiefern und Tannen den Wald. Die ersten Rehe kommen unter dem Anführer, ein Zwölfender, vorsichtig unter den Bäumen hervor, äugten rundum, nehmen Wind auf in Richtung der Wiesen, wo sie sich den ersten morgendlichen Fraß erhoffen.
Familie Lampe ist schon früh munter, vorher noch verschlafen und gekuschelt, bevor sie der Hunger und die sommerliche Wärme aus dem Bau treibt. Jetzt hobbeln sie langsam zu Felde um Klee oder Kohlblätter zu finden. Vorsichtig und erfahren übernimmt der älteste Rammler die Führung, denn es gilt auf unzählige Feinde zu achten. Ein Hase hat seinen Feinden, dem Fuchs, dem Dachs, dem Habicht, dem Storch oder dem wildernden Hund nichts entgegenzusetzen.

Vormittags
Der Himmel ist wolkenlos und die Sonne erwärmt die kühle Morgenluft, trocknet das Gras und saugt die Feuchtigkeit aus dem Moos. Kraut und die Disteln sprießen verschwenderisch zwischen Halmen und Löwenzahn.
Das leise gluckernde Wasser im Bach am Waldrand sucht sich einen Weg durch Steine und Wasserpflanzen. Junge Stechlinge und Molche flitzen schnell und spielerisch über Sand und durch Grüngewächs, schnappen nach Wasserläufern an der Oberfläche, während die großen Fische in gemächlicher Formation Nahrung suchen.
Bienen und Wespen berauschen sich an dem betörenden Duft der Wiesenblumen, fliegen von Blüte zu Blüte, sorgen für Bestäubung und Nahrung für den Nachwuchs.
Am Rand des nahegelegenen Teiches watscheln graue und buntgefiederte Stockenten in das Wasser um dann elegant in die Mitte zu schwimmen. Gelegentlich tauchen sie ihren Kopf in das grünliche Tief um Algen oder Hornblätter oder sogar einen kleinen Krebs zu ergattern. Die Sonne strahlt auf die Wasserfläche und blitzt ihre Strahlen durch die Schilfrohre am Ufer.
Dort brütet Frau Sumpfrohsängerin ihre Eier aus, bewacht von ihrem Lebensgefährten. Sie haben sich gut ausgestattet. Unauffällig an ihre Umgebung angepasst sind sie sie schwer für ihre hungrigen Feinde auszumachen.
Das dichte Schilf mit den grünen Gräsern dazwischen ist eine Heimstätte von Zaunkönig, Rotkehlchen und Drossel.
Die Idylle wird durch das ketzerische Geschrei des Eichelhähers unterbrochen. Die Warnung gilt vor einer Schar von Kindern, die ihren Morgenspaziergang mit einer Amme fortsetzen. Ihr Ziel ist am Waldrand den Feldweg entlang, bis zum nächsten Dorf. Von weitem hört man das Lachen und Lärmen der Gören, die sich der Natur erfreuen. Das verborgen Wild versteckt sich noch tiefer in Büsche und Höhlen, Vögel unterbrechen ihren Gesang. Der wachsame Eichelhäher zetert noch einmal in die Runde, bevor auch er sich im höchsten Baumwipfel verbirgt.
Dann laufen die Kinder lärmend und lachend herbei, überqueren die kleine Brücke die über den Bach führt, gucken neugierig in das klare Wasser, wechseln kluge und weniger kluge Bemerkungen über die Fische, die sich neugierig in kleinen Gruppen versammeln und werfen kleine Steine und Holzstücke in den Bach. Die Amme ruft die Kinder mehrmals zur Ordnung, langsam und zögernd löst sich der Haufen auf und zieht weiter. Das Lachen und Lärmen wird leiser. Dann ist einen Moment Stille.
Umso besser hört man eine Drossel ihre kehlige Melodie wieder aufnehmen. Es ist eine Aufforderung, denn nach und nach fallen andere Vögel mit ihrem Gesang ein. Langsam belebt sich wieder das geschäftige Treiben und Tun in der Natur. Eichkätzchen flitzten spielend die Baumstämme herunter und hinauf, springen von Ast zu Ast.
Krähen steigen auf, kreischen und lärmen über das Feld. „Terr, Kerr, Kräh“. Immer auf der Suche nach Würmern, Insekten und anderem Kleingetier.
In respektvollem Abstand der schwarzen Gesellen flattern und schwirren Amseln, Fink und andere Singvögel, pfeifen und zwitschern kurze Melodien in die Luft. Zusammen mit dem Krähenvolk vermischt sich alles zu einem aufdringlichen Geschrei.
Mittags
Die Sonne steht im Zenit und schiebt die sommerliche Hitze bis in den kleinsten Grashalm. Der Himmel ist wolkenlos. Kein Lüftchen bewegt den Wald und die Wiese. Noch einmal musste der Eichelhäher seine Pflicht tun. „Halt, da stimmt was nicht. Was mag da nur los sein?“ Das gellende Kreischen gilt diesmal seinem größten Feind selbst. Denn da oben zieht der Habicht seine Kreise, bedrohlich für alles was kreucht und fleucht. Seine scharfen Augen suchen Mäuse und Kleintiere. Besonders der fette Rammler und sein zarter Nachwuchs hat es ihm angetan. Vom Lärm des vorlauten Hähers aufgeschreckt, drückt sich der Hase mit angelegen Löffeln tief in den Boden um sich für den fliegenden Feind unsichtbar zu machen. Andere kleine Erdentiere suchen eiligst ihr heimisches Schlupfloch. Das Feldhuhn verbirgt sich gar in einem Dornenstrauch.
Plötzlich ist der Mittagstisch für den gefiederten Räuber leer. Missmutig und hungrig fliegt der Habicht weiter. Er muss sich wohl diesmal mit Schnecken und Raupen zufrieden geben. Aber auch Grashüpfer, Eidechsen und Wühlmäuse zählen zu seiner Nahrung. Dann sind ja da noch der Frosch und die Ringelnatter am Bach. Er selbst und Frau Habicht haben in diesem Jahr zwei hungrige Mäuler zu stopfen und müssen selbst zu Kräften sein.

Nachmittag
Die Sonne neigte sich im leichten Winkel nach unten. Die Mittagshitze hat etwas nachgelassen. Die geschäftige Nahrungssuche der Tiere ist zu dieser Tageszeit der Trägheit gewichen. Die meisten der Wald- und Feldbewohner liegen faul in der Sonne oder im Schatten und verdauen ihre Nahrung.
Von weitem tummelt sich eine kleine weiße Wolke heran. Nach einer Weile stellt sich eine neue auf und wieder eine und wechseln ins Graue. Andere kommen hinzu, vermischen sich und füllen den nahen Himmel. Schließlich schiebt sich eine große schwarze Wolke bedrohlich vor die Sonne. In der Ferne hörte man das Grollen des Donners. Ein strammer Wind kommt auf, fängt sich in den Blättern der Kronen, pfeift die Baumstämme herunter, schleicht sich über Wiesen, weht zu Feldern hin und biegt das Getreide. Schnell ist das Unwetter hier und die ersten Regentropfen lösen sich aus der dunklen Wolke. Dann grummelt es Schlag auf Schlag. Blitz und Donner wechseln in kurzer Zeit. Der Regen rauscht und fällt prasselnd auf die Blätter der Bäume. Das Wasser im Bach brodelt von den fallenden Tropfen.
Dann ist das Gewitter so schnell vorüber wie es gekommen ist. Man hört noch das Wasser von den Blättern und den Ästen auf die Erde fallen. Dann ist wieder Ruhe. Die Wolken lösen sich langsam auf oder ziehen, befreit von schweren Tropfen weiter, wohin der Wind weht. Der warme Boden lässt die feuchte Erde dampfen. Die Nachmittagssonne wärmt mit nachlassender Hitze noch einmal Wald und Feld.
Abends
Die Sonne ist hinter den Horizont gerutscht. Von dort kommt auch die Dämmerung gekrochen, verteilt sich im Wald und nimmt den Bäumen und Sträucher die bunten Farben weg. Den weiten Blick auf die Felder verwehrt das abnehmende Tageslicht. Noch ist Sicht auf den angrenzenden Acker möglich. Langsam kühlt sich die Tagesluft ab.
Die Zeit für Familie Reinecke ist gekommen. Fünf buschige Tiere verlassen den weit verzweigten Bau. Den Tross führt die Fähe an, gefolgt von drei Jungfüchsen und dem Rüden. Das erste und wichtigste zum Überleben der Kleinen ist Zucht und Ordnung. Noch sind sie verspielt, kennen die Gefahren des Waldes nicht und wollen sich an den neuen Eindrücken erfreuen. Immer wieder müssen die Eltern ihren Nachwuchs in Reih und Glied fassen. Die Natur ist ja so interessant und die Gerüche der Pflanzen und Tiere lenken die kleinen Füchse ab. Aber jetzt heißt es: Nahrung anschaffen. Das bedeutet Spur aufnehmen, anschleichen, Beute fassen und satt werden. Je früher der Nachwuchs lernt, umso besser für die ganze Familie.
Noch einmal keckert der Rüde seine verspielten Kinder zur Ordnung, dann heißt es: Auf zur Pirsch. Er kennt sein Revier und läuft zielstrebig durch den Wald, immer darauf achtend seine Gefolgschaft in der Spur zu halten. Am Waldrand legt er sich auf die Lauer. Welpen und Fähre müssen es ihm gleichtun. Alle spitzen die Ohren. Das Rascheln und Pfeifen im Feld kennt der Alte nur zu gut. Langsam, so leise, ohne ein Geräusch, immer wieder schnuppernd, schleicht er sich an das Quieken heran, bis seine Seher die kleine huschende Gestalt in der Dunkelheit erblicken, macht aus dem Stand heraus einen Satz und schnappt sich eine verspätete Feldmaus. Stolz präsentiert der Fuchs die Beute seiner Gefolgschaft, stößt seinen Nachwuchs mit der Schnauze an, es ihm gleichzutun.
Der sieht es mehr wie Spiel denn als Einweisung ins Leben, rasch stürmen sie ohne die Regeln der Jagd einzuhalten, dorthin wo sie das Mäusenest vermuten. Diese haben sich nach dem Verlust ihres Artgenossen tief in ihre Höhlen vergraben und hielten still, was da kommen wolle.
Da sich die erhoffte Beute nicht einstellt, kommen die Jungfüchse reumütig zurück und ducken sich unter der Fuchtel des Meisters. Die jungen Füchse müssen das Leben beherrschen. Lernen sie heute die Mäusejagd, dann Morgen die Hatz auf Hasen. Jetzt müssen Reineckes den Ort wechseln und machten sich auf die Suche nach anderer Beute. Zu dieser Jahreszeit ist der Tisch reichlich gedeckt. Besonders des Nachts, wenn die Feldtiere in den Schlaf wechseln, sind Vogeleier und Jungtiere besser zu ergattern. In der Not stehen ja auch noch Zwetschgen und Süßkirchen auf dem Speiseplan.
Es wird Nacht
Hinter den Bäumen kommt der Mond hervor und belebt mit seinem Schein Felder und Wälder. Die Luft ist des Nachts zu dieser Jahreszeit immer warm und schwül und raubt so manchem Wild den Schlaf. Der Kauz ruft, der Uhu antwortet in gleicher SpracheS.
Dies ist die Stunde der Bachen, Keiler und Frischlinge. Aus einem sicheren Versteck, tief im Wald, kommt ein schwarz-grauer Keiler. Das Hauptschwein, ein großer Bursche, mit langen Hauern und kurzem Sommerfell steckt seine feine Nase in die Nachtluft und gibt ein kurzes Grunzen von sich. „Die Luft ist rein“. Ein Zeichen für die Großfamilie sich vor dem Lager zu versammeln. Eigentlich hat der Keiler in dieser Landschaft keine natürlichen Feinde. Mit seinen Hauern im Gebrech und seinem großen Gewicht braucht er niemand zu fürchten. Es geht ihm um den Nachwuchs, den längsgestreiften kleinen flinken Vierbeinern, die neugierig und überhaupt nicht ängstlich sind. Mit ihren kurzen Läufern mischen sich die Kleinen unter die „Großen“, schnuppern, knabbern, reiben sich an deren Schwarten und quieken ungeduldig.
Dann geht es los wie jede Nacht. Die Rotte muss satt werden, denn ein Wildschwein frisst und frisst und weil es das macht ist es nicht wählerisch. Alles was freßbar ist, verschwindet im Gebrech. Der Anführer macht sich auf die Läufe und die anderen folgen. Aber anders als beim Rotwild laufen die Mitglieder nicht in Reih und Glied. Ohne Rücksicht auf Sträucher und Gebüsch laufen sie einfach vorwärts und lassen eine Schneise der Zerstörung hinter sich. Ab und zu mal anhalten, ein oder zwei Eichelfrüchte fressen oder eine junge Wurzel und weiter geht es mit der Meute. Das Ziel ist zunächst der Bach zwischen Wald und Feld. Denn Schwarzkittel müssen auch saufen. Grunzend und blasend erreichen sie das das Ufergestrüpp, steigen hurtig hinunter und saufen durstig. Aufgeschreckte Fische flitzen panisch zur Seite, ein quakender Frosch bringt sich Deckung.
Alsbald ist der nächtliche Ausflug zum Wasser vorüber und der Familienverband zieht weiter. Auf geht’s zum Kartoffelacker. Wieder läuft das Wild ungeordnet weiter zu den Feldern. Bauch und Läufe sind noch nass. Auf dem Weg schrecken Hase und Igel aus der Nachtruhe, Mäuse drücken sich tiefer in ihre Behausung, denn sie sind eine willkommene Zwischenmahlzeit. Endlich liegt das Kartoffelfeld vor ihnen. Alle wissen, was zu tun ist: An den Blättern reisen um die Pflanze zu lockern, mit den Zehen und ihren Mäulern die Knollen aus der Erde holen, schütteln und dann rein in den hungrigen Saumagen.
Genug Kartoffeln. Der Acker hat teilweise tiefe Spuren von dem Gebräch hinterlassen. Am nächsten Tag wird der Bauer fluchen und zetern und sich wieder mal vornehmen, sich mit dem Hund auf die Lauer zu legen. Lärmend zieht die Meute ab. Sie sind noch die ganze Nacht unterwegs.
Der Kreis schließt sich
Die Natur schläft nicht. Tiere und Pflanzen, immer sind sie irgendwie in Bewegung. Im Gebären, im Blühen, im Wachsen, im Fressen. Wenn sie schlafen oder die Dunkelheit über Blüten und Halme hereinbricht ist noch Regsamkeit da. Sie werden sich nie ausruhen, denn sie Leben. Wenn keine Bewegung mehr stattfindet, wenn alles ruhig ist, der Vogel nicht mehr fliegt, der Hirsch nicht mehr Röhrt, der Fisch nicht mehr schwimmt, die Blume nicht mehr blüht, dann, ja dann gibt es das Leben nicht mehr, dann hat die Natur aufgehört zu existieren. Dann ist es auch für den Spezi Mensch zu Ende.
Die Dunkelheit wird, wie jede Nacht, die Natur sanft bedecken. Die Sonne wird, wie jeden Tag, Tiere und Pflanze wecken. Tag und Nacht sagen sich gerade auf Wiedersehen. Der Kreis schließt sich. Hoffentlich noch lange.
 



 
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