In den Seilen

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FloFeder

Mitglied
…And now ladies and gentlemen please welcome our today’s defending Champion…. und sofort erklang seine persönliche Kampfhymne. Schlagzeug, Bassgitarre und ein Sänger wetteiferten um den aggressivsten Ton, während das Publikum applaudierend jubelte und immer wieder seinen Namen rief. Der von rotem Licht eingefärbte Nebel unter der Tribüne in seiner Ecke lichtete sich langsam. Jetzt war der Weltmeister dort zu erkennen und lief, begleitet vom Scheinwerferlicht, seinem Team und den immer lauter werdenden Fans auf den Ring zu. Abwechselnd winkte er zu allen Seiten ins Publikum, während sein Trainer den Meistergürtel hinter ihm hoch hielt. Das Funkeln des Gürtels im grellen Scheinwerferlicht war so stark, dass jeder, der direkt hinsah, davon geblendet wurde. „ Ich werde heute mit diesem Gürtel den Ring verlassen“, sagte ich mir immer wieder. Mit meinem Team wartete ich auf meiner Ringseite ungeduldig darauf, dass er zwischen den Seilen hindurch klettert. Mit einem versteinerten Blick schaute er mir jetzt in die Augen, während er noch immer durch die tobende Menge in meine Richtung flanierte. Jetzt weg schauen wäre respektlos und feige, soviel wusste ich, und erwiderte seinen Blick. Vergebens suchte er in meinen Augen ein Zeichen von Unsicherheit, Angst oder Nervosität. Ich war ein großer Bewunderer und Fan des Champions. Ihm im Ring gegenüber zu stehen, erfüllte mich mit Stolz. Jetzt war er im Ring angekommen und winkte dem Publikum noch einmal heroisch zu. Er genoss seinen Auftritt und wusste, genau wie ich, dass er als Favorit galt. Doch weder er noch die Presse hatten die geringste Ahnung, welches Training meinerseits diesem Kampf voraus gegangen war. In den letzten Wochen hatte ich nahezu täglich meine Leistungsgrenzen ignoriert und weit hinter mir gelassen. Mit jedem blauen Auge beim Sparring, mit jedem Schmerz in meinen Gliedern, mit jedem Dauerlauf, mit jedem Liegestütze und mit jedem knallenden Sandsack, den meine Faust in Bewegung gebracht hatte, war mein Kampfgeist weiter und weiter gewachsen. Mit jedem Tropfen Schweiß, der von meinem Körper tropfte, war mein Siegesdurst größer geworden. Mit jedem Morgen an dem in der Dämmerung mit Gewichten an Händen und Füßen dem Sonnenaufgang entgegen gesprintet war, fühlte ich mich bereiter für einen Kampf im Rampenlicht. Die Stimmung in der Arena kochte, als ich mir den Mantel ausziehen ließ, das erste Mal auf meinen Mundschutz biss und wir vom Ringrichter in die Mitte zitiert wurden. Jetzt standen wir uns auf Augenhöhe gegenüber und ließen uns wissen, dass Blicke auch schon in Sekunden alles sagen können. Hier im Ring waren jetzt und hier nur wir Beide, es gab keinen Meistergürtel und es gab keine PR-Manager. Jetzt und hier waren wir nur Kämpfer, die sich und Ihrem Publikum etwas zu beweisen hatten. In meiner Konzentration auf den Champ erschien mir der Ringrichter, der uns direkt zu meiner linken obligatorisch die Regeln erklärte, meilenweit entfernt.
Wir versprachen uns einen fairen Kampf, indem wir uns gegenseitig leicht auf die Handschuhe schlugen. Jeder ging in seine Ecke zurück. Jede Trainingseinheit, jede Mahlzeit, jedes Aufstehen, jeder Blick auf die Uhr und jeder Gutenachtkuss von meiner Frau war seit langem für mich wie ein Countdown zu dem Gong, der an diesem Tag die erste Runde beginnen ließ. Nun stand dieser unmittelbar bevor und mein Kämpferherz hämmerte mit voller Wucht von innen gegen meine Brust, als er ertönte. Der Weltmeister wartete auf meinen Angriff. Er würde nicht den ersten Schlag machen. Er wollte mich müde werden lassen. Wir um tänzelten uns und machten beide die Deckung noch kein Mal auf. Jetzt musste ich die Offensive wagen und gab eine linke und dann eine rechte Gerade in seine Richtung. Mit einer gekonnten Kopfbewegung war er beiden ausgewichen. Auch meine nächsten Schläge versuchten vergebens seinen Körper zu treffen. Demotiviert von meinen bisherigen Angriffen wollte ich mich weiter konzentrieren und das Publikum, das meine Punches ins Leere sehr zu unterhaltsam zu finden schienen ignorieren. Ich hielt meine Deckung vor das Gesicht, doch den schnellen rechten Haken, der jetzt meine linke Schläfe traf, sah ich nicht kommen. Ich stolperte zur Seite und mein Kopf erlebte kurzzeitig seinen gefühlt schlimmsten Kater. Doch ich stellte mich wieder aufrecht hin, während ich die Stimme meines Trainers hörte: „ Halt ihn auf Abstand“. Meinen nächsten Versuch, ihm eine linke Gerade zu verpassen, welche natürlich daneben ging, nutzte er, um mich mit einer rechten Geraden zu attackieren. Als sein Handschuh mein linkes Auge traf, wurde mir kurz schwarz vor Augen, und mein Kopf dröhnte unerträglich. Ich konnte nach einem kurzen Augenblick wieder sehen, stieß mich von den Seilen ab, um nicht zu Boden zu gehen. Dabei spürte ich, wie der Ringrichter meinen linken Arm festhielt, vor meinem Gesicht hin und her winkte, um meine Reaktion zu testen, bevor er den Kampf wieder frei gab. Jetzt hieß es, die Deckung nicht mehr aufmachen, bis der Gong mich befreien würde. Nach einer kurzen Pause würde ich in der nächsten Runde wieder frisch sein. Noch bevor eine weitere Faust abgegeben wurde, war die Runde schließlich auch vorbei. Ich fiel auf den Hocker in meiner Ecke, ließ Wasser erst meine Kehle und dann mein Gesicht herunter laufen und hörte meinem Trainer zu: „Du musst dich mehr auf den Körper konzentrieren. Du kriegst sein Gesicht sonst nicht. Geh auf den Körper!“ Schon mehr geschwächt, als ich erwartet habe, aber voller Motivation stand ich auf. Der Gong erklang, ich schnappte mir den Champ, der sein Gesicht vor meinen geraden Schlägen hütete und nicht damit rechnete, dass meine jetzigen Schläge auf Magen und Leber zielten. Als meine beiden Fäuste nacheinander seinen muskulösen Bauch trafen und dann eine Linke die Leber, umklammerte er mich. Ich hörte nicht auf ihn zu treffen. Während unsere Köpfe wie ineinander verkantet waren, gelang sein lautes Atmen und sein Stöhnen vor Schmerz direkt in mein Ohr. Als der Ringrichter die Umklammerung löste, bekam ich vor Erschöpfung kaum noch Luft. Der Unparteiische gab den Kampf wieder frei, bevor meine schweren Arme sich zu einer Deckung formieren konnten. Fast noch im gleichen Augenblick sah ich gelähmt vor Erschöpfung, wie die Faust meines Gegners auf mein Gesicht zugeflogen kam. Dann spürte ich den kalten Ringboden in meinem Rücken und wie er meinen Schweiß zu Eis erfrieren ließ. In groben Umrissen sah ich, wie die mit bunten Lichtern zugehangene Hallendecke sich über mir drehte und hörte das Publikum toben und den Ringrichter laut bis 10 zählen. Als ich ihn 5 rufen hörte, verwandelte sich mein verschwommenes Umfeld langsam wieder in ein klareres Bild, und ich sah, wie mein Gegner über mir seinen Arm hoch hielt. Ich erinnerte mich ans Training und wie ich dort erschöpft am Boden lag. Jedes Mal hatte ich die Grenzen meiner Kräfte längst erreicht, war den Tränen nahe, war fast bereit aufzugeben, sah den schwankenden Sandsack über mir, wie er mich auszulachen schien und hörte meinen Trainer brüllen: „Steh auf“, stand immer wieder auf und attackierte den Sandsack weiter. Jetzt lag ich hier im Ring, die Grenzen meiner Kräfte längst erreicht, war den Tränen nahe war fast bereit aufzugeben, sah wie sich mein Gegner auf meine Kosten feiern ließ und hörte meinen Trainer aus der Ringecke brüllen: „Steh auf“. Noch bevor der Ringrichter die 8 anzählte, hatten meine Muskeln die Mission selbst in die Hand genommen und ich stand, ohne selbst zu begreifen, wieder auf den Beinen. Meine Augen, mein Kopf, mein gesamter Körper schmerzten noch immer. Alles drehte sich, doch meine Fäuste kannten ihr Ziel. Gern hätte ich mir den Blick des Weltmeisters, als er mich wieder stehen sah, noch einen Augenblick angesehen, aber ich hatte einen Titel zu holen. Ich gab meinem Gegner, der sich schon im Konfettiregen glaubte keine Gelegenheit, in seinen Kampfmodus zurückzufinden. Mein schwer angeschlagener Körper schoss Fauststöße in seine Richtung und mobilisierte dabei eine Kraft, die bislang noch zu keinem Zeitpunkt abrufbar gewesen war. Immer noch auf einem Auge kaum sehend könnend, hörte ich plötzlich ein Krachen am Boden und merkte, wie der Unparteiische mich zurückdrückte. Erst dann begriff ich, dass mein Gegner am Boden lag und mit beiden Händen vergebens noch Halt in den Seilen suchte, durch die er vor wenigen Minuten von dem Beifall seiner Fans getragen den Ring betreten hatte. Langsam sackten jetzt auch die Arme zu Boden und er schien das zählen kaum noch wahrzunehmen. 8,9,10, Ende. Der Ringrichter ergriff meine Hand und riss sie nach oben, während ich Jubel, Applaus und meinen Namen im Publikum hörte, das eben noch mein Gegner angefeuert hatte. Dieser hatte sich inzwischen aufhelfen lassen, kam auf wackligen Beinen auf mich zu, umarmte mich und ließ es sich nicht nehmen, mir persönlich den Gürtel um die Schultern zu hängen und mir zu gratulieren. Das war sie, die Nacht in der der Champion in die Seilen ging.
 



 
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