In einem Zug

Warne Marsh

Mitglied
Der Zug steht im Hauptbahnhof Zürich und hört auf den Namen „Friedrich Glauser“; sehr sympathisch - doch: was ändert's? Lesen die Leute deswegen mehr Bücher? Bestimmt nicht, und ich bin mir ziemlich sicher, kaum eine handvoll Reisende weiss, dass der Glauser den Wachtmeister Studer erschrieben hat.

Ziemlich voll ist dieser Glauser - Zug, vorwiegend Flugreisende. Ich sitze im hintersten Wagen zwischen zwei Handygesprächen und ärgere mich, dass dieser Zug keine Ruheabteile mitführt. Ein arroganter Deutscher bespricht geschäftliches, was kein Schwein interessiert, und ein vollcooler nicht mehr so ganz Jugendlicher führt ein Easygespräch mit ner ganzen Menge Dezibel zuviel.

Vielleicht sollte ich mich einfach nicht mehr unter Menschen begeben. Ich halte sie und die von ihnen stammenden Geräusche nicht mehr aus. Die Menschen kotzen mich an. Dieses unablässige Geraschel von Verpackungen. Aus den Kopfhörern triefende Musik. Pandemie der Stillosigkeiten. Selbstverständliches Essen und Trinken auf offener Strasse. Wer sich mit der Bierflasche in der Hand auf öffentlichem Grund und Boden; in Verkehresmitteln bewegt, gehört standesrechtlich erschossen. Der Landessprache nicht mächtige Bürger werden interniert, nachgeschult, versuchsweise reintegriert oder definitiv des Landes verwiesen; diplomatisches Personal eingeschlossen. Das Verwenden von Sprachentstellungen wie „Sinn machen“ wird mit drei Monaten Haft und Sprachtraining geahndet. Jugendlichen und Rentnern ist es bei Strafe untersagt, sich zusammenzurotten. Sämtliche Mobiltelefone und tragbaren Musikabspielgeräte müssen bis Monatsende an den entsprechend gekennzeichneten Sammelstellen abgegeben werden. In der Öffentlichkeit wird ab sofort nur noch geflüstert. Zuwiderhandlungen werden mit Stimmbänderamputation bestraft.

Eine Frau mit Schneeleopardenhandschuhen aus Kunstfasern und nervig raschelnder Papiertüte setzt sich, kaum hörbar fragend und meine Antwort schon gar nicht abwartend, mir gegenüber hin. Ich schaue sie mit einem „Was-bist-denn-Du-für-ne-hirntote-Fotze?“-Blick an und kann mich schon gar nicht mehr erinnern, dass sie gefragt hat, ob hier noch ein Platz frei sei. Aus der grossen Papiertüte buddelt sie eine kleinere hervor, aus welcher sie in regelmässigen Abständen abgebrochene Stücke eines Gebäcks gierig in ihren Mund stopft. Ich hab sie und ihre Tasche den ganzen Gang entlang rascheln gehört und inständig gehofft, sie möge sich wo anders hinsetzten; vergebens.

Der Zug fährt, und in meinem Gesichtsfeld befinden sich drei tastaturklickernde Powerbooks. Die Frau zieht ihren synthetischen, grün-gemusterten Pullover aus; es knistert. Ein rosanes Oberteil, welches bis zuoberst zugeknöpft ist, beleidigt meine Augen. Sie schnieft Eckel erregend durch ihre Nase. Ebenso der links von mir sitzende Powerbookler. Früher trug man noch Stofftaschentücher auf sich. Dann kamen diese unpraktischen Papierdinger auf den Markt; aber selbst die benutzt heute kein Schwein. Er tippt wild mit weit geöffnetem Mund; sieht so was von behindert aus. Ich wende meinen Blick von ihm ab, bevor sein Speichel in dünnen Fäden aus seinem Mund zu fliessen beginnt.

Vor mir steht ein Pappbecher mit der Aufschrift „Heisser Kaffee“. Zwei Briefchen Zucker. Weiss. Dunkelblau bedruckt. „Candrian Catering“ .Kaffeesahne. Markenlos. „China“ steht unter dem aufgedruckten Bild.

Die Frau kaut an ihren Fingernägeln. Ich überlege mir, ob sie wohl am Flughafen aussteigen muss. Sie bleibt aber sitzen, als der Zug dort einfährt, obwohl ich hoffte, sie möge aussteigen; stattdessen knabbert sie auch noch die Nägel der anderen Hand.

Flughafen Zürich. Der deutsche Geschäftsmann ist weg. Nicht jedoch die junge, coole Stimme, welche Vorträge über Marketing hält; Telekommunikation. Was gibt's da überheblich zu labern? Runter mit den Preisen, Ihr Arschlöcher!

Die Bahnhofshalle zu durchqueren ging problemlos; bis ich diese Dunkelhaarige sah mit ihren Rehaugen. Jung und klein. Kaum ein Meter Sechzig mit unwiderstehlichem Stubsnäschen. Ich lächelte, als ich sie auf mich zu kommen sah. Vergeblich. Erst, als sie sich bis auf zwei Meter genähert hat, schrak sie hoch und riss die Augen auf. Ich stand da, die linke Hand in der Manteltasche vergraben, in der Rechten den Kaffeebecher und begann Grimassen zu schneiden; so, als ob meine Nase juckte. Zudem blinzelte ich mit den Augen. Ich stellte auf diese Weise ein starkes Jucken in der Gegend der Nasenwurzel dar; und alles nur, weil diese junge Schönheit derart entrüstet auf mein äusserst charmantes Lächeln reagierte. Wäre sie lächelnd vor mir stehen geblieben, hätte ich die Süsse geknutscht und vor den entgeisterten Blicken der Leute an Ort und Stelle so was von durchgeknallt, ihre Hüfte auf den dreckigen Boden genagelt, dass ihr Hören und Sehen vergangen wäre und uns die herbeigeeilte Bahnpolizei wie kopulierende Hunde hätte trennen müssen. So aber steh ich da und blicke dieser kleinen Schlampe, die es nicht für nötig hält, mich anzusprechen, nach. Ich stehe wie angewurzelt da, blinzle mit den Augen, komme wieder zu mir, und der Druck in meinen Eiern lässt mich einige Schritte so gehen, als hätte ich in die Hosen geschissen. Ich werde von einem krawattierten Arschloch mit dämlicher Baseballmütze gerempelt, begebe mich auf den Bahnsteig, sehe den Zug einfahren, schneide einer Rentnerin den Weg ab, damit ich vor ihr die Treppe zur Türe hochsteigen kann und setzte mich in den Zug.

Seit knapp neunzig Minuten muss ich mir dieses Marketinggequatsche anhören. Er stellt ihr Prüfungsfragen, sie antwortet. Beide reden zu laut. Sie labert und faselt und quaselt. Sie überbieten sich gegenseitig mit phrasengedroschener Klugheit und laut vorgetragenem Halbwissen. Ich bin gnädig. Mein Bauchgefühl sagt mir, dass ich die beiden leben lasse. Warum weiss ich noch nicht so genau, ist auch egal. Ich stehe auf und gehe zu den beiden hin. Dabei stelle ich fest, dass sich ausser uns dreien niemand mehr im Zugsabteil befindet.

„Ich habe euer Marketinnggequatsche nun bestimmt schon seit eineinhalb Stunden anhören müssen!“ Ich fixiere sie einzeln mit meinem Blick. „Findet ihr das in Ordnung?“ Fragende Gesichter. „Hm?“.

Der Typ will was sagen, da springt seine Unterlippe auf und ein feiner Blutfaden zieht eine Spur in Richtung seines Kinns. Ich muss dabei an Tröpfcheninfektion, Aids und an Vogelgrippe denken und daran, dass es Menschen gibt, die denken, Krebs sei ansteckend. Mein Faustschlag hat gesessen. Ungläubig schaut er erst zu mir hoch und dann auf seine Marketingunterlagen. Blitsch! Blitsch! Blut tropft. An den Haaren reisse ich seinen Kopf hoch, er soll mir in die Augen schauen. Er starrt mich erschrocken an, und ich fühle mich entspannt. So ist gut. Zeige- und Mittelfinger meiner rechten Hand stosse ich ihm in seine weit geöffneten Nasenlöcher und reisse ihm mit einem kurzen und heftigen Ruck den grössten Teil seiner Nase weg. Verwirrte Versuche, zu schreien werden von Blut erstickt, was er angewidert vor sich auf den sich immer dunkler färbenden Teppich spuckt.

Seine Begleitung, bleich im Gesicht, fühlt sich unwohl, wie mir scheint, kreischt in derart unerträglichen Höhen, dass ich mich gezwungen sehe, dem Einhalt zu gebieten. Ich lasse von dem Häufchen Elend, was von diesem Versager übrig geblieben ist ab und fasse an eine ihrer knackigen Titten. In Sekundenbruchteilen sammelt sich fast das ganze Blut, das in mir zirkuliert in meinem Schwanz, der so hart wird, dass es zu schmerzen beginnt. Ich spüre, wie er sich pochend in meiner Shorts hoch und runter bewegt, wie ein schnaubender Stier kurz bevor er den Torero angreift. Ich stelle mir vor, wie ich ihr meinen Ständer in den Mund ramme, wie sie laut glucksend das Erbrechen unterdrückt, ich ihn einige Zentimeter zurück ziehe, weil ich nicht von ihr angekotzt werden will, in ihren Mund abspritze und sie daran und an meinem Schwanz erstickt.

Geschockt starrt sie mich an. Als hätte sie meine Gedanken lesen können, lässt ihre zum Schutz vor Schlägen hochgezogenen Hände zitternd sinken. Damit hat sie bestimmt nicht gerechnet: sie fürchtete sich vor Schlägen und wird von mir begrabscht. Das scheint ihr Hirn zu überfordern. Sie jappst nach Luft - niedlich – hätte ruhig schreien dürfen, hört ja eh keine Sau hier. Einen letzten, kurzen Moment geniesse ich die Wärme ihres festen Busens, spüre, wie die Brustwarze, von Panik gerieben, hart wird und beginne langsam meine mit ihrer Titte gefüllte Hand zu schliessen und hoffe, dabei nicht vom Schaffner erwischt zu werden.

Immer tiefer krallen sich meine Finger in das weiche und doch knackige Gewebe, bohren sich tief hinein. Kurz bevor meine Finger durch ihre Haut in ihr Brustgewebe dringen, lockere ich den Griff. Sie schreit und versucht sich dreisterweise aus meinem Griff zu winden. Wie süss! Ich lasse von ihr ab, bevor ich zuschaue, wie ihr Kopf von meinen Faustschlägen hin und her geworfen wird und allmählich Blut aus Lippen, Mund und Nase zu fliessen beginnt. Ein letzter Schlag, und ich sehe nur noch das Weiss ihrer Augen. Ihre Stirn prallt hart gegen die Dank meiner Rücksichtsnahme noch nicht geborstene Fensterscheibe; hinterlässt einen schmierig roten Abdruck. Den Blick so tief nach innen gerichtet, wie sie es wohl in all den Meditationsseminarstunden vergeblich versuchte, lehnt sie am Fenster.

Der Typ wimmert. Ein Häufchen Elend. Unfähig, eine Frau zu beschützen. Peinlich. Ich gehe einen Schritt auf ihn zu.
„Nein!!!“
Zu spät. Zum Abschied beisse ich ihm den kleinen Finger seiner rechten Hand ab und spucke ihm diesen angewidert ins Gesicht. Ausser seinem Winseln und ihrem keuchenden Atmen, herrscht endlich wieder Ruhe im Wagen.

Ich ziehe meinen Mantel über und gehe auf die Toillette, wo ich meine Hände gründlich Wasche und mein Spiegelbild auf Blutspritzer hin inspiziere. Ich lächle mir entgegen, atme tief durch und fühle mich gut.

Meine Gesprächstherapie trägt Früchte.
 
H

HFleiss

Gast
Da gefällt sich einer in tiefschwarzem Nihilismus. Was das arme Mensch so alles nicht ertragen kann. Fragt sich nur, welcher deiner Leser diesen Text erträgt, ich sehe schon die angewiderten Gesichter beim Lesen. Nun ja, manch einer kann nicht ohne Obszönitäten. Alles eine Geschmacksfrage. Aber nicht nur.

Gruß
Hanna
 

Warne Marsh

Mitglied
1. Keine Ahnung, warum dieser Text in "Tagebuch" verschoben wurde, ist mitnichten tagebüchern!

2.@HFleiss: "Aber nicht nur." Was denn noch?

Gruss und Dank, der Warne
 
H

HFleiss

Gast
Lieber Warne, so fragt einer, der gar nicht auf die Idee kommt, dass nicht alles eine Geschmackssache ist. Als ließen sich Lebensäußerungen auf den Geschmack reduzieren. Und wenn du nicht weißt, was die Leute noch so alles brauchen, um über die Runden zu kommen - wer könnte da Nachhilfe erteilen.

Weiß der Himmel, warum dein Text ins Tagebuch verschoben worden ist, vielleicht soll ihn nicht jeder vor Gott und den niederen Mächten Unschuldige gleich auf den ersten Blick entdecken? Protestier doch. Die wenigsten klicken sich bis zum Tagebuch vor.

Gruß
Hanna
 

Warne Marsh

Mitglied
"Lieber Warne, so fragt einer, der gar nicht auf die Idee kommt, dass nicht alles eine Geschmackssache ist."

Woher wilsste das wissen? Hab nachgefragt, um zu sehen, was denn da noch so alles kommen könnte.

"Und wenn du nicht weißt, was die Leute noch so alles brauchen, um über die Runden zu kommen..." Versteh ich nicht ganz, was das mit meinem Text und meiner Frage zu tun hat.

Protestiert hab ich.

Das grüssende Warne
 

Rumpelsstilzchen

Foren-Redakteur
Teammitglied
Warum ich den Zug zum Tagebuch schob

Weil dieser Text keine (Kurz)geschichte ist und sich formal durchaus tagebüchern liest: Der Ich-Erzähler nimmt eine Alltagssituation zu sich, die ihm nicht schmeckt. Also kippt er auf jedes Häppchen einen Schwall aus der Hassflasche, ehe er es runterwürgt. Dass er am Ende in einem Gewaltausbruch alles wieder auskotzt, macht auch noch keine Geschichte daraus.

Im Tagebuch magst du ihn also nicht. Gut, du bist der Autor: Soll es ‚Sonstige Prosa’ sein oder ‚Kurzprosa’?

Aus dem Nichts geboren, hat er seine Existenz beschworen
 



 
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