In einem unbekannten Land

Pheedor

Mitglied
Jüngst, in einem unbekannten Land, an einem fremden Fluß, auf neuen Wegen, quer über einen der Wege verlief ein Gatter, damit die auf den an den Weg angrenzenden Wiesen weidenden Kühe nicht ausbrechen konnten, ein kleines Tor in der Abzäunung. Bei einem solchen Tor begegnete ich einem Jungen, der, wie es schien, mit seinem breiten dreirädrigen Liegerad Schwierigkeiten hatte, durch die Absperrung zu gelangen, begleitet wurde er von einer Dame auf einem normalen Fahrrad, die ihm half. Während die Dame dem Jungen das Tor offen hielt, entging mir nicht, daß er körperlich behindert war, auch sprachlich stellte sich bei ihm eine Störung heraus. Die Dame ließ die Schranke, nachdem der Junge sie überwunden hatte, für mich geöffnet, so daß ich mein Fahrrad hindurch schieben konnte. Wieder auf freiem Weg und in gemächlicher Fahrt ertönte plötzlich lautes Geklingel hinter mir, und kurz darauf sauste der Junge auf seinem dreirädrigen Liegerad an mir vorbei, gefolgt von der Dame, die sicherlich seine Mutter war. „Da haben Sie aber einen schnellen Schrittmacher“, rief ich den beiden nach, „das kann man wohl sagen“, rief die Dame zurück. Nun, plötzlich packte mich der Ehrgeiz, zudem unweit eine Strecke bergan lauerte, dort ich ihn würde gewiß überholen können. Diese Hoffnung ging nicht auf, denn der junge Radler flitzte trotz seiner Beeinträchtigung den Berg hinauf, als sei er gar nicht vorhanden, mit kräftigen rhythmisch harmonischen Tritten in die Pedalen, nahezu gleitend, gekonnt, elegant, indes mir zusehends die Puste ausging. Oben angelangt, sah ich den beiden nach, indem sie über den der weiten Flußschleife folgenden Weg gemeinsam in den Abend hinein radelten, besann mich meines intakten Körpers und bewunderte die Kraft dieses Jungen, der mich leichtfüßig abgehängt hatte und zollte ihm Hochachtung, weil mir bewußt wurde, daß ein hohes Maß an Lebensfreude, Mut und Willen scheinbar in jenen erwachen muß, die von der Natur oder kraft eines Unglücks benachteiligt worden sind, und daß eine Nachteile aufhebende, verschönende Energie in solchen Menschen ruht; nur für einen Augenblick hatte ich des Jungen Gesicht gesehen, doch stand es in meinen Gedanken wie hineingemeißelt, es war ein frisches sehr schönes Antlitz, wie ich lang keines mehr gesehen hatte.

Dermaßen vertieft legte ich eine Rast ein, drehte eine Zigarette und befand, stellte ich das Rauchen ein, würde ich den flinken Radler beim nächsten Mal überholen können. „Nein“, sprach ich zu mir selbst und zündete die Zigarette an, sog den geliebten Rauch langsam mit Genuß ein, „an solchen Menschen sich beweisen wollen hieße, ein dummer Narr zu sein!“ Daß ich für den Rest der Strecke noch gemächlicher als gewöhnlich fuhr, so daß selbst die kleinsten Kinder mich überholten, lag wohl weniger an meiner verrußten Lunge, sondern mehr an der bemerkenswerten, nachdenklich stimmenden schönen Begegnung, auf diesen neuen Wegen, an einem fremden Fluß, in einen unbekannten Land.


(ganz lautlos ist dieser lärm, wmv 2005, nach einer wahren Begebenheit)
 

Mumpf Lunse

Mitglied
hallo pheedor,
ein sehr schöner text.
sprachlich und menschlich sehr dicht.
ohne falsche senitimentalität und ohne mitleidige überheblichkeit.

nur mit dem nachsatz kann ich nichts anfangen.
den hinweis: 'nach einer wahren begebenheit', halte ich für überflüssig.

lg
mumpf
 



 
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