In einer neuen Welt

juleb

Mitglied
In einer neuen Welt

Wenn in kalten Wintertagen
Nebel lautlos niedersinkt
Seine klamme, graue Feuchte
durch die dicksten Kleider dringt
Wird selbst aus vertrauten Orten
Eine neue, fremde Welt
In der Nichts ist, wie es sein soll
In der Nichts ist, das mich hält

Schemenhafte Menschengeister
Schweben stumm an mir vorbei
Irgendwo aus weiter Ferne
tönt schneegedämpft ein Schrei
Und der ballt mein Herz zusammen
Breitet sich dann in mir aus
Ich will rennen, nur noch flüchten
Wünschte mir, ich sei Zuhaus.

Aus dem Nichts springt eine Mauer
Sie wirkt wie ein Totenschrein
Als ich sie passieren möchte
Peitschen Bäume auf mich ein
Deshalb fliehe ich zur Straße
Drachenaugen flammen auf
Und in ihren schrillen Schreien
Hauche ich mein Leben aus​

1996
 
K

Kadra

Gast
Alptraum

Hallo juleb!

Da ist dir ein richtiger Alptraum gelungen. Und dies ist ein Kompliment. Ich werde mir den Text ausdrucken und ihn zur nächsten Gruselgeschichten-Erzählstunde vorlesen. Laut gelesen, mit der richtigen Betonung, entfaltet er erst sein ganzes Potential, finde ich...


Herzliche Grüße von

Kadra, die trotz 27 Grad eine Gänsehaut hat.
 

juleb

Mitglied
Immer schneller werden, nicht unbedingt lauter. Auch wenn im Grunde jede Strophe das gleiche Versmaß enthält, sollte mensch hier ganz gemütlich anfangen und am Ende schon beinahe unverständlich schnell sein - schön, dass du es gemerkt hast

thx
juleb
 

La Luna

Mitglied
Hallo Juleb,

mein lieber Mann, bin wirklich tief beeindruckt.
Wieder mal eine eine treffliche Wortwahl:

Schemenhafte Menschengeister
Schweben stumm an mir vorbei....


....hat mich besonders beeindruckt, es wirkt so plastisch.

hach....und noch ein Beitrag für mein Schatzkästlein. ;)


Lieber Gruß
Julia
 

juleb

Mitglied
Witzig:
Ausgegraben habe ich den Text, als ich hier einen - wie ich fand - schauderhaften Versuch entdeckt hatte, eine Vampirgeschichte zu erzählen.
Das es dann noch gefällt, baut doch auf, weil es eines von den Dingern ist, die ich eher unter malade abgelegt hatte.

thx

juleb
 
W

willow

Gast
*erinnert mich an E.A.Poe*

Hallo liebeR juleb,

nachdem ich dein Gedicht nun etwa zehn Mal gelesen habe, habe ich immer noch nicht so ganz verstanden - ist es ein Alptraum oder eine wahre Begebenheit (eigentlich eine dumme Frage, denn wäre es eine Begebenheit, wer sollte dann über sie berichten? Andererseite könnte es ja sein, von wegen Vampire und so...):)

Der Aufbau hat mir besonders gut gefallen - erst langsam, dann immer schneller, laufend...um sein Leben -alles nix genützt!

Na ja, auf jeden Fall erinnerte dein Gedicht mich startk an E.A.Poe, er konnte auch die schlimmsten Alpträume in eine "nette" Reimform packen.

LG,

willow
 

juleb

Mitglied
vielleicht wirklich ein bisschen Poe

Du gehst nach draussen.
Ein Wintertag. Dichter Nebel liegt über den Strassen. Verschlingt Geräusche, behindert oder verhindert dreidimensionale Wahrnehmung. Du weisst genau, dass du nur Bäume und Sträucher siehst, die sich im Wind bewegen. Oder sind es doch andere Dinge ? War da ein Mensch, der gerade an dir vorbeiging? Er ist nur ein Schatten, der mit den bewegten Ästen zusammenschmilzt.
Gehst du auf den Baum zu? Geht der Baum auf dich zu?
Es ist wirklich eine andere Welt, die nichts mit deiner Wirklichkeit zu tun hat - also beschleunigst du deine Schritte. Kalte Schauder jagen über deinen Rücken, du willst aus diesem Stadtpark heraus, hörst jemanden rufen - aber du kannst nicht sagen, ob der Rufer in der Nähe ist oder ob er weit entfernt ist.
Hast irgendwie den Weg aus den Augen verloren und der Nebel ist wirklich so dicht, dass du ihn nicht wiederfindest und bist jetzt zwischen Büsche und Bäume geraten, deren Äste dich streifen - was aber, weil durch die fehlende Sicht, alle anderen Sinne viel sensibler reagieren, wie Schläge erscheint.
Irgendwo muss doch der Ausgang gewesen sein. Irgendwo hier. Bei dieser Mauer. Und dahinter sehe ich Lichter. Lichter der Stadt, Schaufenster. Wenn ich bei ihnen bin, bin ich wieder in der realen Welt. In einer wirklicheren Welt - deshalb haste ich über die Straße - und hinein in ein vorbeifahrendes Auto.
Selbst erlebt ?
Nein. Wenigstens nicht den Unfall.
Aber das Unheimliche, wenn Alltag durch so was banales wie schlechtes Wetter sich in etwas wandelt, das ganz anders erscheint.
Man nehme einen Wintertag, einen Park in der Nähe eines Flusses - und schon ist das ganze Bild vorhanden.

:)
lg
juleb
 



 
Oben Unten