In the year 2050

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Raniero

Textablader
In the year 2050


Kürzlich, unterwegs mit dem Auto, erlebte Eugenius Hautkappe, Richter am Landgericht einer mittelgroßen Stadt in diesem Lande, eine Überraschung.
Als er während der Fahrt auf die elektronische Anzeige im Bereich des Autoradios, neudeutsch auch Display genannt, blickte, hatten sich dort Uhrzeit und Datum verändert.
Dieses geschah am helllichten Tage, so gegen fünfzehn Uhr im Monat Mai des Jahres 2003.
Die Anzeige hingegen wies völlig andere Zahlen auf: 20. 01. 2050, 00 Uhr 01!
Einzig die Temperaturangabe schien zu stimmen, neunzehn Grad Celsius, das konnte möglich sein, bei diesem Wetter.
Da er die richtige Einstellung erst vor kurzem bei Beginn der Sommerzeit persönlich neu eingegeben hatte, war es ihm sofort klar, dass es sich hier nicht um eine fehlerhafte Bedienung des Display handelte.
Er schaltete das Radio ein, die Datumsanzeige erlosch, stattdessen erschien der Name und die Frequenz des Senders; fröhliche Musik schallte ihm entgegen.
Die Anzeige der Uhrzeit allerdings hatte sich nur um eine Minute weiterbewegt:
00 Uhr 02, an einem sonnendurchfluteten Nachmittag.
Nach einigen Minuten schaltete er das Radio wieder aus, erneut dieses ominöse Datum: 20.01.2050.
Nervös fummelte der Richter nun am Radio herum, ein, aus, verschiedene Sender. Währendessen verlangsamte er die Fahrt und blickte mehr oder weniger aufmerksam auf den Straßenabschnitt vor mir.
Gerade wollte er in eine verkehrsarme Seitenstraße einbiegen, um dort anzuhalten und das gesamte Display noch einmal in Ruhe in Augenschein zu nehmen, als plötzlich wie von Geisterhand die richtigen Daten wieder erschienen.
Wie war so etwas möglich?
Atmosphärische Störungen? Signale aus dem All?
Er dachte nicht weiter darüber nach und setzte die Fahrt fort.
Während des gesamten Nachmittags änderte sich die Anzeige nicht mehr, alles verblieb im korrekten Bereich.
Als er zum Abend hin das Fahrzeug in die Garage stellte, warf er einen letzten Blick auf alle Daten.
Völlig normal und korrekt.


Einige Tage später, an einem Vormittag, während einer Fahrt auf der Autobahn, erneut das gleiche Spiel; wiederum dieses verrückte Datum mit der merkwürdigen Uhrzeit: 20. 01.2050, 00 Uhr 01!
Der Richter war nicht unbedingt ein Mann, auch schon von seinem Amte her, in dem nicht wenige schwierige Entscheidungen zu treffen waren, der vorschnell zu welcher Art von Aberglauben auch immer tendieren würde, nun jedoch kam ihm doch das Shakespeare Zitat des Hamlet in den Sinn. „Es gibt mehr Ding, im Himmel und auf Erden, als Eure Schulweisheit sich träumt, Horatio“.

Was wollte ihm dieses Datum sagen?
Er konnte sich keinen Reim darauf machen.
Wen konnte er in dieser Angelegenheit befragen, er, der als introvertiert galt und es sicher auch war, wie er sich selbst eingestand; er konnte nicht so einfach sein Inneres nach außen krempeln und sich mit Freunden oder sogar Kollegen in diesem Punkt beraten.
Auch seiner Frau wollte Eugenius sich nicht mitteilen, weil er nicht zu Unrecht fürchtete, sie könne dieses merkwürdige Datum als einen Fingerzeig Gottes auffassen und würde ihn von nun an ständig in den Ohren liegen, seinen Lebenswandel hinsichtlich seiner Gesundheit zu verbessern.
Zu guter letzt sah er doch eine Möglichkeit, wie einen Silberstreifen am Horizont.
Wie wäre es, wenn....
Dann jedoch verwarf er diesen Gedanken; nein, das kann man nicht machen.
Doch diese Idee, einmal in seinem Kopf Fuß gefasst, ließ ihn einfach nicht mehr zur Ruhe kommen; der Gedanke hatte sich einfach festgesetzt.
Warum eigentlich nicht, fragte er sich wiederholt, letztendlich lässt sich diese wundersame zweimalige Änderung der Anzeigedaten nicht erklären, aber auch nicht wegleugnen, sie war Fakt, unumstößlich.
War es in diesem Fall nicht naheliegend, wenigstens den Versuch zu wagen?

Richter Hautkappe beschloss, eine Wahrsagerin zu konsultieren.
Leichter gesagt, als getan.
Dieses Unterfangen schien auf den ersten Blick keine größere Schwierigkeit darzustellen, so sollte man meinen; vielleicht bildete es auch kein Problem für den anonymen Otto Normal Bürger, sich bei einer Wahrsagerin Rat zu holen.
Jedoch für ihn, den stadtbekannten Richter, allseits hochgeschätzt und verehrt, zuweilen auch ein wenig gefürchtet wegen seiner nicht immer gnädigen Urteilssprüche; könnte er es wagen, in seiner Funktion, mit seinem Amt, welches ihm wie eine zweite Haut angepasst schien, einen solchen Schritt zu tun?
Wenn es publik würde!
Er malte sich die Folgen aus, in düstersten Farben; er sah bereits die Schlagzeilen in der Presse, nicht nur im lokalen Bereich:
- Justitia holt Rat ein in der Kristallkugel! Gerichtsentscheide vom Jahrmarkt! -
Wahrscheinlich würde man im Nachhinein alle seine bisher gefällten Urteile in Zweifel ziehen, ihm die Frage stellen, bei welchen von diesen er sich vorher dubiose Vorraussagen eingeholt habe.
Vielleicht mussten alle Fälle noch einmal aufgerollt werden.
Nein, so war das nicht möglich.
Er wollte allerdings auch nicht darauf verzichten, einen Blick in die Zukunft zu werfen und war fest entschlossen, hinter das Geheimnis des rätselhaften Tages zu kommen.
Diskretion war gefragt, absolute Verschwiegenheit.
In aller Vorsicht zog er Erkundigungen ein, über derartige Etablissements und ihre Gepflogenheiten, in entfernten Städten, wo ihn niemand kannte.
Endlich war es soweit.
Er hatte gefunden, was er suchte.
In einer sehr großen Stadt, weit im Süden der Republik, gab es Institute dieser Art, gleich mehrere; alle warben in ihren Anzeigen mit strikter Einhaltung von Diskretion. Wahrung der Anonymität und Vermeidung von sonstigen Peinlichkeiten.
Eine von diesen Annoncen stach ihm besonders ins Auge.
- Madame Vera kennt Ihre Zukunft! Wagen Sie den Blick ins Unendliche! -
Der Vorname der Wahrsagerin flößte ihm Vertrauen ein, er betrachtete ihn als gutes Omen: verus, vera, verum, nichts war für ihn wichtiger als die reine Wahrheit, und ein Blick ins Unendliche konnte auch nicht schaden, da dieser merkwürdige Termin ja auch noch in unendlicher Ferne lag.

Eugenius Hautkappe betrat den Salon von Madame Vera.
Das, was er dort zu sehen bekam, erstaunte ihn nicht sehr, das heißt, eigentlich sah er fast nichts.
Er wurde in einen dunklen Raum geführt, in welchem er außer einer schwach leuchtenden Kugel, einige Schritte vor ihm, nichts weiter wahrnahm.
Man geleitete ihn bis zu einer harten Sitzgelegenheit, einem Stuhl aus Metall, unmittelbar vor der Kugel, die sich nun in Augenhöhe direkt vor ihm befand und langsam, sehr langsam heller zu werden schien.
Eine tiefe Frauenstimme, oder war es die eines Mannes, hieß den Richter willkommen und kam sogleich zum Kern der Angelegenheit
„Fremder, nenne dein Begehren!“
Dass diese Stimme ihn duzte, gefiel ihm durchaus nicht, aber so etwas war offensichtlich in diesem Metier an der Tagesordnung; dass sie ihn direkt aufforderte, zur Sache zu kommen, gefiel ihm hingegen.
Er fasste sich ein Herz und kam ohne Umschweife zum zentralen Punkt seines Anliegens.
„Wenn ich dich richtig verstanden habe, willst du von mir eine Auskunft darüber, was dieser noch weit in der Ferne liegende Tag dir bringen wird; was geschehen wird, an diesem Datum?“
Richter Hautkappe bejahte, ungestüm.
„Du bist verheiratet, glücklich, wie ich sehen kann, du hast drei Kinder. Du stehst vom Alter her in der Blüte deines Lebens“.
„Woher wissen Sie....“ stammelte Eugenius.
„Das alles entnehme ich der Kugel, wie du dir sicher vorstellen kannst“, gab Madame Vera zurück und nannte ihm wie zur Bekräftigung noch sein genaues Alter sowie das seiner Frau und seiner Kinder.
„Doch nun zum Wesentlichen. Das was sich in der Kugel vor mir auftut, wird dich schockieren, es handelt sich um eine furchtbare Nachricht“.
„Eine furchtbare Nachricht“, flüsterte der Richter, „ist es, ist dieser Tag mein Todestag?“
Damit hätte er sich abfinden können, denn an diesem Tage hätte er die Hundert bereits überschritten; eigentlich hatte er gar nicht vor, so lange auf Erden zu verweilen.
„Schlimmer“, donnerte die Stimme hinter der Kugel, „viel schlimmer!“
Was konnte schlimmer sein als der eigene Tod, dachte er verzweifelt, etwa der Einzug in die Hölle?
„Es wird eine furchtbarer Tag für dich werden, unvorstellbar, aber es wird so eintreffen, wie es hier vor mir steht. An diesem Tage wird dein Weib einen Seitensprung begehen, ihren ersten ehelichen Fehltritt“„
„Einen Seitensprung? Meine Frau? Mit hundertzwei Jahren?“
„Es ist eine grausame Nachricht, ich habe es dir ja gesagt, aber tröste dich, du wirst letztendlich darüber hinwegkommen; es wird eine Weile dauern aber du wirst es schaffen!“

Mit schlotternden Knien verließ Eugenius Hautkappe das Etablissement von Madame Vera.
Draußen, in einer Seitenstraße, stieg er in seinen Wagen und ließ sich in die Sitze fallen.
Mit unbändiger Wut brüllte er auf das Radio ein, samt Display:
„Nun nenn mir auch den Termin für meine Revanche!“
 
Meines Erachtens ist nicht ganz nachvollziehbar, warum der Richter, immerhin ein erfahrener und logisch denkender Mann, nicht darauf schliesst, dass es sich um einen technischen Fehler der Uhr handelt. Fehler an technischen Dingen passieren doch immer wieder.
Da ich dem nicht folgen kann, fällt mir auch schwer, jeder weiteren Aktion des Richters zu folgen.

Die Pointe ist zwar gut, aber vorher fehlt es mir an der Nachvollziehbarkeit.

Marius
 

Raniero

Textablader
Hallo Marius,

vielen Dank für die Zuschrift.
Na ja, warum solte nicht auch ein strenger Richter einmal Schwäche zeigen? Es handelt sich doch um reine Satire, keine Kriminalstory.
Die Idee zu dieser Erzählung kam mir, als sich in der Tat an meinem Display so ein merkwürdiges Datum auftat, gleich mehrere Male hintereinander.

Gruß Raniero
 



 
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