Zwillingsjungfrau
Mitglied
Ingrid baut eine Arche
Es war Juni. Nach vielen langen Regenwochen schien endlich wieder einmal die Sonne. Sie rief Ingrid zu: „Komm heraus aus dem Haus.“ So beschloss Ingrid, in die nahe gelegenen Felder mit den Knicks zu gehen. Ihr selbstgemachter Hollunderblütensaft ging auf die Neige und sie plante, für den nächsten Winter unbedingt einen neuen Vorrat zu schaffen.
Den warmen Sonnenschein genoss sie sehr. Sehr bald fand sie einen Hollunderstrauch, der über und über mit seinen weißen Blütendolden mit den Sonnenstrahlen zu wetteifern schien. Seine Blüten leuchteten in den hellen Tag.
Vorsichtshalber hatte Ingrid Großvaters Spazierstock mitgenommen, denn sie wollte an jedem Strauch viele Blüten stehen lassen, damit sie zum Herbst ihre violetten Früchte tragen, die Mensch und Tier in einem strengen Winter schützen und Kraft geben. So pflückte sie ihre 60 Blütendolden, immer darauf bedacht, den Strauch nicht zu plündern. Lieber ging sie noch ein Stückchen über den Acker zum nächsten Hollunderbusch. Großvaters Spazierstock war ihr eine gute Hilfe, um auch höher hängende Zweige zu erreichen.
Die Arbeit war schnell getan. In ihrer Küche wurden die Blütendolden einmal kurz kalt gewaschen und dann in einen Eimer geschüttet. Sie hatte einen großen Topf mit Wasser auf den Herd gesetzt, Zucker und Zitronensäure hineingeschüttet und ließ diese Mixtur langsam heiß werden.
Nun war für eine kurze Zeit, bis das Wasser kochen würde, nichts zu tun. Sie begutachtete noch einmal die gepflückten Blüten und entdeckte zwischen den Blüten Bewegung.
Oh, da balancierte ein Schneckenbaby an einem Stil zwischen den Blüten herum.
„Was machst Du den hier“, fragte Ingrid erstaunt. „Du bist doch ein Erdbewohner. Wie hast Du es nur geschafft, den zwei Meter hohen Busch bis zu den Blüten zu erreichen? Weißt Du denn nicht, dass dies für Dich lebensgefährlich ist? Was mache ich nur mit Dir, ich kann Dich doch nicht mit kochendem Wasser überbrühen und Dich töten?“
Ingrid hob die kleine Schnecke ganz vorsichtig von dem Blütenstil und setzte sie in eine kleine Porzellanschale. Dies war zwar nicht der Untergrund, den Schnecken lieben, er ist glatt und rutschig, doch die kleine Schnecke war gerettet.
Wo ein Tier ist, sind vermutlich auch noch andere, was mache ich nur mit denen, überlegte Ingrid. Ich kann zwar noch einen Moment warten, bevor ich das kochende Wasser über die Blüten gieße. Wie rette ich nur die Tiere, die sich jetzt mühsam völlig nass durch das unfreiwillige Bad nach oben arbeiten. Sie erinnerte sich an Noah. Eine Arche, die brauchten die Tiere.
Eine kleine Vertiefung zwischen den Blütenrispen war schnell geschaffen. Dort hinein legte sie verkehrt herum eine Untertasse, die sie in der Mitte mit einem hölzernen Zweig des Hollunderbusches verzierte, der sich bei Pflücken mit in die Tüte verirrt hatte. Tief nach vorn gebeugt stand sie in ihrer Küche und sprach in den Eimer.
„Kommt, kleine Tierchen, habt keine Angst, ich helfe euch, auf dem Teller seid ihr in Sicherheit“. Inzwischen schaute sie einmal in die Schale zum Schneckenbaby. Es war verschwunden.
„Wo steckst Du denn? Ich glaubte immer, Schnecken seien langsam. Wenn Du derart fix bist, wundert es mich nicht, dass Du auch auf einen für dich riesig erscheinenden Busch hinaufklettern konntest.“ Sie entdeckte den kleinen Ausreißer auf dem Küchentisch. Er wurde in die Schale zurückgesetzt.
„Mit wem redest Du denn hier“, fragte Großmutter, die mit erstaunten Augen in die Küche gekommen war, „was machst du überhaupt?“
„Ich habe gerade eine Arche gebaut“ erklärte Ingrid.
„Was Du immer für Ideen hast. Was soll das.“ Großmutter schaut in den Eimer. „Ach so, Du machst Hollunderblütensaft.“
„Eine Arche. So ein Blödsinn“, murrte Großmutter. Ich bin auf einem Bauernhof aufgewachsen. Tiere waren unsere Nahrung. Sonst wären wir im Winter verhungert. Du machst einen Aufstand um so ein paar unnütze Käfer und Schnecken, das ist doch albern.“
„Nein, das ist es nicht“, verteidigt sich Ingrid, „kein Tier und kein Mensch ist unnütz. Ich kenne sehr wohl das Gesetz von der Nahrungskette. Fressen und gefressen werden ist in der Natur üblich. Ich will diese Tiere zwischen den Hollunderblüten aber nicht essen, deshalb habe ich ihnen eine Arche gebaut.“
Sie beugt sich erneut über den Eimer. „Sieh dir nur meine Arche an.“ Sie zog Großmutter dicht zu sich heran. Auf dem Ast balancierten zwei kleine schwarze Käfer, ihr Panzer sah aus wie gelackt. Vorsichtig öffnen sie ihren Lackpanzer, entfalteten kleine Flügel und strichen sich mit den Hinterbeinen über ihren Körper, um die Nässe abzustreifen. Am Tellerrand hockte eine wunderhübsche kleine Spinne. Sie hat einen leuchtend grünen Körper. Das war sicherlich eine hervorragende Tarnung zwischen den später grünen wachsenden Hollunderbeeren. Auch ein Spinnenbaby konnte sich retten und eben erschien völlig erschöpft auf dem Tellerrand eine weitere Schnecke. Sie sah aus wie eine junge Weinbergschnecke.
„Nun schau mal, Ömchen, all diese Tiere dürfen weiterleben, ich setze sie nachher in den Garten.“
„Die Deern mit ihrem Grappenkram im Kopp, von wem die das wohl hat“ grummelte Großmama und verließ mit grimmigem Ausdruck in ihren Augen fluchtartig die Küche. Spinnen mochte sie nämlich gar nicht, auch wenn es Winzlinge waren, sie ekelte sich.
Ingrid aber freute sich. Sie nahm die kleine Babyschnecke und setzte sie zur anderen. „Nun habt ihr Gesellschaft in der für euch neuen Umgebung.“ Vorsichtig trug sie ihre Arche in den Garten, setzte die Untertasse zwischen ein Beet und wünschte allen Geretteten noch ein langes Leben.
Es war Juni. Nach vielen langen Regenwochen schien endlich wieder einmal die Sonne. Sie rief Ingrid zu: „Komm heraus aus dem Haus.“ So beschloss Ingrid, in die nahe gelegenen Felder mit den Knicks zu gehen. Ihr selbstgemachter Hollunderblütensaft ging auf die Neige und sie plante, für den nächsten Winter unbedingt einen neuen Vorrat zu schaffen.
Den warmen Sonnenschein genoss sie sehr. Sehr bald fand sie einen Hollunderstrauch, der über und über mit seinen weißen Blütendolden mit den Sonnenstrahlen zu wetteifern schien. Seine Blüten leuchteten in den hellen Tag.
Vorsichtshalber hatte Ingrid Großvaters Spazierstock mitgenommen, denn sie wollte an jedem Strauch viele Blüten stehen lassen, damit sie zum Herbst ihre violetten Früchte tragen, die Mensch und Tier in einem strengen Winter schützen und Kraft geben. So pflückte sie ihre 60 Blütendolden, immer darauf bedacht, den Strauch nicht zu plündern. Lieber ging sie noch ein Stückchen über den Acker zum nächsten Hollunderbusch. Großvaters Spazierstock war ihr eine gute Hilfe, um auch höher hängende Zweige zu erreichen.
Die Arbeit war schnell getan. In ihrer Küche wurden die Blütendolden einmal kurz kalt gewaschen und dann in einen Eimer geschüttet. Sie hatte einen großen Topf mit Wasser auf den Herd gesetzt, Zucker und Zitronensäure hineingeschüttet und ließ diese Mixtur langsam heiß werden.
Nun war für eine kurze Zeit, bis das Wasser kochen würde, nichts zu tun. Sie begutachtete noch einmal die gepflückten Blüten und entdeckte zwischen den Blüten Bewegung.
Oh, da balancierte ein Schneckenbaby an einem Stil zwischen den Blüten herum.
„Was machst Du den hier“, fragte Ingrid erstaunt. „Du bist doch ein Erdbewohner. Wie hast Du es nur geschafft, den zwei Meter hohen Busch bis zu den Blüten zu erreichen? Weißt Du denn nicht, dass dies für Dich lebensgefährlich ist? Was mache ich nur mit Dir, ich kann Dich doch nicht mit kochendem Wasser überbrühen und Dich töten?“
Ingrid hob die kleine Schnecke ganz vorsichtig von dem Blütenstil und setzte sie in eine kleine Porzellanschale. Dies war zwar nicht der Untergrund, den Schnecken lieben, er ist glatt und rutschig, doch die kleine Schnecke war gerettet.
Wo ein Tier ist, sind vermutlich auch noch andere, was mache ich nur mit denen, überlegte Ingrid. Ich kann zwar noch einen Moment warten, bevor ich das kochende Wasser über die Blüten gieße. Wie rette ich nur die Tiere, die sich jetzt mühsam völlig nass durch das unfreiwillige Bad nach oben arbeiten. Sie erinnerte sich an Noah. Eine Arche, die brauchten die Tiere.
Eine kleine Vertiefung zwischen den Blütenrispen war schnell geschaffen. Dort hinein legte sie verkehrt herum eine Untertasse, die sie in der Mitte mit einem hölzernen Zweig des Hollunderbusches verzierte, der sich bei Pflücken mit in die Tüte verirrt hatte. Tief nach vorn gebeugt stand sie in ihrer Küche und sprach in den Eimer.
„Kommt, kleine Tierchen, habt keine Angst, ich helfe euch, auf dem Teller seid ihr in Sicherheit“. Inzwischen schaute sie einmal in die Schale zum Schneckenbaby. Es war verschwunden.
„Wo steckst Du denn? Ich glaubte immer, Schnecken seien langsam. Wenn Du derart fix bist, wundert es mich nicht, dass Du auch auf einen für dich riesig erscheinenden Busch hinaufklettern konntest.“ Sie entdeckte den kleinen Ausreißer auf dem Küchentisch. Er wurde in die Schale zurückgesetzt.
„Mit wem redest Du denn hier“, fragte Großmutter, die mit erstaunten Augen in die Küche gekommen war, „was machst du überhaupt?“
„Ich habe gerade eine Arche gebaut“ erklärte Ingrid.
„Was Du immer für Ideen hast. Was soll das.“ Großmutter schaut in den Eimer. „Ach so, Du machst Hollunderblütensaft.“
„Eine Arche. So ein Blödsinn“, murrte Großmutter. Ich bin auf einem Bauernhof aufgewachsen. Tiere waren unsere Nahrung. Sonst wären wir im Winter verhungert. Du machst einen Aufstand um so ein paar unnütze Käfer und Schnecken, das ist doch albern.“
„Nein, das ist es nicht“, verteidigt sich Ingrid, „kein Tier und kein Mensch ist unnütz. Ich kenne sehr wohl das Gesetz von der Nahrungskette. Fressen und gefressen werden ist in der Natur üblich. Ich will diese Tiere zwischen den Hollunderblüten aber nicht essen, deshalb habe ich ihnen eine Arche gebaut.“
Sie beugt sich erneut über den Eimer. „Sieh dir nur meine Arche an.“ Sie zog Großmutter dicht zu sich heran. Auf dem Ast balancierten zwei kleine schwarze Käfer, ihr Panzer sah aus wie gelackt. Vorsichtig öffnen sie ihren Lackpanzer, entfalteten kleine Flügel und strichen sich mit den Hinterbeinen über ihren Körper, um die Nässe abzustreifen. Am Tellerrand hockte eine wunderhübsche kleine Spinne. Sie hat einen leuchtend grünen Körper. Das war sicherlich eine hervorragende Tarnung zwischen den später grünen wachsenden Hollunderbeeren. Auch ein Spinnenbaby konnte sich retten und eben erschien völlig erschöpft auf dem Tellerrand eine weitere Schnecke. Sie sah aus wie eine junge Weinbergschnecke.
„Nun schau mal, Ömchen, all diese Tiere dürfen weiterleben, ich setze sie nachher in den Garten.“
„Die Deern mit ihrem Grappenkram im Kopp, von wem die das wohl hat“ grummelte Großmama und verließ mit grimmigem Ausdruck in ihren Augen fluchtartig die Küche. Spinnen mochte sie nämlich gar nicht, auch wenn es Winzlinge waren, sie ekelte sich.
Ingrid aber freute sich. Sie nahm die kleine Babyschnecke und setzte sie zur anderen. „Nun habt ihr Gesellschaft in der für euch neuen Umgebung.“ Vorsichtig trug sie ihre Arche in den Garten, setzte die Untertasse zwischen ein Beet und wünschte allen Geretteten noch ein langes Leben.