Ingrids Freund und seine zwei Frauen (Überarbeitung)

Ingrids Freund und seine zwei Frauen
(überarbeitete Fassung)

Ein Tag im November, 20 Uhr
An die regennassen Fenster klopfen triefende Zweige mit ihren schwarzen Blättern, als wollten sie eingelassen werden, um sich zu wärmen. Novemberwind rüttelt an den Läden. Tote Blätter tanzen einen Reigen, wechseln zu einer Polonaise, bevor sie wie Vögel davonfliegen. Das Tosen vor der Tür kann Ingrid nicht stören. Sie sitzt am Küchentisch, vor sich eine dampfende Tasse Kaffee, ist mit einer kniffligen Aufgabe beschäftigt. Sie versucht, eine zerrissene Kette zu reparieren. Das erfordert hohe Konzentration.

Es klopft, Ingrid schaut auf das Fenster; ach ja, die Zweige.
Sie hört ihren Namen.
Können Zweige rufen? Das Rufen kommt von der Tür. Herein tritt der fast aufgeweichte pitschnasse Thomas, ein langjähriger Freund. Er wirft sich aufseufzend auf den nächsten Stuhl und angelt mit klammen Händen nach der Kaffeetasse.

Ingrid schaut ihn liebevoll und besorgt an. Ihn so jammervoll zu sehen, rührt ihr Herz. Sie kennt ihn viele Jahre und kann in seinen Gesichtszügen lesen wie in einem Buch.

Welch eine Katastrophe hat ihn aus den Angeln gehoben?

Was ist los, erzähl es mir.

Unruhig springt er auf, drei Schritte nach links, Kehrtwende, drei Schritte nach rechts. Wieder am Küchentisch schaut er Ingrid mit kummervollen Augen an, wendet den Blick zum Fenster, die klopfenden Zweige beobachtend.

Er setzt sich und vergräbt den Kopf in seinen Händen.

In mir sieht es genau so aus, wie es draußen vor der Tür. Ich glaube, meine Welt bricht zusammen. Ich weiß einfach nicht weiter. Bei mir ist die Hölle los. Damit du dir ein Bild machen kannst, erzähle ich am besten der Reihe nach.

Seit ich mich selbständig gemacht habe, läuft mein Tag nicht mehr im gleichbleibenden Rhythmus. Früher war nach 8 Stunden Feierabend. Die Zeiten sind vorbei. Manchmal wünsche ich mir, mein Tag hätte 36 Stunden.

Das passt Gabi gar nicht. Auch meine Sekretärin, übrigens eine Perle, muss man heutzutage mit der Lupe suchen, die sich unermüdlich für mich einsetzt, ist etwas Besonderes.

Na und, fragt Ingrid, das ist doch kein Drama, das geht vielen Menschen so.

Gleicher Tag, 18 Uhr in Gabis und Thomas Wohnung
Thomas kommt erschöpft von einem Kundenbesuch zurück. Gabi sitzt heulend auf der Couch und badet mit ihren Tränen das Telefon. Sie spricht mit sämtlichen Familienmitgliedern, Freunden und Bekannten. Dabei hält sie einen schon reichlich zerknitterten und durchgeweichten kleinen Zettel in der Hand. Thomas hört, wie Gabi, von Schluchzen unterbrochen, das Notierte vorliest und dabei Thomas als den schlechtesten Menschen dieser Welt darstellt.

Thomas erkennt, dass es sich um Gedankensplitter handelt, die er als Gedächtnisnotiz in einer seiner Anzugtaschen vergraben hat. Gabi hat, wie sie dies leider häufiger tut, seine Taschen nach Beweisen für ihre immer vorhandene Eifersucht durchsucht und den Brief entdeckt. Es sind ein paar freundliche Worte für seine Büroperle, den er auf ihren Schreibtisch legen wollte.

Wahrhaftig nichts, was seine Frau kränken könnte, nur ein Dank für ihren Dauereinsatz und dass Thomas sich bemühen will, künftig mehr Zeit für sie und ihre Wünsche einzuplanen.

Gabi sieht Thomas in der Tür stehen und fängt an, wie eine Furie zu schimpfen. Dabei wedelt sie mit dem Brief herum.

Dieser Brief an deine Sekretärin, das ist ja wohl der Gipfel - Für sie willst du mehr Zeit einplanen und wo bleibe ich - Du liebst mich nicht mehr, sonst hättest du mehr Zeit für mich und nicht für diese Tussi - Mit der verbringst du mehr Zeit als mit mir.

Gabi holt Luft, Thomas will antworten, ist aber nicht schnell genug.

Früher hast du dir mit mir im Fernsehen sehr gern das Vorabendprogramm angesehen - Wir haben zusammen gelitten, wenn die Lindenstraße, Schöne Zeiten/schlechte Zeiten, Dallas, Denver Clan oder Reich + schön gesendet wurde - Vor Genuss, wettert Gabi, hast du zwischendurch oft die Augen geschlossen und nur gelauscht - Jetzt weigerst du dich, sagst, du hast keine Zeit - Wenn du diese so herzergreifenden Sendungen nicht mehr sehen willst, dann vernachlässigst du deine Bildung - Du bist mit den Gedanken immer woanders - Bei unserem täglichen Kaffeeklatsch erzählen mir meine Nachbarinnen sehr ausführlich, was deren Männern alles einfällt und wie sie von ihren Männern verwöhnt werden - Sie schildern es mir haarklein, in jeder Beziehung - Und du? - Du bist immer nur müde - Ist ja auch kein Wunder, wenn diese Tussi deine Kraft verbraucht. Ich kann mir auch denken, was ihr so treibt - hab es immer gewusst - Du

Jetzt reißt Thomas der Geduldsfaden.

So, nun reicht es. Wie könnt ihr Frauen euch nur über so private Dinge unterhalten? Gibt es denn nichts anderes? Du studierst die Zeitung stundenlang von der ersten bis zur letzten Seite. Besprich mit deinen Freundinnen die Tagesthemen. Mein pausenloser Einsatz gilt nur dir, damit du dir alle Wünsche erfüllen kannst. Du hast du bei unserer Heirat versprochen, mir beizustehen, in guten wie in schlechten Tagen. Wir haben jetzt schlechte Tage. Dir fällt nichts Besseres ein, als über mich herzuziehen, mich herabzusetzen und schlecht zu machen. Ahnst du gar nicht, wie sehr du mir auch beruflich schadest? Wo bleibt deine Beteuerung und dein Einsatz, mir jetzt zu helfen? Denk mal über dich nach.

Gleicher Tag, 20.15 Uhr in Ingrids Küche
Ingrid kennt Gabi und ihre leicht entflammbare Eifersucht. Am liebsten würde sie die Arme um Thomas legen und ihn trösten. Sanft streichelt sie seine Hände. Noch will sie schweigen, um seinen Redefluss nicht zu unterbrechen. Es ist gut, wenn er sich seinen Kummer von der Seele redet.

Gleicher Tag, 19.00 Uhr im Büro
Wutentbrannt ist Thomas aus der Tür gestürmt. Hat ordentlich damit geknallt, damit Gabi es hört. Zuerst ist er mit dem Auto nur so durch die Gegend gefahren und hat gegrübelt. Er weiß nicht wodurch, plötzlich ist er in der Nähe des Büros. Die Arbeit muss weitergehen. Im Büro warten noch Berge von Unerledigtem. Wild entschlossen, die halbe Nacht durchzuarbeiten, schließt er die Tür auf und da sitzt seine Sekretärin. Obwohl die Bürozeit schon lange beendet ist, tippt sie an einen Eilauftrag.

Noch immer sehr zornig, streicht Thomas seiner Sekretärin über die Schulter und lobt sie für ihren Einsatz. Weil er noch immer sehr aufgebracht ist, klagt er ihr sein Leid.

Hätte meine Frau doch nur mehr Einsicht. Sie ist so eifersüchtig, spioniert in meinen Taschen und glaubt, ich verbringe mit Ihnen zu viel Zeit. Soll mich mehr um meine häuslichen Pflichten kümmern.

Für Thomas ist es nicht zu fassen. Seine Sekretärin faucht ihn bitterböse an.

Ich hab es schon lange bemerkt, dass Ihre Frau mich nicht mag. Kürzlich traf ich sie im Supermarkt. Sie sieht mich an und dreht den Kopf weg. Ich denke, Ihre Frau ist eine „Ilsebill“. Kaum hat sie, was sie will, wünscht sie sich etwas anderes. Vielleicht sollte sie mal das Grimmsche Märchen lesen, dann weißt sie, wohin das führt.

Ich habe keine Lust mehr, für Sie zu arbeiten. Sie erledigen Ihre Arbeit nur noch im Dauerlauf. Ich wünsche mir, dass wir einzelne Vorgänge besprechen, ich möchte informiert sein. Wenn ich falsche Auskünfte gebe, schade ich Ihnen. So kann das nicht weitergehen. Die Arbeit ist unbefriedigend. Suchen Sie sich eine neue Kraft, ich kündige. Der nächste Erste ist für mich der Letzte. Das muss ich mir wahrhaftig nicht bieten lassen. Wenn Ihrer Frau meine Nasenspitze nicht passt, soll sie doch für Sie tätig sein. Diesen Schreibtisch kann sie gerne übernehmen.

Sie schnappt sich Mantel und Tasche und rauscht aus dem Büro.


Gleicher Tag, 20.30 Uhr in Ingrids Küche
Glaub mir, Ingrid, ich bin fassungslos und tief geschockt. Wie soll es nur weitergehen ohne meine Perle, die mitdenkend hilft, meine Existenz zu sichern. Wie bringe ich Gabi zur Vernunft, ihre Eifersucht macht mich rasend. Es ist alles so sinnlos.

Es entsteht eine längere Pause. Im Raum ist es still, nur der Sturm setzt zu einem neuen Crescendo ein.

Ingrid denkt nach, soll sie oder lässt sie es?

Ingrid, du kennst mich, beginnt Thomas erneut. Ich schätze selbstbewusste Frauen wie dich, die ihr Leben allein meistern. Du hast Verstand und Herz. Wenn ich an Gabi denke, dann wünsche ich mir wahrhaftig Großvaters Zeiten zurück. Bei meinen Großeltern, selbst bei meinen Eltern war alles klar geregelt, das Rollenverhalten festgelegt. Der Mann ernährte die Familie und wurde dafür verwöhnt, verhätschelt, alles wurde getan, damit es ihm gut geht. Doch Gabi? Sie fordert. Ich soll sie ernähren damit sie, wie sie sagt, in Luxus leben kann, muss ihren Bügelkorb abarbeiten, wenn sie ihren Freiraum braucht, muss einkaufen, wenn sie was vergessen hat und koche das Essen, wenn sie wegen des Kaffeeklatsches dazu keine Zeit hatte.

So kann das doch nicht weitergehen.

Thomas streckt Ingrid die Tasse mit bittenden Augen entgegen. Seine Blicke flehen Ingrid an, sie soll ihm raten.

Ingrid steht auf, tritt hinter seinen Stuhl. Ihre Finger streichen durch seine Locken. Sie umarmt ihn sacht. Mit ihren Lippen, ganz nah an seinem Ohr, bläst sie ihm zart ihren Atem in die Nackenhaare und spricht leise aus, was sie so lange durchdacht hat:

„Ich kann dir beide ersetzen. Nimm mich!“
 

Zefira

Mitglied
Liebe Zwillingsjungfrau,

Du hast die Geschichte jetzt wesentlich verbessert dadurch, daß Du den Hauptteil selbst erzählst und nicht von Thomas erzählen läßt. So kommt alles lockerer und fließender herum. Stilistisch finde ich den Text jetzt gelungen.

Einen Einwand habe ich aber immer noch, den ich übrigens auch schon gegen die erste Fassung hatte: das Verhalten der Hauptpersonen ist einfach absurd. Kein Mann, der von morgens bis abends schuftet, würde nach Feierabend noch bügeln, damit die Ehefrau "herzergreifende Sendungen" angucken und täglich Kaffee klatschen kann. Und wenn er es doch tut (es soll ja alles mögliche geben in Gottes Tiergarten), dann wäre mir unbegreiflich, warum Ingrid sich ausgerechnet so einem Schlappschw... an den Hals werfen sollte.

So recht kann ich auch das Verhalten der Sekretärin nicht verstehen. Wenn es ihr nicht paßt, wie Gabi sie behandelt, dann ist es doch Wasser auf ihre Mühle, daß sich Thomas über sie (Gabi) beklagt? Warum kündigt sie ausgerechnet in diesem Moment?

Im Prinzip gefällt mir die Pointe der Geschichte - Mann reibt sich auf zwischen Sekretärin und Ehefrau und beklagt sich bei einer dritten, die sofort einzuspringen bereit ist -, aber vielleicht solltest Du Dir überlegen, wie Du den Mann besser motovieren kannst. Ich würde es z.B. für glabwürdiger halten, wenn Gabi auch berufstätig wäre. Dann könnte er ihrem Verlangen, daß er trotz seiner schweren Arbeit abends auch noch Wäsche bügelt, nichts entgegensetzen. Und sein Klagelied wäre für den Leser wesentlich nachvollziehbarer - wenn sie dem alten Rollenbild gehorchen und sich auschließlich um den Haushalt kümmern würde, hätten beide mehr Zeit.

Danke vielmals für Deine Mail, hat mir gut getan :D
Lieben Gruß,
Zefira (Fischskorpion)
 
Ingrids Freund und seine zwei Frauen

Liebe Zefira,
du hast ja so recht, dieser schusselige Thomas ist tatsächlich nicht zu bedauern. Er trägt seine Hausfrau auf Händen und tut alles für sie, damit es ihr gut geht und seine Büroperle ist es leid, für die paar Kröten Angriffen ausgesetzt zu sein. Warum Ingrid diesen Mann trotzdem will? Ich fürchte, sie brennt lichterloh. Das will ich jedoch nicht zu früh verraten, es soll andererseits zwischen den Zeilen in der Geschichte auch rüberkommen. Ich hab hier Wahrheit und Dichtung vermischt, doch davon wird sie noch nicht wirklich rund. Ich versuche es also noch einmal, aber nicht heute, das muss noch reifen.

Da siehst du, wie sehr du mir mit deinem Kommentar hilfst. Dafür sage ich ein großes Dankeschön.

Es grüßt dich
die Zwillingsjungfrau
 



 
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