Insel aus Stahl

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Dr Time

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Endlich in Rente. Endlich wieder in Deutschland. Endlich hatte Friedrich sein altes Leben hinter sich gelassen und auch jemanden kennengelernt.

Ruth war in seinem Alter. Die beiden trafen sich immer donnerstags am Kiosk beim Busbahnhof, weshalb sie diesen Ort auch immer ihre „Kuss-Haltestelle“ nannten. Aber über Küsse waren sie bisher nicht hinausgekommen. Nicht einmal umarmt hatten sie sich. Sie verhielten sich, als sei ein Date zwischen zwei mehr als erwachsenen Menschen ein verschweigenswertes Ereignis. Im Grunde war es Blödsinn, daraus ein Geheimnis zu machen. Weder Ruth, noch Friedrich schuldeten irgendwem Rechenschaft. Vielleicht aber springt man in diesem Alter auch nicht mehr wie verliebt durch blühende Kornfelder und erlaubt sich verrückte Dinge. Friedrich machte zwar durchaus alles, wozu er gerade Lust hatte. Er legte nicht all zu viel Wert auf Konventionen, dazu war er zu lange aus Deutschland fort gewesen. Gerade heute erst hatte er sich eine Kappe gekauft und trug sie wie ein Hip-Hopper, auch wenn es nicht so recht zu seinem Vollbart passen wollte. Aber ob Ruth sein neuer Kopfschmuck gefallen würde? Gespannt wartete er, doch der Bus verspätete sich wie immer. Um sich die Langeweile zu vertreiben, wühlte Friedrich in einer Mülltonne nach etwas Lesbarem, doch die Zeitschrift, die er fand, war bereits drei Wochen alt. Fast hätte er sie gleich wieder weggeworfen, aber dann erblickte er eine kleine Nachrichtenmeldung und darüber dieses Foto. Es zeigte seine alte Arbeitsstelle.

Die Insel aus Stahl.

20 Jahre lang hatte er dort für eine Horde hartgesottener Männer gekocht, die ihm mit ölverschmierten Fingern hungrig ihre Teller entgegenhielten. Nie würde er sie vergessen – all die bartstoppeligen Gesichter, die gezeichnet waren vom rauen, salzigen Seewind draußen auf der Plattform. Jeder dieser Burschen hätte mühelos die Hauptrolle in der Verfilmung des Rübezahls bekommen. Aber stets hatten sie ihn angelächelt, obwohl er nie viel Besseres zustande gebracht hatte, als angebrannte Specksuppe. Damals hatte sein Leben einen strengen Rhythmus: Die Schicht auf der Plattform dauerte 14 Tage. Also 14 Tage Kochen und Koje, Kakerlaken und kanadisches Fernsehen. Dann hatte er drei Wochen lang Feierabend. Viel zu kurz um seine Frau in Deutschland zu besuchen. Aber zu lang für Liebesschwüre am Telefon. Die Beziehung ging schnell in die Brüche und danach hatte er beschlossen für immer in Kanada zu bleiben.

Nun aber war er doch zurückgekehrt und starrte auf das Bild in der Zeitung. Seine Erinnerungen ließen ihm einen Hauch von salzig öliger Luft in die Nase steigen. Dieser vermischte sich mit dem Dieselgestank des Busses, der soeben gehalten hatte. Ein beißender, tränentreibender Gestank. Als Ruth aus dem Bus stieg, sah sie Friedrichs feuchte Augen. Er las ihr vor, was dort in der Zeitung stand:

„Hubschrauberabsturz vor Ölplattform – 11 Arbeiter kommen ums Leben.“

Ruth zog ihn zärtlich an sich. Sehr lange noch standen sie so da, ehe sie Arm in Arm davon gingen.
 

Dr Time

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Erläuterung

Zur Erläuterung. Es war mal wieder eine Schreibaufgabe unserer Autorengruppe. Zehn Wörter, die im Text benutzt werden mussten. Dazu das Foto eines älteren Mannes, Zeitung lesend vor einem Kiosk. Das Ganze sollte dann auch noch möglichst kurz werden.
 
K

KaGeb

Gast
Hallo Dr Time,

sehr schöne Geschichte!
Um das Ende noch kontrastreicher wirken zu lassen, könntest Du (meiner Meinung nach) ihn sich doch auf der Plattform in Ruth verlieben lassen, und aus diesem Grund geht er dann zurück nach Hause. Dann hätte die Liebe zu Ruth im letztendlich das Leben gerettet. (Kann natürlich sein dass das dann zu schwülstig wird - XD )

Kleinere Ideen:

Vielleicht aber springt man in diesem Alter auch nicht mehr [strike]wie[/strike] verliebt durch blühende Kornfelder und [strike]erlaubt sich[/strike] [blue]macht[/blue] verrückte Dinge.
[red]"wie" wäre ja nicht ganz richtig, weil sie ja verliebt sind. Die müssen also nicht "wie" verliebt tun.
Und das "erlaubt sich" fand ich persönlich bissel gestelzt.[/red]

... Jahre lang hatte er dort für eine Horde [strike]hartgesottener[/strike] Männer gekocht, die ihm mit ölverschmierten Fingern [strike]hungrig[/strike] ihre Teller entgegenhielten.
"[red]hartgesottener" und "hungrig" ergibt sich ergo direkt aus dem Textzusammenhang.[/red]

Die Schicht auf der Plattform dauerte 14 Tage. Also 14 Tage Kochen und Koje, Kakerlaken und kanadisches Fernsehen. Dann hatte er drei Wochen lang Feierabend.
[red]Vielleicht ginge auch:[/red]
D[blue]ie Schicht auf der Plattform dauerte 14 Tage Kochen, Koje, Kakerlaken und kanadisches Fernsehen, dann hatte er drei Wochen lang Feierabend.[/blue]

Seine Erinnerungen ließen ihm einen Hauch von salzig öliger Luft in die Nase steigen. Dieser vermischte sich mit dem Dieselgestank des Busses, der soeben gehalten hatte. Ein beißender, tränentreibender Gestank.
[red]Die Formulierung des 1. Satzes find ich nicht so besonders: Seine Erinnerungen ließen ihm ... in die Nase steigen.
Hier fände ich es besser, wenn du nicht beschreibst, was passiert, sondern es lieber direkt passieren lässt wie zum Beispiel:[/red]
[blue]Er roch förmlich die salzige Meeresluft, bis der Bus neben ihm hielt und der Dieselgestank das Déjà-vu verpestete (oder so ähnlich)[/blue] :)

Auf jeden Fall sehr gern gelesen,

LG, Karsten
 

Dr Time

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Endlich in Rente. Endlich wieder in Deutschland. Endlich hatte Friedrich sein altes Leben hinter sich gelassen und auch jemanden kennengelernt.

Ruth war in seinem Alter. Die beiden trafen sich immer donnerstags am Kiosk beim Busbahnhof, weshalb sie diesen Ort auch immer ihre „Kuss-Haltestelle“ nannten. Aber über Küsse waren sie bisher nicht hinausgekommen. Nicht einmal umarmt hatten sie sich. Sie verhielten sich, als sei ein Date zwischen zwei mehr als erwachsenen Menschen ein verschweigenswertes Ereignis. Im Grunde war es Blödsinn, daraus ein Geheimnis zu machen. Weder Ruth, noch Friedrich schuldeten irgendwem Rechenschaft. Vielleicht aber springt man in diesem Alter auch nicht mehr verliebt durch blühende Kornfelder und macht sich verrückte Dinge. Friedrich machte zwar durchaus alles, wozu er gerade Lust hatte. Er legte nicht all zu viel Wert auf Konventionen, dazu war er zu lange aus Deutschland fort gewesen. Gerade heute erst hatte er sich eine Kappe gekauft und trug sie wie ein Hip-Hopper, auch wenn es nicht so recht zu seinem Vollbart passen wollte. Aber ob Ruth sein neuer Kopfschmuck gefallen würde? Gespannt wartete er, doch der Bus verspätete sich wie immer. Um sich die Langeweile zu vertreiben, wühlte Friedrich in einer Mülltonne nach etwas Lesbarem, doch die Zeitschrift, die er fand, war bereits drei Wochen alt. Fast hätte er sie gleich wieder weggeworfen, aber dann erblickte er eine kleine Nachrichtenmeldung und darüber dieses Foto. Es zeigte seine alte Arbeitsstelle.

Die Insel aus Stahl.

20 Jahre lang hatte er dort für eine Horde hartgesottener Männer gekocht, die ihm mit ölverschmierten Fingern hungrig ihre Teller entgegenhielten. Nie würde er sie vergessen – all die bartstoppeligen Gesichter, die gezeichnet waren vom rauen, salzigen Seewind draußen auf der Plattform. Jeder dieser Burschen hätte mühelos die Hauptrolle in der Verfilmung des Rübezahls bekommen. Aber stets hatten sie ihn angelächelt, obwohl er nie viel Besseres zustande gebracht hatte, als angebrannte Specksuppe. Damals hatte sein Leben einen strengen Rhythmus: Die Schicht auf der Plattform dauerte 14 Tage. Also 14 Tage Kochen und Koje, Kakerlaken und kanadisches Fernsehen. Dann hatte er drei Wochen lang Feierabend. Viel zu kurz um seine Frau in Deutschland zu besuchen. Aber zu lang für Liebesschwüre am Telefon. Die Beziehung ging schnell in die Brüche und danach hatte er beschlossen für immer in Kanada zu bleiben.

Nun aber war Friedrich doch zurückgekehrt. Er starrte auf das Bild in der Zeitung und für einen Moment spürte er förmlich wieder diesen Geruch. Wie eine Mischung aus Metall und Öl. Vielleicht aber war es auch nur der Dieselgestank des Busses, der soeben gehalten hatte. Ein beißender, tränentreibender Gestank und als Ruth aus dem Bus stieg, sah sie Friedrichs feuchte Augen. Er las ihr vor, was dort in der Zeitung stand:

„Hubschrauberabsturz vor Ölplattform – 11 Arbeiter kommen ums Leben.“

Ruth zog ihn zärtlich an sich. Sehr lange noch standen sie so da, ehe sie Arm in Arm davon gingen.
 

Dr Time

Mitglied
Hallo Karsten,

Oh ja, da hattest du mit einigen Dingen Recht. Hier und da habe ich es so gelassen. Zum Beispiel das mit der hungrigen Horde hartgesottener Männer. Ich habe ein Faible für solche Alliterationen. (Sorry, aber vielleicht hab ich zu viel C.Funke gelesen.)

Aber das am Schluss hab ich dann nach langem hin und her drehen der Worte mal etwas anders gemacht und bin nun zufriedener. Mir ist nämlich auch aufgefallen, dass es beim schnellen Lesen so schien, als würde es zu stinken anfangen, weil Ruth aus dem Buss steigt.

Auch das mit dem nicht verliebten Spring-ins-Feld, bei gleichzeitigem Verliebtsein hast du zurecht bemängelt.

Also Danke für die Kritik und schöne Restwoche.

Stephan
 

Dr Time

Mitglied
Endlich in Rente. Endlich wieder in Deutschland. Endlich hatte Friedrich sein altes Leben hinter sich gelassen und auch jemanden kennengelernt.

Ruth war in seinem Alter. Die beiden trafen sich immer donnerstags am Kiosk beim Busbahnhof, weshalb sie diesen Ort auch immer ihre „Kuss-Haltestelle“ nannten. Aber über Küsse waren sie bisher nicht hinausgekommen. Nicht einmal umarmt hatten sie sich. Sie verhielten sich, als sei ein Date zwischen zwei mehr als erwachsenen Menschen ein verschweigenswertes Ereignis. Im Grunde war es Blödsinn, daraus ein Geheimnis zu machen. Weder Ruth, noch Friedrich schuldeten irgendwem Rechenschaft. Vielleicht aber springt man in diesem Alter auch nicht mehr verliebt durch blühende Kornfelder und macht verrückte Dinge. Friedrich machte zwar durchaus alles, wozu er gerade Lust hatte. Er legte nicht all zu viel Wert auf Konventionen, dazu war er zu lange aus Deutschland fort gewesen. Gerade heute erst hatte er sich eine Kappe gekauft und trug sie wie ein Hip-Hopper, auch wenn es nicht so recht zu seinem Vollbart passen wollte. Aber ob Ruth sein neuer Kopfschmuck gefallen würde? Gespannt wartete er, doch der Bus verspätete sich wie immer. Um sich die Langeweile zu vertreiben, wühlte Friedrich in einer Mülltonne nach etwas Lesbarem, doch die Zeitschrift, die er fand, war bereits drei Wochen alt. Fast hätte er sie gleich wieder weggeworfen, aber dann erblickte er eine kleine Nachrichtenmeldung und darüber dieses Foto. Es zeigte seine alte Arbeitsstelle.

Die Insel aus Stahl.

20 Jahre lang hatte er dort für eine Horde hartgesottener Männer gekocht, die ihm mit ölverschmierten Fingern hungrig ihre Teller entgegenhielten. Nie würde er sie vergessen – all die bartstoppeligen Gesichter, die gezeichnet waren vom rauen, salzigen Seewind draußen auf der Plattform. Jeder dieser Burschen hätte mühelos die Hauptrolle in der Verfilmung des Rübezahls bekommen. Aber stets hatten sie ihn angelächelt, obwohl er nie viel Besseres zustande gebracht hatte, als angebrannte Specksuppe. Damals hatte sein Leben einen strengen Rhythmus: Die Schicht auf der Plattform dauerte 14 Tage. Also 14 Tage Kochen und Koje, Kakerlaken und kanadisches Fernsehen. Dann hatte er drei Wochen lang Feierabend. Viel zu kurz um seine Frau in Deutschland zu besuchen. Aber zu lang für Liebesschwüre am Telefon. Die Beziehung ging schnell in die Brüche und danach hatte er beschlossen für immer in Kanada zu bleiben.

Nun aber war Friedrich doch zurückgekehrt. Er starrte auf das Bild in der Zeitung und für einen Moment spürte er förmlich wieder diesen Geruch. Wie eine Mischung aus Metall und Öl. Vielleicht aber war es auch nur der Dieselgestank des Busses, der soeben gehalten hatte. Ein beißender, tränentreibender Gestank und als Ruth aus dem Bus stieg, sah sie Friedrichs feuchte Augen. Er las ihr vor, was dort in der Zeitung stand:

„Hubschrauberabsturz vor Ölplattform – 11 Arbeiter kommen ums Leben.“

Ruth zog ihn zärtlich an sich. Sehr lange noch standen sie so da, ehe sie Arm in Arm davon gingen.
 
A

aksapo

Gast
Eine sehr berührende Geschichte, hab ich gern gelesen und ja..."in der Kürze liegt die Würze"..
Lg.Aksapo
 



 
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