Integration ist dämlich

Basti50

Foren-Redakteur
Teammitglied
„Captain Kinski?“, plärrte es über den Kommunikator.
Kinski atmete noch mal tief durch. „Sprechen Sie.“
„Sir, das vulanische Schiff meldet sich. Sie sagen sie glauben Strock nicht, dass er freiwillig mit Krumolanern zusammenarbeitet und dass er von uns dazu gezwungen wird Unterwäsche in Pink zu tragen. Wir sollen uns darauf vorbereiten geentert zu werden.“
Soviel zur Diplomatie.
„Miss Utuba“, antwortete er mit gekünstelter Gelassenheit „Erinnern Sie die verehrten Offiziere bitte daran, dass wir hier den waffentechnischen Vorteil haben. Wenn sie also nicht wollen, dass ihr Schiff in seine Nanoteilchen zerlegt wird, sollen sie freundlicherweise aufhören unsere Zeit zu verschwenden und den Weg freimachen.“
„Ich richte es ihnen aus, Captain.“ Mit einem schrillen Piepton brach die Verbindung ab.
Thomas J. Kinski, ausgezeichneter Captain der D.E. Entenreis, setzte unbeirrt und festen Schrittes seinen Marsch durch das Schiff fort.
Diese verdammten Vulaner und ihre verquerte Chaoslogik. Aber auch sie würden ihn nicht mehr von seinem endgültigen Ziel abbringen. Jetzt hieß es hartnäckig den Blick nach vorn richten, niemals zögern, immer in Bewegung bleiben. Nach der nächsten Biegung kam Kinski jedoch ins Stocken und wenige Meter weiter zum Stehen. Zehn, vielleicht fünfzehn Sekunden. Viel zu lange um einfach weiterzugehen. Mit einem Seufzer auf den Lippen wandte er sich um. Seine Augen suchten die Wände ab und blieben bei einem kleinen Belüftungsgitter hängen, an dem er sich niederkniete.
„Mister Pfft“, rief er in die Dunkelheit hinein, zumindest so gut, wie man ‚Pfft’ rufen konnte. „Rauskommen!“
Ein schmatzendes Geräusch war hinter den Gitter zu hören, das langsam lauter wurde.
„Sofort“, setzte er nach. Das Geräusch gewann nun deutlich schneller an Intensität und eine leichte Vibration war zu spüren. Kinski stand auf und trat einige Schritte zurück um seine Schuhe in Sicherheit zu bringen. Endlich kam Pfft aus dem Schacht herausgekrochen. Erst tröpfchenweise, dann immer volumenreicher drückte sich der zähflüssige Klumpen Protoplasma durch die kleinen Belüftungslöcher, bis er fast kniehoch vor Kinski hin und her waberte.
„Mister Pfft…“
Die Missbilligung in der Stimme des Captain musste auch für den Angesprochenen hörbar gewesen sein. Um zumindest ein Teil seiner Würde zu retten, versuchte Pfft sich auf Kopfhöhe aufzuraffen, verlor allerdings auf halbem Weg das Gleichgewicht. Mit einem lauten Klatschen prallte er gegen die Wand und begann langsam an ihr herabzufließen. Seine bisher gesammelte schwarze Farbe machte nun Platz für ein Gefühl von Frustration und Scham, also ein Mix aus dunklem Orange mit einem überlappenden Ton von Grün.
„Stehen Sie bequem.“ Beruhigte ihn Kinski. Zum Glück interpretierte sein Gegenüber ihn richtig und ging in seine Ausgangsposition zurück.
„Immer noch auf Jagd nach mehr Hirnkäfern nehme ich an?“ Betroffene Stille. Nicht mal eine Zuckung war auf der öligen Fläche wahrzunehmen.
„Pfft, Sie wissen genauso gut wie ich, dass Dorfs letzte biologischen Analysen negativ ausgefallen sind.“
Nun bildeten sich doch protestierend rötliche Blubberbläschen.
„Nein“, konterte Kinski bestimmend „Auch wenn ich Ihre Sorge um die Crew für löblich halte. Ich kann es nicht dulden, dass einer meiner Sicherheitsoffiziere ständig versucht sein Urteil über das der anderen zu stellen.“
Wie lange stand er nun schon hier und unterhielt sich mit diesem sturen Blob? Eine halbe Minute? Zwar schrumpfte die rote Schaumdecke auf Pffts Körper wieder deutlich zusammen, dennoch fügte er noch vorsichtshalber hinzu: „Vielleicht würde es helfen, wenn ich eine Besprechung einberufe, um die potentielle Gefahr neu einzuschätzen?“
Das wirkte. Wenn etwas in Pfft stärker ausgeprägt war als seine Paranoia, dann sein schier inbrünstiger Hass auf langwierige Diskussionen. Besiegt machte er sich untertänig platt, während seine Stimmung zu einem trüben Blau wechselte.
„Ich sehe das dann mal vorerst als erledigt.“ Mit seiner Arbeit zufrieden, nickte er seinem Untergebenen zum Abschied zu und ließ das kümmerliche Stück Elend hinter sich. Nur weil der unverwüstliche Schleimklumpen keinen Hals hatte, an den ihn Kinski hätte erwürgen können, machte ihn das noch lange nicht für die Autorität des Captain unantastbar.
Um die verlorene Zeit wiederaufzuholen beschleunigte Kinski seine Schritte. Bald hatte er die Hälfte der Strecke zurückgelassen und war nun im allgemeinen Crewbereich. Es ging einige Gänge weiter an der Tür zur Krankenstation vorbei. Wieder hielt der Mann kurz inne. Eigentlich viel zu lange um einfach weiterzugehen. Er tat es trotzdem. Mindestens zehn Mal in dieser Woche hatte er versucht mit McRoy zu reden und jedes Mal war er an seiner eigenen Unsicherheit gescheitert. Dabei war Kinski ein sehr umgänglicher Mensch und bestimmt nicht leicht durch andere eingeschüchtert. Aber nach so viele Jahren Dienst auf dem gleichen Schiff hatte sich eine Art freundschaftliches Band zwischen ihm und ‚der Spritze’ entwickelt. Kurzum: er respektierte den Doktor zu sehr, um es sich leicht zu machen.
Was jetzt noch von dieser Verbindung übrig war, nun nachdem das Programm ‚Menschheit für Toleranz’ auch auf die Entenreis übergegriffen hatte, konnte Kinski nicht genau einschätzen. Es war jedenfalls offensichtlich, dass McRoy ihm diese Neuentwicklung persönlich übelnahm und ganz besonders seitdem Ba’Tunk auf der Station arbeitete.
Er war ein weiterer Grund warum Kinski diesem Ort aus dem Weg ging. Der Kerl machte ihm Angst. Eigentlich machte er jedem von der Crew Angst, zumindest denjenigen, die zu dieser Gefühlsregung fähig waren. Schlimmer noch, er tendierte dazu oft und bei den ungünstigsten Gelegenheiten Sprösslinge zu gebären. Auf der kleinen Säuglingsabteilung gingen bereits die Plätze aus. Trotzdem hatte Ba’Tunk Kinski zu beruhigen versucht. Bei Platzmangel könne man mit einem einfachen Test den genetisch minderwertigen Nachwuchs schnell aussortieren und über die Luftschleuse entsorgen. Diesen Vorschlag aus dem Mund des stellvertretenden Chefarztes zu hören trug nicht gerade zu Kinskis Beruhigung bei.
‚Menschheit für Toleranz’ also. Er schüttelte den Kopf. Eigentlich hatte das Programm recht, Menschen brauchten mehr davon. Zumindest was Stresstoleranz anging gab es spürbare Defizite. Das vor allem die kommandierenden Offiziere darunter zu leiden hatten war Kinski bewusst, harmlos ausgedrückt. Eine solch artenreiche Crew unter sich zu haben war ein einziger organisatorischer Alptraum. Von Sprachbarrieren und kulturellen Differenzen ganz zu schweigen. Außerdem mussten Schiffseinrichtungen und Ausrüstung, den neuen Bedingungen angemessen, umgestaltet werden. Spätestens hier blieb kein Mensch verschont. So verursachten die angepassten Ruftöne des Kommunikators bei vielen Leuten Migräneanfälle. Neuerdings hatte jemand auch noch das Gerücht in die Welt gesetzt, ‚Menschheit für Toleranz’ sei nur eine Studie, inwiefern sich intelligente außerirdische Lebensformen effektiv als Arbeitskräfte einsetzten lassen. Der Mensch würde dem Menschen quasi zu teuer. Die Besoldung für Außerirdische hingegen war zwar größtenteils exotisch aber meistens durchaus erträglich. Zum Beispiel ließ sich Sabrina, der Müllmann, allein mit glänzenden Kieseln bezahlen. Kinski wusste nicht, was er von dem Gemunkel halten sollte. Auf jeden Fall sorgte es dafür, dass McRoy nicht der Einzige war, der einen Groll gegen ihn hegte.
Was ihm selbst am meisten sowohl physisch als auch psychisch zusetzte, war der Verlust der Turbolifte. In den letzten Jahren hatte man herausgefunden, dass diese Wunderwerke moderner Technik für nichtstoffliche Wesen gefährlich, sogar tödlich sein konnten, wenn sie während einer Fahrt aufeinandertrafen. Kinski hatte sich seither mehrmals gefragt, wie nichtstoffliche und stoffliche Objekte überhaupt miteinander kollidieren konnten aber eine verständliche Antwort dazu bekam er bisher nie. Nun wurden die Lifte nicht direkt aus dem Schiff entfernt. Stattdessen wurde ihnen eine automatische Sicherung einprogrammiert, damit sie zum sofortigen Stillstand kamen, wenn ein nichtstoffliches Crewmitglied in die Nähe war. Eigentlich eine sensible Lösung mit einem winzigen Problem: es stellte sich schon sehr bald heraus, dass ihr Nichtvorhandensein einer physischen Hülle nicht nur diverse Regeln der Naturwissenschaft brach, sondern dass dieser Mangel auch eine ungeheure Wanderlust in den Nichtstofflichen auslöste. Diese Kerle hielten einfach nie still. Nicht für eine Sekunde. Und sie reisten schnell. Das hatte zwar vielleicht irgendwo seinen pragmatischen Nutzen, machte allerdings die Fahrten mit dem Turbolift zu einer einzigen Ruckelpartie, die sich Kinski nach einer Weile nicht mehr aussetzen wollte.
Dieser stand nun vor einer Tür, hinter der die letzte große Hürde seiner Reise lag. Mit einem leisen Zischen wich sie zur Seite. Das Treppenhaus war in völlige Dunkelheit getaucht. Verärgert griff Kinski zum Kommunikator. „Bobby?“
Eine stark akzentuierte Bassstimme antwortete. „Ja Captain?“
„Die Lichter im Treppenhaus B5 gehen nicht an. Machen Sie Mumon bitte mal etwas Feuer unterm Hintern, ja?“
„Ich werde es versuchen, Captain. Es könnte aber eine Weile dauern. Er ist heute wieder mal etwas zerstreut wenn Sie verstehen.“
Was anderes hatte Kinski nicht erwartet. Mumon, der Mann, der niemals schlief und niemals krank wurde. Jemand musste ziemlich begeistert von der Idee gewesen sein. Jedenfalls genug, um ihm extra eine eigene Arbeitsstation einzurichten, die dann auch nur er benutzen konnte. Für eine Weile lief es überraschend gut. Bobby erzählte Kinski sogar einmal, der Außerirdische wäre stets zuverlässig, verstehe was von seiner Arbeit und hätte einen angenehm unaufdringlichen Charakter. Das alles änderte sich nach einer Kollegenfeier vor einigen Tagen, bei der der große und recht angetrunkene Mumon versehentlich zwei pimpische Techniker zerquetschte. Eine sehr hässliche Geschichte, aus der Mumon jedoch, juristisch gesehen, mit einem blauen Auge davonkam. Seine pimpischen Kollegen waren für ihn ein größeres Problem, denn Pimpers sind ein rachsüchtiges kleines Völkchen. Gott sei Dank verstanden diese Teufel von Medizin noch weniger als von Elektromechanik, so dass ein versuchter Giftanschlag lediglich dazu führte, dass Mumon für eine Weile seine gelähmten Tentakel hinter sich herschleifen musste. Nachdem Kinski einige Exempel statuiert hatte, war es endlich wieder still im Maschinenraum geworden. Leider war Mumon ein Sensibelchen und die Ereignisse lasteten schwer auf ihn. Er wurde seitdem zusehends unkonzentriert und fahrlässig. Wenn die Depressionen anhielten, würde Kinski ihm einen Seelenklempner runterschicken müssen. Aber noch hatte das Zeit.
Langsam tastete Kinski sich nach vorne und fand bald am Treppengelände sicheren Halt. Von dort aus versuchte er so schnell wie möglich, die sieben Etagen über sich zu bewältigen. Wie immer um sich abzulenken sinnierte er dabei den guten alten Zeiten hinterher.
Zu gern erinnerte er sich etwa an seine spannenden Eskapaden mit den Kriegeramazonen auf dem roten Mond. Damals kamen die Probleme noch vor allem von außerhalb. Wie dieser komische Stein, der ihm einmal die Lebensenergie aussaugen wollte. So was in der Richtung eben. Irgendwo tief unter seiner Haut verspürte er es immer noch, diesen unersättlichen Hunger nach Abenteuer, die Sucht nach dem Unbekannten! Heute fiel es ihm deutlich schwerer, sie zu rechtfertigen. Jetzt, wo man ihm Aufregung und Exotik sozusagen im eigenen Wohnzimmer abgestellt hatte. Manchmal, wenn es Kinski wirklich hochkam, sehnte er zu den Jahren zurück, als Strock das Ungewöhnlichste gewesen war, was man auf der Brücke zu Gesicht bekam und er selbst noch im Glauben lebte, dass es nicht verrückter werden könnte, als mit der Theorie der Chaoslogik. Reines Wunschdenken, musste er sich danach immer eingestehen und dazu auch noch trügerisch. Dieser Abschnitt seines Lebens hatte seine eigenen Tiefpunkte gehabt. Trotzdem kam er nicht umhin daran zu denken, was für ein entscheidender Unterschied es war, mit fremden Lebensformen zu arbeiten anstatt sie zu scannen oder zu befrieden oder im Notfall auf sie zu schießen. Einigen Mitgliedern der ursprünglichen Besatzung würde Gewaltanwendung bestimmt deutlich leichter fallen als früher.
Bei diesem Gedanken zog Kinski einen Schlussstrich. Wenn er sich nicht verzählt hatte, war er nur noch wenige Stufen von der richtigen Etage entfernt. Vorsichtig wechselte er zum Gelände auf der anderen Seite, um die Tür nicht zu verpassen. Als diese sich öffnete, erschien der sich ausbreitende Lichtschein für Kinski wie eine einladende Geste des Himmels. Nur noch ein paar Meter, dann war es geschafft. Vorher mussten allerdings ein letztes Mal die Dienste des Kommunikators in Anspruch genommen werden.
„Kinski an Brücke.“
„Ja Sir?“
„ Utuba, wie sieht es mit unserer Flugroute aus?“
„Alle vulanische Schiffe scheinen sich aus dem Sektor zurückgezogen zu haben, Captain. Wir sollten in den nächsten zwölf Stunden wieder Föderationsraum erreichen.“
„Sehr gut.“ Kinski konnte bereits in der Entfernung den Eingang zu seiner Privatkabine erspähen. „Ist Mister Renard bereits auf Deck?“
„Anwesend Sir“, meldete sich die verrauchte Stimme seines ersten Offiziers.
„Sie haben das Ruder, James. Bringen Sie mein Schiff sicher nach Hause.“
„Wird gemacht, Captain.“
„Und passen Sie auf Kadett Jilk auf“, fügte Kinski auf einer privaten Frequenz hinzu. „Ich glaube er versucht womöglich wieder sich in der vierten Dimension vorm Dienst zu drücken.“
„Ich werde ihn im Auge behalten.“
Allen gesunden Menschenverstandes zum Trotz blieb Kinski für einen Augenblick auf seiner Türschwelle stehen.
„Viel Glück, James.“
„Danke Sir.“ Der wehleidige Unterton war kaum zu überhören gewesen.
Heim in den eigenen vier Wänden. Ohne sich mit dem Lichtschalter abzumühen, ging Kinski wie auf Schienen zum gegenüberliegenden Fenster. Dort angekommen schlug er eine scharfe Linkskurve ein und stand einen Schritt weiter vor seinem Arbeitssessel, in den er sich prompt fallen ließ. Für einen Moment sog er genüsslich die Ruhe dieses Raumes in sich auf, bevor er begann seine schmerzenden Beine zu massieren. Nach einigen Minuten hörte er wie sich die Eingangstür ein weiteres Mal öffnete. Wenige Sekunden später begann die Deckenbeleuchtung das Zimmer im matten Schein zu erhellen.
„Tim?“, fragte eine Frauenstimme vorsichtig. Kinski rang sich ein lautes Stöhnen ab. Er hörte wie sich ihm von hinten schwere Schritte näherten. „Oh.“ Lea musste ihn offensichtlich entdeckt haben. Kraftvolle Hände griffen nach seinen verkrampften Schultern und begannen sie durchzukneten. Er lehnte sich zurück und ließ es eine Weile über sich ergehen.
„Immer noch soviel Stress bei der Arbeit?“ Sie sprach langsam, beinahe behäbig.
„Hör bloß auf.“ Die Hände ließen von ihm ab und er drehte sich im Stuhl zu Lea um.
„So schlimm?“, erkundigte sie sich.
Kinski warf einen kurzen Blick aus dem Fenster. „Man nennt es nicht umsonst die polarisierte Zone, schätze ich.“ Er wandte sich wieder ihr zu. „Und selbst?“
„Ach ja, arbeitsreich wie immer.“ Sie verschränkte die Arme. „Sie haben da eine ziemlich bunte Crew unter sich, Captain Kinski. Viel emotionales Ungleichgewicht. “
„Ich presse sie noch auf einen einheitlichen Grauton zusammen, keine Sorge.“
„Besser nicht“, erwiderte Lea amüsiert „Ein wenig Beschäftigung kannst du mir schon noch übrig lassen.“ Ihre Arme fielen wieder herunter und sie bewegte sich nach Nebenan in Richtung Kochnische. „Wie steht es mit unserer Gnadenfrist?“, rief sie ihm zu, als sie aus seinem Blickfeld verschwunden war.
„Vielleicht sechs Stunden?“, schätzte Kinski. Renard leistete als erster Offizier beachtliche Dienste aber auch er war letzten Endes nur ein Mensch.
„Hm, hast du noch Hunger?“ Man konnte hören, wie sie sich an seinem Kühlschrank zu schaffen machte.
„Ich hab schon in der Kantine gegessen, danke.“
„Isst du den Salat noch?“
„Nein, kannst du haben.“
„Danke!“ Die Seitenwand erzitterte leicht, als Lea die Kühlschranktür wieder zuwarf.
„Weißt du“, er griff sich nachdenklich einen Stift von seinem Schreibtisch „Eigentlich müsste ich meinen Erfahrungsbericht über das Integrationsprogramm zu Ende schreiben.“
Lea blieb gleichmütig. „Tun Sie, was Ihre Pflicht ist, Captain.“
„Gibt es etwa Alternativen?“
„Uns wird schon etwas einfallen.“, erwiderte sie geheimnisvoll.
Für Kinski reichte das bereits. Beiläufig legte er den Stift an seinen Platz zurück und streckte die andere Hand nach der Wandkonsole aus. Kurz darauf beherrschte Miles Davis mit seiner Trompete die Akustik der Kabine. Kinski erhob sich und schlenderte zu Lea herüber, die sich auf seiner Couch scheinbar damit vergnügte, ihren Bauchpanzer mit Salatsoße zu bekleckern. Bevor er sich neben sie setzte, ließ er seine Erfahrungen, die er auf seinen Weg hierher gesammelt hatte Revue passieren. Er würde für Pfft dringend eine neue Aufgabe suchen müssen, bevor der Blob anfangen könnte ihnen allen aufs Dach zu steigen. Vielleicht sollte er ihn zusammen mit McRoy auf einen Forschungseinsatz schicken. Dann hätte der gute Doktor wenigstens für eine Weile vorm seltsamen Ba’Tunk seine Ruhe. Was Mumon betraf, nun, eine Psychiaterin war gerade in Reichweite. Er würde noch auf den seelengepeinigten Elektromechaniker zu sprechen kommen. Für seine ganzen anderen Probleme musste er sich noch was einfallen lassen.
Sein Gesäß hatte die Sitzfläche des Sofas erreicht. „Ja“, seufzte er in Gedanken „Integration ist schon dämlich.“ Aber solange alles andere so gut war wie jetzt wo sein Blick sich im unergründlichen Sternenmeer vor seinem Fenster verlor, Miles seine Trompete anstrengte und Lea neben ihm geräuschvoll am Salat kaute würde Kinski schon durchhalten, irgendwie.
 

jon

Mitglied
Teammitglied
Sehr fantasiereich, schön. Sogar ein Ninja-Turtle-Nachkomme spielt mit. Nur der Anfang – also das mit der pinkfarbnen Unterwäsche und den sich doch eher atypisch aggressiv everhaltenden Vulanern – ist für den Rest zu skuril.
 

Basti50

Foren-Redakteur
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„Captain Kinski?“, plärrte es über den Kommunikator.
Kinski atmete noch mal tief durch. „Sprechen Sie.“
„Sir, das vulanische Schiff meldet sich. Sie sagen sie glauben Strock nicht, dass er freiwillig mit Krumolanern zusammenarbeitet und dass er von uns dazu gezwungen wird Unterwäsche in Pink zu tragen. Wir werden dazu aufgefordert unsere Triebwerke herunterzufahren, bis die Situation aufgeklärt ist.“
Soviel zur Diplomatie.
„Miss Utuba“, antwortete er mit gekünstelter Gelassenheit „Erinnern Sie die verehrten Offiziere bitte daran, dass wir in Eile sind und den waffentechnischen Vorteil haben. Wenn sie also nicht wollen, dass ihr Schiff in seine Nanoteilchen zerlegt wird, sollen sie freundlicherweise aufhören unsere Zeit zu verschwenden und den Weg freimachen.“
„Ich richte es ihnen aus, Captain.“ Mit einem schrillen Piepton brach die Verbindung ab.
Thomas J. Kinski, ausgezeichneter Captain der D.E. Entenreis, setzte unbeirrt und festen Schrittes seinen Marsch durch das Schiff fort.
Diese verdammten Vulaner und ihre verquerte Chaoslogik. Aber auch sie würden ihn nicht mehr von seinem endgültigen Ziel abbringen. Jetzt hieß es hartnäckig den Blick nach vorn richten, niemals zögern, immer in Bewegung bleiben. Nach der nächsten Biegung kam Kinski jedoch ins Stocken und wenige Meter weiter zum Stehen. Zehn, vielleicht fünfzehn Sekunden. Viel zu lange um einfach weiterzugehen. Mit einem Seufzer auf den Lippen wandte er sich um. Seine Augen suchten die Wände ab und blieben bei einem kleinen Belüftungsgitter hängen, an dem er sich niederkniete.
„Mister Pfft“, rief er in die Dunkelheit hinein, zumindest so gut, wie man ‚Pfft’ rufen konnte. „Rauskommen!“
Ein schmatzendes Geräusch war hinter den Gitter zu hören, das langsam lauter wurde.
„Sofort“, setzte er nach. Das Geräusch gewann nun deutlich schneller an Intensität und eine leichte Vibration war zu spüren. Kinski stand auf und trat einige Schritte zurück um seine Schuhe in Sicherheit zu bringen. Endlich kam Pfft aus dem Schacht herausgekrochen. Erst tröpfchenweise, dann immer volumenreicher drückte sich der zähflüssige Klumpen Protoplasma durch die kleinen Belüftungslöcher, bis er fast kniehoch vor Kinski hin und her waberte.
„Mister Pfft…“
Die Missbilligung in der Stimme des Captain musste auch für den Angesprochenen hörbar gewesen sein. Um zumindest ein Teil seiner Würde zu retten, versuchte Pfft sich auf Kopfhöhe aufzuraffen, verlor allerdings auf halbem Weg das Gleichgewicht. Mit einem lauten Klatschen prallte er gegen die Wand und begann langsam an ihr herabzufließen. Seine bisher gesammelte schwarze Farbe machte nun Platz für ein Gefühl von Frustration und Scham, also ein Mix aus dunklem Orange mit einem überlappenden Ton von Grün.
„Stehen Sie bequem.“ Beruhigte ihn Kinski. Zum Glück interpretierte sein Gegenüber ihn richtig und ging in seine Ausgangsposition zurück.
„Immer noch auf Jagd nach mehr Hirnkäfern nehme ich an?“ Betroffene Stille. Nicht mal eine Zuckung war auf der öligen Fläche wahrzunehmen.
„Pfft, Sie wissen genauso gut wie ich, dass Dorfs letzte biologischen Analysen negativ ausgefallen sind.“
Nun bildeten sich doch protestierend rötliche Blubberbläschen.
„Nein“, konterte Kinski bestimmend „Auch wenn ich Ihre Sorge um die Crew für löblich halte. Ich kann es nicht dulden, dass einer meiner Sicherheitsoffiziere ständig versucht sein Urteil über das der anderen zu stellen.“
Wie lange stand er nun schon hier und unterhielt sich mit diesem sturen Blob? Eine halbe Minute? Zwar schrumpfte die rote Schaumdecke auf Pffts Körper wieder deutlich zusammen, dennoch fügte er noch vorsichtshalber hinzu: „Vielleicht würde es helfen, wenn ich eine Besprechung einberufe, um die potentielle Gefahr neu einzuschätzen?“
Das wirkte. Wenn etwas in Pfft stärker ausgeprägt war als seine Paranoia, dann sein schier inbrünstiger Hass auf langwierige Diskussionen. Besiegt machte er sich untertänig platt, während seine Stimmung zu einem trüben Blau wechselte.
„Ich sehe das dann mal vorerst als erledigt.“ Mit seiner Arbeit zufrieden, nickte er seinem Untergebenen zum Abschied zu und ließ das kümmerliche Stück Elend hinter sich. Nur weil der unverwüstliche Schleimklumpen keinen Hals hatte, an den ihn Kinski hätte erwürgen können, machte ihn das noch lange nicht für die Autorität des Captain unantastbar.
Um die verlorene Zeit wiederaufzuholen beschleunigte Kinski seine Schritte. Bald hatte er die Hälfte der Strecke zurückgelassen und war nun im allgemeinen Crewbereich. Es ging einige Gänge weiter an der Tür zur Krankenstation vorbei. Wieder hielt der Mann kurz inne. Eigentlich viel zu lange um einfach weiterzugehen. Er tat es trotzdem. Mindestens zehn Mal in dieser Woche hatte er versucht mit McRoy zu reden und jedes Mal war er an seiner eigenen Unsicherheit gescheitert. Dabei war Kinski ein sehr umgänglicher Mensch und bestimmt nicht leicht durch andere eingeschüchtert. Aber nach so viele Jahren Dienst auf dem gleichen Schiff hatte sich eine Art freundschaftliches Band zwischen ihm und ‚der Spritze’ entwickelt. Kurzum: er respektierte den Doktor zu sehr, um es sich leicht zu machen.
Was jetzt noch von dieser Verbindung übrig war, nun nachdem das Programm ‚Menschheit für Toleranz’ auch auf die Entenreis übergegriffen hatte, konnte Kinski nicht genau einschätzen. Es war jedenfalls offensichtlich, dass McRoy ihm diese Neuentwicklung persönlich übelnahm und ganz besonders seitdem Ba’Tunk auf der Station arbeitete.
Er war ein weiterer Grund warum Kinski diesem Ort aus dem Weg ging. Der Kerl machte ihm Angst. Eigentlich machte er jedem von der Crew Angst, zumindest denjenigen, die zu dieser Gefühlsregung fähig waren. Schlimmer noch, er tendierte dazu oft und bei den ungünstigsten Gelegenheiten Sprösslinge zu gebären. Auf der kleinen Säuglingsabteilung gingen bereits die Plätze aus. Trotzdem hatte Ba’Tunk Kinski zu beruhigen versucht. Bei Platzmangel könne man mit einem einfachen Test den genetisch minderwertigen Nachwuchs schnell aussortieren und über die Luftschleuse entsorgen. Diesen Vorschlag aus dem Mund des stellvertretenden Chefarztes zu hören trug nicht gerade zu Kinskis Beruhigung bei.
‚Menschheit für Toleranz’ also. Er schüttelte den Kopf. Eigentlich hatte das Programm recht, Menschen brauchten mehr davon. Zumindest was Stresstoleranz anging gab es spürbare Defizite. Das vor allem die kommandierenden Offiziere darunter zu leiden hatten war Kinski bewusst, harmlos ausgedrückt. Eine solch artenreiche Crew unter sich zu haben war ein einziger organisatorischer Alptraum. Von Sprachbarrieren und kulturellen Differenzen ganz zu schweigen. Außerdem mussten Schiffseinrichtungen und Ausrüstung, den neuen Bedingungen angemessen, umgestaltet werden. Spätestens hier blieb kein Mensch verschont. So verursachten die angepassten Ruftöne des Kommunikators bei vielen Leuten Migräneanfälle. Neuerdings hatte jemand auch noch das Gerücht in die Welt gesetzt, ‚Menschheit für Toleranz’ sei nur eine Studie, inwiefern sich intelligente außerirdische Lebensformen effektiv als Arbeitskräfte einsetzten lassen. Der Mensch würde dem Menschen quasi zu teuer. Die Besoldung für Außerirdische hingegen war zwar größtenteils exotisch aber meistens durchaus erträglich. Zum Beispiel ließ sich Sabrina, der Müllmann, allein mit glänzenden Kieseln bezahlen. Kinski wusste nicht, was er von dem Gemunkel halten sollte. Auf jeden Fall sorgte es dafür, dass McRoy nicht der Einzige war, der einen Groll gegen ihn hegte.
Was ihm selbst am meisten sowohl physisch als auch psychisch zusetzte, war der Verlust der Turbolifte. In den letzten Jahren hatte man herausgefunden, dass diese Wunderwerke moderner Technik für nichtstoffliche Wesen gefährlich, sogar tödlich sein konnten, wenn sie während einer Fahrt aufeinandertrafen. Kinski hatte sich seither mehrmals gefragt, wie nichtstoffliche und stoffliche Objekte überhaupt miteinander kollidieren konnten aber eine verständliche Antwort dazu bekam er bisher nie. Nun wurden die Lifte nicht direkt aus dem Schiff entfernt. Stattdessen wurde ihnen eine automatische Sicherung einprogrammiert, damit sie zum sofortigen Stillstand kamen, wenn ein nichtstoffliches Crewmitglied in die Nähe war. Eigentlich eine sensible Lösung mit einem winzigen Problem: es stellte sich schon sehr bald heraus, dass ihr Nichtvorhandensein einer physischen Hülle nicht nur diverse Regeln der Naturwissenschaft brach, sondern dass dieser Mangel auch eine ungeheure Wanderlust in den Nichtstofflichen auslöste. Diese Kerle hielten einfach nie still. Nicht für eine Sekunde. Und sie reisten schnell. Das hatte zwar vielleicht irgendwo seinen pragmatischen Nutzen, machte allerdings die Fahrten mit dem Turbolift zu einer einzigen Ruckelpartie, die sich Kinski nach einer Weile nicht mehr aussetzen wollte.
Dieser stand nun vor einer Tür, hinter der die letzte große Hürde seiner Reise lag. Mit einem leisen Zischen wich sie zur Seite. Das Treppenhaus war in völlige Dunkelheit getaucht. Verärgert griff Kinski zum Kommunikator. „Bobby?“
Eine stark akzentuierte Bassstimme antwortete. „Ja Captain?“
„Die Lichter im Treppenhaus B5 gehen nicht an. Machen Sie Mumon bitte mal etwas Feuer unterm Hintern, ja?“
„Ich werde es versuchen, Captain. Es könnte aber eine Weile dauern. Er ist heute wieder mal etwas zerstreut wenn Sie verstehen.“
Was anderes hatte Kinski nicht erwartet. Mumon, der Mann, der niemals schlief und niemals krank wurde. Jemand musste ziemlich begeistert von der Idee gewesen sein. Jedenfalls genug, um ihm extra eine eigene Arbeitsstation einzurichten, die dann auch nur er benutzen konnte. Für eine Weile lief es überraschend gut. Bobby erzählte Kinski sogar einmal, der Außerirdische wäre stets zuverlässig, verstehe was von seiner Arbeit und hätte einen angenehm unaufdringlichen Charakter. Das alles änderte sich nach einer Kollegenfeier vor einigen Tagen, bei der der große und recht angetrunkene Mumon versehentlich zwei pimpische Techniker zerquetschte. Eine sehr hässliche Geschichte, aus der Mumon jedoch, juristisch gesehen, mit einem blauen Auge davonkam. Seine pimpischen Kollegen waren für ihn ein größeres Problem, denn Pimpers sind ein rachsüchtiges kleines Völkchen. Gott sei Dank verstanden diese Teufel von Medizin noch weniger als von Elektromechanik, so dass ein versuchter Giftanschlag lediglich dazu führte, dass Mumon für eine Weile seine gelähmten Tentakel hinter sich herschleifen musste. Nachdem Kinski einige Exempel statuiert hatte, war es endlich wieder still im Maschinenraum geworden. Leider war Mumon ein Sensibelchen und die Ereignisse lasteten schwer auf ihn. Er wurde seitdem zusehends unkonzentriert und fahrlässig. Wenn die Depressionen anhielten, würde Kinski ihm einen Seelenklempner runterschicken müssen. Aber noch hatte das Zeit.
Langsam tastete Kinski sich nach vorne und fand bald am Treppengelände sicheren Halt. Von dort aus versuchte er so schnell wie möglich, die sieben Etagen über sich zu bewältigen. Wie immer um sich abzulenken sinnierte er dabei den guten alten Zeiten hinterher.
Zu gern erinnerte er sich etwa an seine spannenden Eskapaden mit den Kriegeramazonen auf dem roten Mond. Damals kamen die Probleme noch vor allem von außerhalb. Wie dieser komische Stein, der ihm einmal die Lebensenergie aussaugen wollte. So was in der Richtung eben. Irgendwo tief unter seiner Haut verspürte er es immer noch, diesen unersättlichen Hunger nach Abenteuer, die Sucht nach dem Unbekannten! Heute fiel es ihm deutlich schwerer, sie zu rechtfertigen. Jetzt, wo man ihm Aufregung und Exotik sozusagen im eigenen Wohnzimmer abgestellt hatte. Manchmal, wenn es Kinski wirklich hochkam, sehnte er zu den Jahren zurück, als Strock das Ungewöhnlichste gewesen war, was man auf der Brücke zu Gesicht bekam und er selbst noch im Glauben lebte, dass es nicht verrückter werden könnte, als mit der Theorie der Chaoslogik. Reines Wunschdenken, musste er sich danach immer eingestehen und dazu auch noch trügerisch. Dieser Abschnitt seines Lebens hatte seine eigenen Tiefpunkte gehabt. Trotzdem kam er nicht umhin daran zu denken, was für ein entscheidender Unterschied es war, mit fremden Lebensformen zu arbeiten anstatt sie zu scannen oder zu befrieden oder im Notfall auf sie zu schießen. Einigen Mitgliedern der ursprünglichen Besatzung würde Gewaltanwendung bestimmt deutlich leichter fallen als früher.
Bei diesem Gedanken zog Kinski einen Schlussstrich. Wenn er sich nicht verzählt hatte, war er nur noch wenige Stufen von der richtigen Etage entfernt. Vorsichtig wechselte er zum Gelände auf der anderen Seite, um die Tür nicht zu verpassen. Als diese sich öffnete, erschien der sich ausbreitende Lichtschein für Kinski wie eine einladende Geste des Himmels. Nur noch ein paar Meter, dann war es geschafft. Vorher mussten allerdings ein letztes Mal die Dienste des Kommunikators in Anspruch genommen werden.
„Kinski an Brücke.“
„Ja Sir?“
„ Utuba, wie sieht es mit unserer Flugroute aus?“
„Alle vulanische Schiffe scheinen sich aus dem Sektor zurückgezogen zu haben, Captain. Wir sollten in den nächsten zwölf Stunden wieder Föderationsraum erreichen.“
„Sehr gut.“ Kinski konnte bereits in der Entfernung den Eingang zu seiner Privatkabine erspähen. „Ist Mister Renard bereits auf Deck?“
„Anwesend Sir“, meldete sich die verrauchte Stimme seines ersten Offiziers.
„Sie haben das Ruder, James. Bringen Sie mein Schiff sicher nach Hause.“
„Wird gemacht, Captain.“
„Und passen Sie auf Kadett Jilk auf“, fügte Kinski auf einer privaten Frequenz hinzu. „Ich glaube er versucht womöglich wieder sich in der vierten Dimension vorm Dienst zu drücken.“
„Ich werde ihn im Auge behalten.“
Allen gesunden Menschenverstandes zum Trotz blieb Kinski für einen Augenblick auf seiner Türschwelle stehen.
„Viel Glück, James.“
„Danke Sir.“ Der wehleidige Unterton war kaum zu überhören gewesen.
Heim in den eigenen vier Wänden. Ohne sich mit dem Lichtschalter abzumühen, ging Kinski wie auf Schienen zum gegenüberliegenden Fenster. Dort angekommen schlug er eine scharfe Linkskurve ein und stand einen Schritt weiter vor seinem Arbeitssessel, in den er sich prompt fallen ließ. Für einen Moment sog er genüsslich die Ruhe dieses Raumes in sich auf, bevor er begann seine schmerzenden Beine zu massieren. Nach einigen Minuten hörte er wie sich die Eingangstür ein weiteres Mal öffnete. Wenige Sekunden später begann die Deckenbeleuchtung das Zimmer im matten Schein zu erhellen.
„Tim?“, fragte eine Frauenstimme vorsichtig. Kinski rang sich ein lautes Stöhnen ab. Er hörte wie sich ihm von hinten schwere Schritte näherten. „Oh.“ Lea musste ihn offensichtlich entdeckt haben. Kraftvolle Hände griffen nach seinen verkrampften Schultern und begannen sie durchzukneten. Er lehnte sich zurück und ließ es eine Weile über sich ergehen.
„Immer noch soviel Stress bei der Arbeit?“ Sie sprach langsam, beinahe behäbig.
„Hör bloß auf.“ Die Hände ließen von ihm ab und er drehte sich im Stuhl zu Lea um.
„So schlimm?“, erkundigte sie sich.
Kinski warf einen kurzen Blick aus dem Fenster. „Man nennt es nicht umsonst die polarisierte Zone, schätze ich.“ Er wandte sich wieder ihr zu. „Und selbst?“
„Ach ja, arbeitsreich wie immer.“ Sie verschränkte die Arme. „Sie haben da eine ziemlich bunte Crew unter sich, Captain Kinski. Viel emotionales Ungleichgewicht. “
„Ich presse sie noch auf einen einheitlichen Grauton zusammen, keine Sorge.“
„Besser nicht“, erwiderte Lea amüsiert „Ein wenig Beschäftigung kannst du mir schon noch übrig lassen.“ Ihre Arme fielen wieder herunter und sie bewegte sich nach Nebenan in Richtung Kochnische. „Wie steht es mit unserer Gnadenfrist?“, rief sie ihm zu, als sie aus seinem Blickfeld verschwunden war.
„Vielleicht sechs Stunden?“, schätzte Kinski. Renard leistete als erster Offizier beachtliche Dienste aber auch er war letzten Endes nur ein Mensch.
„Hm, hast du noch Hunger?“ Man konnte hören, wie sie sich an seinem Kühlschrank zu schaffen machte.
„Ich hab schon in der Kantine gegessen, danke.“
„Isst du den Salat noch?“
„Nein, kannst du haben.“
„Danke!“ Die Seitenwand erzitterte leicht, als Lea die Kühlschranktür wieder zuwarf.
„Weißt du“, er griff sich nachdenklich einen Stift von seinem Schreibtisch „Eigentlich müsste ich meinen Erfahrungsbericht über das Integrationsprogramm zu Ende schreiben.“
Lea blieb gleichmütig. „Tun Sie, was Ihre Pflicht ist, Captain.“
„Gibt es etwa Alternativen?“
„Uns wird schon etwas einfallen.“, erwiderte sie geheimnisvoll.
Für Kinski reichte das bereits. Beiläufig legte er den Stift an seinen Platz zurück und streckte die andere Hand nach der Wandkonsole aus. Kurz darauf beherrschte Miles Davis mit seiner Trompete die Akustik der Kabine. Kinski erhob sich und schlenderte zu Lea herüber, die sich auf seiner Couch scheinbar damit vergnügte, ihren Bauchpanzer mit Salatsoße zu bekleckern. Bevor er sich neben sie setzte, ließ er seine Erfahrungen, die er auf seinen Weg hierher gesammelt hatte Revue passieren. Er würde für Pfft dringend eine neue Aufgabe suchen müssen, bevor der Blob anfangen könnte ihnen allen aufs Dach zu steigen. Vielleicht sollte er ihn zusammen mit McRoy auf einen Forschungseinsatz schicken. Dann hätte der gute Doktor wenigstens für eine Weile vorm seltsamen Ba’Tunk seine Ruhe. Was Mumon betraf, nun, eine Psychiaterin war gerade in Reichweite. Er würde noch auf den seelengepeinigten Elektromechaniker zu sprechen kommen. Für seine ganzen anderen Probleme musste er sich noch was einfallen lassen.
Sein Gesäß hatte die Sitzfläche des Sofas erreicht. „Ja“, seufzte er in Gedanken „Integration ist schon dämlich.“ Aber solange alles andere so gut war wie jetzt wo sein Blick sich im unergründlichen Sternenmeer vor seinem Fenster verlor, Miles seine Trompete anstrengte und Lea neben ihm geräuschvoll am Salat kaute würde Kinski schon durchhalten, irgendwie.
 

Basti50

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hey ihr zwei!

Freut mich sehr, dass die Geschichte bei euch Anklang gefunden hat.
Ich muss hier wohl beichten im Next Generation Zeitalter aufgewachsen zu sein und daher nur wenig mit dem Original der Vulaner zu tun hatte. Jetzt, wo ich auf YouTube einen kleinen Nachholkurs belegt habe, muss ich mir schlimme Fehldarstellung eingestehen und habe entsprechende Veränderungen am Anfangsdialog vorgenommen.
Was die Unterwäsche angeht, dafür gab es sowohl eine storytechnische als auch eine pragmatischen Grund. Vulaner glauben nämlich, dass, wenn man zur einer gestellten Frage tausend blöde Antworten gibt, sich von genau einer dieser Antworten die richtige Lösung ableiten lässt. Das klingt zwar jetzt nach viel, wenn man aber mal ganz ehrlich zu sich ist fällt einem auch schon ziemlich viel Blödes ein. Schwerer wird es die richtige Antwort herauszusuchen. Dies zu meistern ist das Ziel eines jeden Vulaners. Das wäre dann die Theorie der Chaoslogik (ich wünschte mir echt, ich hätte irgendwo für eine Erklärung Platz gefunden, ohne den Text in die Länge zu ziehen). Leider tendieren Vulaner nach längerer Zeit untereinander dazu, ihre Antworten ungefiltert weiterzugeben, da ihre Zuhörer normalerweise in der Lage sind, diese logisch umzuinterpretieren. Daher die etwas konfuse Sache mit der Unterwäsche.
Außerdem hatte ich dringend was gebraucht um den Leser von den eher plumpen Namensverdrehungen abzulenken.
Gibt es sonst noch etwas am Text auszusetzen? Ist ja schließlich kein Kuschelforum hier, gel? :D
 

flammarion

Foren-Redakteur
Teammitglied
meckern?

nö.
der erste lacher ist schon, sich klaus kinski als käptn kirk vorzustellen und wie er wohl diese rolle gespielt hätte. da lieg ich schon mal lang vor vergnügen.
und dann pfft rufen - wer das meistern will, braucht ein tolles organ.
und weiter geht es mit gags und herrlichen visionen.

schön, ein paar kleine fehlerchen sind schon drin, aber man übersieht sie leicht bei so viel spaß.
lg
 



 
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