Intellektuellen-Café

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Es gibt im Dezember nichts Schöneres, als dem immerzu trübselig sonnigen Wetter in Kalifornien zu entfleuchen. Jahraus, jahrein immer dasselbe. Sonne bis zum Abwinken, Swimming Pools zum Überlaufen. Mit anderen Worten: es war deprimierend. Meine Freundin Natasha und ich lechzten nach Jahreszeiten, nach richtigem Wetter, nach derber Natur und entfesselten Gewalten. Wir flogen also nach Paris.

Dort empfingen uns endlich die heiß ersehnten, tückischen Windböen, der feucht kriechende Nieselregen, der muffige Zigarettenrauch. Kalter Abendnebel schlich sich in unsere Mäntel. Begierig sog ich den Mief dieser Stadt ein. Ich wachte in einem vollbesetzten Café wieder auf.

Wie ich hierher gekommen war, wusste ich nicht. Wer war dieses gutaussehende Fräulein mir gegenüber? Ach richtig, das war Natasha. Meine tränenden Augen gewöhnten sich nur langsam an das matte Licht des Cafés. Ich entzifferte den Schriftzug über dem Eingang: »Café de Flore«.
Der Name erinnerte mich an etwas. War das nicht eines der wenigen Cafés außerhalb Wiens, wo Wiener Würstchen unter der richtigen Bezeichnung »Frankfurter« verkauft wurden? Dieses so verkannte, zarte Wurstwerk, ein Tiefflieger unter den Angebern und gerade deshalb so sympathisch knackig? Mit Senf und einer Semmel und der rosa Haut eine Kombination an erlesenstem Savoir vivre bildend? Mir lief das Wasser im Munde zusammen. Ich bestellte eine Gemüsesuppe.

An der Suppe knabbernd, fiel mein Blick auf die Wand. Von dort gafften uns einige Prominente aus Schwarzweißfotos an. Es dämmerte uns langsam. Das musste ein absolutes In-Café sein, eines, wo sich die Schickeria von Paris abends trifft, um tief schürfend über Politik zu philosophieren, die Zukunft der Menschheit zu diskutieren oder die langen Beine der blonden Soubrette da drüben. Zuerst mussten wir aber herausfinden, welche Schickeria sich hier traf. Filmstars, Fußballspieler oder gar ein paar verhungernde Künstler?

Natasha kniff die Augen zusammen und versuchte die Namen unter den Abgelichteten zu entziffern.
„Si..mo..ne de Beaur…doir und Jean-P. Satin, oder so“, stotterte sie blinzelnd.
„Komische Namen. Simone de Bordure und Jean-P. Satin“, wiederholte ich laut vor mich hin. Ich kramte in meinen Gehirnwindungen. Nach 2 Kurven war ich am Ende angelangt.

„Ganz gewiß irgendwelche bekannten Modedesigner“, gab ich von mir.

Mir konnte man nämlich nichts vormachen, ich kannte mich zu gut aus. Wo Modedesigner waren, konnten Intellektuelle und Künstler nicht weit sein, die sich wie Motten um das Licht scharrten. Natasha und ich sahen uns unauffällig um. Unsere Blicke trafen auf ein japanisches Pärchen, das ebenfalls forschend durch den Raum glubschte. Man konnte aus ihren geifernden Gesichtern leicht ablesen, dass sie auf der Suche nach Prominenten waren. Sie hielten ihre Fotoapparate schussbereit. Die Leute haben doch keinen Anstand mehr.

Natasha fingerte gerade nervös an ihrem Fotohandy, ich streichelte meine Videokamera, da ging die Tür auf. Eine Unruhe erfasste die wartende Schar, aber es trat nur ein deutsches Paar mit ihrem hechelnden Schäferhund ein. Wir alle nahmen sofort Position ein und machten uns so breit als möglich, um die Sitze zu blockieren. Wir brauchten doch dieses Touristenpack nicht in unserem Café, wir brauchten Prominente, oder zumindest ein paar Intellektuelle.

Um Punkt 21 Uhr geschah es: das Licht begann unvermutet zu flackern, der Schäferhund des deutschen Paares verkroch sich winselnd unter den Tisch, mir fiel mein offener Hosenschlitz auf. Am Eingang erschien ein dunkler Schatten, quietschend öffnete sich die Tür, neben uns stockte den Japanern der Atem.

Ein zerknautschter Intellektueller trat ein, unter dem Arm hatte er eine gefleckte Plastiktasche eingeklemmt, sein wirres Haar bedeutete geniale Zerstreutheit. Offensichtlich war er ein Chemie-Student höheren Semesters, wie ich anhand des von ihm ausgehenden, strengen Geruches ermitteln konnte. Nicht umsonst war auch ich damals, als ich noch jung und schön war, Student der Chemie gewesen. Die Odeurs der Chemikalien hatte sich immer unabwendbar in die feinen Tücher der Jeans und T-Shirts geschlichen, in die wir gewandet waren. Jetzt, nur noch schön seiend, erkannte mein fachmännisches Schnüffeln eindeutig Ethanol, Hopfen und Malz und, ja, ich schnupperte richtig, Nikotin. Was man den jungen Chemikern heutzutage nicht alles zu synthetisieren gab. Grausam.

Diese Blüte unserer Jugend setzte sich an einen plötzlich freigewordenen Tisch, mit dem Rücken zur Wand. Er blickte sympathisch gedankenverloren in den Raum, bestellte - wie wir begierig von seinen Lippen ablesen konnten - eine Melange, warf eine Zigarette an und schon war er mit leisen Sauggeräuschen an seinem Glimmstengel nuckelnd in ein Büchlein vertieft. Ein Bild des Geistes bot sich vor uns, in reinster Form vergegenwärtigt. Wir betrachteten ihn entzückt, so sehr hatte diese Ausgeburt des Intellekts uns verzaubert. Nicht alle waren dieser Ehre würdig, wie wir missbilligend erkennen mussten. Die Anwesenden warteten lauernd eine günstige Gelegenheit ab, um sich mit ihm fotografieren zu lassen. Es gibt eben keinen Anstand mehr.

Die Spannung stieg ins Unerträgliche. Die Japanerin sank ohnmächtig vom Sessel. Scharf nachdenkend nagte ich an den Fingernägeln, fingerte an den Zuckerstreuern herum, und tätschelte die Kellnerin am Po. Wir hier in Paris und dieser Intellektuelle mit uns am Bild. Wie sollten wir es nur anstellen? Wer weiß, ob wir da nicht einen zukünftigen Einstein oder zumindest Sozialhilfeempfänger vor uns hatten? Dann war dieses Foto Gazillionen wert.

Natasha hatte eine Idee. Sie würde ihn bitten, ihr das Büstenhalterhäkchen zu schließen und in diesem Moment solle ich abdrücken. Sie lächelte diesen widerwärtigen Studenten von Ferne an.

Diese Idee war natürlich hirnrissig. Wie jeder wusste, sind intellektuelle Studenten allesamt schwul. Die pfeifen sich einen auf Frauen. Da musste schon so ein Prachtkerl wie ich ran. Ich fing den Kellner mit der Melange ab, und nachdem einige größere Münzbeträge den Besitzer gewechselt hatten, trug ich in ruhigen, gesetzten Schritten den Kaffee zu seinem Tisch hin. Natasha schmollte im Hintergrund, aber sie war knipsbereit.

Der Tisch war schon in Griffweite, da grapschte die kalte Hand der Japanerin nach meiner Wade. Dieses Biest hatte ihre Ohnmächtigkeit nur vorgetäuscht, wie ich im Fallen erkennen konnte. Mit dem deutschen Pärchen zeitgleich stürzte sich der Japaner über mich und versuchte an allen vorbeirempelnd den Tisch des Studenten zu erreichen. Er hatte aber nicht mit der Heimtücke des von mir gezielt vor seinen Latschen geleerten Kaffees gerechnet, er schlitterte auf der noch ungezuckerten Soße am Tisch vorbei und riss die Deutschen mit. Natasha, auch nicht von schlechten Eltern, war der Japanerin auf die Zöpfe gestiegen und gemeinsam hatten wir uns an den Studenten gepresst, Kamera gezückt und den Auslöser gedrückt.

Der Student röchelte benommen an der verschluckten Zigarette. Vom Blitz erblindet winselte er um Gnade. In feinstem Wienerisch, wie mein geübtes Ohr erkannte.

„Hülfe, wos is’ g’schehn? Wo bin I? Was bin I? Wohin geh I nachher essen?“

„Wiener?“ frug ich mit erstaunt erhobenen Augenbrauen. „Hier in Paris? Sie sind sicher ein Austauschstudent?“

„Na, Bledsinn. I bin da Krahammer Ferdl aus Ottakring.“ „Heut’ woa doch des Match zwischen Rapid und von solche Pariser Bloßfiassige.“

Ein Fußballfan, ein elendiger? Ich glaubte meinen Ohren kaum zu trauen. Mein Zorn wuchs. Ich bellte ihn an: „Und was machen Sie dann hier in diesem Intellektuellenkaffee?“

„Ane rauchen, vor’m Match?“ Er blinzelte sehuntüchtig wimmernd in alle Richtungen. „Eigentlich bin I ja bei jeder Randale dabei, oba so was hob’ I no net erlebt. Losst’s mi geh, i werd’ a nie wieder ane rauch’n.“

Ich blickte ihn angewidert an. Verständlicherweise war ich empört, Natasha schnaubte. Dieser Halunke hatte alle getäuscht und uns die echten Intellektuellen und Prominenten verscheucht. „Na dann gehen Sie, aber lassen Sie sich nie wieder hier blicken. Das ist immerhin ein anständiges Lokal.“

Er verschwand eilends unter Dankesbezeugungen, rempelte blitzblind noch ein paar Tische um und draußen war er. Die Japaner und Deutschen eilten ihm nach. Durch seinen starken Dialekt hatten sie den Sinn seiner Worte nicht verstanden.

Wir sassen erzürnt da. „Wo dieses Geschmeiß nun heute schon überall auftaucht. Nicht mal hier, kann man unter Seinesgleichen bleiben. Unter uns wohlerzogenen Intellektuellen“, grummelte ich, während ich die Reste des Kaffees vom Boden leckte.
 

Inu

Mitglied
Hallo Marius Speermann

Meine Spontanreaktion nach dem ersten Lesen:
Das ist grauenvoll. Eher zum Heulen als zum Lachen. Und ( für meine Begriffe) immer kilometerbreit an der Pointe vorbei. Das ist mir zu gewollt skurril. Und missglückt. Ist das wirklich Wiener Humor???

Liebe Grüße :(
Inu
 
Liebe Inu,

Danke für Dein Feedback. Was genau ist grauenvoll? Kannst Du das genauer beschreiben?

Wiener Humor (schau Dir mal die Serie "Kottan ermittelt" an) ist auch manchmal sehr skurril.

Interessant ist die Bandbreite der bisherigen Bewertungen.

Marius
 
G

Gelöschtes Mitglied 4259

Gast
Ja, die Erzählhaltung ist merkwürdig bemüht bis hölzern steif. Man könnte auch sagen: schlecht konstruiert, das Stückerl.
Ist es wirklich sinnvoll, Personen, die selbst dem "gebildeten Zeitungsgucker" (Bildzeitungsleser, sorry) bekannt sind, als Modedesigner flachzulegen?

Ein paar Fehlerchen haben sich auch eingeschlichen. Heißt es "scharrten" oder "scharten"? "Sassen" oder "saßen"? Einige Kommas sind an die falsche Stelle geraten, aber da will ich nicht weiter drauf insistieren.

Insgesamt frage ich mich ebenfalls, wieviel der Text mit Wiener Humor zu tun hat.

P.
 

Gorgonski

Mitglied
Den ANfang finde ich ganz gut, dann aber artet die Geschichte in Chaos, zuviel Chaos aus.
Ich denke man könnte einiges/vieles umschreiben und die Story retten.
Gut (als Insider ;-)) fand ich, daß der vermeintliche Intelektuelle ein gewöhnlicher Fußballschläger ist. Das eine muß ja das andere nicht ausschließen, habe so manche Soziologen schon entdeckt.


Fehler:
die sich wie Motten um das Licht [strike]scharrten[/strike]

MfG ;Rocco
 
S

Saurau

Gast
ich hab ihn sehr lustig gefunden, obwohl ich niederösterreicher bin und nur in wien studentisch passiv.
bloß die wichtigste frage: ist das match schon gelaufen oder wartet der ottakringer noch darauf? da widersprichst du dir nämlich. ("Heut’ woa doch des Match..." bzw: "Ane rauchen, vor’m Match?")
zu den vorwürfen: die haben sich wohl wat lustiges erwartet, nich? so comedy eben.
die - mit verlaub - saublöde und gerade deshalb ziemlich witzige handlung finde ich sprachlich in den meisten fällen gut umgesetzt. wie es halt ist mit den texten, wo man denkt: das hätte ich auch schreiben können...

liebe grüße von mir!
 



 
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