Das Herz zerklopft mir die Brust vor Angst. Es ist das erste Mal, dass ich dich sehen werde. Bisher kenne ich nur bruchstückhafte Worte von dir, unterbrochene Buchstabenfolgen, symbolisch verschlüsseltes Zwinkern und Lachen. Deine Stimme kenne ich auch. Dein jungenhaftes Lachen am Telefon, still, kaum wahrnehmbar, schüchtern, als wärest du unsicher. Einmal konntest du gar nicht aufhören, dabei war das, was ich gesagt hatte, gar nicht so lustig. Aber du lachtest in einem fort und es knackte so komisch in der Leitung. Alex, was lachst du so, fragte ich und du lachtest immer weiter. Es war mir unheimlich.
Nicht einmal ein Foto hast du mir geschickt, aus Angst, du könntest meinen Traum zerstören. Du hattest nicht damit gerechnet, dass ich eines Tages plötzlich vor dir stehen würde und nun, nun ist er gekommen dieser Tag.
Mein dunkelrotes Haar habe ich zu einem Pferdeschwanz gebunden mit einem schwarzen Samtgummi. Meinen Körper habe ich ausgehungert, um dich mit Bewunderung zu erfüllen. Knochig sind meine Hüften und mein Gesicht hat jetzt deutlich sichtbare Wangenknochen. Meine Kleidung ist schwarz, weil das deine Lieblingsfarbe ist. Hinter meinen Ohrläppchen schimmern duftende Tautropfen. Ich trage mit Absicht keinen BH, damit meine Brustspitzen dich provozieren, wenn ich auf dich zugehe. Das erste Mal. Alles habe ich inszeniert in unendlichen Gedankenspielen jeden Abend vor dem Einschlafen.
Der Zug hält an und mein Herz hüpft als erstes auf den Bahnsteig. Es hat sich verselbständigt und ich schiebe meinen angsttauben Körper hinterher. Wo ist er nur mein Hochmut, wenn ich ihn brauche? Mit den Augen suche ich dein liebes Gesicht. Ich kenne es nicht, aber ich bin mir sicher, dass es lieb ist. Es kann gar nicht anders sein, denn ich weigere mich an die Inkongruenz von Traum und Realität zu glauben.
Da spüre ich etwas Warmes, Weiches auf meinen Augen. Es müssen deine Hände sein. Kuckuck, sagst du, Kuckuck. Und dann gibst du meinen Blick frei. Ich stehe vor dir, du bist so groß, bestimmt zwei Köpfe größer. Ich vergesse zu atmen, dein Gesicht ist so nah, ich kann danach greifen. Dein Atem verirrt sich in meinem Haar. Du lächelst verstört und ich merke, dass du jemand anders bist.
Verlegen laufen wir den Bahnsteig entlang, es zieht wie Hechtsuppe. Der Vergleich stammt von meinem Vater. Was hat er mit uns zu tun? Du schweigst, wie ein Grab und ich gebe einem Penner ein Geldstück, um handeln zu können. Der Penner lächelt zahnlos und spuckt aus. Ein grüngelblicher Rotzfleck landet neben einem benutzten Papiertaschentuch. Der Zug, mit dem ich gekommen bin, zieht weiter. Eine ungeahnte Fremdheit ummantelt mich kalt und ich fange an zu laufen. Immer schneller laufe ich, weg von dieser Szene. Ich will mich in Sicherheit bringen, so als würde ich von einer unsichtbaren Gefahr bedroht.
An der Bahnhofsmission treffen wir uns wieder. Wir löffeln stumm heiße Erbsensuppe aus tiefen Papptellern und du lachst plötzlich und sagst, ich bin nur eine Summe von Emails. Ich betrachte deine alten Turnschuhe und lache auch. Mein Magen fühlt sich schwer an, es schwimmen lauter heiße Erbsen darin. Blind Date, sage ich. So ist das. Willst du wieder zurück, fragst du ernst geworden und nun stelle ich fest, dass deine Augen wirklich graublau sind. So stelle ich mir Gletscherseen vor. Genau so eiskalt.. Nein, ich bleibe noch etwas bei dir, sage ich ruhig. Deine Wohnung habe ich noch nicht gesehen und dein altes Klapperauto auch nicht. Du kratzt dich am Kinn und nun bemerke ich erst deinen hellen Bartflaum, so, als hätte ich davor alles nur verschwommen gesehen, wie in einem Rausch.
Zu dir oder zu mir, fragst du gekünstelt und prustest los. Eine Putzfrau leert einen Abfalleimer neben mir. Ich lache mit dir und dabei kommen mir die Tränen.
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Habe keine Angst vor dem (Reiß)wolf...
Zuerst sind es nur aneinandergereihte Buchstaben auf einem Bildschirm. Dann entstehen Bilder im Kopf. Virtuelle Wahrnehmung verschaukelt die Sinne. Der Verstand verhindert nicht Erwartungen. Du bist in der Falle.
Das emotionale Chaos in deiner Protagonistin, hast Du sehr gut vermittelt. Konfrontiert mit der Realität befreien sich die Sinne von der Verkleisterung durch Fantasie und melden den Vorrang an. Sehr schön geschrieben. Mir gefällt besonders, dass Du keine Lösung anbietest, nicht urteilst. Du hinterläßt dem Leser Ambivalenz und Räume.
Grüßlinge
itsme
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Life is too short to paint a single kiss
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Petit Chaperon rouge One-Hit-Wonder-Autor
Registriert: Jul 2002
vielen Dank für deine positive Reaktion auf meinen kleinen Prosaversuch. Nachdem ich feststellen musste, dass ich von einem angehenden Schriftsteller auf einen Untertiteltexter zurück gestuft worden bin, habe ich schon das Schlimmste befürchtet...
Salut
PCr
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Habe keine Angst vor dem (Reiß)wolf...
Die Geschichte ist ganz ansprechend.
Einige Vergleiche klingen nicht ganz stilsicher:
Du kratzt dich am Kinn und nun bemerke ich erst deinen hellen Bartflaum, so, als hätte ich davor alles nur verschwommen gesehen, wie in einem Rausch.
Dieses: ...so, als hätte....ist nie gut gewählt.
Genauso :als würde...als sei es....als wäre er....das sind alles Vermutungen und gehören nicht da hin.
Die Aufgabe eines guten Schriftsteller ist es, Bilder und Gefühle zu vermitteln, ohne Annahmen zu verbreiten.
Es reicht doch für den Leser, wenn du schreibst:
Du kratzt dich am Kinn und nun bemerke ich erst deinen hellen Bartflaum.
Du benutzt die anderen Beschreibungen (als hätte ich davor alles nur verschwommen gesehen...), um der Protagonstin Leben einzuhauchen. Dies sollte aber nicht durch die Beschreibung innerer Annahmen entstehen, sondern durch Dinge, die sie tut.
Wie würde sich ein Mädchen in dieser Situation verhalten? Würde sie wirklich denken: oh, er hat ja Bartflaum, das habe ich gar nicht bemerkt, weil ich vorher alles verschwommen gesehen habe und wie in einem Rausch war?
Mal ehrlich: würdest du so denken?
Bleibe beim Schreiben bei der Wahrheit.
Verstehst du, was ich meine? Deine Texte sind gut, aber beherzige diesen Tip. Denn dann wirst du noch besser :-)
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"Die Hälfte ist manchmal mehr als das Ganze."
Hesiod
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Petit Chaperon rouge One-Hit-Wonder-Autor
Registriert: Jul 2002
Vielen Dank für deine konstruktive Kritik. Ich werde sie mir zu Herzen nehmen.
Mein Traum ist tatsächlich, einmal eine gute Schriftstellerin zu werden und was du da über das Vermitteln von Bildern und Gefühlen schreibst, erscheint mir sehr sinnvoll. Ich stehe ja noch ganz am Anfang und werde mir beim nächsten Mal sicher mehr Mühe geben.
Du schreibst: "Mal ehrlich: würdest du so denken?
Bleibe beim Schreiben bei der Wahrheit."
Ja, ich würde so denken, aber wenn das nicht gut ankommt beim Leser, dann muss ich wohl die Unwahrheit schreiben.
Nochmals vielen Dank für deine wertvollen Tipps. Ich werde das nächste Mal beim Schreiben daran denken.
Salut
PCr
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Habe keine Angst vor dem (Reiß)wolf...
Freut mich, dir weitergeholfen zu haben. Dass du jetzt lieber die Unwahrheit schreiben willst, wäre keine gute Idee. Bleibe bei de Wahrheit und lerne, sie stilvoll auszudrücken, ohne Formulierungen: Als wenn...als ob etc.
:-)
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"Die Hälfte ist manchmal mehr als das Ganze."