Intimsphären

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Auch Lesungspublikum kann eine Bestie sein.
Kaum hatte ich vor Wochen in einem Literaturcafé die letzte Zeile gelesen und höflichst um Publikumsäußerungen gebeten, folgte jene kaum erträgliche Stille. Dann endlich. Eine Frau, keineswegs unattraktiv, leicht intellektuelles Outfit, Sphinx-Lächeln, stellte die unvermeidliche Frage. „Greifen Sie beim Schreiben auf persönliche Erfahrungen zurück?“
Bei Kennern der Szene gilt diese Frage als indiskret, zumal ohnehin jeder weiß, dass in allen Prosa- oder Lyriktexten offen oder versteckt die Autoren-Persönlichkeit nachwirkt.
Von der leicht erhabenen Position einer kleinen Bühne aus konnte ich erkennen, wie jene Sphinx darauf brannte, ihr ohnehin schon vorgefertigtes Autoren-Psychogramm mit letzten Einzelheiten zu ergänzen.
Mit bemüht gelangweilter Stimme antwortete ich: „Aber natürlich.“
Sie ließ sich nicht entmutigen. „Sie haben da eine, wie ich meine, äußerst erotische, ja, gewagte Liebeszene in Ihrer Geschichte...!“
Der Liebhaber, auf nächtlichem Kurzabenteuer, war ein sympathischer und potenter Eroberer, der meinem Wunsch- und leider weniger meinem wahren Selbstbild entsprach.
Daher entschied ich mich, als Antwort genüsslich zu lächeln.
Sie gab nicht auf. „Ich könnte Sie jetzt fragen, ob Sie auf One Night Stands stehen.“
In der eher entspannenden Atmosphäre des kleinen Literaturcafés begann es zu knistern. Zum Glück meldete sich eine andere zu Wort. „Aus feministischer Sicht, meine ich, benutzt Ihr Casanova die Frauen nur, um sich dabei großartig vorzukommen. Und Casanova, der war bekanntlich ein bindungsunfähiger, sexsüchtiger und an sich zu bedauernder Macho.“
In Zwickmühlen neige ich nicht dazu, wie ein Wasserfall zu reden.
Prompt kam die Sphinx noch einmal auf ihre Eingangsfrage zurück.
Wieder herrschte Stille. Nur diesmal starrten nicht alle verlegen zu Boden sondern äußerst auffordernd zu mir herauf.
Ich versuchte, ihnen in die Augen zu sehen. Räusperte mich. Meine Stimme blieb belegt. „Ich beobachte in unserer Gesellschaft sowohl Sexsucht als auch zunehmende Bindungs-unfähigkeit. Daher habe ich diese Liebesszene als Metapher gemeint. Verstehen Sie?“
Die Feministin nickte anerkennend, meine Sphinx wirkte enttäuscht und direkt vor mir grinsten einige breit und damit weit mehr als nur indiskret.
 
Liebe flammarion,

die Rubrik heißt H u m o r und Satire. Für eine Satire fehlen sicherlich die typischen Merkmale.
Liebe Grüße
Karl
 
N

no-name

Gast
Lieber Karl,

also ich habe schallend gelacht! So laut, dass meine Kollegin erstaunt aufgeblickt hat! :)

Einfach Klasse! Auf so eine subtile Antwort wäre ich in diesem Kontext nie und nimmer gekommen!

Ähem... *räupertsich*... Wo hälst du denn deine nächste Lesung?

Höchst amüsierte Grüße von no-name.
 

egotrip

Mitglied
Ja, also locker leicht. Wie ein perlendes Getränk. Da gibts doch diesen Cidre. Den trink ich sehr gern. Gefällt mir gut.
 
P

Pete

Gast
Eine sehr feinsinnige Geschichte.

Nur ein Meister der Worte kann diesen schwierigen Fragen gleichermaßen angemessen wie wirkungsvoll begegnen.

Sehr hoher Schmunzeleffekt!
 
Lieber no-name, egotrip und Pete,
natrülich habe ich mich sehr über euren Zuspruch gefreut. Danke.
Meine nächsten beiden Lesungen: 12. 08. 2007 in Bergisch Gladbach, Villa Zanders, im Rahmen einer Ausstellung zum Thema Papier und am 12. 10. 2007 im Bensberger Ratssaal zusammen mit Dieter Wellershoff.
Also wenn, dann...
Allerdings kann ich nicht versprechen, bei den Lesungen auch diesmal erotische Rätsel aufzugeben.
Liebe Grüße
Karl
 
N

no-name

Gast
Lieber Karl,

also,... DAS müsstest du mir schon versprechen, bevor ich nur wegen dir, deinem offensichtlichen literarischen Talent und natürlich der "einmaligen Chance, dich live zu erleben" 400 km weit fahre... ;-)

Liebe Grüße von no-name.
 

flammarion

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Teammitglied
Korrekturvorschläge:

[red] Intimshären
[/red] (Intimsphären) Veröffentlicht von Karl Feldkamp am 19. 05. 2007 17:40
Auch Lesungspublikum kann eine Bestie sein.
[blue] Kaum hatte ich vor Wochen [/blue] (eine sehr diffuse Zeitangabe) in einem Literaturcafé die letzte Zeile gelesen und höflichst um Publikumsäußerungen gebeten, folgte jene [blue] kaum [/blue] (doppelt) erträgliche Stille. Dann endlich. Eine Frau, keineswegs unattraktiv, leicht [blue] intellektuelles [/blue] (was ist denn das? Und seit wann sind Gegenstände intellektuell?) Outfit, Sphinx-Lächeln, stellte die unvermeidliche Frage. „Greifen Sie beim Schreiben auf persönliche Erfahrungen zurück?“
Bei Kennern der Szene gilt diese Frage als indiskret, zumal ohnehin jeder weiß, dass in allen Prosa- oder Lyriktexten offen oder versteckt die Autoren-Persönlichkeit nachwirkt.
Von der leicht erhabenen Position einer kleinen Bühne aus konnte ich erkennen, wie jene Sphinx darauf brannte, ihr ohnehin schon vorgefertigtes Autoren-Psychogramm mit letzten Einzelheiten zu ergänzen.
Mit bemüht gelangweilter Stimme antwortete ich: „Aber natürlich.“
Sie ließ sich nicht entmutigen. „Sie haben da eine, wie ich meine, äußerst erotische, ja, gewagte Liebeszene in Ihrer Geschichte...!“
Der Liebhaber, auf nächtlichem Kurzabenteuer, war ein sympathischer und potenter Eroberer, der meinem Wunsch- [blue] und [/blue] (jedoch wäre ausdrucksstärker) leider weniger meinem wahren Selbstbild entsprach.
Daher entschied ich mich, als Antwort genüsslich zu lächeln.
Sie gab nicht auf. „Ich könnte Sie jetzt fragen, ob Sie auf One Night Stands[blue] stehen[/blue] (dieser halbe Stabreim ist ungünstig, wäre nur angebracht, wenn er die Person charakterisieren soll).“
In der eher [blue] entspannenden [/blue] (entspannten) Atmosphäre des kleinen Literaturcafés begann es zu knistern. Zum Glück meldete sich eine [blue] andere [/blue] (andere was? Sphinx?) zu Wort. „Aus feministischer Sicht, meine ich, benutzt Ihr Casanova die Frauen nur, um sich dabei großartig vorzukommen. Und Casanova, der war bekanntlich ein bindungsunfähiger, sexsüchtiger und an sich zu bedauernder Macho.“
In Zwickmühlen neige ich nicht dazu, wie ein Wasserfall zu reden.
Prompt kam die Sphinx noch einmal auf ihre Eingangsfrage zurück.
Wieder herrschte Stille. Nur diesmal starrten nicht alle verlegen zu Boden(Komma) sondern [blue] äußerst auffordernd [/blue] (herausfordernd) zu mir herauf.
Ich versuchte, ihnen in die Augen zu sehen. Räusperte mich. Meine Stimme blieb belegt. „Ich beobachte in unserer Gesellschaft sowohl Sexsucht als auch zunehmende Bindungs-unfähigkeit. Daher habe ich diese Liebesszene als Metapher gemeint. Verstehen Sie?“
Die Feministin nickte anerkennend, meine Sphinx wirkte enttäuscht und direkt vor mir grinsten einige breit und damit[blue] weit mehr als nur indiskret[/blue] (ein wischiwaschi Abschluss. Was, bitte schön, ist denn weit mehr als indiskret? Was darf man sich darunter vorstellen?).


__________________
Bei jedem Irrtum hat die Wahrheit eine neue Chance.

Die Geschichte macht vor allem dadurch den Eindruck eines Tagebucheintrags, weil sie in der Ich-Form geschrieben ist und du als der strahlende Held aus ihr hervorgehst. Außerdem hat sie nur einen geringen Schmunzelfaktor. Ich habe sie mehreren Männern zu lesen gegeben, sie haben kaum den Mund verzogen.
lg
 
P

Pete

Gast
@Flammarion, gut lektoriert. Keiner Deiner, allesamt berechtigten Punkte war mir aufgefallen.

@Karl

Ich beobachte in unserer Gesellschaft sowohl Sexsucht als auch zunehmende Bindungs-unfähigkeit. Daher habe ich diese Liebesszene als Metapher gemeint. Verstehen Sie?“
Wenn das kein Fehler ist, sondern Konkrete Poesie, dann müsste m.E. Unfähigkeit groß geschreiben werden.

Grüße
 
Liebe/r no-name,
da brauche ich nach ein wenig Bedenkzeit. Wenn du mir einen kurzen Lebenslauf schickst, wäre das sicherlich hilfreich.
Liebe Grüße
Karl
 
N

no-name

Gast
*Hahahahaha*... Karl, du bist wirklich sehr schlagfertig.
Ich mag deinen Humor und fast alle deine Texte, die ich bisher von dir genossen habe. Sicherlich wäre es ein Erlebnis, dich mal live auf einer Lesung zu erleben, du "alter Seebär"... denn an einen solchen erinnerst du mich ein bisschen, und das meine ich jetzt wirklich ganz positiv... ;-)

Auch ich schätze Flammarions fundierte und oft extrem hiflreichen Kommentare. Diesmal wundere ich mich allerdings über deine, Flammarion, Beurteilung des "geringen Schmunzelfaktors". Das sehe ich ganz anders. Vielleicht liegt das daran, dass ich mir die von Karl beschriebene Szene live vorgestellt habe, denn so etwas ähnliches ist mir selbst mal passiert. (Ich weiß allerdings nicht mehr genau, was ich geantwortet habe... *lacht*...)

Karl, für mich ist dein Text intelligenter, subtiler Humor pur!

Liebe Grüße von no-name.

PS: Gibt es so etwas wie einen "kurzen Lebenslauf"?
Also, bei mir nicht, Karl da musste schon die Langversion akzeptieren... ;-)
 



 
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