Intro

4,60 Stern(e) 7 Bewertungen

R. Herder

Mitglied
Intro


zwischen Pflasterstein und Mitternacht stehn
nahe bei den Plattenbauten Einkaufswagen
gittrige Gestelle denen ich (gleichsam verwaist)

paar Stückchen meiner kalten Haut zum Schutz
vor beispielsweise leeren Plastikflaschen oder
sturem Pinkeln eines alten Hunds gereiche

– denn unermesslich ist mein Mitgefühl
(die rötlich Pfütze unterhalb des Solarplexus)
wenn die diesen Platz umstehenden Fenster

lichten blinzeln oder glotzen also ihre Blicke
werfen Richtung Einkaufswagenblöße sich
ergötzen an bewegungsloser Angst und Starre

und ihrer Geilheit einen Namen geben um die
Möglichkeit der Innenschau zu leugnen und
ins fremde angezeigte Außen zu verfrachten

– ähnlich mir der (schon enthäutet) zwischen
Pflasterstein und Mitternacht um Aldi- Penny-
oder Lidl-Gitter sich bemüht auf dass nichts

weniger als seine Seele nahe bei den platten
Bauten einmal noch sich zu erkennen gebe
 
H

Hakan Tezkan

Gast
ja! ich erkenne mich ganz deutlich in diesem verwaisten, einsamen, nackten, hilflosen, ängstlichen einkaufswagen wieder! geiles bild.
du findest deine worte wieder: in dunklen nächten, vor einsamen supermärkten, einen hund beguckend, der dich selbst, oder den einkaufswagen oder den leser anpinkelt.
die plattenbauten sind auch sehr bedrückend, erdrückend, den blick auf diese versteckte, verreckte seele rückend...

gern gelesen...

hakan
 

R. Herder

Mitglied
Vielen Dank, Hakan. Vielleicht interessiert der Kontext? Ich hab vor kurzem mit ein paar andern morgens gegen drei, vier Uhr in der Innenstadt Fußball mit ner leeren Plastikflasche gespielt. Es schien uns aus irgendnem Grund eine gute Idee zu sein. Spaß gemacht hats in jedem Fall. Jedenfalls stand da ein Einkaufswagen allein und verlassen in der Gegend rum. Wir haben versucht die Plastikflasche in diesen Wagen zu lupfen, und es einfach nicht geschissen bekommen. Der Mond schien, in manchen Fenstern war Licht und ich war überzeugt, es müsse demnächst wer kommen und uns wegen zu hoher Lautstärke abführen. Niemand kam, und den Einkaufswagen haben wir allein gelassen - so, wie wir ihn gefunden haben.


Grüße,
René.


PS: Ich weiß, der Kontext interessiert keine Sau, aber er war grad das einzige, was mir einfiel ;)
 
G

Gelöschtes Mitglied 8846

Gast
Hallo,

mich interessiert der Kontext wirklich nicht, aber der "Rest" ist richtig gut.

LG Franka
 
P

penelope

Gast
hallo rene,

das ist es. ja, ich nehme alle deine geräusche, die du bisher verwertet hast und jubiliere mit ihnen: ein chor, wie bei der konferenz der tiere, für dein wort. und wörter, die zum licht einer reklame hin wachsen. das licht hat es eilig, aber deine sätze haben zeit. es ist ja auch ein intro: dort die plattenbauten, zwischen denen ich auch aufgewachsen bin, im märkischen viertel, in berlin... dort kartographierst du uns eine wirklichkeit im vergangenen und im jenseits... wie ein traum, der in einer endlosschleife mündet, eine kreisbewegung, fühle ich antworten auf fragen, die zu stellen schon lange vergessen wurden und ihrer Geilheit einen Namen geben um die/Möglichkeit der Innenschau zu leugnen und/ins fremde angezeigte Außen zu verfrachten... laut und ehrlich, doch auch flüsternd, farben, die eine leinwand hauchzart berühren, eine liebkosung, ein wort, deins, und: weniger als seine Seele nahe bei den platten/Bauten einmal noch sich zu erkennen gebe... dein wort, das seine gesamte verwandschaft überlebt hat. du hast eine stimme, die sich einer gesehenen wahrheit entgegenfiebert, eine profane situation, die du hier darstellst, die trotzdem schmerzt, als würdest du uns deine bilder auf die stirn nageln, mit großen metallenen stiften... immer wieder in einen gedanken springen, mit dir, deinen wörtern, etwas sehen, obwohl man sich wie erblindet fühlt... du greifst uns, nimmst uns auch an der hand, und wir oder sie: lichten blinzeln oder glotzen also ihre Blicke/werfen Richtung Einkaufswagenblöße sich/ergötzen an bewegungsloser Angst und Starre... allein die nacht weckte noch in uns heimatliche gefühle, während du schreibst, während dein schreiben immer ebensoviel vom schweigen hat wie vom sprechen...

lg penelope
 

R. Herder

Mitglied
Und mir bleibt nur der Dank. Dies Intro als Überschrift findet auf zwei Ebenen statt: eine Einleitung in meine (wiederbelebte) Lyrik - und ein lateinisches hinein, nach innen. Mich freut der Anklang, den dieser Text bei euch finden konnte. Er ist, wie im Grunde der Großteil meiner nicht zum Wegwerfen gedachten Lyrik, eine Hommage an den Sound, an das Wort, an die Sprache. Und zugleich, nicht thematisch, aber dennoch vorhanden, in meinem Denken jedenfalls vorhanden, eine skeptische Fragestellung nach den Möglichkeiten der Schrift, des Vortrags, des Sprechens.

Man kann nicht alles schreiben. Man muss das Kleinste finden, und darin alles sehen können. Wenn das mal im Jahr gelingt: genug, dann ist alles erreicht (ob es mit diesem Intro erreicht ist, ich bin unsicher, wohl nicht, das Jahr hat noch Monate, es reicht nie).


Grüße,
René.
 



 
Oben Unten