Ist mein Leben nicht wunderbar?

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Jule:
Es ist wunderbar, aufzuwachen, auf das Handy zu schauen und eine zärtliche Nachricht von ihm zu lesen. Nie hätte ich am Anfang gedacht, dass mich diese Beziehung so glücklich machen könnte. Summend stehe ich auf, gehe in die Küche und betrachte sein Sektglas, das er gestern Abend benutzt hat. Auf ein Jahr Beziehung haben wir angestoßen. Ein Jahr voll wunderbarer Tage.
Auf der Arbeit werde ich manchmal von meinen Kolleginnen bedauert, weil ich (noch) keine Familie habe und auch keinen Ehemann und keinen Freund. Dabei bin ich mit meinem Leben so zufrieden, wie es ist! Warum sich jeden Tag mit einem Ehemann herumschlagen bzw. seiner Wäsche und seinem Mittagessen? Aber soweit denken sie im Büro ja nicht. „Der Richtige kommt sicher noch!" und" „Jeder Topf findet seinen Deckel!" sind die Sprüche, die ich mir von Zeit zu Zeit anhören muss. Vor allen Dingen Doris meint immer, mich trösten zu müssen. Sie ist schon seit fast 20 Jahren verheiratet und kann sich wohl nicht vorstellen, dass ich mit meinem Leben glücklich bin. Dabei bin ich nie traurig, das heißt, manchmal vielleicht, kurz vor Feiertagen, wenn Dietmar nicht kommen kann. Seine Frau würde das merkwürdig finden, wenn er dann beruflich unterwegs sei, hat er gesagt. Klar, das kann ich verstehen. An Wochenenden ist es etwas anderes, da sehen wir uns öfters und sie ist anscheinend deswegen nicht misstrauisch. Dietmar ist selbstständiger Unternehmer und er muss auch am Wochenende mal arbeiten. Scheint sie nicht zu stören.

Dieses Wochenende machen wir einen Kurzurlaub in Berlin, in einem Hotel, wie ein Ehepaar. Letzte Nacht habe ich davon geträumt, wie wir uns gemeinsam ins Gästebuch eintragen und ganz offiziell in einem Doppelzimmer übernachten. Das wird herrlich. Ist mein Leben nicht wunderbar?

Doris:
Bald haben Dietmar und ich den 20. Hochzeitstag und ich bin immer noch sagenhaft glücklich mit ihm, fast wie am ersten Tag. Nur schade, dass er soviel arbeiten muss, aber da kann man nichts machen, als Selbstständiger muss er schließlich auch am Wochenende ran, von nichts kommt schließlich nichts, wie er immer sagt. Im letzten Jahr hatte er ganz schön viel zu tun, an den Wochenenden war er kaum da. Wenigstens hat er mir versprochen, an allen Feiertagen zu Hause zu bleiben und das ist schon sehr lieb und rücksichtsvoll, so, wie Dietmar eben ist. Dieses Wochenende muss er beruflich nach Berlin, auf irgendein Seminar. Ich habe gefragt, ob ich mitkommen soll, aber er hat lächelnd abgewinkt. „Da würdest du dich nur langweilen, Liebes, ich sitze den ganzen Tag in dem Seminar und abends mit den anderen Teilnehmern beim Abendessen und später bestimmt in der Bar", hat er mir erzählt. Und ich sagte, natürlich, dann ist es Blödsinn, dass ich mitkomme, da bleibe ich lieber zu Hause und frage meine Freundinnen, ob wir mal wieder einen richtigen Mädelsabend machen können. Ich habe Dietmar gefragt, ob es in Ordnung ist, dass ich mir ein vergnügtes Wochenende mache, während er sich auf dem Seminar langweilen muss. Er hat mir versichert, das würde ihm nichts ausmachen und ich solle mich nur amüsieren. Es ist herrlich, einen so verständnisvollen Ehemann zu haben. Ist mein Leben nicht wunderbar?

Dietmar:
Das Leben kann ja manchmal anstrengend sein. Mal muss man die Ehefrau, mal die Geliebte glücklich machen, aber eigentlich klappt das seit einem Jahr sehr gut. Als ich Jule kennenlernte, war ich gleich von ihr hingerissen. Zunächst sollte das nur ein One-night-stand werden, aber dann haben wir uns wieder und wieder getroffen und jetzt dauert unsere Beziehung schon ein Jahr. Wurde Zeit, darauf anzustoßen. Ich staune immer wieder, mit wie wenig Jule doch zufrieden ist. Für Doris muss es an unserem Hochzeitstag jedes Jahr ein Essen im Restaurant sein. Bald haben wir unseren zwanzigsten. Kaum zu glauben, dass ich schon so lange verheiratet bin! Und ich werde es auch bleiben. Zum Glück legt Jule gar keinen Wert darauf, dass ich für sie meine Frau verlasse. Jedenfalls hat sie das nie erwähnt. Sie ist so mit ihrem Leben zufrieden, wie es ist, hat sie mir versichert. Doris hat mir vor kurzem erzählt, dass sie eine Arbeitskollegin hat, die jung und hübsch ist, aber keine Familie, keinen Mann und keinen Freund hat. Doris hat die Arme aufrichtig bedauert. Ich wollte fast sagen, dann schick sie doch zu mir, aber drei Frauen, das ist wahrscheinlich doch zu anstrengend. Es ist schon gut so, wie es ist.

Am Wochenende mache ich mit Jule einen Kurzurlaub in Berlin. Das wird herrlich, eine Abwechslung vom Alltag. Und Doris freut sich darauf, einen Mädelsabend mit ihren Freundinnen zu machen, wenn ich nicht da bin. Sie hatte wohl ein wenig Sorge, dass es mich stören könne, aber ich habe ihr versichert, dass ich damit absolut kein Problem habe. So können wir uns alle drei ein super Wochenende machen. Ich habe eine tolle Frau und eine tolle Freundin.
Ist mein Leben nicht wunderbar?
 



 
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